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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Kaiser Wilhelm der (Lrste als Schriftsteller
von Friedrich Braumann

ercidezu klassisch dürfen die Ausführungen genannt werden, die der
Prinz von Preußen zu dem Paragraphen 57 des Entwurfs der
Wehrverfassung macht. Dieser bestimmt, daß alle Beförderungen
bis zum Befehlshaber der Kompagnie und Schwadron einschließlich
durch die Wahl der Wehrmänner zu erfolgen habe.

Wahl der Führer! Dies Stichwort der Zeit wird, weil es volkstümlich klingt,
in unsern Tagen von einem dem andern nachgesprochen, und man glaubt damit
die Sache abgemacht und gut. Da nun kein erfahrner Soldat jemals mit diesem
Prinzip einverstanden sein wird, so hoffen wir, daß die militärischen Mitglieder
des Wehrausschusses auch bei der Festsetzung dieses Paragraphen in der Minorität
geblieben sind.

Warum, fragt sich zunächst, eine Führerwahl für den zweiten und dritten
Heerbann bestimmen, während für den ersten Heerbann der bisher übliche Modus
der Ernennung beibehalten worden ist? Warum soll dem einen nicht recht sein,
was dem andern billig ist? Eine Erklärung dieses Unterschiedes kann nur in
ber Ansicht über den zweiten und dritten Heerbann (Landwehr) gesucht werden,
"ach welcher diese als eine weniger streng disziplinierte Truppe gedacht wird. Es
ist dies dieselbe Anschauung, welche in der Landwehr den Übergang zur Bürger-
Wehr erblickt, bet welcher letztern allerdings die Wahl der Führer eingeführt worden
ist. Sie erscheint uns aber unklar und im Widerspruch mit dem Paragraphen 18
der Wehrfassung, nach welchem die Landwehr gleich dem ersten Heerbann für Krieg
oder Frieden verwendet werden kann und dazu bestimmt ist, in ihrer ganzen Stärke
gegen den Feind geführt zu werden. Warum also Truppen, welche eine ganz
gleiche Bestimmung haben, andern organischen Bestimmungen hinsichtlich ihrer Be¬
fehlshaber unterliegen sollen, ist schwer zu begreifen. Wenn man die Wahl der
Führer bei dem ersten Heerbann (Linie) nicht einführte, so wurde man dabei gewiß
bon dem ganz richtigen Grundsatze geleitet, daß bei dem steten Wechsel der ein¬
zuziehenden und erst zu erziehenden Truppen von diesen kein Urteil über die An¬
sprüche zu verlangen sei, welche sie an ihre Vorgesetzten zu machen haben. Aber
hat auch wohl den tiefer liegenden Grund durchgefühlt, daß bei einer Truppe,
die ihre Führer selbst wühlt, doch auch Mißgriffe vorkommen können, die eine
schwere, vielleicht nie wieder gutzumachende Desorganisation an derselben nach
s'es ziehen.

Dieser Gefahr wollte man also doch die Waffenschule der ganzen Nation, wie
^.r erste Heerbann in Paragraph 17 genannt wird, nicht aussetzen, denn wenn
keine Gefahr mit der Wahl der Führer verbunden wäre, so sieht sich schwer ein,
warum dem Soldaten bei seiner ersten Erziehung nicht auch darüber durch die


Grenzboten I 1909 77


Kaiser Wilhelm der (Lrste als Schriftsteller
von Friedrich Braumann

ercidezu klassisch dürfen die Ausführungen genannt werden, die der
Prinz von Preußen zu dem Paragraphen 57 des Entwurfs der
Wehrverfassung macht. Dieser bestimmt, daß alle Beförderungen
bis zum Befehlshaber der Kompagnie und Schwadron einschließlich
durch die Wahl der Wehrmänner zu erfolgen habe.

Wahl der Führer! Dies Stichwort der Zeit wird, weil es volkstümlich klingt,
in unsern Tagen von einem dem andern nachgesprochen, und man glaubt damit
die Sache abgemacht und gut. Da nun kein erfahrner Soldat jemals mit diesem
Prinzip einverstanden sein wird, so hoffen wir, daß die militärischen Mitglieder
des Wehrausschusses auch bei der Festsetzung dieses Paragraphen in der Minorität
geblieben sind.

Warum, fragt sich zunächst, eine Führerwahl für den zweiten und dritten
Heerbann bestimmen, während für den ersten Heerbann der bisher übliche Modus
der Ernennung beibehalten worden ist? Warum soll dem einen nicht recht sein,
was dem andern billig ist? Eine Erklärung dieses Unterschiedes kann nur in
ber Ansicht über den zweiten und dritten Heerbann (Landwehr) gesucht werden,
"ach welcher diese als eine weniger streng disziplinierte Truppe gedacht wird. Es
ist dies dieselbe Anschauung, welche in der Landwehr den Übergang zur Bürger-
Wehr erblickt, bet welcher letztern allerdings die Wahl der Führer eingeführt worden
ist. Sie erscheint uns aber unklar und im Widerspruch mit dem Paragraphen 18
der Wehrfassung, nach welchem die Landwehr gleich dem ersten Heerbann für Krieg
oder Frieden verwendet werden kann und dazu bestimmt ist, in ihrer ganzen Stärke
gegen den Feind geführt zu werden. Warum also Truppen, welche eine ganz
gleiche Bestimmung haben, andern organischen Bestimmungen hinsichtlich ihrer Be¬
fehlshaber unterliegen sollen, ist schwer zu begreifen. Wenn man die Wahl der
Führer bei dem ersten Heerbann (Linie) nicht einführte, so wurde man dabei gewiß
bon dem ganz richtigen Grundsatze geleitet, daß bei dem steten Wechsel der ein¬
zuziehenden und erst zu erziehenden Truppen von diesen kein Urteil über die An¬
sprüche zu verlangen sei, welche sie an ihre Vorgesetzten zu machen haben. Aber
hat auch wohl den tiefer liegenden Grund durchgefühlt, daß bei einer Truppe,
die ihre Führer selbst wühlt, doch auch Mißgriffe vorkommen können, die eine
schwere, vielleicht nie wieder gutzumachende Desorganisation an derselben nach
s'es ziehen.

Dieser Gefahr wollte man also doch die Waffenschule der ganzen Nation, wie
^.r erste Heerbann in Paragraph 17 genannt wird, nicht aussetzen, denn wenn
keine Gefahr mit der Wahl der Führer verbunden wäre, so sieht sich schwer ein,
warum dem Soldaten bei seiner ersten Erziehung nicht auch darüber durch die


Grenzboten I 1909 77
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/601>, abgerufen am 12.12.2024.