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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Wie entstand die letzte Wirtschaftskrise in den Vereinigten Staaten?

erwerbenden Anlage, sondern eine oft äußerst optimistische Abschätzung ihrer
Ertragsfähigkeit wurde dann der Bemessung des Grundkapitals zugrunde ge¬
legt. Einzig da stehn die Riesenschöpfungen des Jahres 1901, Schiffahrts¬
trust und Stahltrust, Ergebnisse einer immer weiter um sich greifenden Betriebs-
zusammenfassuug. Betriebskapital war gewöhnlich knapp, zumal da in den ersten
Jahren, wo man zur Anlockung des Publikums auf hohe Dividenden hin¬
arbeiten mußte, wenig flüssige Mittel herausgewirtschaftet werden konnten;
Neuaufnahmen von Kapital waren die notwendige Folge.

Charakteristisch hebt sich dieser Konzentrationsprozcß in der Entwicklung
des amerikanischen Eisenbahnwesens ab. Das Bestreben der großen kon¬
kurrierenden Gesellschaften ging dahin, die eignen Linien in möglichste Nähe
der großen Verkehrs- und Handelsplätze zu führen und zwang so entweder
zum umfassenden Ausbau der Strecken oder zum Ankauf anschließender, die
gewünschte Verbindung herstellender Netze. In den Jahren 1905 bis 1907
wurden nicht weniger als 12196 Meilen neue Linien gebaut, das Betriebs¬
material erfuhr eine entsprechende Vermehrung, die Betriebskosten wuchsen ins
Riesenhafte; insgesamt beläuft sich die Kapitalvermehrung der gesamten Gesell¬
schaften in den letzten zwei Jahren vor der Krisis auf 2 Milliarden Dollars.
Und man vergesse nicht, daß von einem großen Teil dieser dem Kapital¬
markt entzognen Summen Erträgnisse erst in fernliegender Zeit zu erwarten
waren und sind. Jedenfalls aber rechnete man damals auf diese Erträge,
wie denn überhaupt dem Amerikaner Bedenken für die Gesundheit, Zweifel
an dem Erfolg dieser Entwicklung vorerst nicht kamen, und so erschien jene
an vermutlich aufsteigende Konjunktur fast immer anknüpfende Richtung der
Kapitalsentstehung ebenfalls: die Bodenspekulation. Teils befaßte sie sich mit
den für spätere Bebauung günstig erscheinenden mächtigen Terrains um die
Großstädte herum, erhöhte hier die Bautätigkeit, trieb die Boden- und Miet¬
preise in die Höhe, machte sich aber auch in den rein landwirtschaftlichen
Gegenden des Westens bemerkbar und legte alles in allem große Kapitalien
fest. Als drittes gesellt sich dann noch dazu die Börsenspekulation in Wert-
Papieren; überschritt sie auch im allgemeinen das sonst in Amerika übliche
Maß nur wenig, so wirkte sie in diesem Falle doch ungünstig, weil sie den
Kapitalmangel noch fühlbarer gestaltete. Zudem erreichte sie auch in einigen
Werten einen Umfang, wie man ihn sonst kaum kannte; beispielsweise konnten
so achtzehn neue Bergwerksunternehmungen an einem Tage ihre Anteilscheine
in den Handel einführen.

Viel Geld wurde verdient, oft mühelos, viel aber auch ausgegeben. Man
macht die Beobachtung, daß die starken Lohnsteigerungen der arbeitenden
Klassen weniger zu einer Erhöhung der Sparrücklagen als vielmehr zu einer
verhältnismäßigen Verbesserung der Lebenshaltung führten, daß ein ungesunder
Hang zum Wohlleben alle Kreise der Bevölkerung ergriff. Die Ausgaben für
Luxus und Vergnügen wuchsen, man wundert sich kaum noch, wenn man von


Grenzboten I 1909 37
Wie entstand die letzte Wirtschaftskrise in den Vereinigten Staaten?

erwerbenden Anlage, sondern eine oft äußerst optimistische Abschätzung ihrer
Ertragsfähigkeit wurde dann der Bemessung des Grundkapitals zugrunde ge¬
legt. Einzig da stehn die Riesenschöpfungen des Jahres 1901, Schiffahrts¬
trust und Stahltrust, Ergebnisse einer immer weiter um sich greifenden Betriebs-
zusammenfassuug. Betriebskapital war gewöhnlich knapp, zumal da in den ersten
Jahren, wo man zur Anlockung des Publikums auf hohe Dividenden hin¬
arbeiten mußte, wenig flüssige Mittel herausgewirtschaftet werden konnten;
Neuaufnahmen von Kapital waren die notwendige Folge.

Charakteristisch hebt sich dieser Konzentrationsprozcß in der Entwicklung
des amerikanischen Eisenbahnwesens ab. Das Bestreben der großen kon¬
kurrierenden Gesellschaften ging dahin, die eignen Linien in möglichste Nähe
der großen Verkehrs- und Handelsplätze zu führen und zwang so entweder
zum umfassenden Ausbau der Strecken oder zum Ankauf anschließender, die
gewünschte Verbindung herstellender Netze. In den Jahren 1905 bis 1907
wurden nicht weniger als 12196 Meilen neue Linien gebaut, das Betriebs¬
material erfuhr eine entsprechende Vermehrung, die Betriebskosten wuchsen ins
Riesenhafte; insgesamt beläuft sich die Kapitalvermehrung der gesamten Gesell¬
schaften in den letzten zwei Jahren vor der Krisis auf 2 Milliarden Dollars.
Und man vergesse nicht, daß von einem großen Teil dieser dem Kapital¬
markt entzognen Summen Erträgnisse erst in fernliegender Zeit zu erwarten
waren und sind. Jedenfalls aber rechnete man damals auf diese Erträge,
wie denn überhaupt dem Amerikaner Bedenken für die Gesundheit, Zweifel
an dem Erfolg dieser Entwicklung vorerst nicht kamen, und so erschien jene
an vermutlich aufsteigende Konjunktur fast immer anknüpfende Richtung der
Kapitalsentstehung ebenfalls: die Bodenspekulation. Teils befaßte sie sich mit
den für spätere Bebauung günstig erscheinenden mächtigen Terrains um die
Großstädte herum, erhöhte hier die Bautätigkeit, trieb die Boden- und Miet¬
preise in die Höhe, machte sich aber auch in den rein landwirtschaftlichen
Gegenden des Westens bemerkbar und legte alles in allem große Kapitalien
fest. Als drittes gesellt sich dann noch dazu die Börsenspekulation in Wert-
Papieren; überschritt sie auch im allgemeinen das sonst in Amerika übliche
Maß nur wenig, so wirkte sie in diesem Falle doch ungünstig, weil sie den
Kapitalmangel noch fühlbarer gestaltete. Zudem erreichte sie auch in einigen
Werten einen Umfang, wie man ihn sonst kaum kannte; beispielsweise konnten
so achtzehn neue Bergwerksunternehmungen an einem Tage ihre Anteilscheine
in den Handel einführen.

Viel Geld wurde verdient, oft mühelos, viel aber auch ausgegeben. Man
macht die Beobachtung, daß die starken Lohnsteigerungen der arbeitenden
Klassen weniger zu einer Erhöhung der Sparrücklagen als vielmehr zu einer
verhältnismäßigen Verbesserung der Lebenshaltung führten, daß ein ungesunder
Hang zum Wohlleben alle Kreise der Bevölkerung ergriff. Die Ausgaben für
Luxus und Vergnügen wuchsen, man wundert sich kaum noch, wenn man von


Grenzboten I 1909 37
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[0289] Wie entstand die letzte Wirtschaftskrise in den Vereinigten Staaten? erwerbenden Anlage, sondern eine oft äußerst optimistische Abschätzung ihrer Ertragsfähigkeit wurde dann der Bemessung des Grundkapitals zugrunde ge¬ legt. Einzig da stehn die Riesenschöpfungen des Jahres 1901, Schiffahrts¬ trust und Stahltrust, Ergebnisse einer immer weiter um sich greifenden Betriebs- zusammenfassuug. Betriebskapital war gewöhnlich knapp, zumal da in den ersten Jahren, wo man zur Anlockung des Publikums auf hohe Dividenden hin¬ arbeiten mußte, wenig flüssige Mittel herausgewirtschaftet werden konnten; Neuaufnahmen von Kapital waren die notwendige Folge. Charakteristisch hebt sich dieser Konzentrationsprozcß in der Entwicklung des amerikanischen Eisenbahnwesens ab. Das Bestreben der großen kon¬ kurrierenden Gesellschaften ging dahin, die eignen Linien in möglichste Nähe der großen Verkehrs- und Handelsplätze zu führen und zwang so entweder zum umfassenden Ausbau der Strecken oder zum Ankauf anschließender, die gewünschte Verbindung herstellender Netze. In den Jahren 1905 bis 1907 wurden nicht weniger als 12196 Meilen neue Linien gebaut, das Betriebs¬ material erfuhr eine entsprechende Vermehrung, die Betriebskosten wuchsen ins Riesenhafte; insgesamt beläuft sich die Kapitalvermehrung der gesamten Gesell¬ schaften in den letzten zwei Jahren vor der Krisis auf 2 Milliarden Dollars. Und man vergesse nicht, daß von einem großen Teil dieser dem Kapital¬ markt entzognen Summen Erträgnisse erst in fernliegender Zeit zu erwarten waren und sind. Jedenfalls aber rechnete man damals auf diese Erträge, wie denn überhaupt dem Amerikaner Bedenken für die Gesundheit, Zweifel an dem Erfolg dieser Entwicklung vorerst nicht kamen, und so erschien jene an vermutlich aufsteigende Konjunktur fast immer anknüpfende Richtung der Kapitalsentstehung ebenfalls: die Bodenspekulation. Teils befaßte sie sich mit den für spätere Bebauung günstig erscheinenden mächtigen Terrains um die Großstädte herum, erhöhte hier die Bautätigkeit, trieb die Boden- und Miet¬ preise in die Höhe, machte sich aber auch in den rein landwirtschaftlichen Gegenden des Westens bemerkbar und legte alles in allem große Kapitalien fest. Als drittes gesellt sich dann noch dazu die Börsenspekulation in Wert- Papieren; überschritt sie auch im allgemeinen das sonst in Amerika übliche Maß nur wenig, so wirkte sie in diesem Falle doch ungünstig, weil sie den Kapitalmangel noch fühlbarer gestaltete. Zudem erreichte sie auch in einigen Werten einen Umfang, wie man ihn sonst kaum kannte; beispielsweise konnten so achtzehn neue Bergwerksunternehmungen an einem Tage ihre Anteilscheine in den Handel einführen. Viel Geld wurde verdient, oft mühelos, viel aber auch ausgegeben. Man macht die Beobachtung, daß die starken Lohnsteigerungen der arbeitenden Klassen weniger zu einer Erhöhung der Sparrücklagen als vielmehr zu einer verhältnismäßigen Verbesserung der Lebenshaltung führten, daß ein ungesunder Hang zum Wohlleben alle Kreise der Bevölkerung ergriff. Die Ausgaben für Luxus und Vergnügen wuchsen, man wundert sich kaum noch, wenn man von Grenzboten I 1909 37

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/289>, abgerufen am 23.07.2024.