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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Übersetzungen noch einen Lorbeerkranz zu winden. Die Meisterschaft der Sprache,
die Schönheit und Einfachheit des Ausdrucks, die Genauigkeit der Verdeutschung,
die Genialität in der Wiedergabe genialer Wortspiele ist so allgemein anerkannt
worden, daß sie hier nicht geschildert zu werden braucht. "Der Übersetzergildc
Meister" nannte ihn Paul Heyse. Zuerst, schon 1864, erschien Lord Byron,
der 1904 schon seine fünfte Auflage erlebt hat. Dann folgten die Shake-
spearischen Königsdramen in der Bodenstedtschen Ausgabe, doch blieb es nicht
bei diesen; im Laufe der Jahre schloß sich manches andre Drama daran.
Neben dem Englischen zog ihn die klassische italienische Literatur an, erst Ariost
und dann Dante, deren Werke (1882 bis 1888) unübertreffliche Neudichtungen
in der deutschen Sprache wurden. War Gildemeister auch kein schöpferischer
Dichter, so war er doch mindestens einer der ersten Sprachkünstler seiner Zeit,
in der Poesie wie in der Prosa. Ein Sprachkünstler, der nicht künstelte!
Die Einfachheit und Pruuklosigkeit in der Form mit dem bedeutendsten geistigen
Gehalt zu verbinden, schien ihm nicht nur möglich, sondern das erstrebens¬
werteste Ziel. So kennzeichnet denn seinen Prosastil bei aller Tiefe des
Wissens, bei dem Reichtum seiner Erfahrungen gerade die Schlichtheit des
Ausdrucks. Bamberger bewunderte diese Kunst so sehr, daß er ihr in der
Wochenschrift Nation ein eignes Denkmal setzte. Mehr als füufcinhalb Jahr¬
zehnte lang haben die Leser der Weserzeitung Gelegenheit gehabt, diese Kunst
zu bewundern. An dem Stil erkannte man leicht den ungenannten Verfasser.
Eben jetzt hat man seinen alten Freunden wie auch andern Liebhabern seiner
Feder Gelegenheit gegeben, wenigstens einzelnes ans dem reichen Strom seiner
Leitartikel wieder zu lesen und dem Schicksal des Vergessenwerdens wie auch
den: stillen Schlummer der Bibliotheken und Archive zu entreißen. Ein kleiner
Bruchteil dieser Weserzeitungsleitartikel, sechzig unter etwa fünftausend, sind
unter dem Titel "Aus Bismarcks Tagen, Essays von Otto Gildemeister" im
Herbst 1908 bei Quelle und Meyer in Leipzig erschienen. Auch die Wochen¬
schrift Nation, herausgegeben von Theodor Barth, erfreute sich mancher herr¬
licher Essays: ihr Verfasser verbarg sich nur wenig unter dem Täuschnamen
Giotto. Manche von diesen sowie auch einige ältere größere Essays sind schon
1896 bis 1897 unter demi Titel: "Essays, herausgegeben von Freunden" er¬
schienen. Gildemeister verließ den bremischen Senat im Februar 1890', um
sich ganz seinen literarischen Arbeiten zu widmen. Als er im August 1902
starb, hatte er wenig Wochen zuvor seinen letzten Leitartikel für die Weser-
zeitung geschrieben.

Ludwig Bambergers gesammelte Schriften nebst einem selbstgeschriebnen
Lebensabriß sind 1894 bis 1897 bei Rosenbaum und Hart in Berlin erschienen.
Auch sie sind Meisterstücke des Prosastils, Meisterstücke politischer Tagesliteratur.
Das wird auch der sagen, der mit ihrem Inhalt keineswegs einverstanden ist.
Die Muße eines dem Berufsleben überhobnen Mannes von der feinsten
Bildung hat sie entsteh" lassen. An Klarheit der Gedankenentwicklung sind sie


Übersetzungen noch einen Lorbeerkranz zu winden. Die Meisterschaft der Sprache,
die Schönheit und Einfachheit des Ausdrucks, die Genauigkeit der Verdeutschung,
die Genialität in der Wiedergabe genialer Wortspiele ist so allgemein anerkannt
worden, daß sie hier nicht geschildert zu werden braucht. „Der Übersetzergildc
Meister" nannte ihn Paul Heyse. Zuerst, schon 1864, erschien Lord Byron,
der 1904 schon seine fünfte Auflage erlebt hat. Dann folgten die Shake-
spearischen Königsdramen in der Bodenstedtschen Ausgabe, doch blieb es nicht
bei diesen; im Laufe der Jahre schloß sich manches andre Drama daran.
Neben dem Englischen zog ihn die klassische italienische Literatur an, erst Ariost
und dann Dante, deren Werke (1882 bis 1888) unübertreffliche Neudichtungen
in der deutschen Sprache wurden. War Gildemeister auch kein schöpferischer
Dichter, so war er doch mindestens einer der ersten Sprachkünstler seiner Zeit,
in der Poesie wie in der Prosa. Ein Sprachkünstler, der nicht künstelte!
Die Einfachheit und Pruuklosigkeit in der Form mit dem bedeutendsten geistigen
Gehalt zu verbinden, schien ihm nicht nur möglich, sondern das erstrebens¬
werteste Ziel. So kennzeichnet denn seinen Prosastil bei aller Tiefe des
Wissens, bei dem Reichtum seiner Erfahrungen gerade die Schlichtheit des
Ausdrucks. Bamberger bewunderte diese Kunst so sehr, daß er ihr in der
Wochenschrift Nation ein eignes Denkmal setzte. Mehr als füufcinhalb Jahr¬
zehnte lang haben die Leser der Weserzeitung Gelegenheit gehabt, diese Kunst
zu bewundern. An dem Stil erkannte man leicht den ungenannten Verfasser.
Eben jetzt hat man seinen alten Freunden wie auch andern Liebhabern seiner
Feder Gelegenheit gegeben, wenigstens einzelnes ans dem reichen Strom seiner
Leitartikel wieder zu lesen und dem Schicksal des Vergessenwerdens wie auch
den: stillen Schlummer der Bibliotheken und Archive zu entreißen. Ein kleiner
Bruchteil dieser Weserzeitungsleitartikel, sechzig unter etwa fünftausend, sind
unter dem Titel „Aus Bismarcks Tagen, Essays von Otto Gildemeister" im
Herbst 1908 bei Quelle und Meyer in Leipzig erschienen. Auch die Wochen¬
schrift Nation, herausgegeben von Theodor Barth, erfreute sich mancher herr¬
licher Essays: ihr Verfasser verbarg sich nur wenig unter dem Täuschnamen
Giotto. Manche von diesen sowie auch einige ältere größere Essays sind schon
1896 bis 1897 unter demi Titel: „Essays, herausgegeben von Freunden" er¬
schienen. Gildemeister verließ den bremischen Senat im Februar 1890', um
sich ganz seinen literarischen Arbeiten zu widmen. Als er im August 1902
starb, hatte er wenig Wochen zuvor seinen letzten Leitartikel für die Weser-
zeitung geschrieben.

Ludwig Bambergers gesammelte Schriften nebst einem selbstgeschriebnen
Lebensabriß sind 1894 bis 1897 bei Rosenbaum und Hart in Berlin erschienen.
Auch sie sind Meisterstücke des Prosastils, Meisterstücke politischer Tagesliteratur.
Das wird auch der sagen, der mit ihrem Inhalt keineswegs einverstanden ist.
Die Muße eines dem Berufsleben überhobnen Mannes von der feinsten
Bildung hat sie entsteh» lassen. An Klarheit der Gedankenentwicklung sind sie


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[0442] Übersetzungen noch einen Lorbeerkranz zu winden. Die Meisterschaft der Sprache, die Schönheit und Einfachheit des Ausdrucks, die Genauigkeit der Verdeutschung, die Genialität in der Wiedergabe genialer Wortspiele ist so allgemein anerkannt worden, daß sie hier nicht geschildert zu werden braucht. „Der Übersetzergildc Meister" nannte ihn Paul Heyse. Zuerst, schon 1864, erschien Lord Byron, der 1904 schon seine fünfte Auflage erlebt hat. Dann folgten die Shake- spearischen Königsdramen in der Bodenstedtschen Ausgabe, doch blieb es nicht bei diesen; im Laufe der Jahre schloß sich manches andre Drama daran. Neben dem Englischen zog ihn die klassische italienische Literatur an, erst Ariost und dann Dante, deren Werke (1882 bis 1888) unübertreffliche Neudichtungen in der deutschen Sprache wurden. War Gildemeister auch kein schöpferischer Dichter, so war er doch mindestens einer der ersten Sprachkünstler seiner Zeit, in der Poesie wie in der Prosa. Ein Sprachkünstler, der nicht künstelte! Die Einfachheit und Pruuklosigkeit in der Form mit dem bedeutendsten geistigen Gehalt zu verbinden, schien ihm nicht nur möglich, sondern das erstrebens¬ werteste Ziel. So kennzeichnet denn seinen Prosastil bei aller Tiefe des Wissens, bei dem Reichtum seiner Erfahrungen gerade die Schlichtheit des Ausdrucks. Bamberger bewunderte diese Kunst so sehr, daß er ihr in der Wochenschrift Nation ein eignes Denkmal setzte. Mehr als füufcinhalb Jahr¬ zehnte lang haben die Leser der Weserzeitung Gelegenheit gehabt, diese Kunst zu bewundern. An dem Stil erkannte man leicht den ungenannten Verfasser. Eben jetzt hat man seinen alten Freunden wie auch andern Liebhabern seiner Feder Gelegenheit gegeben, wenigstens einzelnes ans dem reichen Strom seiner Leitartikel wieder zu lesen und dem Schicksal des Vergessenwerdens wie auch den: stillen Schlummer der Bibliotheken und Archive zu entreißen. Ein kleiner Bruchteil dieser Weserzeitungsleitartikel, sechzig unter etwa fünftausend, sind unter dem Titel „Aus Bismarcks Tagen, Essays von Otto Gildemeister" im Herbst 1908 bei Quelle und Meyer in Leipzig erschienen. Auch die Wochen¬ schrift Nation, herausgegeben von Theodor Barth, erfreute sich mancher herr¬ licher Essays: ihr Verfasser verbarg sich nur wenig unter dem Täuschnamen Giotto. Manche von diesen sowie auch einige ältere größere Essays sind schon 1896 bis 1897 unter demi Titel: „Essays, herausgegeben von Freunden" er¬ schienen. Gildemeister verließ den bremischen Senat im Februar 1890', um sich ganz seinen literarischen Arbeiten zu widmen. Als er im August 1902 starb, hatte er wenig Wochen zuvor seinen letzten Leitartikel für die Weser- zeitung geschrieben. Ludwig Bambergers gesammelte Schriften nebst einem selbstgeschriebnen Lebensabriß sind 1894 bis 1897 bei Rosenbaum und Hart in Berlin erschienen. Auch sie sind Meisterstücke des Prosastils, Meisterstücke politischer Tagesliteratur. Das wird auch der sagen, der mit ihrem Inhalt keineswegs einverstanden ist. Die Muße eines dem Berufsleben überhobnen Mannes von der feinsten Bildung hat sie entsteh» lassen. An Klarheit der Gedankenentwicklung sind sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/442>, abgerufen am 12.12.2024.