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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Otto Giloemeist"', Ludwig Lambcrger, Alexander tlieyer

Röscher. Das Ziel ging dahin, daß der einzelne in der Regel weit besser
für sich sorge, wenn er sich völlig selbst überlassen werde und die Früchte
seiner Tüchtigkeit, seines Fleißes, seiner Sparsamkeit oder auch die Nach¬
teile des Gegenteils allein hinzunehmen habe, als wenn der Staat ihn be¬
vormunde. Der einzelne sollte möglichst von aller Einmischung des Staates
freigemacht werden. Gewerbefreiheit, Freihandel, I^isser Küre, laisssr allor.
Fort mit dem Zunftwesen, dem Schutzzoll, den Monopolen! Selbstverant¬
wortung des einzelnen, des Unternehmers wie des Arbeiters! Freie Ent¬
faltung des Verkehrs. Die Einflüsse Cobdens und Brights sowie die kurze
aber außerordentlich starke Wirksamkeit Friedrich Bastiats trafen zusammen.

Mit der Form der Regierung hängt das nicht unmittelbar zusammen.
Ein despotischer Fürst kann sein Land in der vollsten wirtschaftlichen Freiheit
verwalten. Und umgekehrt kann eine demokratische Republik nicht nur hohe
Schutzzölle errichten -- das sehen wir noch diesen Augenblick in Frankreich
und den Vereinigten Staaten --, sondern anch das Zunftwesen organisieren
oder, wie die sozialdemokratische Republik es will, den Staat in allen wirt¬
schaftlichen Dingen allmächtig machen. Die individualistische Richtung in
Deutschland, als deren Vertreter wir die drei Mäuner dieses kleinen Essays
vor uns sehen, faßte die ganze Sache universeller auf. Sie verkannte natürlich
nicht, was hier soeben ausgeführt worden ist. Sie sagte: die Befreiung der
Menschen von der Obrigkeit, soweit diese eben zur Beschirmung der Freiheit
unentbehrlich ist, soll Selbstzweck sein und rechtfertigt sich durch die Wohl¬
taten, die sie bringt, wofür selbst das Tier erkenntlich ist. Daß Nachteile mit
ihr verbunden sind, ist unbestreitbar, aber sie müssen in den Kauf genommen
werden. Das System des Zwanges, der Bevormundung hat noch viel größere
Übel in Gefolge. Damit haben wir den vielverspotteten "Nachtwächter-
standpuukt des Staates" vor uns -- Bamberger bekannte sich noch in den
achtziger Jahren im offnen Reichstag zu ihm. Die individuelle Freiheit
als Selbstzweck kann und soll nicht nur in einzelnen Beziehungen des Zu¬
sammenlebens der Menschen maßgebend sein; nein sie soll den Grundgedanken
überhaupt bilden. Eine demokratische Republik entspricht ihm nicht, wenn sie
ihn im wirtschaftlichen Leben, z. B. in der Gewerbe- oder Zollpolitik oder
durch unnötige Monopole verletzt. Eine autokratische oder aristokratische Re¬
gierung mag ihm (was in damaligen Zeiten näher lag als heute) durch Frei¬
handel Genüge tun, aber tut sie es nur auf diesem einen Gebiete, so geht die
Maßregel vielleicht aus richtiger wirtschaftlicher Einsicht hervor, nicht aber in
Huldigung des Gedankens der individuellen Freiheit. Denn diesen muß sie,
falls sie ihn für richtig hält, auch durchführen in der vollständigen Freiheit
des Glaubens und des Forschens, in der Gleichberechtigung aller Konfessionen,
in der Öffnung einer freien Bahn für die Mitwirkung des Volkes an der Be¬
stimmung seiner Geschicke. Die Sozialdemokratie verwirklicht ihn wohl -- sogar
extrem und ohne Rücksicht auf das geschichtlich gewordne -- in der Erhebung


Otto Giloemeist«', Ludwig Lambcrger, Alexander tlieyer

Röscher. Das Ziel ging dahin, daß der einzelne in der Regel weit besser
für sich sorge, wenn er sich völlig selbst überlassen werde und die Früchte
seiner Tüchtigkeit, seines Fleißes, seiner Sparsamkeit oder auch die Nach¬
teile des Gegenteils allein hinzunehmen habe, als wenn der Staat ihn be¬
vormunde. Der einzelne sollte möglichst von aller Einmischung des Staates
freigemacht werden. Gewerbefreiheit, Freihandel, I^isser Küre, laisssr allor.
Fort mit dem Zunftwesen, dem Schutzzoll, den Monopolen! Selbstverant¬
wortung des einzelnen, des Unternehmers wie des Arbeiters! Freie Ent¬
faltung des Verkehrs. Die Einflüsse Cobdens und Brights sowie die kurze
aber außerordentlich starke Wirksamkeit Friedrich Bastiats trafen zusammen.

Mit der Form der Regierung hängt das nicht unmittelbar zusammen.
Ein despotischer Fürst kann sein Land in der vollsten wirtschaftlichen Freiheit
verwalten. Und umgekehrt kann eine demokratische Republik nicht nur hohe
Schutzzölle errichten — das sehen wir noch diesen Augenblick in Frankreich
und den Vereinigten Staaten —, sondern anch das Zunftwesen organisieren
oder, wie die sozialdemokratische Republik es will, den Staat in allen wirt¬
schaftlichen Dingen allmächtig machen. Die individualistische Richtung in
Deutschland, als deren Vertreter wir die drei Mäuner dieses kleinen Essays
vor uns sehen, faßte die ganze Sache universeller auf. Sie verkannte natürlich
nicht, was hier soeben ausgeführt worden ist. Sie sagte: die Befreiung der
Menschen von der Obrigkeit, soweit diese eben zur Beschirmung der Freiheit
unentbehrlich ist, soll Selbstzweck sein und rechtfertigt sich durch die Wohl¬
taten, die sie bringt, wofür selbst das Tier erkenntlich ist. Daß Nachteile mit
ihr verbunden sind, ist unbestreitbar, aber sie müssen in den Kauf genommen
werden. Das System des Zwanges, der Bevormundung hat noch viel größere
Übel in Gefolge. Damit haben wir den vielverspotteten „Nachtwächter-
standpuukt des Staates" vor uns — Bamberger bekannte sich noch in den
achtziger Jahren im offnen Reichstag zu ihm. Die individuelle Freiheit
als Selbstzweck kann und soll nicht nur in einzelnen Beziehungen des Zu¬
sammenlebens der Menschen maßgebend sein; nein sie soll den Grundgedanken
überhaupt bilden. Eine demokratische Republik entspricht ihm nicht, wenn sie
ihn im wirtschaftlichen Leben, z. B. in der Gewerbe- oder Zollpolitik oder
durch unnötige Monopole verletzt. Eine autokratische oder aristokratische Re¬
gierung mag ihm (was in damaligen Zeiten näher lag als heute) durch Frei¬
handel Genüge tun, aber tut sie es nur auf diesem einen Gebiete, so geht die
Maßregel vielleicht aus richtiger wirtschaftlicher Einsicht hervor, nicht aber in
Huldigung des Gedankens der individuellen Freiheit. Denn diesen muß sie,
falls sie ihn für richtig hält, auch durchführen in der vollständigen Freiheit
des Glaubens und des Forschens, in der Gleichberechtigung aller Konfessionen,
in der Öffnung einer freien Bahn für die Mitwirkung des Volkes an der Be¬
stimmung seiner Geschicke. Die Sozialdemokratie verwirklicht ihn wohl — sogar
extrem und ohne Rücksicht auf das geschichtlich gewordne — in der Erhebung


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[0438] Otto Giloemeist«', Ludwig Lambcrger, Alexander tlieyer Röscher. Das Ziel ging dahin, daß der einzelne in der Regel weit besser für sich sorge, wenn er sich völlig selbst überlassen werde und die Früchte seiner Tüchtigkeit, seines Fleißes, seiner Sparsamkeit oder auch die Nach¬ teile des Gegenteils allein hinzunehmen habe, als wenn der Staat ihn be¬ vormunde. Der einzelne sollte möglichst von aller Einmischung des Staates freigemacht werden. Gewerbefreiheit, Freihandel, I^isser Küre, laisssr allor. Fort mit dem Zunftwesen, dem Schutzzoll, den Monopolen! Selbstverant¬ wortung des einzelnen, des Unternehmers wie des Arbeiters! Freie Ent¬ faltung des Verkehrs. Die Einflüsse Cobdens und Brights sowie die kurze aber außerordentlich starke Wirksamkeit Friedrich Bastiats trafen zusammen. Mit der Form der Regierung hängt das nicht unmittelbar zusammen. Ein despotischer Fürst kann sein Land in der vollsten wirtschaftlichen Freiheit verwalten. Und umgekehrt kann eine demokratische Republik nicht nur hohe Schutzzölle errichten — das sehen wir noch diesen Augenblick in Frankreich und den Vereinigten Staaten —, sondern anch das Zunftwesen organisieren oder, wie die sozialdemokratische Republik es will, den Staat in allen wirt¬ schaftlichen Dingen allmächtig machen. Die individualistische Richtung in Deutschland, als deren Vertreter wir die drei Mäuner dieses kleinen Essays vor uns sehen, faßte die ganze Sache universeller auf. Sie verkannte natürlich nicht, was hier soeben ausgeführt worden ist. Sie sagte: die Befreiung der Menschen von der Obrigkeit, soweit diese eben zur Beschirmung der Freiheit unentbehrlich ist, soll Selbstzweck sein und rechtfertigt sich durch die Wohl¬ taten, die sie bringt, wofür selbst das Tier erkenntlich ist. Daß Nachteile mit ihr verbunden sind, ist unbestreitbar, aber sie müssen in den Kauf genommen werden. Das System des Zwanges, der Bevormundung hat noch viel größere Übel in Gefolge. Damit haben wir den vielverspotteten „Nachtwächter- standpuukt des Staates" vor uns — Bamberger bekannte sich noch in den achtziger Jahren im offnen Reichstag zu ihm. Die individuelle Freiheit als Selbstzweck kann und soll nicht nur in einzelnen Beziehungen des Zu¬ sammenlebens der Menschen maßgebend sein; nein sie soll den Grundgedanken überhaupt bilden. Eine demokratische Republik entspricht ihm nicht, wenn sie ihn im wirtschaftlichen Leben, z. B. in der Gewerbe- oder Zollpolitik oder durch unnötige Monopole verletzt. Eine autokratische oder aristokratische Re¬ gierung mag ihm (was in damaligen Zeiten näher lag als heute) durch Frei¬ handel Genüge tun, aber tut sie es nur auf diesem einen Gebiete, so geht die Maßregel vielleicht aus richtiger wirtschaftlicher Einsicht hervor, nicht aber in Huldigung des Gedankens der individuellen Freiheit. Denn diesen muß sie, falls sie ihn für richtig hält, auch durchführen in der vollständigen Freiheit des Glaubens und des Forschens, in der Gleichberechtigung aller Konfessionen, in der Öffnung einer freien Bahn für die Mitwirkung des Volkes an der Be¬ stimmung seiner Geschicke. Die Sozialdemokratie verwirklicht ihn wohl — sogar extrem und ohne Rücksicht auf das geschichtlich gewordne — in der Erhebung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/438>, abgerufen am 12.12.2024.