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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Lin Hochzeitsschwank Friedrichs des Großen

stehe zwar ihre Bedeutung nicht, aber den "Jargon" habe ich mir doch glücklich
angeeignet. "Mühe genug hat es mich gekostet." Man muß eben den Geschmack
des Publikums respektieren. Der Diener beklagt ihn, daß er nicht seinen eignen
Neigungen folgen dürfe. "Seien Sie doch natürlich und selbst ein Original,
anstatt so schlechte Originale zu kopieren. Aber ich glaube, wenn wir ins Land
der Störche reisten, Sie würden sich einen langen Schnabel und große röte
Füße wünschen."

Sie werden von dem Onkel und Verville unterbrochen. Dieser geht gleich
bei der Begrüßung auf sein Ziel los. Er bedauert, die Einladung des Marquis
für den Abend nicht annehmen zu können, weil er bei Hofe sein müsse, wo
man die Hochzeit eines Freundes und die Verlobung eines andern feiere.
Außerdem solle er noch heute an fünf oder sechs verschiednen Stellen in der
Stadt sein, um als Zeuge bei der Unterzeichnung von Eheverträgen zu dienen.
Verwundert fragt der Marquis, woher es käme, daß auf einmal soviel Personen
von einer Leidenschaft für die Ehe befallen seien. Verville belehrt ihn, daß
es augenblicklich keinen Ort in der Welt gäbe, wo man sich so jung verheiratet
wie in Paris. Eine Frau ist jetzt das erste und notwendigste Möbel im Haus¬
halt eines jeden Mannes von Stand, und es gilt bei Hofe fast fut unanständig^
mit achtzehn Jahren noch nicht Vater zu sein.

Der Marquis ist zwar zuerst etwas mißtrauisch, weil Belair ihm noch
nichts davon erzählt hat. Aber als Verville ihm versichert, daß das eben die
neuste Mode sei, beschließt er sofort, auch dieser zu folgen. Einen Korb fürchtet
er nicht. Jeder muß ja selbst am besten wissen, was er wert sei, nur an ge¬
eigneten Bekanntschaften mit Damen fehle es ihm.

Verville weiß natürlich sofort Rat. Er kennt eine Dame, die vorzüglich
für seinen Freund passe. Aber als er ihm gerade die Vorzüge Adelaidens
beredt auseinandersetzen will, bringt der Diener, den der Marquis wieder mit
einem Billett zu Julie geschickt hat, eine zärtliche Antwort und eine Einladung.
Der Marquis ist in der grausamsten Verlegenheit. Soll er der Mode folgen,
die ihm Belair empfohlen, oder der, die ihm Verville als die allerneuste ge¬
priesen hat? Mit Schrecken sieht Bardus, der bisher nnr Verville hat operieren
lassen, daß der Fisch, den er schon im Netz geglaubt, wieder entschlüpfen will,
und sein Ärger bricht in heftigen Vorwürfen aus. Aber er muß sich von dem
indignierten Neffen den guten Rat geben lassen, er solle lieber selbst darauf be¬
dacht sein, seinen Ton und seine Manieren zu bessern, ehe er andre belehre. Es
werde ihm nicht gelingen, ihn in seinen modernen Anschauungen irrezumachen.
Er wolle lieber in jener Welt den Zorn des Himmels als das Gelächter der
Menschen in dieser Welt ertragen. Er könne überhaupt nicht begreifen, wie
ein Mensch von so spießbürgerlichen Ansichten in seine Familie komme.

Verville sucht die Sache wieder ins gleiche zu bringen. Bardus flüstert
er die ironische Bemerkung zu, daß er für einen frommen Mann doch zuviel
Galle habe. Den Freund beschwört er, doch auf den reichen Erbonkel mehr
Rücksicht zu nehmen, und stellt ihm in Aussicht, daß Bardus seine Börse weit


Lin Hochzeitsschwank Friedrichs des Großen

stehe zwar ihre Bedeutung nicht, aber den „Jargon" habe ich mir doch glücklich
angeeignet. „Mühe genug hat es mich gekostet." Man muß eben den Geschmack
des Publikums respektieren. Der Diener beklagt ihn, daß er nicht seinen eignen
Neigungen folgen dürfe. „Seien Sie doch natürlich und selbst ein Original,
anstatt so schlechte Originale zu kopieren. Aber ich glaube, wenn wir ins Land
der Störche reisten, Sie würden sich einen langen Schnabel und große röte
Füße wünschen."

Sie werden von dem Onkel und Verville unterbrochen. Dieser geht gleich
bei der Begrüßung auf sein Ziel los. Er bedauert, die Einladung des Marquis
für den Abend nicht annehmen zu können, weil er bei Hofe sein müsse, wo
man die Hochzeit eines Freundes und die Verlobung eines andern feiere.
Außerdem solle er noch heute an fünf oder sechs verschiednen Stellen in der
Stadt sein, um als Zeuge bei der Unterzeichnung von Eheverträgen zu dienen.
Verwundert fragt der Marquis, woher es käme, daß auf einmal soviel Personen
von einer Leidenschaft für die Ehe befallen seien. Verville belehrt ihn, daß
es augenblicklich keinen Ort in der Welt gäbe, wo man sich so jung verheiratet
wie in Paris. Eine Frau ist jetzt das erste und notwendigste Möbel im Haus¬
halt eines jeden Mannes von Stand, und es gilt bei Hofe fast fut unanständig^
mit achtzehn Jahren noch nicht Vater zu sein.

Der Marquis ist zwar zuerst etwas mißtrauisch, weil Belair ihm noch
nichts davon erzählt hat. Aber als Verville ihm versichert, daß das eben die
neuste Mode sei, beschließt er sofort, auch dieser zu folgen. Einen Korb fürchtet
er nicht. Jeder muß ja selbst am besten wissen, was er wert sei, nur an ge¬
eigneten Bekanntschaften mit Damen fehle es ihm.

Verville weiß natürlich sofort Rat. Er kennt eine Dame, die vorzüglich
für seinen Freund passe. Aber als er ihm gerade die Vorzüge Adelaidens
beredt auseinandersetzen will, bringt der Diener, den der Marquis wieder mit
einem Billett zu Julie geschickt hat, eine zärtliche Antwort und eine Einladung.
Der Marquis ist in der grausamsten Verlegenheit. Soll er der Mode folgen,
die ihm Belair empfohlen, oder der, die ihm Verville als die allerneuste ge¬
priesen hat? Mit Schrecken sieht Bardus, der bisher nnr Verville hat operieren
lassen, daß der Fisch, den er schon im Netz geglaubt, wieder entschlüpfen will,
und sein Ärger bricht in heftigen Vorwürfen aus. Aber er muß sich von dem
indignierten Neffen den guten Rat geben lassen, er solle lieber selbst darauf be¬
dacht sein, seinen Ton und seine Manieren zu bessern, ehe er andre belehre. Es
werde ihm nicht gelingen, ihn in seinen modernen Anschauungen irrezumachen.
Er wolle lieber in jener Welt den Zorn des Himmels als das Gelächter der
Menschen in dieser Welt ertragen. Er könne überhaupt nicht begreifen, wie
ein Mensch von so spießbürgerlichen Ansichten in seine Familie komme.

Verville sucht die Sache wieder ins gleiche zu bringen. Bardus flüstert
er die ironische Bemerkung zu, daß er für einen frommen Mann doch zuviel
Galle habe. Den Freund beschwört er, doch auf den reichen Erbonkel mehr
Rücksicht zu nehmen, und stellt ihm in Aussicht, daß Bardus seine Börse weit


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[0043] Lin Hochzeitsschwank Friedrichs des Großen stehe zwar ihre Bedeutung nicht, aber den „Jargon" habe ich mir doch glücklich angeeignet. „Mühe genug hat es mich gekostet." Man muß eben den Geschmack des Publikums respektieren. Der Diener beklagt ihn, daß er nicht seinen eignen Neigungen folgen dürfe. „Seien Sie doch natürlich und selbst ein Original, anstatt so schlechte Originale zu kopieren. Aber ich glaube, wenn wir ins Land der Störche reisten, Sie würden sich einen langen Schnabel und große röte Füße wünschen." Sie werden von dem Onkel und Verville unterbrochen. Dieser geht gleich bei der Begrüßung auf sein Ziel los. Er bedauert, die Einladung des Marquis für den Abend nicht annehmen zu können, weil er bei Hofe sein müsse, wo man die Hochzeit eines Freundes und die Verlobung eines andern feiere. Außerdem solle er noch heute an fünf oder sechs verschiednen Stellen in der Stadt sein, um als Zeuge bei der Unterzeichnung von Eheverträgen zu dienen. Verwundert fragt der Marquis, woher es käme, daß auf einmal soviel Personen von einer Leidenschaft für die Ehe befallen seien. Verville belehrt ihn, daß es augenblicklich keinen Ort in der Welt gäbe, wo man sich so jung verheiratet wie in Paris. Eine Frau ist jetzt das erste und notwendigste Möbel im Haus¬ halt eines jeden Mannes von Stand, und es gilt bei Hofe fast fut unanständig^ mit achtzehn Jahren noch nicht Vater zu sein. Der Marquis ist zwar zuerst etwas mißtrauisch, weil Belair ihm noch nichts davon erzählt hat. Aber als Verville ihm versichert, daß das eben die neuste Mode sei, beschließt er sofort, auch dieser zu folgen. Einen Korb fürchtet er nicht. Jeder muß ja selbst am besten wissen, was er wert sei, nur an ge¬ eigneten Bekanntschaften mit Damen fehle es ihm. Verville weiß natürlich sofort Rat. Er kennt eine Dame, die vorzüglich für seinen Freund passe. Aber als er ihm gerade die Vorzüge Adelaidens beredt auseinandersetzen will, bringt der Diener, den der Marquis wieder mit einem Billett zu Julie geschickt hat, eine zärtliche Antwort und eine Einladung. Der Marquis ist in der grausamsten Verlegenheit. Soll er der Mode folgen, die ihm Belair empfohlen, oder der, die ihm Verville als die allerneuste ge¬ priesen hat? Mit Schrecken sieht Bardus, der bisher nnr Verville hat operieren lassen, daß der Fisch, den er schon im Netz geglaubt, wieder entschlüpfen will, und sein Ärger bricht in heftigen Vorwürfen aus. Aber er muß sich von dem indignierten Neffen den guten Rat geben lassen, er solle lieber selbst darauf be¬ dacht sein, seinen Ton und seine Manieren zu bessern, ehe er andre belehre. Es werde ihm nicht gelingen, ihn in seinen modernen Anschauungen irrezumachen. Er wolle lieber in jener Welt den Zorn des Himmels als das Gelächter der Menschen in dieser Welt ertragen. Er könne überhaupt nicht begreifen, wie ein Mensch von so spießbürgerlichen Ansichten in seine Familie komme. Verville sucht die Sache wieder ins gleiche zu bringen. Bardus flüstert er die ironische Bemerkung zu, daß er für einen frommen Mann doch zuviel Galle habe. Den Freund beschwört er, doch auf den reichen Erbonkel mehr Rücksicht zu nehmen, und stellt ihm in Aussicht, daß Bardus seine Börse weit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/43>, abgerufen am 12.12.2024.