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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Die mittelalterliche Kirchenbaukunst in der Terra ti Bari

gerufen, die zwar nicht zu Staunen und Bewunderung fortreißen, wie jene
gleichzeitigen, auf feinsten, sinnlichen Lebensgenuß berechneten Lustschlösser der
Normannenherrscher oder die von Gold und Mosaik strotzenden sizilianischen
Dome von Cefalü, Monreale oder die Capella Palatina in Palermo, die aber
durch den schlichten Ernst und den hohen, konstruktiven Gedanken, dem sich
alles Dekorative als Beiwerk unterordnet, eine tiefe, nachhaltige Wirkung auf
unser Gemüt ausüben. Zu besonders großartigen Schöpfungen hat man sich
damals in der Terra ti Bari, jenem Landstrich zwischen Barletta und Bari
erhoben, der an sich durch die Fülle blühender Städte, den fruchtstrotzenden
Boden, mehr aber noch durch das kirchliche Übergewicht seines Erzbischofs
über die andern Diözesen, den natürlichen Mittelpunkt von ganz Apulien bildet.
So mußte es kommen, daß die dortigen Kirchenbauten den aus den hetero¬
gensten Elementen gemischten apulischen Stil jener Tage am reinsten wieder¬
geben und so als dessen ureigenste Vertreter zu gelten haben.

Früher als irgendwo anders wurde ja auch zu Bari, kurz nach der Ver¬
treibung des oströmischen Statthalters im Jahre 1043, mit dem Neu- und
Umbau der aus byzantinischer Zeit stammenden Kirchen begonnen. Leider ist
davon nichts bis auf unsre Tage gekommen; vermutlich aber hat man dabei
schon den römischen Basilikenstil in Anwendung gebracht, den die an Stelle
der griechischen Mönche Fuß fassenden Benediktiner in Apulien eingeführt
haben mochten. So erklärt es sich wenigstens am einfachsten, daß wir keinen
Kirchenbau griechischen Stils in der Terra ti Bari mehr vorfinden. Denn
der etwa aus dem Jahre 1101 stammende Dom von Canosa, der in seinem
durch fünf Kuppeln gedeckten Innern noch die meiste Anlehnung an griechische
Vorbilder verrät, weiß dieses schon in höchst origineller Weise mit der la¬
teinischen Langhausanlage zu verbinden. Noch weniger gehört der etwa ein
Jahrhundert später aufgeführte Dom von Molfetta und die von ihm abhängigen
Kirchen in der dortigen Umgebung mit ihrem durch drei Kuppeln gedeckten
Mittelschiff der byzantinischen Bauweise an. Schon Quast hat auf die Ähn¬
lichkeit dieser Anlage mit aquitanischen Kirchen hingewiesen. Und in der Tat
hat ja auch der französische Orden der Kluniazenser gleich dem der Zisterzienser
in gotischer Zeit ans die gesamte Kunst des Abendlands und so auch auf
Apulien einen tiefgreifenden Einfluß ausgeübt. Aber darum den apulischen
Baustil überhaupt auf französische Vorbilder zurückzuführen, wie es neuerdings
meist geschieht, geht doch nicht an. Denn wahrscheinlich haben schon die früh¬
christlichen Metropolen des Orients, die ja bereits im sechsten Jahrhundert die
wesentlichen Bestandteile des romanischen Stils, ja sogar das Motiv des
Chorumgangs mit daran sich schließendem Kapellenkranz kennen, durch ihre
Mönche nachhaltigen Einfluß ausgeübt. Allerdings kann bei dem Mangel an
größern Baudenkmälern in Apulien aus dem ersten Jahrtausend und bei der
oft überraschenden Übereinstimmung der französischen Kirchen mit jenen früh¬
christlichen in Kleinasien und Syrien nicht mehr entschieden werden, welche


Die mittelalterliche Kirchenbaukunst in der Terra ti Bari

gerufen, die zwar nicht zu Staunen und Bewunderung fortreißen, wie jene
gleichzeitigen, auf feinsten, sinnlichen Lebensgenuß berechneten Lustschlösser der
Normannenherrscher oder die von Gold und Mosaik strotzenden sizilianischen
Dome von Cefalü, Monreale oder die Capella Palatina in Palermo, die aber
durch den schlichten Ernst und den hohen, konstruktiven Gedanken, dem sich
alles Dekorative als Beiwerk unterordnet, eine tiefe, nachhaltige Wirkung auf
unser Gemüt ausüben. Zu besonders großartigen Schöpfungen hat man sich
damals in der Terra ti Bari, jenem Landstrich zwischen Barletta und Bari
erhoben, der an sich durch die Fülle blühender Städte, den fruchtstrotzenden
Boden, mehr aber noch durch das kirchliche Übergewicht seines Erzbischofs
über die andern Diözesen, den natürlichen Mittelpunkt von ganz Apulien bildet.
So mußte es kommen, daß die dortigen Kirchenbauten den aus den hetero¬
gensten Elementen gemischten apulischen Stil jener Tage am reinsten wieder¬
geben und so als dessen ureigenste Vertreter zu gelten haben.

Früher als irgendwo anders wurde ja auch zu Bari, kurz nach der Ver¬
treibung des oströmischen Statthalters im Jahre 1043, mit dem Neu- und
Umbau der aus byzantinischer Zeit stammenden Kirchen begonnen. Leider ist
davon nichts bis auf unsre Tage gekommen; vermutlich aber hat man dabei
schon den römischen Basilikenstil in Anwendung gebracht, den die an Stelle
der griechischen Mönche Fuß fassenden Benediktiner in Apulien eingeführt
haben mochten. So erklärt es sich wenigstens am einfachsten, daß wir keinen
Kirchenbau griechischen Stils in der Terra ti Bari mehr vorfinden. Denn
der etwa aus dem Jahre 1101 stammende Dom von Canosa, der in seinem
durch fünf Kuppeln gedeckten Innern noch die meiste Anlehnung an griechische
Vorbilder verrät, weiß dieses schon in höchst origineller Weise mit der la¬
teinischen Langhausanlage zu verbinden. Noch weniger gehört der etwa ein
Jahrhundert später aufgeführte Dom von Molfetta und die von ihm abhängigen
Kirchen in der dortigen Umgebung mit ihrem durch drei Kuppeln gedeckten
Mittelschiff der byzantinischen Bauweise an. Schon Quast hat auf die Ähn¬
lichkeit dieser Anlage mit aquitanischen Kirchen hingewiesen. Und in der Tat
hat ja auch der französische Orden der Kluniazenser gleich dem der Zisterzienser
in gotischer Zeit ans die gesamte Kunst des Abendlands und so auch auf
Apulien einen tiefgreifenden Einfluß ausgeübt. Aber darum den apulischen
Baustil überhaupt auf französische Vorbilder zurückzuführen, wie es neuerdings
meist geschieht, geht doch nicht an. Denn wahrscheinlich haben schon die früh¬
christlichen Metropolen des Orients, die ja bereits im sechsten Jahrhundert die
wesentlichen Bestandteile des romanischen Stils, ja sogar das Motiv des
Chorumgangs mit daran sich schließendem Kapellenkranz kennen, durch ihre
Mönche nachhaltigen Einfluß ausgeübt. Allerdings kann bei dem Mangel an
größern Baudenkmälern in Apulien aus dem ersten Jahrtausend und bei der
oft überraschenden Übereinstimmung der französischen Kirchen mit jenen früh¬
christlichen in Kleinasien und Syrien nicht mehr entschieden werden, welche


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[0264] Die mittelalterliche Kirchenbaukunst in der Terra ti Bari gerufen, die zwar nicht zu Staunen und Bewunderung fortreißen, wie jene gleichzeitigen, auf feinsten, sinnlichen Lebensgenuß berechneten Lustschlösser der Normannenherrscher oder die von Gold und Mosaik strotzenden sizilianischen Dome von Cefalü, Monreale oder die Capella Palatina in Palermo, die aber durch den schlichten Ernst und den hohen, konstruktiven Gedanken, dem sich alles Dekorative als Beiwerk unterordnet, eine tiefe, nachhaltige Wirkung auf unser Gemüt ausüben. Zu besonders großartigen Schöpfungen hat man sich damals in der Terra ti Bari, jenem Landstrich zwischen Barletta und Bari erhoben, der an sich durch die Fülle blühender Städte, den fruchtstrotzenden Boden, mehr aber noch durch das kirchliche Übergewicht seines Erzbischofs über die andern Diözesen, den natürlichen Mittelpunkt von ganz Apulien bildet. So mußte es kommen, daß die dortigen Kirchenbauten den aus den hetero¬ gensten Elementen gemischten apulischen Stil jener Tage am reinsten wieder¬ geben und so als dessen ureigenste Vertreter zu gelten haben. Früher als irgendwo anders wurde ja auch zu Bari, kurz nach der Ver¬ treibung des oströmischen Statthalters im Jahre 1043, mit dem Neu- und Umbau der aus byzantinischer Zeit stammenden Kirchen begonnen. Leider ist davon nichts bis auf unsre Tage gekommen; vermutlich aber hat man dabei schon den römischen Basilikenstil in Anwendung gebracht, den die an Stelle der griechischen Mönche Fuß fassenden Benediktiner in Apulien eingeführt haben mochten. So erklärt es sich wenigstens am einfachsten, daß wir keinen Kirchenbau griechischen Stils in der Terra ti Bari mehr vorfinden. Denn der etwa aus dem Jahre 1101 stammende Dom von Canosa, der in seinem durch fünf Kuppeln gedeckten Innern noch die meiste Anlehnung an griechische Vorbilder verrät, weiß dieses schon in höchst origineller Weise mit der la¬ teinischen Langhausanlage zu verbinden. Noch weniger gehört der etwa ein Jahrhundert später aufgeführte Dom von Molfetta und die von ihm abhängigen Kirchen in der dortigen Umgebung mit ihrem durch drei Kuppeln gedeckten Mittelschiff der byzantinischen Bauweise an. Schon Quast hat auf die Ähn¬ lichkeit dieser Anlage mit aquitanischen Kirchen hingewiesen. Und in der Tat hat ja auch der französische Orden der Kluniazenser gleich dem der Zisterzienser in gotischer Zeit ans die gesamte Kunst des Abendlands und so auch auf Apulien einen tiefgreifenden Einfluß ausgeübt. Aber darum den apulischen Baustil überhaupt auf französische Vorbilder zurückzuführen, wie es neuerdings meist geschieht, geht doch nicht an. Denn wahrscheinlich haben schon die früh¬ christlichen Metropolen des Orients, die ja bereits im sechsten Jahrhundert die wesentlichen Bestandteile des romanischen Stils, ja sogar das Motiv des Chorumgangs mit daran sich schließendem Kapellenkranz kennen, durch ihre Mönche nachhaltigen Einfluß ausgeübt. Allerdings kann bei dem Mangel an größern Baudenkmälern in Apulien aus dem ersten Jahrtausend und bei der oft überraschenden Übereinstimmung der französischen Kirchen mit jenen früh¬ christlichen in Kleinasien und Syrien nicht mehr entschieden werden, welche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/264>, abgerufen am 23.07.2024.