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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Kaiser Wilhelm der Lrste als Schriftsteller

Das Bändchen ist 108 Selten stark, und der Verfasser war der damalige
Prinz von Preußen, der nachmalige Kaiser Wilhelm der Erste.*) Es handelte
sich damals darum, eine Wehrverfassung zu geben, die für alle deutschen Staaten
maßgebend sein sollte. Die Broschüre leitet ihre Darlegungen mit folgenden
Worten ein:

Welcher deutsche Militär hätte nicht mit Spannung dem Erscheinen des ver-
heißnen Entwurfs einer Wehrverfassung für Deutschland entgegengesehn? -- einer
Verfassung, welche dem ersehnten Zweck der größern Einheit und Selbständigkeit
des gesamten Vaterlandes das bereiteste Mittel, ein schlagfertiges, kriegstüchtiges Heer
bieten und durch eine wohlgeleitete Entwicklung der Nation -- für welche man das
einstige Reichsheer doch halten aus; -- die Sicherheit ini Innern und das Ansehn
nach außen wahren sollte.... Ein einheitliches Heer sollte hergestellt und doch die
Sonderbedingungen der einzelnen Staaten berücksichtigt -- die geringmöglichste
Störung des einzelnen Individuums in seinen bürgerlichen Verhältnissen mit einer
für den Krieg völlig und ausreichend vorbereiteten Organisation in einem Wehr¬
system vereinigt werden. ... Gerade weil wir keinen Augenblick die wirkliche Einheit
Deutschlands aus den Augen verlieren und sie als den gemeinsamen Strebepnnkt
erkennen, wollen wir sie nicht durch eine Opposition gefährdet wissen, die zuverlässig
entstehn wird, wenn nicht billige, gleichzeitig aber auch würdige und angemessene
Rücksichten auf die Lebensbedingungen der einzelnen Staaten genommen werden.
Eben weil wir nicht wollen, daß eine solche Opposition das Zustandekommen einer
wirklich deutschen Wehrverfassuug überhaupt in Frage stellen könnte, müssen wir
wünschen, den gegründeten Anforderungen der Einzelstaaten Rechnung getragen
zu sehe".

Wir sehen hier mit scharfer Deutlichkeit den Grundsatz ausgesprochen, den
der Kaiser nie aus den Augen verloren hat: die Notwendigkeit der größern
Einheit und Selbständigkeit Deutschlands, -- wie er schreibt: den ersehnten Zweck;
aber daneben die Wahrung der berechtigten und gegründeten Anforderungen
der Einzelstaaten. Auf der andern Seite die felsenfeste Überzeugung, daß dieser
Zweck nur erreicht werden könnte durch ein schlagfertiges kriegstüchtiges Heer,
das ihm die beiden Hauptaufgaben erfüllen soll, die der friedliche Bürger von
einem Staatswesen verlangen muß: "Einheit im Innern und Ansehn nach
außen". Es ist, als ob das ganze Lebenswerk Wilhelms des Ersten in diesen
knappen Sätzen gekennzeichnet wäre: die Einheit Deutschlands und die
Wahrung der Einzelstaaten, aufgebaut auf das beste Heer.

In den weitern Ausführungen wendet sich der Prinz den speziellen Forde¬
rungen für das Heer zu. Aber wir werden sehn, wie klar er die wirtschaft¬
lichen Verhältnisse dabei bewertet, und wie er bestrebt ist, "die geringmöglichste
Störung des einzelnen Individuums in seinen bürgerlichen Verhältnissen mit
einer für den Krieg völlig und ausreichend vorbereiteten Organisation zu
vereinigen".



*) Abgedruckt in den "Militärischen Schriften weiland Kaiser Wilhelms des Große"
Majestät." Berlin, Ernst Siegfried Mittler und Sohn, 1897.
Kaiser Wilhelm der Lrste als Schriftsteller

Das Bändchen ist 108 Selten stark, und der Verfasser war der damalige
Prinz von Preußen, der nachmalige Kaiser Wilhelm der Erste.*) Es handelte
sich damals darum, eine Wehrverfassung zu geben, die für alle deutschen Staaten
maßgebend sein sollte. Die Broschüre leitet ihre Darlegungen mit folgenden
Worten ein:

Welcher deutsche Militär hätte nicht mit Spannung dem Erscheinen des ver-
heißnen Entwurfs einer Wehrverfassung für Deutschland entgegengesehn? — einer
Verfassung, welche dem ersehnten Zweck der größern Einheit und Selbständigkeit
des gesamten Vaterlandes das bereiteste Mittel, ein schlagfertiges, kriegstüchtiges Heer
bieten und durch eine wohlgeleitete Entwicklung der Nation — für welche man das
einstige Reichsheer doch halten aus; — die Sicherheit ini Innern und das Ansehn
nach außen wahren sollte.... Ein einheitliches Heer sollte hergestellt und doch die
Sonderbedingungen der einzelnen Staaten berücksichtigt — die geringmöglichste
Störung des einzelnen Individuums in seinen bürgerlichen Verhältnissen mit einer
für den Krieg völlig und ausreichend vorbereiteten Organisation in einem Wehr¬
system vereinigt werden. ... Gerade weil wir keinen Augenblick die wirkliche Einheit
Deutschlands aus den Augen verlieren und sie als den gemeinsamen Strebepnnkt
erkennen, wollen wir sie nicht durch eine Opposition gefährdet wissen, die zuverlässig
entstehn wird, wenn nicht billige, gleichzeitig aber auch würdige und angemessene
Rücksichten auf die Lebensbedingungen der einzelnen Staaten genommen werden.
Eben weil wir nicht wollen, daß eine solche Opposition das Zustandekommen einer
wirklich deutschen Wehrverfassuug überhaupt in Frage stellen könnte, müssen wir
wünschen, den gegründeten Anforderungen der Einzelstaaten Rechnung getragen
zu sehe».

Wir sehen hier mit scharfer Deutlichkeit den Grundsatz ausgesprochen, den
der Kaiser nie aus den Augen verloren hat: die Notwendigkeit der größern
Einheit und Selbständigkeit Deutschlands, — wie er schreibt: den ersehnten Zweck;
aber daneben die Wahrung der berechtigten und gegründeten Anforderungen
der Einzelstaaten. Auf der andern Seite die felsenfeste Überzeugung, daß dieser
Zweck nur erreicht werden könnte durch ein schlagfertiges kriegstüchtiges Heer,
das ihm die beiden Hauptaufgaben erfüllen soll, die der friedliche Bürger von
einem Staatswesen verlangen muß: „Einheit im Innern und Ansehn nach
außen". Es ist, als ob das ganze Lebenswerk Wilhelms des Ersten in diesen
knappen Sätzen gekennzeichnet wäre: die Einheit Deutschlands und die
Wahrung der Einzelstaaten, aufgebaut auf das beste Heer.

In den weitern Ausführungen wendet sich der Prinz den speziellen Forde¬
rungen für das Heer zu. Aber wir werden sehn, wie klar er die wirtschaft¬
lichen Verhältnisse dabei bewertet, und wie er bestrebt ist, „die geringmöglichste
Störung des einzelnen Individuums in seinen bürgerlichen Verhältnissen mit
einer für den Krieg völlig und ausreichend vorbereiteten Organisation zu
vereinigen".



*) Abgedruckt in den „Militärischen Schriften weiland Kaiser Wilhelms des Große»
Majestät." Berlin, Ernst Siegfried Mittler und Sohn, 1897.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/544>, abgerufen am 12.12.2024.