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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Deutsch-slawische Beziehungen

slawisch-romanischen Verbrüderung gestellt. Die slawischen Brüder wurden
aufgefordert, sich gegen die angebliche deutsche Gefahr, gegen den deutschen
Drang nach Osten zusammenzuschließen, wo es sich doch nur darum handelte,
die Grundlagen der Habsburgischen Monarchie zugunsten einer inferioren
Minorität zu ändern.

Fanden die Tschechen, besonders seit Dr. Kramarz an der Spitze der Be¬
wegung steht, bei den russischen Panslawisten leicht Gehör und Gegenliebe, so
mußten sie bei den Polen lange wirken, ehe es gelang, dort in den politisch
maßgebenden Kreisen Unterstützung zu finden.

In Galizien hatten sich nämlich die Magnaten und Klerikalen sofort nach
dein Mißlingen des Aufstandes von 1863 zusammengeschlossen, um erstens den
Aufstand, an dem sie übrigens teilgenommen hatten, zu diskreditieren und um
sich gegen die Ansprüche der Lemberger Demokratie besser verteidigen zu können.*)
Schon im Jahre 1866 gelang es diesen Konservativen, eine Mehrheit im
Landtage zusammenzubringen, die eine Loyalitätsadresse an den Kaiser richtete.
Der Kaiser Franz Joseph hat den Versprechungen der polnischen Magnaten im
Hinblick auf deren klerikale Verbindungen in Wien Glauben schenken dürfen
und ihnen im Jahre 1868 sozusagen die Herrschaft in Galizien abgetreten.
Einer der ersten Schritte der neuen Regierung war die Aufhebung der deutschen
Universität in Krakau und deren Ersatz durch eine polnische. Im Jahre 1872
entstand die polnische Akademie der Wissenschaften in Krakau, die noch gegen¬
wärtig ohne große Übertreibung als das polnische Ministerium für auswärtige
Angelegenheiten bezeichnet werden darf. Gegenwärtig ist man damit beschäftigt,
die deutsche Gendarmerie aus Galizien zu verdrängen.

Die polnischen Konservativen sind bis zur jüngsten Wahlrechtsreform mit
Österreichs Kaiser Hand in Hand gegangen und haben es verstanden, einen
Einfluß zu gewinnen, wie ihn die Polen sonst nirgends haben. Dieser Einfluß
hat das politische Ansehn der Polen bei den Kabinetten der Großmächte, das
sie nach 1863 so gut wie vollständig eingebüßt hatten, wieder mächtig gehoben,
vor allen Dingen in Frankreich und England. Diesen beiden Ländern sind die
Polen unter gewissen Voraussetzungen wertvolle Bundesgenossen. Auf der
andern Seite haben die Konservativen den Antagonismus zwischen Österreich
und Rußland geschürt, weil sie von jeher auf dem Standpunkt stehn, daß an
die Schaffung eines polnischen Staates ausschließlich mit Hilfe des slawischen
Österreich gedacht werden kann. Die Slawisierung des Reichs aber muß
der Zeit überlassen bleiben. Aus diesem Grunde haben sich die polnischen
Konservativen auch der deutsch-österreichischen Freundschaft nicht ernstlich wider¬
setzt, sondern haben ausschließlich darauf geachtet, daß sie Einfluß auf den
Staat und alle dessen innern und äußern Geschäfte gewannen.



*) Sehr empfehlenswert ist hierzu die im Jahre 189K in deutscher Sprache erschienene
Schrift des Stanczykenführers Se. von Kozmian, Das Jahr 1L63, deutsch von ol-. S. R. Landau.
Wien, bei Karl Konegen. Eingehende Würdigung im zweiten Bande der Zukunft Polens.
Deutsch-slawische Beziehungen

slawisch-romanischen Verbrüderung gestellt. Die slawischen Brüder wurden
aufgefordert, sich gegen die angebliche deutsche Gefahr, gegen den deutschen
Drang nach Osten zusammenzuschließen, wo es sich doch nur darum handelte,
die Grundlagen der Habsburgischen Monarchie zugunsten einer inferioren
Minorität zu ändern.

Fanden die Tschechen, besonders seit Dr. Kramarz an der Spitze der Be¬
wegung steht, bei den russischen Panslawisten leicht Gehör und Gegenliebe, so
mußten sie bei den Polen lange wirken, ehe es gelang, dort in den politisch
maßgebenden Kreisen Unterstützung zu finden.

In Galizien hatten sich nämlich die Magnaten und Klerikalen sofort nach
dein Mißlingen des Aufstandes von 1863 zusammengeschlossen, um erstens den
Aufstand, an dem sie übrigens teilgenommen hatten, zu diskreditieren und um
sich gegen die Ansprüche der Lemberger Demokratie besser verteidigen zu können.*)
Schon im Jahre 1866 gelang es diesen Konservativen, eine Mehrheit im
Landtage zusammenzubringen, die eine Loyalitätsadresse an den Kaiser richtete.
Der Kaiser Franz Joseph hat den Versprechungen der polnischen Magnaten im
Hinblick auf deren klerikale Verbindungen in Wien Glauben schenken dürfen
und ihnen im Jahre 1868 sozusagen die Herrschaft in Galizien abgetreten.
Einer der ersten Schritte der neuen Regierung war die Aufhebung der deutschen
Universität in Krakau und deren Ersatz durch eine polnische. Im Jahre 1872
entstand die polnische Akademie der Wissenschaften in Krakau, die noch gegen¬
wärtig ohne große Übertreibung als das polnische Ministerium für auswärtige
Angelegenheiten bezeichnet werden darf. Gegenwärtig ist man damit beschäftigt,
die deutsche Gendarmerie aus Galizien zu verdrängen.

Die polnischen Konservativen sind bis zur jüngsten Wahlrechtsreform mit
Österreichs Kaiser Hand in Hand gegangen und haben es verstanden, einen
Einfluß zu gewinnen, wie ihn die Polen sonst nirgends haben. Dieser Einfluß
hat das politische Ansehn der Polen bei den Kabinetten der Großmächte, das
sie nach 1863 so gut wie vollständig eingebüßt hatten, wieder mächtig gehoben,
vor allen Dingen in Frankreich und England. Diesen beiden Ländern sind die
Polen unter gewissen Voraussetzungen wertvolle Bundesgenossen. Auf der
andern Seite haben die Konservativen den Antagonismus zwischen Österreich
und Rußland geschürt, weil sie von jeher auf dem Standpunkt stehn, daß an
die Schaffung eines polnischen Staates ausschließlich mit Hilfe des slawischen
Österreich gedacht werden kann. Die Slawisierung des Reichs aber muß
der Zeit überlassen bleiben. Aus diesem Grunde haben sich die polnischen
Konservativen auch der deutsch-österreichischen Freundschaft nicht ernstlich wider¬
setzt, sondern haben ausschließlich darauf geachtet, daß sie Einfluß auf den
Staat und alle dessen innern und äußern Geschäfte gewannen.



*) Sehr empfehlenswert ist hierzu die im Jahre 189K in deutscher Sprache erschienene
Schrift des Stanczykenführers Se. von Kozmian, Das Jahr 1L63, deutsch von ol-. S. R. Landau.
Wien, bei Karl Konegen. Eingehende Würdigung im zweiten Bande der Zukunft Polens.
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[0021] Deutsch-slawische Beziehungen slawisch-romanischen Verbrüderung gestellt. Die slawischen Brüder wurden aufgefordert, sich gegen die angebliche deutsche Gefahr, gegen den deutschen Drang nach Osten zusammenzuschließen, wo es sich doch nur darum handelte, die Grundlagen der Habsburgischen Monarchie zugunsten einer inferioren Minorität zu ändern. Fanden die Tschechen, besonders seit Dr. Kramarz an der Spitze der Be¬ wegung steht, bei den russischen Panslawisten leicht Gehör und Gegenliebe, so mußten sie bei den Polen lange wirken, ehe es gelang, dort in den politisch maßgebenden Kreisen Unterstützung zu finden. In Galizien hatten sich nämlich die Magnaten und Klerikalen sofort nach dein Mißlingen des Aufstandes von 1863 zusammengeschlossen, um erstens den Aufstand, an dem sie übrigens teilgenommen hatten, zu diskreditieren und um sich gegen die Ansprüche der Lemberger Demokratie besser verteidigen zu können.*) Schon im Jahre 1866 gelang es diesen Konservativen, eine Mehrheit im Landtage zusammenzubringen, die eine Loyalitätsadresse an den Kaiser richtete. Der Kaiser Franz Joseph hat den Versprechungen der polnischen Magnaten im Hinblick auf deren klerikale Verbindungen in Wien Glauben schenken dürfen und ihnen im Jahre 1868 sozusagen die Herrschaft in Galizien abgetreten. Einer der ersten Schritte der neuen Regierung war die Aufhebung der deutschen Universität in Krakau und deren Ersatz durch eine polnische. Im Jahre 1872 entstand die polnische Akademie der Wissenschaften in Krakau, die noch gegen¬ wärtig ohne große Übertreibung als das polnische Ministerium für auswärtige Angelegenheiten bezeichnet werden darf. Gegenwärtig ist man damit beschäftigt, die deutsche Gendarmerie aus Galizien zu verdrängen. Die polnischen Konservativen sind bis zur jüngsten Wahlrechtsreform mit Österreichs Kaiser Hand in Hand gegangen und haben es verstanden, einen Einfluß zu gewinnen, wie ihn die Polen sonst nirgends haben. Dieser Einfluß hat das politische Ansehn der Polen bei den Kabinetten der Großmächte, das sie nach 1863 so gut wie vollständig eingebüßt hatten, wieder mächtig gehoben, vor allen Dingen in Frankreich und England. Diesen beiden Ländern sind die Polen unter gewissen Voraussetzungen wertvolle Bundesgenossen. Auf der andern Seite haben die Konservativen den Antagonismus zwischen Österreich und Rußland geschürt, weil sie von jeher auf dem Standpunkt stehn, daß an die Schaffung eines polnischen Staates ausschließlich mit Hilfe des slawischen Österreich gedacht werden kann. Die Slawisierung des Reichs aber muß der Zeit überlassen bleiben. Aus diesem Grunde haben sich die polnischen Konservativen auch der deutsch-österreichischen Freundschaft nicht ernstlich wider¬ setzt, sondern haben ausschließlich darauf geachtet, daß sie Einfluß auf den Staat und alle dessen innern und äußern Geschäfte gewannen. *) Sehr empfehlenswert ist hierzu die im Jahre 189K in deutscher Sprache erschienene Schrift des Stanczykenführers Se. von Kozmian, Das Jahr 1L63, deutsch von ol-. S. R. Landau. Wien, bei Karl Konegen. Eingehende Würdigung im zweiten Bande der Zukunft Polens.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/21>, abgerufen am 23.07.2024.