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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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sah allslawische Problem und der deutsche Nationalstaat

Wir müssen diesen Umstand im Auge behalten, denn die wirtschaftliche
Entwicklung unsrer Zeit, die Ausgestaltung der Verkehrsmittel, die sich ;a
endlich auch den Weg durch den freien Äther gebahnt haben - alles drangt
zur Überwindung von Entfernungen, zum Näherkommen auf materiellem wie
idealem Gebiete.' Stellen sich dann noch Strömungen ein. die sich von der
natürlichen Annäherung politischen Nutzen versprechen, dann geht unzweifelhaft
mancher daran geknüpfte Wunsch leichter in Erfüllung, als es die glauben,
die einer solchen Entwicklung mißgünstig gegenüberstehn.

Nach dieser Feststellung scheint mir bei einer Gegenüberstellung des ersten
und des letzten Slawenkongresses die wichtigste politische Tatsache dann zu
liegen, daß. während der erste gegen das Staatswesen als solches demonstrierte,
der letzte Kongreß nur zum Kampf gegen den Staat im deutschen Gewände
nef. Früher glaubte man den Staat erst zertrümmern zu müssen, um das
allslawische Ideal erreichen zu können, jetzt ist man überzeugt, das Ziel durch
Umwandlung des innern Gehalts desselben Staats zu erreichen. Das anarchistisch-
soziale Element ist somit gegen das nationale zurückgetreten, und das allslawyche
Problem ist von der Bühne utopischer Allcrweltspolitik auf den realen Boden
der Beziehungen zwischen zwei Nachbarn, nämlich den slawischen Volksgruppen
und dem deutschen Nationalstaat, getreten.

Damit hat die allslawische Bewegung ihre Bedeutung als theoretisches
Problem in eine solche als politisch-praktisches eingetauscht, und sie darf nicht
mehr das Studienfeld einiger Stubengelehrter und privater Liebhaber bleiben,
sondern muß unter die zeitgemäßen Fragen eingereiht werden, mit denen sich
alle deutschen nationalen Parteien zu beschäftigen haben. Das betrifft mich die
amtlichen Leiter unsrer Politik.

Bisher sind es nur zwei Gruppe" von Angelegenheiten, die das amt¬
liche Deutschland in Berührung mit den Slawen bringt: Handelsabkommen
mit den einzelnen selbständigen slawischen Staaten, wie Rußland. Bulgarien.
Montenegro und Serbien. Alsdann sind Bundesrat und Reichstag an ihnen
beteiligt. Die zweite Gruppe umfaßt unsre Polennot in der Ostmark sowie
Arbeiterfragen; sie wird unter Hinzuziehung des preußischen Landtags und des
Herrenhauses bearbeitet. In den beiden Formen unsrer amtlichen politischen
Beziehungen zur slawischen Welt kommt das pauslawische Moment nicht amtlich
Zur Geltung und macht sich nur sporadisch in den Äußerungen der Presse
sowie einzelner Abgeordneter bemerkbar. Die leider notwendig gewordne
Stellung unsrer Polenfrage als interne Angelegenheit des preußischen Staates
schließt - und das ist das gute daran - wenigstens einstweilen jede inter¬
nationale Behandlung aus. während der russische Selbstherrscher die Ver¬
folgung allslawischer Ideen bisher nur bezüglich der orthodoxen Brüder vom
Balkan zu den Aufgaben der amtlichen russischen Politik gezählt hat. Das
will heißen, im amtlichen diplomatischen Verkehr gibt es trotz des letzten
Gr


enzboten l 1909
sah allslawische Problem und der deutsche Nationalstaat

Wir müssen diesen Umstand im Auge behalten, denn die wirtschaftliche
Entwicklung unsrer Zeit, die Ausgestaltung der Verkehrsmittel, die sich ;a
endlich auch den Weg durch den freien Äther gebahnt haben - alles drangt
zur Überwindung von Entfernungen, zum Näherkommen auf materiellem wie
idealem Gebiete.' Stellen sich dann noch Strömungen ein. die sich von der
natürlichen Annäherung politischen Nutzen versprechen, dann geht unzweifelhaft
mancher daran geknüpfte Wunsch leichter in Erfüllung, als es die glauben,
die einer solchen Entwicklung mißgünstig gegenüberstehn.

Nach dieser Feststellung scheint mir bei einer Gegenüberstellung des ersten
und des letzten Slawenkongresses die wichtigste politische Tatsache dann zu
liegen, daß. während der erste gegen das Staatswesen als solches demonstrierte,
der letzte Kongreß nur zum Kampf gegen den Staat im deutschen Gewände
nef. Früher glaubte man den Staat erst zertrümmern zu müssen, um das
allslawische Ideal erreichen zu können, jetzt ist man überzeugt, das Ziel durch
Umwandlung des innern Gehalts desselben Staats zu erreichen. Das anarchistisch-
soziale Element ist somit gegen das nationale zurückgetreten, und das allslawyche
Problem ist von der Bühne utopischer Allcrweltspolitik auf den realen Boden
der Beziehungen zwischen zwei Nachbarn, nämlich den slawischen Volksgruppen
und dem deutschen Nationalstaat, getreten.

Damit hat die allslawische Bewegung ihre Bedeutung als theoretisches
Problem in eine solche als politisch-praktisches eingetauscht, und sie darf nicht
mehr das Studienfeld einiger Stubengelehrter und privater Liebhaber bleiben,
sondern muß unter die zeitgemäßen Fragen eingereiht werden, mit denen sich
alle deutschen nationalen Parteien zu beschäftigen haben. Das betrifft mich die
amtlichen Leiter unsrer Politik.

Bisher sind es nur zwei Gruppe» von Angelegenheiten, die das amt¬
liche Deutschland in Berührung mit den Slawen bringt: Handelsabkommen
mit den einzelnen selbständigen slawischen Staaten, wie Rußland. Bulgarien.
Montenegro und Serbien. Alsdann sind Bundesrat und Reichstag an ihnen
beteiligt. Die zweite Gruppe umfaßt unsre Polennot in der Ostmark sowie
Arbeiterfragen; sie wird unter Hinzuziehung des preußischen Landtags und des
Herrenhauses bearbeitet. In den beiden Formen unsrer amtlichen politischen
Beziehungen zur slawischen Welt kommt das pauslawische Moment nicht amtlich
Zur Geltung und macht sich nur sporadisch in den Äußerungen der Presse
sowie einzelner Abgeordneter bemerkbar. Die leider notwendig gewordne
Stellung unsrer Polenfrage als interne Angelegenheit des preußischen Staates
schließt - und das ist das gute daran - wenigstens einstweilen jede inter¬
nationale Behandlung aus. während der russische Selbstherrscher die Ver¬
folgung allslawischer Ideen bisher nur bezüglich der orthodoxen Brüder vom
Balkan zu den Aufgaben der amtlichen russischen Politik gezählt hat. Das
will heißen, im amtlichen diplomatischen Verkehr gibt es trotz des letzten
Gr


enzboten l 1909
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/537>, abgerufen am 23.07.2024.