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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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(1)etc> Gildemeister, Ludwig Lambergcr, Alexander Meyer

des Volkswilleus zur allein maßgebenden Instanz (wobei sie freilich auch noch
oft genug äußere Einschüchterung üben mag), aber sie schlägt ihm ins Gesicht
durch ihren Sozialismus, durch die obrigkeitliche Gewalt über die Produktions¬
mittel und daher über die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit. Vielmehr muß
die Freiheit des einzelnen der wichtigste und maßgebendste Ausgangspunkt für
die Gesamtheit des gesellschaftlichen und staatlichen Lebens sein. Mit einem
Worte: politische, wirtschaftliche, wissenschaftliche, religiöse Freiheit.

Dieses manchesterliche Programm gewann selbst in England, wo der Staat
als solcher nicht eigentlich unpopulär war, die Herrschaft über die Geister -- mit
Ausnahme der Denkfreiheit, die auf Widerstand stieß, nicht sowohl vom
Staat aus als auf Grund der in religiösen Dingen allmächtigen Konvention.
Whigs und Tones bekannten sich zu ihm. Freihandel und Gewerbefreiheit
wurden radikal durchgeführt. Das Monopolwesen hatte überhaupt keine Be¬
deutung. In Deutschland kam die volle Abneigung gegen den autokratisch
oder wenigstens oligarchisch geleiteten Staat hinzu. Die religiöse Intoleranz
war nicht Konvention, sondern Ausfluß aus der Staatsgewalt und hatte die
ganze geistige Elite der Nation, verkörpert durch die Universitäten, gegen sich.

Wäre es möglich gewesen, die damaligen Anschauungen in einer ent¬
scheidenden Parlamentsmehrheit zusammenzufassen -- wer weiß, was heraus¬
gekommen wäre. Die Dinge liefen anders. Es kam die Revolutionsbewegung
von 1848, auch ihrerseits sich spaltend in mancherlei Weise: großdeutsch,
kleindeutsch; national, partikularistisch; liberal, revolutionär; und endlich als
Gegenschlag gegen den allzu vielfältigen Irregang die Reaktion. Wozu noch
viele Worte darüber verlieren!

Da war denn um jener Kreis der Liberalen -- nicht allein repräsentiert,
mich nicht geistig beherrscht, wohl aber in hervorragenden Typen vertreten --
durch die drei Männer, deren Namen den Titel dieses Essays bilden. Bam-
berger stand damals noch abseits; er war verurteilt, lebte im Auslande und
glaubte nicht an die Neformierbarkeit der damaligen deutschen Verhältnisse.
Otto Gildemeister, geboren am 13. Mürz 1823 in Bremen, Sprößling einer
alten republikanischen, sehr konservativen Patrizierfamilie, hatte einige Jahre
Philologische Studien betrieben, ohne sie der Form nach zu beendigen, und
war 1846 in die Redaktion der am 1. Januar 1844 zu Bremen begrün¬
deten Weserzeitung eingetreten. Dieses unter seiner Leitung zu bedeutendem
Ansehen gelangte Blatt war in den ersten beiden Jahren seines Daseins (vor
Gildemeister) schutzzöllnerisch. An Agrariertum dachte damals niemand, denn
Deutschland führte ja Lebensmittel aus. Gildemeister lenkte das Blatt in das
Hochwasser des Freihandels und hielt es unter Einsetzung seiner ganzen Persön¬
lichkeit und Stellung darin fest, als aus geschäftlichen Kreisen ein Druck in
entgegengesetzter Richtung auf ihn ausgeübt wurde. Überall hatte er Mit¬
streiter. Ich nenne nur Fancher, Prince-Smith, Aug. Lammers, Karl Braun
(später Braun-Wiesbaden). Der Freihandel war der Zug der Zeit. Die


(1)etc> Gildemeister, Ludwig Lambergcr, Alexander Meyer

des Volkswilleus zur allein maßgebenden Instanz (wobei sie freilich auch noch
oft genug äußere Einschüchterung üben mag), aber sie schlägt ihm ins Gesicht
durch ihren Sozialismus, durch die obrigkeitliche Gewalt über die Produktions¬
mittel und daher über die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit. Vielmehr muß
die Freiheit des einzelnen der wichtigste und maßgebendste Ausgangspunkt für
die Gesamtheit des gesellschaftlichen und staatlichen Lebens sein. Mit einem
Worte: politische, wirtschaftliche, wissenschaftliche, religiöse Freiheit.

Dieses manchesterliche Programm gewann selbst in England, wo der Staat
als solcher nicht eigentlich unpopulär war, die Herrschaft über die Geister — mit
Ausnahme der Denkfreiheit, die auf Widerstand stieß, nicht sowohl vom
Staat aus als auf Grund der in religiösen Dingen allmächtigen Konvention.
Whigs und Tones bekannten sich zu ihm. Freihandel und Gewerbefreiheit
wurden radikal durchgeführt. Das Monopolwesen hatte überhaupt keine Be¬
deutung. In Deutschland kam die volle Abneigung gegen den autokratisch
oder wenigstens oligarchisch geleiteten Staat hinzu. Die religiöse Intoleranz
war nicht Konvention, sondern Ausfluß aus der Staatsgewalt und hatte die
ganze geistige Elite der Nation, verkörpert durch die Universitäten, gegen sich.

Wäre es möglich gewesen, die damaligen Anschauungen in einer ent¬
scheidenden Parlamentsmehrheit zusammenzufassen — wer weiß, was heraus¬
gekommen wäre. Die Dinge liefen anders. Es kam die Revolutionsbewegung
von 1848, auch ihrerseits sich spaltend in mancherlei Weise: großdeutsch,
kleindeutsch; national, partikularistisch; liberal, revolutionär; und endlich als
Gegenschlag gegen den allzu vielfältigen Irregang die Reaktion. Wozu noch
viele Worte darüber verlieren!

Da war denn um jener Kreis der Liberalen — nicht allein repräsentiert,
mich nicht geistig beherrscht, wohl aber in hervorragenden Typen vertreten —
durch die drei Männer, deren Namen den Titel dieses Essays bilden. Bam-
berger stand damals noch abseits; er war verurteilt, lebte im Auslande und
glaubte nicht an die Neformierbarkeit der damaligen deutschen Verhältnisse.
Otto Gildemeister, geboren am 13. Mürz 1823 in Bremen, Sprößling einer
alten republikanischen, sehr konservativen Patrizierfamilie, hatte einige Jahre
Philologische Studien betrieben, ohne sie der Form nach zu beendigen, und
war 1846 in die Redaktion der am 1. Januar 1844 zu Bremen begrün¬
deten Weserzeitung eingetreten. Dieses unter seiner Leitung zu bedeutendem
Ansehen gelangte Blatt war in den ersten beiden Jahren seines Daseins (vor
Gildemeister) schutzzöllnerisch. An Agrariertum dachte damals niemand, denn
Deutschland führte ja Lebensmittel aus. Gildemeister lenkte das Blatt in das
Hochwasser des Freihandels und hielt es unter Einsetzung seiner ganzen Persön¬
lichkeit und Stellung darin fest, als aus geschäftlichen Kreisen ein Druck in
entgegengesetzter Richtung auf ihn ausgeübt wurde. Überall hatte er Mit¬
streiter. Ich nenne nur Fancher, Prince-Smith, Aug. Lammers, Karl Braun
(später Braun-Wiesbaden). Der Freihandel war der Zug der Zeit. Die


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[0439] (1)etc> Gildemeister, Ludwig Lambergcr, Alexander Meyer des Volkswilleus zur allein maßgebenden Instanz (wobei sie freilich auch noch oft genug äußere Einschüchterung üben mag), aber sie schlägt ihm ins Gesicht durch ihren Sozialismus, durch die obrigkeitliche Gewalt über die Produktions¬ mittel und daher über die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit. Vielmehr muß die Freiheit des einzelnen der wichtigste und maßgebendste Ausgangspunkt für die Gesamtheit des gesellschaftlichen und staatlichen Lebens sein. Mit einem Worte: politische, wirtschaftliche, wissenschaftliche, religiöse Freiheit. Dieses manchesterliche Programm gewann selbst in England, wo der Staat als solcher nicht eigentlich unpopulär war, die Herrschaft über die Geister — mit Ausnahme der Denkfreiheit, die auf Widerstand stieß, nicht sowohl vom Staat aus als auf Grund der in religiösen Dingen allmächtigen Konvention. Whigs und Tones bekannten sich zu ihm. Freihandel und Gewerbefreiheit wurden radikal durchgeführt. Das Monopolwesen hatte überhaupt keine Be¬ deutung. In Deutschland kam die volle Abneigung gegen den autokratisch oder wenigstens oligarchisch geleiteten Staat hinzu. Die religiöse Intoleranz war nicht Konvention, sondern Ausfluß aus der Staatsgewalt und hatte die ganze geistige Elite der Nation, verkörpert durch die Universitäten, gegen sich. Wäre es möglich gewesen, die damaligen Anschauungen in einer ent¬ scheidenden Parlamentsmehrheit zusammenzufassen — wer weiß, was heraus¬ gekommen wäre. Die Dinge liefen anders. Es kam die Revolutionsbewegung von 1848, auch ihrerseits sich spaltend in mancherlei Weise: großdeutsch, kleindeutsch; national, partikularistisch; liberal, revolutionär; und endlich als Gegenschlag gegen den allzu vielfältigen Irregang die Reaktion. Wozu noch viele Worte darüber verlieren! Da war denn um jener Kreis der Liberalen — nicht allein repräsentiert, mich nicht geistig beherrscht, wohl aber in hervorragenden Typen vertreten — durch die drei Männer, deren Namen den Titel dieses Essays bilden. Bam- berger stand damals noch abseits; er war verurteilt, lebte im Auslande und glaubte nicht an die Neformierbarkeit der damaligen deutschen Verhältnisse. Otto Gildemeister, geboren am 13. Mürz 1823 in Bremen, Sprößling einer alten republikanischen, sehr konservativen Patrizierfamilie, hatte einige Jahre Philologische Studien betrieben, ohne sie der Form nach zu beendigen, und war 1846 in die Redaktion der am 1. Januar 1844 zu Bremen begrün¬ deten Weserzeitung eingetreten. Dieses unter seiner Leitung zu bedeutendem Ansehen gelangte Blatt war in den ersten beiden Jahren seines Daseins (vor Gildemeister) schutzzöllnerisch. An Agrariertum dachte damals niemand, denn Deutschland führte ja Lebensmittel aus. Gildemeister lenkte das Blatt in das Hochwasser des Freihandels und hielt es unter Einsetzung seiner ganzen Persön¬ lichkeit und Stellung darin fest, als aus geschäftlichen Kreisen ein Druck in entgegengesetzter Richtung auf ihn ausgeübt wurde. Überall hatte er Mit¬ streiter. Ich nenne nur Fancher, Prince-Smith, Aug. Lammers, Karl Braun (später Braun-Wiesbaden). Der Freihandel war der Zug der Zeit. Die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/439>, abgerufen am 23.07.2024.