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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Das allslawische problein und der deutsche Nationalstaat

schauungen anpassen, so stünden wir binnen kurzem in einem unabsehbaren
wüsten Kampfe aller gegen alle. Ließe man den Heerlagern hüben und drüben
mit ihren hundertfach verzweigten Organisationen freie Hand zu einer Macht-
Probe, unbekümmert um die Folgen einer solchen Auseinandersetzung für das
gesamte Wirtschaftsleben, so wäre damit das Recht und die Diktatur des
Stärkern proklamiert. Die Allgemeinheit könnte solche Gewaltakte nicht dulden,
sie verlangt nach einem gerechten Ausgleich unter vorsichtiger Abwägung der
gegenüberstehenden Interessen, durch Vermittlung und Entscheidung der gesetz¬
gebenden Faktoren. Dieser "Gerechtigkeit" will auch Herr von Bethmann-
Hollweg nach Maßgabe seines Könnens zu ihrem Rechte verhelfen, nicht durch
ein Übermaß neuer Gesetze, sondern durch den sozialen Geist, der die Materie
durchdringt. Der Staatssekretär hat in seiner feinen, nach allen Seiten ver¬
bindlichen Tonart aus einer solchen Gesinnung heraus zu den konkreten Fragen
Stellung genommen. Er sieht die sich allmählich vollziehende Umwandlung
der individualistische!! Volkswirtschaft in eine organisierte vor Augen, möchte
aber in diesen natürlichen Entwicklungsprozeß nicht störend eingreifen, solange
sich nicht unleidliche Auswüchse bemerkbar machen. Er warnt vor den
"eisernen Klammern" des Koalitionszwangs; er will das Problem der Tarif¬
verträge durch praktische Bewährung ausreifen lassen; er rechtfertigt die
"schwarzen Listen" als ein Gegenstück zu Boykotts und Streiks, verwirft aber
deren rücksichtslose Anwendung als eine Untergrabung sozialer Ethik; er will
durch die Einrichtung paritätischer Arbeitskammern schreiende Dissonanzen
mildern. Der Reichstag hat sein Vertrauen zu diesem "Kurse" bekundet;
möge die "antisoziale" Opposition außerhalb des Reichstags mit sich zu Rate
gehn, ob ihr Mißtrauen gegen den neuen Minister für Sozialpolitik gerecht¬
f valentinian ertigt ist.




Das allslawische Problem und der deutsche
Nationalstaat
von George "Lleinow

cum Wir uns nun den Slawen in Österreich zuwenden, so muß
hervorgehoben werden, daß sie nicht das direkte Interesse des
Reichs in Anspruch nehmen, wie in Rußland, solange die Habs¬
burgische Monarchie wirklich Anspruch darauf erheben kann, ein
deutscher Staat zu sein. Besonders gilt das von den Südslawen,
dann aber auch von den Tschechen. Nicht so ohne weiteres von den Polen.
Denn gerade die überaus geschickte Politik der Polen ist es, die die systematische


Das allslawische problein und der deutsche Nationalstaat

schauungen anpassen, so stünden wir binnen kurzem in einem unabsehbaren
wüsten Kampfe aller gegen alle. Ließe man den Heerlagern hüben und drüben
mit ihren hundertfach verzweigten Organisationen freie Hand zu einer Macht-
Probe, unbekümmert um die Folgen einer solchen Auseinandersetzung für das
gesamte Wirtschaftsleben, so wäre damit das Recht und die Diktatur des
Stärkern proklamiert. Die Allgemeinheit könnte solche Gewaltakte nicht dulden,
sie verlangt nach einem gerechten Ausgleich unter vorsichtiger Abwägung der
gegenüberstehenden Interessen, durch Vermittlung und Entscheidung der gesetz¬
gebenden Faktoren. Dieser „Gerechtigkeit" will auch Herr von Bethmann-
Hollweg nach Maßgabe seines Könnens zu ihrem Rechte verhelfen, nicht durch
ein Übermaß neuer Gesetze, sondern durch den sozialen Geist, der die Materie
durchdringt. Der Staatssekretär hat in seiner feinen, nach allen Seiten ver¬
bindlichen Tonart aus einer solchen Gesinnung heraus zu den konkreten Fragen
Stellung genommen. Er sieht die sich allmählich vollziehende Umwandlung
der individualistische!! Volkswirtschaft in eine organisierte vor Augen, möchte
aber in diesen natürlichen Entwicklungsprozeß nicht störend eingreifen, solange
sich nicht unleidliche Auswüchse bemerkbar machen. Er warnt vor den
„eisernen Klammern" des Koalitionszwangs; er will das Problem der Tarif¬
verträge durch praktische Bewährung ausreifen lassen; er rechtfertigt die
„schwarzen Listen" als ein Gegenstück zu Boykotts und Streiks, verwirft aber
deren rücksichtslose Anwendung als eine Untergrabung sozialer Ethik; er will
durch die Einrichtung paritätischer Arbeitskammern schreiende Dissonanzen
mildern. Der Reichstag hat sein Vertrauen zu diesem „Kurse" bekundet;
möge die „antisoziale" Opposition außerhalb des Reichstags mit sich zu Rate
gehn, ob ihr Mißtrauen gegen den neuen Minister für Sozialpolitik gerecht¬
f valentinian ertigt ist.




Das allslawische Problem und der deutsche
Nationalstaat
von George «Lleinow

cum Wir uns nun den Slawen in Österreich zuwenden, so muß
hervorgehoben werden, daß sie nicht das direkte Interesse des
Reichs in Anspruch nehmen, wie in Rußland, solange die Habs¬
burgische Monarchie wirklich Anspruch darauf erheben kann, ein
deutscher Staat zu sein. Besonders gilt das von den Südslawen,
dann aber auch von den Tschechen. Nicht so ohne weiteres von den Polen.
Denn gerade die überaus geschickte Politik der Polen ist es, die die systematische


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[0587] Das allslawische problein und der deutsche Nationalstaat schauungen anpassen, so stünden wir binnen kurzem in einem unabsehbaren wüsten Kampfe aller gegen alle. Ließe man den Heerlagern hüben und drüben mit ihren hundertfach verzweigten Organisationen freie Hand zu einer Macht- Probe, unbekümmert um die Folgen einer solchen Auseinandersetzung für das gesamte Wirtschaftsleben, so wäre damit das Recht und die Diktatur des Stärkern proklamiert. Die Allgemeinheit könnte solche Gewaltakte nicht dulden, sie verlangt nach einem gerechten Ausgleich unter vorsichtiger Abwägung der gegenüberstehenden Interessen, durch Vermittlung und Entscheidung der gesetz¬ gebenden Faktoren. Dieser „Gerechtigkeit" will auch Herr von Bethmann- Hollweg nach Maßgabe seines Könnens zu ihrem Rechte verhelfen, nicht durch ein Übermaß neuer Gesetze, sondern durch den sozialen Geist, der die Materie durchdringt. Der Staatssekretär hat in seiner feinen, nach allen Seiten ver¬ bindlichen Tonart aus einer solchen Gesinnung heraus zu den konkreten Fragen Stellung genommen. Er sieht die sich allmählich vollziehende Umwandlung der individualistische!! Volkswirtschaft in eine organisierte vor Augen, möchte aber in diesen natürlichen Entwicklungsprozeß nicht störend eingreifen, solange sich nicht unleidliche Auswüchse bemerkbar machen. Er warnt vor den „eisernen Klammern" des Koalitionszwangs; er will das Problem der Tarif¬ verträge durch praktische Bewährung ausreifen lassen; er rechtfertigt die „schwarzen Listen" als ein Gegenstück zu Boykotts und Streiks, verwirft aber deren rücksichtslose Anwendung als eine Untergrabung sozialer Ethik; er will durch die Einrichtung paritätischer Arbeitskammern schreiende Dissonanzen mildern. Der Reichstag hat sein Vertrauen zu diesem „Kurse" bekundet; möge die „antisoziale" Opposition außerhalb des Reichstags mit sich zu Rate gehn, ob ihr Mißtrauen gegen den neuen Minister für Sozialpolitik gerecht¬ f valentinian ertigt ist. Das allslawische Problem und der deutsche Nationalstaat von George «Lleinow cum Wir uns nun den Slawen in Österreich zuwenden, so muß hervorgehoben werden, daß sie nicht das direkte Interesse des Reichs in Anspruch nehmen, wie in Rußland, solange die Habs¬ burgische Monarchie wirklich Anspruch darauf erheben kann, ein deutscher Staat zu sein. Besonders gilt das von den Südslawen, dann aber auch von den Tschechen. Nicht so ohne weiteres von den Polen. Denn gerade die überaus geschickte Politik der Polen ist es, die die systematische

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/587>, abgerufen am 12.12.2024.