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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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vom eignen Leben

gutes Zeichen, denn es zeigt an, daß die Kriminalität noch nicht als für das
Interesse des einzelnen bedrohlich angesehn wird; aber auch ein schlechtes, denn
es offenbart, wie wenig die Nation mit den Gedanken an das Gemeinwohl
durchsetzt ist. Aus diesen Erwägungen heraus erklärt sich auch das geringe
Interesse, das den beabsichtigten Reformen im Volke entgegengebracht wird. Die
Zeiten aber werden sich ändern, die jetzt seit Beginn unsrer Kriminalstatistik
relativ und absolut steigende Kriminalität wird nnter der Herrschaft milderer
Strafgesetze, insbesondre milderer Prozeßvorschriften, immer bedrohlicher an¬
schwellen, und dann wird man einsehn, daß es falsch war, die Interessen des
Verletzten und der Allgemeinheit auf ein so niedriges Postament zu stellen, wie
es jetzt beabsichtigt wird. Tausende kommen heute unter die Räder de.r Lokomotiven,
der Automobile, der Maschinen und Lastwagen eines zu enormer Hohe un-
gewachsnen Verkehrs und einer ungeheuer ausgedehnten Industrie, deren gesunde
Knochen im besten Falle durch einen klingenden Entgelt, der dem Geschädigten
niemals den Verlust voll zu ersetzen vermag, abgegolten werden) Aber uni der
paar Menschen willen, die durch den Gang der in der Strafrechtspflege endigen
Staatsmaschine ohne Willen beschädigt werden, entsteht ein Geschrei, daß die
Welt widerhallt, und daß man überhört, wie laut die Stimme der durch das
Verbrechen beschädigten und derer, die von der Schädigung durch Straftaten
befreit bleiben wollen, nach einer strengen Strafrechtspflege rufen, die ihnen
G Staatsanwalt Langer enugtuung und Sicherung bringt.




Vom eignen Heben
von Wilhelm Speck")

meer lieben und vertrauten Menschen erzählt wohl jeder gern
und unbefangen von vergangnen und gegenwärtigen Tagen.
Anders aber ist es, wenn mau ins dunkle hinaus von sich reden
soll, zu Menschen, die man nicht kennt, und die am Ende auch
von uns nicht wissen. Da fragt man sich bald verlegen: Wie
kommst du dazu, andre mit deinen Angelegenheiten zu unterhalten? Bist du
denn sicher, daß sie davon hören wollen? ^ N

Es ist immer meine Meinung gewesen, daß wir, besondre Fälle abge¬
rechnet, am besten fahren, wenn wir uns an dem genügen lassen, was ein



Vergleiche hierzu die Besprechung des Deutsch-evangelischen Jahrbuches am
Schlüsse dieses Heftes,
Grenzboten I 1909 1' -
vom eignen Leben

gutes Zeichen, denn es zeigt an, daß die Kriminalität noch nicht als für das
Interesse des einzelnen bedrohlich angesehn wird; aber auch ein schlechtes, denn
es offenbart, wie wenig die Nation mit den Gedanken an das Gemeinwohl
durchsetzt ist. Aus diesen Erwägungen heraus erklärt sich auch das geringe
Interesse, das den beabsichtigten Reformen im Volke entgegengebracht wird. Die
Zeiten aber werden sich ändern, die jetzt seit Beginn unsrer Kriminalstatistik
relativ und absolut steigende Kriminalität wird nnter der Herrschaft milderer
Strafgesetze, insbesondre milderer Prozeßvorschriften, immer bedrohlicher an¬
schwellen, und dann wird man einsehn, daß es falsch war, die Interessen des
Verletzten und der Allgemeinheit auf ein so niedriges Postament zu stellen, wie
es jetzt beabsichtigt wird. Tausende kommen heute unter die Räder de.r Lokomotiven,
der Automobile, der Maschinen und Lastwagen eines zu enormer Hohe un-
gewachsnen Verkehrs und einer ungeheuer ausgedehnten Industrie, deren gesunde
Knochen im besten Falle durch einen klingenden Entgelt, der dem Geschädigten
niemals den Verlust voll zu ersetzen vermag, abgegolten werden) Aber uni der
paar Menschen willen, die durch den Gang der in der Strafrechtspflege endigen
Staatsmaschine ohne Willen beschädigt werden, entsteht ein Geschrei, daß die
Welt widerhallt, und daß man überhört, wie laut die Stimme der durch das
Verbrechen beschädigten und derer, die von der Schädigung durch Straftaten
befreit bleiben wollen, nach einer strengen Strafrechtspflege rufen, die ihnen
G Staatsanwalt Langer enugtuung und Sicherung bringt.




Vom eignen Heben
von Wilhelm Speck»)

meer lieben und vertrauten Menschen erzählt wohl jeder gern
und unbefangen von vergangnen und gegenwärtigen Tagen.
Anders aber ist es, wenn mau ins dunkle hinaus von sich reden
soll, zu Menschen, die man nicht kennt, und die am Ende auch
von uns nicht wissen. Da fragt man sich bald verlegen: Wie
kommst du dazu, andre mit deinen Angelegenheiten zu unterhalten? Bist du
denn sicher, daß sie davon hören wollen? ^ N

Es ist immer meine Meinung gewesen, daß wir, besondre Fälle abge¬
rechnet, am besten fahren, wenn wir uns an dem genügen lassen, was ein



Vergleiche hierzu die Besprechung des Deutsch-evangelischen Jahrbuches am
Schlüsse dieses Heftes,
Grenzboten I 1909 1' -
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[0089] vom eignen Leben gutes Zeichen, denn es zeigt an, daß die Kriminalität noch nicht als für das Interesse des einzelnen bedrohlich angesehn wird; aber auch ein schlechtes, denn es offenbart, wie wenig die Nation mit den Gedanken an das Gemeinwohl durchsetzt ist. Aus diesen Erwägungen heraus erklärt sich auch das geringe Interesse, das den beabsichtigten Reformen im Volke entgegengebracht wird. Die Zeiten aber werden sich ändern, die jetzt seit Beginn unsrer Kriminalstatistik relativ und absolut steigende Kriminalität wird nnter der Herrschaft milderer Strafgesetze, insbesondre milderer Prozeßvorschriften, immer bedrohlicher an¬ schwellen, und dann wird man einsehn, daß es falsch war, die Interessen des Verletzten und der Allgemeinheit auf ein so niedriges Postament zu stellen, wie es jetzt beabsichtigt wird. Tausende kommen heute unter die Räder de.r Lokomotiven, der Automobile, der Maschinen und Lastwagen eines zu enormer Hohe un- gewachsnen Verkehrs und einer ungeheuer ausgedehnten Industrie, deren gesunde Knochen im besten Falle durch einen klingenden Entgelt, der dem Geschädigten niemals den Verlust voll zu ersetzen vermag, abgegolten werden) Aber uni der paar Menschen willen, die durch den Gang der in der Strafrechtspflege endigen Staatsmaschine ohne Willen beschädigt werden, entsteht ein Geschrei, daß die Welt widerhallt, und daß man überhört, wie laut die Stimme der durch das Verbrechen beschädigten und derer, die von der Schädigung durch Straftaten befreit bleiben wollen, nach einer strengen Strafrechtspflege rufen, die ihnen G Staatsanwalt Langer enugtuung und Sicherung bringt. Vom eignen Heben von Wilhelm Speck») meer lieben und vertrauten Menschen erzählt wohl jeder gern und unbefangen von vergangnen und gegenwärtigen Tagen. Anders aber ist es, wenn mau ins dunkle hinaus von sich reden soll, zu Menschen, die man nicht kennt, und die am Ende auch von uns nicht wissen. Da fragt man sich bald verlegen: Wie kommst du dazu, andre mit deinen Angelegenheiten zu unterhalten? Bist du denn sicher, daß sie davon hören wollen? ^ N Es ist immer meine Meinung gewesen, daß wir, besondre Fälle abge¬ rechnet, am besten fahren, wenn wir uns an dem genügen lassen, was ein Vergleiche hierzu die Besprechung des Deutsch-evangelischen Jahrbuches am Schlüsse dieses Heftes, Grenzboten I 1909 1' -

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/89>, abgerufen am 12.12.2024.