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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Litt Hochzeitsjchwank Friedrichs des Großen

öffnen Würde, wenn der Neffe seine Wünsche erfülle und sich entschließe, sich
zu verheiraten. Er verläßt ihn mit Bcirdus, um die Gräfin und ihre Tochter
zur gemeinsamen Mahlzeit einzuladen. Er soll Adelaide sehen und dann selbst
urteilen.

Unschlüssig bleibt der Marquis zurück. Wieder und wieder wägt er beide
Moden gegeneinander ab. Da kommt ihm ein erlösender Gedanke. Wie, wenn
er beide Moden vereinigte, wenn er zugleich Adelaide zur Frau und Julie zur
Geliebten nähme? Die Idee begeistert ihn: Galanterie -- Treue -- Liebe --
Frau -- Maitresse. Welche Verbindung! Darin liegt Kontrast, keine Spur von
Schwerfälligkeit, und ein wahrhaft philosophischer Sinn, der alles kosten, alles
genießen will und sich nicht auf einen einzigen Gegenstand kapriziert. Das ist
ohne Zweifel im höchsten Grade modern.

Der Anblick Adelaidens stimmt ihn freilich zuerst wieder etwas herab.
Er findet sie zwar sehr hübsch, aber keine Spur von Schminke, kein Schön-
pflästerchen; und wie ist sie angezogen, wie ist sie frisiert! klagt er. Wenn du
vor allem darauf Wert legst, meint der Freund, mußt du einen Puppenstock
heiraten. Ich rate dir, sie zu nehmen, ehe der Hof sie dir wegschnappt. So
entschließt sich denn der Marquis, seine Bewerbung vorzubringen, aber nur unter
einer Bedingung. Seine zukünftige Frau soll sich ausdrücklich verpflichten, sich
in allen Stücken streng nach der Mode zu richten.

Die Mutter macht einige Andeutungen von sehr vornehmen Personen, die
sich schon um Adelaideus Hand beworben hätten, ist aber offenbar sehr froh,
den Neffen des reichen Bardus zum Schwiegersohn zu bekommen.

Die wohlerzogne Tochter fügt sich willig dem Befehl der Mutter. Auf
die Forderung des Bräutigams, ihm Treue und Gehorsam gegen die Mode zu
geloben und ihm zu versprechen, jede Neuheit unbedingt nachzuahmen, erwidert
sie: "Ich werde alles tun, was in meinen Kräften steht, um Ihnen zu gefallen."

Wenn das, was du da verlangst, dir nur nicht einmal sehr leid tut, meint
der Freund lachend: die Moden in Paris sind nicht sehr vorteilhaft für Ehe-
männer. Sieh dich vor, sieh dich vor! Mit dieser Perspektive schließt das
übermütige kleine Stück.

Wer ist nicht bei der Analyse des Schwanks an den LourgWis 6<zntil-
bommo erinnert worden! Auch Monsieur Jourdain hat ja keinen andern Ge¬
danken, als jede Mode mitzumachen. Und wie der Vormittag des Marquis
zwischen Verhandlungen mit Buchhändlern und Architekten, englischer Stunde
und Fechtübungen geteilt ist, so erproben im LourZevis Kentilbomins Musik¬
meister, Tanzlehrer, Fechtmeister und ein Doktor der Philosophie nacheinander
ihre Künste an Herrn Jourdain.

Nicht weniger eng ist die Verwandtschaft mit den I'rsviöuses ricliculos.
Marquis und Vicomte begrüßen sich hier (Sz. 12) ganz ähnlich wie der Marquis
und Belair in unserm Schwank; sie überbieten sich in Komplimenten gegen¬
einander und die Damen so sehr, daß Madelou bewundernd misrnft: "Ihr
treibt Eure Artigkeit bis auf den äußersten Kulminationspunkt der Schmeichelei."


Litt Hochzeitsjchwank Friedrichs des Großen

öffnen Würde, wenn der Neffe seine Wünsche erfülle und sich entschließe, sich
zu verheiraten. Er verläßt ihn mit Bcirdus, um die Gräfin und ihre Tochter
zur gemeinsamen Mahlzeit einzuladen. Er soll Adelaide sehen und dann selbst
urteilen.

Unschlüssig bleibt der Marquis zurück. Wieder und wieder wägt er beide
Moden gegeneinander ab. Da kommt ihm ein erlösender Gedanke. Wie, wenn
er beide Moden vereinigte, wenn er zugleich Adelaide zur Frau und Julie zur
Geliebten nähme? Die Idee begeistert ihn: Galanterie — Treue — Liebe —
Frau — Maitresse. Welche Verbindung! Darin liegt Kontrast, keine Spur von
Schwerfälligkeit, und ein wahrhaft philosophischer Sinn, der alles kosten, alles
genießen will und sich nicht auf einen einzigen Gegenstand kapriziert. Das ist
ohne Zweifel im höchsten Grade modern.

Der Anblick Adelaidens stimmt ihn freilich zuerst wieder etwas herab.
Er findet sie zwar sehr hübsch, aber keine Spur von Schminke, kein Schön-
pflästerchen; und wie ist sie angezogen, wie ist sie frisiert! klagt er. Wenn du
vor allem darauf Wert legst, meint der Freund, mußt du einen Puppenstock
heiraten. Ich rate dir, sie zu nehmen, ehe der Hof sie dir wegschnappt. So
entschließt sich denn der Marquis, seine Bewerbung vorzubringen, aber nur unter
einer Bedingung. Seine zukünftige Frau soll sich ausdrücklich verpflichten, sich
in allen Stücken streng nach der Mode zu richten.

Die Mutter macht einige Andeutungen von sehr vornehmen Personen, die
sich schon um Adelaideus Hand beworben hätten, ist aber offenbar sehr froh,
den Neffen des reichen Bardus zum Schwiegersohn zu bekommen.

Die wohlerzogne Tochter fügt sich willig dem Befehl der Mutter. Auf
die Forderung des Bräutigams, ihm Treue und Gehorsam gegen die Mode zu
geloben und ihm zu versprechen, jede Neuheit unbedingt nachzuahmen, erwidert
sie: „Ich werde alles tun, was in meinen Kräften steht, um Ihnen zu gefallen."

Wenn das, was du da verlangst, dir nur nicht einmal sehr leid tut, meint
der Freund lachend: die Moden in Paris sind nicht sehr vorteilhaft für Ehe-
männer. Sieh dich vor, sieh dich vor! Mit dieser Perspektive schließt das
übermütige kleine Stück.

Wer ist nicht bei der Analyse des Schwanks an den LourgWis 6<zntil-
bommo erinnert worden! Auch Monsieur Jourdain hat ja keinen andern Ge¬
danken, als jede Mode mitzumachen. Und wie der Vormittag des Marquis
zwischen Verhandlungen mit Buchhändlern und Architekten, englischer Stunde
und Fechtübungen geteilt ist, so erproben im LourZevis Kentilbomins Musik¬
meister, Tanzlehrer, Fechtmeister und ein Doktor der Philosophie nacheinander
ihre Künste an Herrn Jourdain.

Nicht weniger eng ist die Verwandtschaft mit den I'rsviöuses ricliculos.
Marquis und Vicomte begrüßen sich hier (Sz. 12) ganz ähnlich wie der Marquis
und Belair in unserm Schwank; sie überbieten sich in Komplimenten gegen¬
einander und die Damen so sehr, daß Madelou bewundernd misrnft: „Ihr
treibt Eure Artigkeit bis auf den äußersten Kulminationspunkt der Schmeichelei."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/44>, abgerufen am 12.12.2024.