Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.Alto Gildemeister, ludwig Lamberger, Alexander !Reyer manchen einflußreichern Parlamentarier, manchen Dichter von weit größerer Die freiheitlichen Bestrebungen in Deutschland vor 1848 hatten zum un- Unterdessen wuchs der Einfluß des Freihandels in England beständig. Grenzboten I 1909 56
Alto Gildemeister, ludwig Lamberger, Alexander !Reyer manchen einflußreichern Parlamentarier, manchen Dichter von weit größerer Die freiheitlichen Bestrebungen in Deutschland vor 1848 hatten zum un- Unterdessen wuchs der Einfluß des Freihandels in England beständig. Grenzboten I 1909 56
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0437" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/312788"/> <fw type="header" place="top"> Alto Gildemeister, ludwig Lamberger, Alexander !Reyer</fw><lb/> <p xml:id="ID_1693" prev="#ID_1692"> manchen einflußreichern Parlamentarier, manchen Dichter von weit größerer<lb/> Schöpferkraft gesehn. Als Typen eines Hauptarmes der geistig-politischen<lb/> Strömung der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts können ihnen<lb/> schwerlich gleich hervorragende an die Seite gestellt werden. Das heißt bis<lb/> zu der Zeit, wo eben diese Strömung durch eine andre überwunden wurde,<lb/> worauf noch zurückzukommen sein wird.</p><lb/> <p xml:id="ID_1694"> Die freiheitlichen Bestrebungen in Deutschland vor 1848 hatten zum un-<lb/> bestrittnen Hauptziel die Einigung des Vaterlandes und die Schaffung von<lb/> Volksrechten neben der teils noch völlig absoluten, teils mir wenig be¬<lb/> schränkten Fürstenmacht. Der Ansturm gegen die Autokratie entsprang damals<lb/> zum größten Teil aus dem Widerstreit des nationalen Gedankens gegen die<lb/> dynastischen Rechte. Erst aus diesem Grunde nahm er eine radikale und<lb/> teilweise republikanische Richtung, wobei die Einflüsse aus Frankreich je länger<lb/> desto mächtiger herüberwirkten. Aber der eigentliche Individualismus war<lb/> darin noch wenig ausgebildet. Er war eher bei erleuchteten Geistern in den<lb/> Behörden zu finden, als daß er in weitem Volkskreisen mächtig gewesen wäre.<lb/> Am ersten noch in der akademischen Jugend; doch auch hier wogte noch der<lb/> demokratische Gedanke, der den Staat allmächtig machen, dann aber volks¬<lb/> tümlich walten sehen will, mit dem konstitutionellen und nationalen vielfach<lb/> zerfließend durcheinander. Dagegen war in der preußischen Regierung<lb/> schon Hardenberg in seinen Grundsätzen (die er freilich nicht stark genug ver¬<lb/> focht) ein Individualist. Ebenso war diese Tendenz mächtig bei den Männern<lb/> des preußisch-deutschen Zollvereins. Er ging nicht zurück auf Frankreich.<lb/> Die Turgot, Qnesnay, Mirabeau (Vater) usw. waren von der ganz anders<lb/> gerichteten Revolution, die die Menschen gegen ihren Willen glücklich machen<lb/> wollte und zu diesem edeln Zweck selbst die Guillotine nicht verschmähte,<lb/> völlig in Vergessenheit gebracht. Vielmehr war Adam Smith die maßgebende<lb/> Persönlichkeit. Man kann wohl kaum sagen, daß Hardenberg hiermit ge¬<lb/> scheitert sei. Sein Niedergang hatte ganz andre Ursachen. Überhaupt kamen<lb/> die Tendenzen noch keineswegs rein zur Erscheinung. Auch der nachherige<lb/> Sieg des Zollvereins vollzog sich keineswegs zur Hauptsache dadurch, daß die<lb/> Menschen allmählich individualistischer geworden wären, sondern aus Gründen<lb/> der Finanzen und der Vereinfachung der Zollverwaltung, die bei der Gemenge¬<lb/> lage der deutschen Gebiete auch bei Ministern von bescheidner wirtschaftlicher<lb/> Einsicht wirksam werden mußten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1695" next="#ID_1696"> Unterdessen wuchs der Einfluß des Freihandels in England beständig.<lb/> Die Kornzölle fielen, womit die norddeutsche, namentlich die nordöstliche Land¬<lb/> wirtschaft ein wichtiges Absatzgebiet gewann, sodaß sich der Wohlstand hier<lb/> zusehends hob, und sich der ganze Norden Deutschlands, namentlich östlich von<lb/> der Elbe, zum Freihandel bekannte. Auch die deutsche Volkswirtschaftslehre<lb/> auf den deutschen Hochschulen stand wesentlich unter dem Einfluß der englischen<lb/> Ökonomisten. Seit 1812 lehrte Rein. seit 1843 der weit ausgesprochnere</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I 1909 56</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0437]
Alto Gildemeister, ludwig Lamberger, Alexander !Reyer
manchen einflußreichern Parlamentarier, manchen Dichter von weit größerer
Schöpferkraft gesehn. Als Typen eines Hauptarmes der geistig-politischen
Strömung der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts können ihnen
schwerlich gleich hervorragende an die Seite gestellt werden. Das heißt bis
zu der Zeit, wo eben diese Strömung durch eine andre überwunden wurde,
worauf noch zurückzukommen sein wird.
Die freiheitlichen Bestrebungen in Deutschland vor 1848 hatten zum un-
bestrittnen Hauptziel die Einigung des Vaterlandes und die Schaffung von
Volksrechten neben der teils noch völlig absoluten, teils mir wenig be¬
schränkten Fürstenmacht. Der Ansturm gegen die Autokratie entsprang damals
zum größten Teil aus dem Widerstreit des nationalen Gedankens gegen die
dynastischen Rechte. Erst aus diesem Grunde nahm er eine radikale und
teilweise republikanische Richtung, wobei die Einflüsse aus Frankreich je länger
desto mächtiger herüberwirkten. Aber der eigentliche Individualismus war
darin noch wenig ausgebildet. Er war eher bei erleuchteten Geistern in den
Behörden zu finden, als daß er in weitem Volkskreisen mächtig gewesen wäre.
Am ersten noch in der akademischen Jugend; doch auch hier wogte noch der
demokratische Gedanke, der den Staat allmächtig machen, dann aber volks¬
tümlich walten sehen will, mit dem konstitutionellen und nationalen vielfach
zerfließend durcheinander. Dagegen war in der preußischen Regierung
schon Hardenberg in seinen Grundsätzen (die er freilich nicht stark genug ver¬
focht) ein Individualist. Ebenso war diese Tendenz mächtig bei den Männern
des preußisch-deutschen Zollvereins. Er ging nicht zurück auf Frankreich.
Die Turgot, Qnesnay, Mirabeau (Vater) usw. waren von der ganz anders
gerichteten Revolution, die die Menschen gegen ihren Willen glücklich machen
wollte und zu diesem edeln Zweck selbst die Guillotine nicht verschmähte,
völlig in Vergessenheit gebracht. Vielmehr war Adam Smith die maßgebende
Persönlichkeit. Man kann wohl kaum sagen, daß Hardenberg hiermit ge¬
scheitert sei. Sein Niedergang hatte ganz andre Ursachen. Überhaupt kamen
die Tendenzen noch keineswegs rein zur Erscheinung. Auch der nachherige
Sieg des Zollvereins vollzog sich keineswegs zur Hauptsache dadurch, daß die
Menschen allmählich individualistischer geworden wären, sondern aus Gründen
der Finanzen und der Vereinfachung der Zollverwaltung, die bei der Gemenge¬
lage der deutschen Gebiete auch bei Ministern von bescheidner wirtschaftlicher
Einsicht wirksam werden mußten.
Unterdessen wuchs der Einfluß des Freihandels in England beständig.
Die Kornzölle fielen, womit die norddeutsche, namentlich die nordöstliche Land¬
wirtschaft ein wichtiges Absatzgebiet gewann, sodaß sich der Wohlstand hier
zusehends hob, und sich der ganze Norden Deutschlands, namentlich östlich von
der Elbe, zum Freihandel bekannte. Auch die deutsche Volkswirtschaftslehre
auf den deutschen Hochschulen stand wesentlich unter dem Einfluß der englischen
Ökonomisten. Seit 1812 lehrte Rein. seit 1843 der weit ausgesprochnere
Grenzboten I 1909 56
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