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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Wie entstand die letzte Wirtschaftskrise in den vereinigten Staaten?

400 Millionen Dollar hört, die in den letzten zwei Jahren allein für Auto¬
mobile ausgegeben worden sein sollen. Hier lag eine direkte Kapitalverzehrung
vor, hier kann man wohl auch von einer unmittelbaren Schuld der Nation
reden, während Gründungs- und Speknlationsleichtsinn doch noch im Naturell
des Amerikaners seine entschuldigende Erklärung findet.

Unabhängig nun von amerikanischen Eigenheiten kommt noch eins als
Ursache der Krisis in Betracht: der Einfluß der europäischen Geld- und Kredit-
Verhältnisse. Amerika ist auf europäisches Geld angewiesen; mit dem Auf¬
schwung in den Vereinigten Staaten nun fiel zeitweilig ein starker geschäftlicher
Niedergang in England und Deutschland zusammen, und ganz von selbst stellte
sich das hier vielfach müßige Kapital dem starken Bedarf drüben zur Ver¬
fügung. Eine Rückwirkung machte sich aber sofort bemerkbar, als nun auch in
Europa unter dem Einfluß der aufsteigenden Konjunktur erhöhte Ansprüche an
den Kapitalmarkt gestellt und die Kapitalien ans den Vereinigten Staaten
zurückgezogen wurden. Ein Ersatz fand sich um so schwerer, als die Katastrophe
von Se. Franzisko gewaltige Werte vernichtet hatte, als die politische Weltlage
zugleich den Kapitalbedarf aufs höchste anspannte; man schätzt die Summen,
die der südafrikanische und der russisch-japanische Krieg verschlungen haben, auf
21/4 Milliarden Dollar.

Bei der sich nun nachdrücklich geltend machenden Kapitalnot gelang es
nicht mehr, Anleihen zu den bisherigen Bedingungen unterzubringen, die in¬
dustriellen Werke und namentlich die Eisenbahnen sahen sich wegen Herbei¬
schaffung dringend benötigter Mittel zur Ausgabe kurzfristiger, hochverzins¬
licher Noten gezwungen. Die Hoffnung, bald wieder billiges Geld zu bekommen,
herrschte eben noch immer vor, mit den zu zahlenden Zinsen rechnete man nur
für ganz kurze Zeit, unternahm es sogar noch, durch unmotivierte Erhöhung
der Dividenden eine künstlich in Szene gesetzte Haussebewegung zu unterstützen.
Die Möglichkeit hierzu boten, und da läßt sich ein Mitverschulden nicht aus
der Welt schaffen, die Banken. Indem sie, durch die hohen Ertrügnisse der
kurzfristigen Noten verlockt, der Industrie und den Eisenbahnen in dieser Zeit
ihre Kapitalien zur Verfügung stellten, handelten sie direkt leichtsinnig. Das
Unzeitgemäße dieser Überschwemmung des Marktes mit neuen Werten mußten
sie bemerken, durften sie keinesfalls unterstützen, wenn auch die allgemeine
wirtschaftliche Lage noch günstig war. Sie durften es um so weniger, als
ihnen diese Unterstützung nur mit starker Inanspruchnahme europäischen Kredits
möglich war, und sie die Schwierigkeiten beim Einlösen der fülligen euro¬
päischen Verbindlichkeiten Hütten voraussehen müssen. Diese ließen nicht auf sich
warten; eine Verlängerung der europäischen Kredite war nicht zu erlangen,
große Entlastungsverkäufe in Jndustriepcipieren wurden nötig, bewirkten aber
ihrerseits wieder große Kursverluste der fraglichen Werte, und direkt kritisch
wurde die Lage, als infolge der Verschuldung an Europa Goldexporte ein¬
traten, die bald die Höhe vou dreißig Millionen Dollar erreichten.


Wie entstand die letzte Wirtschaftskrise in den vereinigten Staaten?

400 Millionen Dollar hört, die in den letzten zwei Jahren allein für Auto¬
mobile ausgegeben worden sein sollen. Hier lag eine direkte Kapitalverzehrung
vor, hier kann man wohl auch von einer unmittelbaren Schuld der Nation
reden, während Gründungs- und Speknlationsleichtsinn doch noch im Naturell
des Amerikaners seine entschuldigende Erklärung findet.

Unabhängig nun von amerikanischen Eigenheiten kommt noch eins als
Ursache der Krisis in Betracht: der Einfluß der europäischen Geld- und Kredit-
Verhältnisse. Amerika ist auf europäisches Geld angewiesen; mit dem Auf¬
schwung in den Vereinigten Staaten nun fiel zeitweilig ein starker geschäftlicher
Niedergang in England und Deutschland zusammen, und ganz von selbst stellte
sich das hier vielfach müßige Kapital dem starken Bedarf drüben zur Ver¬
fügung. Eine Rückwirkung machte sich aber sofort bemerkbar, als nun auch in
Europa unter dem Einfluß der aufsteigenden Konjunktur erhöhte Ansprüche an
den Kapitalmarkt gestellt und die Kapitalien ans den Vereinigten Staaten
zurückgezogen wurden. Ein Ersatz fand sich um so schwerer, als die Katastrophe
von Se. Franzisko gewaltige Werte vernichtet hatte, als die politische Weltlage
zugleich den Kapitalbedarf aufs höchste anspannte; man schätzt die Summen,
die der südafrikanische und der russisch-japanische Krieg verschlungen haben, auf
21/4 Milliarden Dollar.

Bei der sich nun nachdrücklich geltend machenden Kapitalnot gelang es
nicht mehr, Anleihen zu den bisherigen Bedingungen unterzubringen, die in¬
dustriellen Werke und namentlich die Eisenbahnen sahen sich wegen Herbei¬
schaffung dringend benötigter Mittel zur Ausgabe kurzfristiger, hochverzins¬
licher Noten gezwungen. Die Hoffnung, bald wieder billiges Geld zu bekommen,
herrschte eben noch immer vor, mit den zu zahlenden Zinsen rechnete man nur
für ganz kurze Zeit, unternahm es sogar noch, durch unmotivierte Erhöhung
der Dividenden eine künstlich in Szene gesetzte Haussebewegung zu unterstützen.
Die Möglichkeit hierzu boten, und da läßt sich ein Mitverschulden nicht aus
der Welt schaffen, die Banken. Indem sie, durch die hohen Ertrügnisse der
kurzfristigen Noten verlockt, der Industrie und den Eisenbahnen in dieser Zeit
ihre Kapitalien zur Verfügung stellten, handelten sie direkt leichtsinnig. Das
Unzeitgemäße dieser Überschwemmung des Marktes mit neuen Werten mußten
sie bemerken, durften sie keinesfalls unterstützen, wenn auch die allgemeine
wirtschaftliche Lage noch günstig war. Sie durften es um so weniger, als
ihnen diese Unterstützung nur mit starker Inanspruchnahme europäischen Kredits
möglich war, und sie die Schwierigkeiten beim Einlösen der fülligen euro¬
päischen Verbindlichkeiten Hütten voraussehen müssen. Diese ließen nicht auf sich
warten; eine Verlängerung der europäischen Kredite war nicht zu erlangen,
große Entlastungsverkäufe in Jndustriepcipieren wurden nötig, bewirkten aber
ihrerseits wieder große Kursverluste der fraglichen Werte, und direkt kritisch
wurde die Lage, als infolge der Verschuldung an Europa Goldexporte ein¬
traten, die bald die Höhe vou dreißig Millionen Dollar erreichten.


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[0290] Wie entstand die letzte Wirtschaftskrise in den vereinigten Staaten? 400 Millionen Dollar hört, die in den letzten zwei Jahren allein für Auto¬ mobile ausgegeben worden sein sollen. Hier lag eine direkte Kapitalverzehrung vor, hier kann man wohl auch von einer unmittelbaren Schuld der Nation reden, während Gründungs- und Speknlationsleichtsinn doch noch im Naturell des Amerikaners seine entschuldigende Erklärung findet. Unabhängig nun von amerikanischen Eigenheiten kommt noch eins als Ursache der Krisis in Betracht: der Einfluß der europäischen Geld- und Kredit- Verhältnisse. Amerika ist auf europäisches Geld angewiesen; mit dem Auf¬ schwung in den Vereinigten Staaten nun fiel zeitweilig ein starker geschäftlicher Niedergang in England und Deutschland zusammen, und ganz von selbst stellte sich das hier vielfach müßige Kapital dem starken Bedarf drüben zur Ver¬ fügung. Eine Rückwirkung machte sich aber sofort bemerkbar, als nun auch in Europa unter dem Einfluß der aufsteigenden Konjunktur erhöhte Ansprüche an den Kapitalmarkt gestellt und die Kapitalien ans den Vereinigten Staaten zurückgezogen wurden. Ein Ersatz fand sich um so schwerer, als die Katastrophe von Se. Franzisko gewaltige Werte vernichtet hatte, als die politische Weltlage zugleich den Kapitalbedarf aufs höchste anspannte; man schätzt die Summen, die der südafrikanische und der russisch-japanische Krieg verschlungen haben, auf 21/4 Milliarden Dollar. Bei der sich nun nachdrücklich geltend machenden Kapitalnot gelang es nicht mehr, Anleihen zu den bisherigen Bedingungen unterzubringen, die in¬ dustriellen Werke und namentlich die Eisenbahnen sahen sich wegen Herbei¬ schaffung dringend benötigter Mittel zur Ausgabe kurzfristiger, hochverzins¬ licher Noten gezwungen. Die Hoffnung, bald wieder billiges Geld zu bekommen, herrschte eben noch immer vor, mit den zu zahlenden Zinsen rechnete man nur für ganz kurze Zeit, unternahm es sogar noch, durch unmotivierte Erhöhung der Dividenden eine künstlich in Szene gesetzte Haussebewegung zu unterstützen. Die Möglichkeit hierzu boten, und da läßt sich ein Mitverschulden nicht aus der Welt schaffen, die Banken. Indem sie, durch die hohen Ertrügnisse der kurzfristigen Noten verlockt, der Industrie und den Eisenbahnen in dieser Zeit ihre Kapitalien zur Verfügung stellten, handelten sie direkt leichtsinnig. Das Unzeitgemäße dieser Überschwemmung des Marktes mit neuen Werten mußten sie bemerken, durften sie keinesfalls unterstützen, wenn auch die allgemeine wirtschaftliche Lage noch günstig war. Sie durften es um so weniger, als ihnen diese Unterstützung nur mit starker Inanspruchnahme europäischen Kredits möglich war, und sie die Schwierigkeiten beim Einlösen der fülligen euro¬ päischen Verbindlichkeiten Hütten voraussehen müssen. Diese ließen nicht auf sich warten; eine Verlängerung der europäischen Kredite war nicht zu erlangen, große Entlastungsverkäufe in Jndustriepcipieren wurden nötig, bewirkten aber ihrerseits wieder große Kursverluste der fraglichen Werte, und direkt kritisch wurde die Lage, als infolge der Verschuldung an Europa Goldexporte ein¬ traten, die bald die Höhe vou dreißig Millionen Dollar erreichten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/290>, abgerufen am 23.07.2024.