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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Lin Hochzeitsschwank Friedrichs des Großen

Aber wie sehr sticht doch von dem konventionellen Ton, der in jenen beiden
Poemen herrscht, der Geist übermütiger Laune ab, der den Hochzeitsschwank für
Cäsarion durchweht. Nicht mit Unrecht schrieb Friedrich an Voltaire, dem er
das kleine Stück nicht vorenthielt, es sei der Extrakt aller Torheiten, die er
nur irgend habe zusammenstoppeln und zusammenflicken können.

Der Ort der Handlung ist Paris.

Die erste Szene führt uns geschickt in die Situation ein. Bardus, ein
alter berufsmäßiger Mucker, wie das Personenverzeichnis ihn nennt (seine Name
bedeutet soviel wie stuxiäus), klagt dem Vicomte Verville, einem Freunde seines
Neffen, die Sorgen, die ihm dieser mache. Wie habe er sich bemüht, ihn von
den Verirrungen zurückzuhalten, zu denen ihn sein Temperament und sein welt¬
liches Leben verlockten, aber er habe nur Zeit und Mühe verschwendet, "seine
Stunde ist noch nicht gekommen", seufzt er salbungsvoll. Verville meint,
Bardus habe es vielleicht nicht geschickt genug angefangen. Er hätte nicht so
offen gegen seine Vorurteile zu Felde ziehn sollen; statt ihn zu überzeugen
habe er ihn nur gegen sich aufgebracht. Bardus erwidert, daß er nur die
Pflichten erfüllt habe, die ihm durch die Rücksicht auf das Seelenheil und den
guten Ruf des einzigen Verwandten, den er noch habe (denn seine eignen Kinder
habe er früh verloren), diktiert worden seien. Sein Neffe habe ihm aber auf
die ernsten Vorhaltungen geantwortet: "Das mag alles zu der Zeit, als Sie
jung waren, gut und schön gewesen, aber heut ist es nicht mehr Mode, und
ich will vor allem modern sein." Er laufe lieber ins Theater und auf alle
Bälle, anstatt sich des Umgangs mit den geistlichen Freunden des Onkels zu
erfreuen. "Das können Sie ihm eigentlich nicht übelnehmen, meint Verville,
denn Ihr Freund, der AM Grand, sieht so unsauber aus, und German und
Atair, Ihre beiden andern Freunde, sind so von sich eingenommen, daß es eine
wahre Überwindung kostet, ihren weisen Lehren zu lauschen." Bardus gibt zu,
daß die äußere Erscheinung seiner beiden Freunde nicht eben imponierend sei.
Aber innerlich seien sie von solcher Heiligkeit, daß er fest überzeugt sei, sie
würden in hundert Jahren Wunder tun. Das einzige Mittel, das Bardus
jetzt noch kennt, seinen Neffen seinem zügellosen Leben zu entzieh", ist, ihn so
schnell wie möglich zu verheiraten. Er hat schon eine Wahl getroffen: Adelmde,
die Tochter der Gräfin Fervisane, die in dem Geruch größter Frömmigkeit
steht. Die Mutter habe ihr Grundsätze eingeflößt, die sie befähigen würden,
seinen Neffen wieder auf den rechten Weg zu bringen. Sie kommt eben aus
dem Kloster und ist die Einfachheit selbst. Noch nie hat sie ihr Gesicht mit
Schminke verunreinigt und noch keinen Pfennig für das Brimborium aus¬
gegeben, das zum Putz einer modernen Frau gehört. "Kurz, sie ist die
Jugend in eigner Person." Verville spricht Gedanken aus, die Friedrich oft
geäußert hat, wenn er erwidert: Sie haben Ihre Wahl getroffen, ohne ihn
selbst zu befragen? Er ist aber doch bereit, Bardus bei der Ausführung seines
Plans beizustehn.


Lin Hochzeitsschwank Friedrichs des Großen

Aber wie sehr sticht doch von dem konventionellen Ton, der in jenen beiden
Poemen herrscht, der Geist übermütiger Laune ab, der den Hochzeitsschwank für
Cäsarion durchweht. Nicht mit Unrecht schrieb Friedrich an Voltaire, dem er
das kleine Stück nicht vorenthielt, es sei der Extrakt aller Torheiten, die er
nur irgend habe zusammenstoppeln und zusammenflicken können.

Der Ort der Handlung ist Paris.

Die erste Szene führt uns geschickt in die Situation ein. Bardus, ein
alter berufsmäßiger Mucker, wie das Personenverzeichnis ihn nennt (seine Name
bedeutet soviel wie stuxiäus), klagt dem Vicomte Verville, einem Freunde seines
Neffen, die Sorgen, die ihm dieser mache. Wie habe er sich bemüht, ihn von
den Verirrungen zurückzuhalten, zu denen ihn sein Temperament und sein welt¬
liches Leben verlockten, aber er habe nur Zeit und Mühe verschwendet, „seine
Stunde ist noch nicht gekommen", seufzt er salbungsvoll. Verville meint,
Bardus habe es vielleicht nicht geschickt genug angefangen. Er hätte nicht so
offen gegen seine Vorurteile zu Felde ziehn sollen; statt ihn zu überzeugen
habe er ihn nur gegen sich aufgebracht. Bardus erwidert, daß er nur die
Pflichten erfüllt habe, die ihm durch die Rücksicht auf das Seelenheil und den
guten Ruf des einzigen Verwandten, den er noch habe (denn seine eignen Kinder
habe er früh verloren), diktiert worden seien. Sein Neffe habe ihm aber auf
die ernsten Vorhaltungen geantwortet: „Das mag alles zu der Zeit, als Sie
jung waren, gut und schön gewesen, aber heut ist es nicht mehr Mode, und
ich will vor allem modern sein." Er laufe lieber ins Theater und auf alle
Bälle, anstatt sich des Umgangs mit den geistlichen Freunden des Onkels zu
erfreuen. „Das können Sie ihm eigentlich nicht übelnehmen, meint Verville,
denn Ihr Freund, der AM Grand, sieht so unsauber aus, und German und
Atair, Ihre beiden andern Freunde, sind so von sich eingenommen, daß es eine
wahre Überwindung kostet, ihren weisen Lehren zu lauschen." Bardus gibt zu,
daß die äußere Erscheinung seiner beiden Freunde nicht eben imponierend sei.
Aber innerlich seien sie von solcher Heiligkeit, daß er fest überzeugt sei, sie
würden in hundert Jahren Wunder tun. Das einzige Mittel, das Bardus
jetzt noch kennt, seinen Neffen seinem zügellosen Leben zu entzieh», ist, ihn so
schnell wie möglich zu verheiraten. Er hat schon eine Wahl getroffen: Adelmde,
die Tochter der Gräfin Fervisane, die in dem Geruch größter Frömmigkeit
steht. Die Mutter habe ihr Grundsätze eingeflößt, die sie befähigen würden,
seinen Neffen wieder auf den rechten Weg zu bringen. Sie kommt eben aus
dem Kloster und ist die Einfachheit selbst. Noch nie hat sie ihr Gesicht mit
Schminke verunreinigt und noch keinen Pfennig für das Brimborium aus¬
gegeben, das zum Putz einer modernen Frau gehört. „Kurz, sie ist die
Jugend in eigner Person." Verville spricht Gedanken aus, die Friedrich oft
geäußert hat, wenn er erwidert: Sie haben Ihre Wahl getroffen, ohne ihn
selbst zu befragen? Er ist aber doch bereit, Bardus bei der Ausführung seines
Plans beizustehn.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/39>, abgerufen am 23.07.2024.