Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Deutsch-slawische Beziehungen

In dieser günstigen Lage als tatsächliche Leiter der allpolnischen Politik
befanden sich die polnischen Konservativen bis in die Mitte der achtziger Jahre
unbestritten und bis zur jüngsten Wahlrechtsreform (1906) tatsächlich. Erst
nach der Wahlrechtsreform sind die Demokraten so sehr in den Vordergrund
getreten, daß die Polen als Verbündete der Tschechen und ernsthafte Faktoren
des Panslawismus in Frage kommen.*)

Nicht so günstig ist die politische Stellung der Polen in Preußen ge¬
worden. Solange sie nur im preußischen Landtage ernstlich zu Worte kommen
konnten, schien es, als sollten sie denselben Weg wandern können wie die
österreichischen Volksgenossen. Nachdem aber der neue deutsche Reichstag zu¬
sammentrat und bald der Belastungsprobe durch den Kulturkampf ausgesetzt
wurde, erwies sich die Stellung der Polen in Preußen als staatsfeindlich. Als
Kaiser Wilhelm der Zweite den Thron bestieg, hatte es den Anschein, als
sollten die Polen wieder zu Gnaden und Vertrauen in Preußen gelangen.
Doch haben sie durch Herrn von Koscielski zu früh triumphiert, und ihre
Intrige, sich das Ohr des jungen Monarchen zu erschleichen, wurde rechtzeitig
offenbar. Gegenwärtig besteht die politische Bedeutung der Polen haupt¬
sächlich in Preußen auf der Freundschaft, die ihnen das deutsche Zentrum und
die deutsche Sozialdemokratie entgegenbringen. Daneben darf aber auch das
traurige Cliquenwesen und die Zerrissenheit der deutschen nationalen Parteien
als ein die Polen stärkender Faktor nicht unberücksichtigt bleiben.

In Nußland haben die Polen erst im Jahre 1905 politische Rechte und
damit legitimen Einfluß auf die russische Politik gewonnen. Diese neue Tat¬
sache ist außerordentlich wichtig, erstens für die Beziehungen der Polen zu den
Tschechen und zur Habsburgischen Monarchie und zweitens für die Beziehungen
der Slawen zum Deutschtum. Wie Massow in einer Kritik über meine "Zu¬
kunft Polens" richtig hervorhebt, hat sich durch die politischen Umwälzungen
in Rußland der Schwerpunkt der polnischen Nation in Richtung auf Rußland
verschoben.

Durch die Mündigerklarung der russischen Polen durch die Regierung des
Zaren hat nämlich das demokratische, in den Anschauungen des Deutschen
Lelewel erzogne Polentum in allen drei Teilungsmächten vor allen Dingen
in Österreich den Hauptcinfluß auf die weitere Entwicklung der Polenfrage
gewonnen. Die Verleihung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts in Osterreich
steht mit den Ergebnissen der russischen Revolution im engen Zusammenhang.
Neben den konservativen Stanczykcn sitzen nun im Reichsrat zu Wien die
Lemberger Demokraten in ansehnlicher Zahl und die ebenfalls demokratischen
Ruthenen. Das slawische Element hat hierdurch einen außerordentlichen Einfluß
gewonnen. Die nächsten Folgen dieses Einflusses hat das Vorgehen der
Tschechen und Polen gegen alles Deutsche uns klar vor die Augen gestellt.



*) Ausführlich behandelt im zweiten Bande meiner "Zukunft Polens".
Deutsch-slawische Beziehungen

In dieser günstigen Lage als tatsächliche Leiter der allpolnischen Politik
befanden sich die polnischen Konservativen bis in die Mitte der achtziger Jahre
unbestritten und bis zur jüngsten Wahlrechtsreform (1906) tatsächlich. Erst
nach der Wahlrechtsreform sind die Demokraten so sehr in den Vordergrund
getreten, daß die Polen als Verbündete der Tschechen und ernsthafte Faktoren
des Panslawismus in Frage kommen.*)

Nicht so günstig ist die politische Stellung der Polen in Preußen ge¬
worden. Solange sie nur im preußischen Landtage ernstlich zu Worte kommen
konnten, schien es, als sollten sie denselben Weg wandern können wie die
österreichischen Volksgenossen. Nachdem aber der neue deutsche Reichstag zu¬
sammentrat und bald der Belastungsprobe durch den Kulturkampf ausgesetzt
wurde, erwies sich die Stellung der Polen in Preußen als staatsfeindlich. Als
Kaiser Wilhelm der Zweite den Thron bestieg, hatte es den Anschein, als
sollten die Polen wieder zu Gnaden und Vertrauen in Preußen gelangen.
Doch haben sie durch Herrn von Koscielski zu früh triumphiert, und ihre
Intrige, sich das Ohr des jungen Monarchen zu erschleichen, wurde rechtzeitig
offenbar. Gegenwärtig besteht die politische Bedeutung der Polen haupt¬
sächlich in Preußen auf der Freundschaft, die ihnen das deutsche Zentrum und
die deutsche Sozialdemokratie entgegenbringen. Daneben darf aber auch das
traurige Cliquenwesen und die Zerrissenheit der deutschen nationalen Parteien
als ein die Polen stärkender Faktor nicht unberücksichtigt bleiben.

In Nußland haben die Polen erst im Jahre 1905 politische Rechte und
damit legitimen Einfluß auf die russische Politik gewonnen. Diese neue Tat¬
sache ist außerordentlich wichtig, erstens für die Beziehungen der Polen zu den
Tschechen und zur Habsburgischen Monarchie und zweitens für die Beziehungen
der Slawen zum Deutschtum. Wie Massow in einer Kritik über meine „Zu¬
kunft Polens" richtig hervorhebt, hat sich durch die politischen Umwälzungen
in Rußland der Schwerpunkt der polnischen Nation in Richtung auf Rußland
verschoben.

Durch die Mündigerklarung der russischen Polen durch die Regierung des
Zaren hat nämlich das demokratische, in den Anschauungen des Deutschen
Lelewel erzogne Polentum in allen drei Teilungsmächten vor allen Dingen
in Österreich den Hauptcinfluß auf die weitere Entwicklung der Polenfrage
gewonnen. Die Verleihung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts in Osterreich
steht mit den Ergebnissen der russischen Revolution im engen Zusammenhang.
Neben den konservativen Stanczykcn sitzen nun im Reichsrat zu Wien die
Lemberger Demokraten in ansehnlicher Zahl und die ebenfalls demokratischen
Ruthenen. Das slawische Element hat hierdurch einen außerordentlichen Einfluß
gewonnen. Die nächsten Folgen dieses Einflusses hat das Vorgehen der
Tschechen und Polen gegen alles Deutsche uns klar vor die Augen gestellt.



*) Ausführlich behandelt im zweiten Bande meiner „Zukunft Polens".
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0022" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/312373"/>
            <fw type="header" place="top"> Deutsch-slawische Beziehungen</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_59"> In dieser günstigen Lage als tatsächliche Leiter der allpolnischen Politik<lb/>
befanden sich die polnischen Konservativen bis in die Mitte der achtziger Jahre<lb/>
unbestritten und bis zur jüngsten Wahlrechtsreform (1906) tatsächlich. Erst<lb/>
nach der Wahlrechtsreform sind die Demokraten so sehr in den Vordergrund<lb/>
getreten, daß die Polen als Verbündete der Tschechen und ernsthafte Faktoren<lb/>
des Panslawismus in Frage kommen.*)</p><lb/>
            <p xml:id="ID_60"> Nicht so günstig ist die politische Stellung der Polen in Preußen ge¬<lb/>
worden. Solange sie nur im preußischen Landtage ernstlich zu Worte kommen<lb/>
konnten, schien es, als sollten sie denselben Weg wandern können wie die<lb/>
österreichischen Volksgenossen. Nachdem aber der neue deutsche Reichstag zu¬<lb/>
sammentrat und bald der Belastungsprobe durch den Kulturkampf ausgesetzt<lb/>
wurde, erwies sich die Stellung der Polen in Preußen als staatsfeindlich. Als<lb/>
Kaiser Wilhelm der Zweite den Thron bestieg, hatte es den Anschein, als<lb/>
sollten die Polen wieder zu Gnaden und Vertrauen in Preußen gelangen.<lb/>
Doch haben sie durch Herrn von Koscielski zu früh triumphiert, und ihre<lb/>
Intrige, sich das Ohr des jungen Monarchen zu erschleichen, wurde rechtzeitig<lb/>
offenbar. Gegenwärtig besteht die politische Bedeutung der Polen haupt¬<lb/>
sächlich in Preußen auf der Freundschaft, die ihnen das deutsche Zentrum und<lb/>
die deutsche Sozialdemokratie entgegenbringen. Daneben darf aber auch das<lb/>
traurige Cliquenwesen und die Zerrissenheit der deutschen nationalen Parteien<lb/>
als ein die Polen stärkender Faktor nicht unberücksichtigt bleiben.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_61"> In Nußland haben die Polen erst im Jahre 1905 politische Rechte und<lb/>
damit legitimen Einfluß auf die russische Politik gewonnen. Diese neue Tat¬<lb/>
sache ist außerordentlich wichtig, erstens für die Beziehungen der Polen zu den<lb/>
Tschechen und zur Habsburgischen Monarchie und zweitens für die Beziehungen<lb/>
der Slawen zum Deutschtum. Wie Massow in einer Kritik über meine &#x201E;Zu¬<lb/>
kunft Polens" richtig hervorhebt, hat sich durch die politischen Umwälzungen<lb/>
in Rußland der Schwerpunkt der polnischen Nation in Richtung auf Rußland<lb/>
verschoben.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_62"> Durch die Mündigerklarung der russischen Polen durch die Regierung des<lb/>
Zaren hat nämlich das demokratische, in den Anschauungen des Deutschen<lb/>
Lelewel erzogne Polentum in allen drei Teilungsmächten vor allen Dingen<lb/>
in Österreich den Hauptcinfluß auf die weitere Entwicklung der Polenfrage<lb/>
gewonnen. Die Verleihung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts in Osterreich<lb/>
steht mit den Ergebnissen der russischen Revolution im engen Zusammenhang.<lb/>
Neben den konservativen Stanczykcn sitzen nun im Reichsrat zu Wien die<lb/>
Lemberger Demokraten in ansehnlicher Zahl und die ebenfalls demokratischen<lb/>
Ruthenen. Das slawische Element hat hierdurch einen außerordentlichen Einfluß<lb/>
gewonnen. Die nächsten Folgen dieses Einflusses hat das Vorgehen der<lb/>
Tschechen und Polen gegen alles Deutsche uns klar vor die Augen gestellt.</p><lb/>
            <note xml:id="FID_8" place="foot"> *) Ausführlich behandelt im zweiten Bande meiner &#x201E;Zukunft Polens".</note><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0022] Deutsch-slawische Beziehungen In dieser günstigen Lage als tatsächliche Leiter der allpolnischen Politik befanden sich die polnischen Konservativen bis in die Mitte der achtziger Jahre unbestritten und bis zur jüngsten Wahlrechtsreform (1906) tatsächlich. Erst nach der Wahlrechtsreform sind die Demokraten so sehr in den Vordergrund getreten, daß die Polen als Verbündete der Tschechen und ernsthafte Faktoren des Panslawismus in Frage kommen.*) Nicht so günstig ist die politische Stellung der Polen in Preußen ge¬ worden. Solange sie nur im preußischen Landtage ernstlich zu Worte kommen konnten, schien es, als sollten sie denselben Weg wandern können wie die österreichischen Volksgenossen. Nachdem aber der neue deutsche Reichstag zu¬ sammentrat und bald der Belastungsprobe durch den Kulturkampf ausgesetzt wurde, erwies sich die Stellung der Polen in Preußen als staatsfeindlich. Als Kaiser Wilhelm der Zweite den Thron bestieg, hatte es den Anschein, als sollten die Polen wieder zu Gnaden und Vertrauen in Preußen gelangen. Doch haben sie durch Herrn von Koscielski zu früh triumphiert, und ihre Intrige, sich das Ohr des jungen Monarchen zu erschleichen, wurde rechtzeitig offenbar. Gegenwärtig besteht die politische Bedeutung der Polen haupt¬ sächlich in Preußen auf der Freundschaft, die ihnen das deutsche Zentrum und die deutsche Sozialdemokratie entgegenbringen. Daneben darf aber auch das traurige Cliquenwesen und die Zerrissenheit der deutschen nationalen Parteien als ein die Polen stärkender Faktor nicht unberücksichtigt bleiben. In Nußland haben die Polen erst im Jahre 1905 politische Rechte und damit legitimen Einfluß auf die russische Politik gewonnen. Diese neue Tat¬ sache ist außerordentlich wichtig, erstens für die Beziehungen der Polen zu den Tschechen und zur Habsburgischen Monarchie und zweitens für die Beziehungen der Slawen zum Deutschtum. Wie Massow in einer Kritik über meine „Zu¬ kunft Polens" richtig hervorhebt, hat sich durch die politischen Umwälzungen in Rußland der Schwerpunkt der polnischen Nation in Richtung auf Rußland verschoben. Durch die Mündigerklarung der russischen Polen durch die Regierung des Zaren hat nämlich das demokratische, in den Anschauungen des Deutschen Lelewel erzogne Polentum in allen drei Teilungsmächten vor allen Dingen in Österreich den Hauptcinfluß auf die weitere Entwicklung der Polenfrage gewonnen. Die Verleihung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts in Osterreich steht mit den Ergebnissen der russischen Revolution im engen Zusammenhang. Neben den konservativen Stanczykcn sitzen nun im Reichsrat zu Wien die Lemberger Demokraten in ansehnlicher Zahl und die ebenfalls demokratischen Ruthenen. Das slawische Element hat hierdurch einen außerordentlichen Einfluß gewonnen. Die nächsten Folgen dieses Einflusses hat das Vorgehen der Tschechen und Polen gegen alles Deutsche uns klar vor die Augen gestellt. *) Ausführlich behandelt im zweiten Bande meiner „Zukunft Polens".

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/22
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/22>, abgerufen am 23.07.2024.