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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Städtische Anleihen und ihre Organisation

Eine Folge dieser mangelhaften Organisation, die hauptsächlich mit darin
zu suchen ist, daß jede Kommunalkörperschaft fast bei jeder zu kontrahierenden
Anleihe eine andre Bank oder ein andres Konsortium um Hilfeleistung an¬
gehen muß, ist nicht zuletzt der niedrige Kurs der Städteobligationen. Wir
sehen bei Betrachtung dieser Frage davon ab, daß der Kurszettel der Börsen
nur in den allerwenigsten Fällen ein genaues Bild der wirtschaftlichen Ver¬
hältnisse abgibt; der Umsatz eines einzigen Stücks genügt oft schon, um die
Notierung des betreffenden Papiers um einige Prozente zu steigern oder ab¬
zuschwächen. Aber eine Organisation des Kommunalkredits würde den Kurs
der Obligationen derart beeinflussen können, daß er dem innern Werte der
Papiere mehr entspräche. Es ist doch einleuchtend, daß der niedrige Kurs der
Papiere nicht in einem etwaigen Mangel an Sicherheit seine Ursachen hat;
denn dafür bürgen nicht nur das Vermögen der Kommunen, sondern auch
ihre Steuererträgnisse. Auch die Kurse der Städte, unter sich betrachtet, weisen
keineswegs die Unterschiede auf, die der verschieden Solvenz der einzelnen
Städte entsprechen würden. Bei den Kursen der Konsols und Reichsanleihen
liegt die Sache fast ebenso, obgleich diese durchschnittlich zwei bis drei Prozent
höher notieren als die gleich verzinslichen Städteobligationen. Eine derartige
Übereinstimmung in den Kursschwankungen der Staats- und Städteanleihen
läßt deshalb auf dieselben Ursachen schließen.

Der große wirtschaftliche Aufschwung Deutschlands veranlaßt das Anlage
suchende Privatkapital, sich industriellen Werten zuzuwenden, die eine höhere
Verzinsung als Reich und Kommunen gewähren. Dazu kommt (nach Zahn)
die Konkurrenz der Hypothekenbanken mit ihrer Unmenge von Pfandbriefen
und deren schnelle Zunahme. Dem Kapital bietet sich also die verschiedenste
Verwendungsmöglichkeit; daneben ist die Sucht, "schnell reich zu werden", nicht
ohne Bedeutung. Die Kursnotierung der Kommunalobligationen leidet weiter
darunter, daß ihr Markt in den meisten Fällen nur lokal ist; selbst die An¬
leihen größerer Städte wandern immer wieder nach der Ausgabestadt zurück
und haben nur hier bei lokalem Angebot und lokaler Nachfrage ernsthafte
Kundschaft (Kimmich).

Aus diesen Gründen sehen sich viele Banken nicht in der Lage, die
Emission von Stadtanleihen zu übernehmen, obwohl der Geschäftsgewinn der
E'nissionshüuser hier durchschnittlich größer ist als bei den Staats- und Pro-
vinzialanleihen. Aber dieser höhere Emissionsgewinn wird dadurch, daß sie
die Städteobligationen nicht mit der erforderlichen Schnelligkeit auf den Markt
bringen können, also oft morale- und jahrelang auf den Stadtschuldverschrei¬
bungen "sitzen" bleiben, mehr als wettgemacht. Selbst der Absatz der An¬
leihen größerer Städte geht zeitweise schleppend vor sich, was für die Banken
stets mit Verlusten verbunden ist. Sehr häufig müssen die Emissionshäuser
das zurückströmende Material zu einem von ihnen selbst diktierten Preise wieder
übernehmen. Im allgemeinen überwiegt in Städteobligationen das Angebot,


Städtische Anleihen und ihre Organisation

Eine Folge dieser mangelhaften Organisation, die hauptsächlich mit darin
zu suchen ist, daß jede Kommunalkörperschaft fast bei jeder zu kontrahierenden
Anleihe eine andre Bank oder ein andres Konsortium um Hilfeleistung an¬
gehen muß, ist nicht zuletzt der niedrige Kurs der Städteobligationen. Wir
sehen bei Betrachtung dieser Frage davon ab, daß der Kurszettel der Börsen
nur in den allerwenigsten Fällen ein genaues Bild der wirtschaftlichen Ver¬
hältnisse abgibt; der Umsatz eines einzigen Stücks genügt oft schon, um die
Notierung des betreffenden Papiers um einige Prozente zu steigern oder ab¬
zuschwächen. Aber eine Organisation des Kommunalkredits würde den Kurs
der Obligationen derart beeinflussen können, daß er dem innern Werte der
Papiere mehr entspräche. Es ist doch einleuchtend, daß der niedrige Kurs der
Papiere nicht in einem etwaigen Mangel an Sicherheit seine Ursachen hat;
denn dafür bürgen nicht nur das Vermögen der Kommunen, sondern auch
ihre Steuererträgnisse. Auch die Kurse der Städte, unter sich betrachtet, weisen
keineswegs die Unterschiede auf, die der verschieden Solvenz der einzelnen
Städte entsprechen würden. Bei den Kursen der Konsols und Reichsanleihen
liegt die Sache fast ebenso, obgleich diese durchschnittlich zwei bis drei Prozent
höher notieren als die gleich verzinslichen Städteobligationen. Eine derartige
Übereinstimmung in den Kursschwankungen der Staats- und Städteanleihen
läßt deshalb auf dieselben Ursachen schließen.

Der große wirtschaftliche Aufschwung Deutschlands veranlaßt das Anlage
suchende Privatkapital, sich industriellen Werten zuzuwenden, die eine höhere
Verzinsung als Reich und Kommunen gewähren. Dazu kommt (nach Zahn)
die Konkurrenz der Hypothekenbanken mit ihrer Unmenge von Pfandbriefen
und deren schnelle Zunahme. Dem Kapital bietet sich also die verschiedenste
Verwendungsmöglichkeit; daneben ist die Sucht, „schnell reich zu werden", nicht
ohne Bedeutung. Die Kursnotierung der Kommunalobligationen leidet weiter
darunter, daß ihr Markt in den meisten Fällen nur lokal ist; selbst die An¬
leihen größerer Städte wandern immer wieder nach der Ausgabestadt zurück
und haben nur hier bei lokalem Angebot und lokaler Nachfrage ernsthafte
Kundschaft (Kimmich).

Aus diesen Gründen sehen sich viele Banken nicht in der Lage, die
Emission von Stadtanleihen zu übernehmen, obwohl der Geschäftsgewinn der
E'nissionshüuser hier durchschnittlich größer ist als bei den Staats- und Pro-
vinzialanleihen. Aber dieser höhere Emissionsgewinn wird dadurch, daß sie
die Städteobligationen nicht mit der erforderlichen Schnelligkeit auf den Markt
bringen können, also oft morale- und jahrelang auf den Stadtschuldverschrei¬
bungen „sitzen" bleiben, mehr als wettgemacht. Selbst der Absatz der An¬
leihen größerer Städte geht zeitweise schleppend vor sich, was für die Banken
stets mit Verlusten verbunden ist. Sehr häufig müssen die Emissionshäuser
das zurückströmende Material zu einem von ihnen selbst diktierten Preise wieder
übernehmen. Im allgemeinen überwiegt in Städteobligationen das Angebot,


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[0599] Städtische Anleihen und ihre Organisation Eine Folge dieser mangelhaften Organisation, die hauptsächlich mit darin zu suchen ist, daß jede Kommunalkörperschaft fast bei jeder zu kontrahierenden Anleihe eine andre Bank oder ein andres Konsortium um Hilfeleistung an¬ gehen muß, ist nicht zuletzt der niedrige Kurs der Städteobligationen. Wir sehen bei Betrachtung dieser Frage davon ab, daß der Kurszettel der Börsen nur in den allerwenigsten Fällen ein genaues Bild der wirtschaftlichen Ver¬ hältnisse abgibt; der Umsatz eines einzigen Stücks genügt oft schon, um die Notierung des betreffenden Papiers um einige Prozente zu steigern oder ab¬ zuschwächen. Aber eine Organisation des Kommunalkredits würde den Kurs der Obligationen derart beeinflussen können, daß er dem innern Werte der Papiere mehr entspräche. Es ist doch einleuchtend, daß der niedrige Kurs der Papiere nicht in einem etwaigen Mangel an Sicherheit seine Ursachen hat; denn dafür bürgen nicht nur das Vermögen der Kommunen, sondern auch ihre Steuererträgnisse. Auch die Kurse der Städte, unter sich betrachtet, weisen keineswegs die Unterschiede auf, die der verschieden Solvenz der einzelnen Städte entsprechen würden. Bei den Kursen der Konsols und Reichsanleihen liegt die Sache fast ebenso, obgleich diese durchschnittlich zwei bis drei Prozent höher notieren als die gleich verzinslichen Städteobligationen. Eine derartige Übereinstimmung in den Kursschwankungen der Staats- und Städteanleihen läßt deshalb auf dieselben Ursachen schließen. Der große wirtschaftliche Aufschwung Deutschlands veranlaßt das Anlage suchende Privatkapital, sich industriellen Werten zuzuwenden, die eine höhere Verzinsung als Reich und Kommunen gewähren. Dazu kommt (nach Zahn) die Konkurrenz der Hypothekenbanken mit ihrer Unmenge von Pfandbriefen und deren schnelle Zunahme. Dem Kapital bietet sich also die verschiedenste Verwendungsmöglichkeit; daneben ist die Sucht, „schnell reich zu werden", nicht ohne Bedeutung. Die Kursnotierung der Kommunalobligationen leidet weiter darunter, daß ihr Markt in den meisten Fällen nur lokal ist; selbst die An¬ leihen größerer Städte wandern immer wieder nach der Ausgabestadt zurück und haben nur hier bei lokalem Angebot und lokaler Nachfrage ernsthafte Kundschaft (Kimmich). Aus diesen Gründen sehen sich viele Banken nicht in der Lage, die Emission von Stadtanleihen zu übernehmen, obwohl der Geschäftsgewinn der E'nissionshüuser hier durchschnittlich größer ist als bei den Staats- und Pro- vinzialanleihen. Aber dieser höhere Emissionsgewinn wird dadurch, daß sie die Städteobligationen nicht mit der erforderlichen Schnelligkeit auf den Markt bringen können, also oft morale- und jahrelang auf den Stadtschuldverschrei¬ bungen „sitzen" bleiben, mehr als wettgemacht. Selbst der Absatz der An¬ leihen größerer Städte geht zeitweise schleppend vor sich, was für die Banken stets mit Verlusten verbunden ist. Sehr häufig müssen die Emissionshäuser das zurückströmende Material zu einem von ihnen selbst diktierten Preise wieder übernehmen. Im allgemeinen überwiegt in Städteobligationen das Angebot,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/599>, abgerufen am 12.12.2024.