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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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unübertrefflich. In der münzpolitischen Literatur ist nichts, was sich mit ihrem
reichen Inhalt messen könnte. Abgesehn von einigen wenigen sind sie Partei-
schriftcn, als solche wollen sie genommen werden; Parteischriften des Frei¬
handels, des "Manchestcrtums", des Individualismus, der Goldwährungs¬
partei. Aber diese Eigenschaft hat nicht verhindert, daß ihr Verfasser in seinem
Essay zum Tode Bismarcks dem Genius des großen Mannes in einer Weise
gerecht geworden ist, wie man es von einem Gegner selten finden wird. Die
neuern Schriften Bambergers entstammen ebenfalls in ihrer großen Mehrheit
der Nation.

Und gerade in der Nation wirkte Alexander Meyer mit den beiden
ältern Freunden zusammen. Wo seine Schriften sonst zerstreut sind, davon
weiß ich nicht allzuviel. Ich konnte mich ganz deutlich auf einige seiner Leit¬
artikel besinnen, die ich als ganz junger Mann vor 1366 in der Weserzeituug
gelesen hatte; es machte ihm, als ich ihn nach langen Jahren persönlich kennen
lernte, Freude, daß ich ihm am Gedanken gang oder an einzelnen überraschenden
Wendungen das Gelesene so deutlich machen konnte, daß er sich als Urheber
darin wiedererkannte. Vieles wird in seinen Breslauer Zeitungen niedergelegt
sein. Dann erinnere ich mich sehr wohl seiner Artikel, die er 1880 bis etwa
1882 für die Tribüne, später für die Nationalzeituug schrieb. Zuletzt hatte
die Vossische Zeitung daS Glück, regelmäßige Leitartikel von ihm zu erhalten.
Bon alledem ist noch nichts wieder gesammelt und herausgegeben worden. Es
sind ja auch wenig Monate verflossen, seitdem man sein müdes Haupt zur ewigen
Ruhe gelegt hat. Möge die nächste Zukunft uns eine Sammluug bringen, so¬
lange die Erinnerung an ihn noch frisch ist. Ein Bändchen unpolitischer Skizzen,
die aber doch keinen vollen Begriff von Alexander Meyers Geist, von seiner
Kunst geben, ist vor wenigen Wochen erschienen: Aus guter alter Zeit; Berliner
Bilder und Erinnerungen. (Stuttgart, Deutsche Verlagsanstalt.)

Was Alexander Meyer vor den beiden neben ihm genannten Genossen
auszeichnet, das ist der köstliche Humor. Es ist schwer, diesen völlig zu zer¬
gliedern. Viel trägt zu seiner Wirkung die Schlichtheit des Vortrags bei.
Meyer weiß jeden Anschein des Haschens nach einem Lachcrfolg zu vermeiden.
Mit einem Grabesernst -- auch als Redner -- trägt er vor. Wie er sich gibt,
ist er Pessimist. Gelegentlich gewährt er uns einen lustigen Einblick in die
wirkliche Weise, wie er seine Worte aufgefaßt haben will. Zuweilen sagt er
etwas von einer fast unerträglichen Selbstverständlichkeit, und dann mit einem¬
mal gibt der nächste Satz den Schlüssel zu dem keineswegs trivialen Gedanken,
den er auf eine solche Weise entwickelt. Auch auf der parlamentarischen Tribüne
war er ein Meister dieser Kunst. Er war einer derer, die am sichersten das
Ohr des Hauses fanden. Auch als er gegen Ende feiner parlamentarischen
Laufbahn nur noch eine kleine Minderheit im Reichstage vertrat, sammelte sich
stets eine dankbare Zuhörerschaft um die Tribüne, von der seine Worte er¬
tönten.


unübertrefflich. In der münzpolitischen Literatur ist nichts, was sich mit ihrem
reichen Inhalt messen könnte. Abgesehn von einigen wenigen sind sie Partei-
schriftcn, als solche wollen sie genommen werden; Parteischriften des Frei¬
handels, des „Manchestcrtums", des Individualismus, der Goldwährungs¬
partei. Aber diese Eigenschaft hat nicht verhindert, daß ihr Verfasser in seinem
Essay zum Tode Bismarcks dem Genius des großen Mannes in einer Weise
gerecht geworden ist, wie man es von einem Gegner selten finden wird. Die
neuern Schriften Bambergers entstammen ebenfalls in ihrer großen Mehrheit
der Nation.

Und gerade in der Nation wirkte Alexander Meyer mit den beiden
ältern Freunden zusammen. Wo seine Schriften sonst zerstreut sind, davon
weiß ich nicht allzuviel. Ich konnte mich ganz deutlich auf einige seiner Leit¬
artikel besinnen, die ich als ganz junger Mann vor 1366 in der Weserzeituug
gelesen hatte; es machte ihm, als ich ihn nach langen Jahren persönlich kennen
lernte, Freude, daß ich ihm am Gedanken gang oder an einzelnen überraschenden
Wendungen das Gelesene so deutlich machen konnte, daß er sich als Urheber
darin wiedererkannte. Vieles wird in seinen Breslauer Zeitungen niedergelegt
sein. Dann erinnere ich mich sehr wohl seiner Artikel, die er 1880 bis etwa
1882 für die Tribüne, später für die Nationalzeituug schrieb. Zuletzt hatte
die Vossische Zeitung daS Glück, regelmäßige Leitartikel von ihm zu erhalten.
Bon alledem ist noch nichts wieder gesammelt und herausgegeben worden. Es
sind ja auch wenig Monate verflossen, seitdem man sein müdes Haupt zur ewigen
Ruhe gelegt hat. Möge die nächste Zukunft uns eine Sammluug bringen, so¬
lange die Erinnerung an ihn noch frisch ist. Ein Bändchen unpolitischer Skizzen,
die aber doch keinen vollen Begriff von Alexander Meyers Geist, von seiner
Kunst geben, ist vor wenigen Wochen erschienen: Aus guter alter Zeit; Berliner
Bilder und Erinnerungen. (Stuttgart, Deutsche Verlagsanstalt.)

Was Alexander Meyer vor den beiden neben ihm genannten Genossen
auszeichnet, das ist der köstliche Humor. Es ist schwer, diesen völlig zu zer¬
gliedern. Viel trägt zu seiner Wirkung die Schlichtheit des Vortrags bei.
Meyer weiß jeden Anschein des Haschens nach einem Lachcrfolg zu vermeiden.
Mit einem Grabesernst — auch als Redner — trägt er vor. Wie er sich gibt,
ist er Pessimist. Gelegentlich gewährt er uns einen lustigen Einblick in die
wirkliche Weise, wie er seine Worte aufgefaßt haben will. Zuweilen sagt er
etwas von einer fast unerträglichen Selbstverständlichkeit, und dann mit einem¬
mal gibt der nächste Satz den Schlüssel zu dem keineswegs trivialen Gedanken,
den er auf eine solche Weise entwickelt. Auch auf der parlamentarischen Tribüne
war er ein Meister dieser Kunst. Er war einer derer, die am sichersten das
Ohr des Hauses fanden. Auch als er gegen Ende feiner parlamentarischen
Laufbahn nur noch eine kleine Minderheit im Reichstage vertrat, sammelte sich
stets eine dankbare Zuhörerschaft um die Tribüne, von der seine Worte er¬
tönten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/443>, abgerufen am 23.07.2024.