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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Aas altslawische probte",/und der deutsche Nationalstaat

Slawenkongresses in Prag noch kein allslawisches Problem. Nichtsdestoweniger
steht ein solches in aller Lebenskraft vor uns, und die Zeit scheint nicht mehr
fern, wo es sich eben aus dieser Lebenskraft heraus amtliche Anerkennung er¬
zwingen wird. Auch russische Zaren bleiben nicht ewig Selbstherrscher --^ auch
ihre Stellung ist nicht abhängig allein von einem Gottesgnadentum im land¬
läufigen Sinne, sondern von dem unabwendbaren Entwicklungsgang der Ge¬
schichte. Die slawischen Stämme sind dem ebenso unterworfen wie die ger¬
manischen, wenn sie für die gesellschaftliche Struktur auch nicht dieselben Formen
gefunden haben. Das Wort von der Inferiorität der slawischen Nasse gegenüber
der germanischen erscheint nur in diesem Zusammenhang eine gefährliche Phrase;
sie verschleiert die sich unaufhörlich vollziehende Rassenmischung und die sich
daraus ergebende Kräftigung.

Der Mittelpunkt der politischen Beziehungen zwischen dein Dentschen Reich
und den Slawen liegt gegenwärtig in dem Verhältnis zwischen Rußland
und Deutschtand. Dieses Verhältnis darf in allen den Angelegenheiten, die
einen unmittelbaren Verkehr zwischen den genannten Regierungen beanspruchen,
als ein gutes, ja als ein freundschaftliches bezeichnet werden. Dagegen wird das
Verhältnis seinem innersten Wesen nach geradezu als feindlich zu charakteri¬
sieren sein, wo Fragen der großen Politik im Vordergrunde stehn. Rußland
und Deutschland sind Freunde durch die traditionellen Beziehungen ihrer
Herrscherhäuser wie durch den engen zwischen ihnen bestehenden Handelsverkehr.
Die gegenwärtige russische Regierung steht freundschaftlich zur deutschen Reichs¬
regierung, solange sie keine Polenfrage kennt, sondern das Vorhandensein
dieser Frage lediglich für Preußen zugibt. Anders in der großen Politik.
Da sehen wir Rußland auf der Seite aller der Staaten, die uns unsre ge¬
waltige Entwicklung, die uns die Schaffenskraft unsers Bürgertums nicht
gönnen. Rußland ist mit Frankreich und Großbritannien verbündet und wird
gegen uns losschlagen, sobald einer der beiden Staaten durch uns augegriffen
wird. Die Interessengemeinschaft der drei Staaten liegt angeblich im nahen
Orient, wo wieder angeblich Deutschland und Österreich-Ungarn den andern
Mächten die Handelsfreiheit unterbinden wollen. Rußland hat gerade in den
letzten Jahren gehofft, mit Hilfe Englands und Frankreichs den freien Aus¬
gang ans dem Schwarzen Meer zu erhalten, sieht sich aber gegenwärtig ein¬
geschlossener als je. Rußland hat somit wenig aus der Geschichte seiner Be¬
ziehungen zu England gelernt. Stets war Englands Politik darauf gerichtet,
Rußland in Europa zu engagieren, denn die Gewinnung eines östlichen oder
südlichen Meeres durch Nußland würde die Interessen Englands auf das
empfindlichste verletzen. In Indien fühlt es sich fortwährend durch den rus¬
sischen Bären bedroht. England hat aus diesem Grunde den Japaner zum
Kriege getrieben und den Persischen Golf als eine Interessensphäre gekenn¬
zeichnet, in der Nußland nichts zu suchen habe. Wenn aber Nußland tat¬
sächlich so unselbständig geworden sein sollte, daß es, dem Druck der britischen


Aas altslawische probte»,/und der deutsche Nationalstaat

Slawenkongresses in Prag noch kein allslawisches Problem. Nichtsdestoweniger
steht ein solches in aller Lebenskraft vor uns, und die Zeit scheint nicht mehr
fern, wo es sich eben aus dieser Lebenskraft heraus amtliche Anerkennung er¬
zwingen wird. Auch russische Zaren bleiben nicht ewig Selbstherrscher —^ auch
ihre Stellung ist nicht abhängig allein von einem Gottesgnadentum im land¬
läufigen Sinne, sondern von dem unabwendbaren Entwicklungsgang der Ge¬
schichte. Die slawischen Stämme sind dem ebenso unterworfen wie die ger¬
manischen, wenn sie für die gesellschaftliche Struktur auch nicht dieselben Formen
gefunden haben. Das Wort von der Inferiorität der slawischen Nasse gegenüber
der germanischen erscheint nur in diesem Zusammenhang eine gefährliche Phrase;
sie verschleiert die sich unaufhörlich vollziehende Rassenmischung und die sich
daraus ergebende Kräftigung.

Der Mittelpunkt der politischen Beziehungen zwischen dein Dentschen Reich
und den Slawen liegt gegenwärtig in dem Verhältnis zwischen Rußland
und Deutschtand. Dieses Verhältnis darf in allen den Angelegenheiten, die
einen unmittelbaren Verkehr zwischen den genannten Regierungen beanspruchen,
als ein gutes, ja als ein freundschaftliches bezeichnet werden. Dagegen wird das
Verhältnis seinem innersten Wesen nach geradezu als feindlich zu charakteri¬
sieren sein, wo Fragen der großen Politik im Vordergrunde stehn. Rußland
und Deutschland sind Freunde durch die traditionellen Beziehungen ihrer
Herrscherhäuser wie durch den engen zwischen ihnen bestehenden Handelsverkehr.
Die gegenwärtige russische Regierung steht freundschaftlich zur deutschen Reichs¬
regierung, solange sie keine Polenfrage kennt, sondern das Vorhandensein
dieser Frage lediglich für Preußen zugibt. Anders in der großen Politik.
Da sehen wir Rußland auf der Seite aller der Staaten, die uns unsre ge¬
waltige Entwicklung, die uns die Schaffenskraft unsers Bürgertums nicht
gönnen. Rußland ist mit Frankreich und Großbritannien verbündet und wird
gegen uns losschlagen, sobald einer der beiden Staaten durch uns augegriffen
wird. Die Interessengemeinschaft der drei Staaten liegt angeblich im nahen
Orient, wo wieder angeblich Deutschland und Österreich-Ungarn den andern
Mächten die Handelsfreiheit unterbinden wollen. Rußland hat gerade in den
letzten Jahren gehofft, mit Hilfe Englands und Frankreichs den freien Aus¬
gang ans dem Schwarzen Meer zu erhalten, sieht sich aber gegenwärtig ein¬
geschlossener als je. Rußland hat somit wenig aus der Geschichte seiner Be¬
ziehungen zu England gelernt. Stets war Englands Politik darauf gerichtet,
Rußland in Europa zu engagieren, denn die Gewinnung eines östlichen oder
südlichen Meeres durch Nußland würde die Interessen Englands auf das
empfindlichste verletzen. In Indien fühlt es sich fortwährend durch den rus¬
sischen Bären bedroht. England hat aus diesem Grunde den Japaner zum
Kriege getrieben und den Persischen Golf als eine Interessensphäre gekenn¬
zeichnet, in der Nußland nichts zu suchen habe. Wenn aber Nußland tat¬
sächlich so unselbständig geworden sein sollte, daß es, dem Druck der britischen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/538>, abgerufen am 23.07.2024.