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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Der. Sparer und die Reichsfinanzreform

englischen Verhältnisse halte ich für Deutschland nicht für wünschenswert. Die
Spargelder der französischen Sparkassen müssen an die Baisse <Zos Depots et
L!on8iAnatioll3 abgeliefert werden, die nach dem Gesetz vom 9. April 1881 ge¬
halten ist, diese Gelder in vglsurs ac trg.n9g.i8 anzulegen. Ebenso
besteht für die englischen Postsparkassen, die unsern kommunalen Sparkassen
entsprechen, das Gesetz, alle Einlagen in solchen Werten anzulegen, die als
gesetzliche Vormundschaftssekuritäten zulässig sind. Der bei weitem größere
Teil wird in englischen Konsols investiert. Im Jahre 1901 betrugen die
anzulegenden Gelder rund 30 Millionen, 1902 16 Millionen Mark. In
Italien darf höchstens ein Sechstel der Sparkasseneinlagen in Hypotheken an¬
gelegt werden.

Immerhin verbleibt aber selbst unter diesem Vorbehalt noch ein Betrag
von mehreren Milliarden, den die deutschen Sparkassen im Interesse der
Liquidität neben andern liquiden Werten, zu denen in erster Linie gute
Wechsel und bei größern Kassen Primadiskonten gehören, in Effekten im Be¬
sitze halten müssen.

Meines Erachtens sollten von solchen Effekten aber nnr Reichs- und
Staatsanleihen in Betracht kommen, da sich die meisten andern mündelsichern
Anleihen, namentlich aber die Stadt- und Kreisobligationen, wegen ihrer schweren
Verkäuflichkeit zur Anlage für die Sparkassen nicht eignen. Besonders ist aber
die übermäßige Anlage der Kapitalien der Sparkassen in den Anleihen des
eignen Garantieverbandes wegen der hierdurch entstehenden Verquickung des
Gemeindekredits mit dem Sparkassenkredit bedenklich. Durch diese Verbindung
werden für die garantierende Gemeinde ähnliche Gefahren heraufbeschworen, wie
sie bei der ausschließlichen oder vorwiegenden Anlage der Sparkassenkapitalien
in Staatspapieren bei den Staats- und Postsparkassen für den Nationalwohl¬
stand entstehn können. Das Beispiel bietet hierfür unter anderm Frankreich,
wo, wie schon erwähnt worden ist, die Einlagen der Sparkassen an den Staat
abgeliefert werden müssen. Infolge dieser engen Verbindung der Sparkassen¬
gelder mit den französischen Staatsfinanzen mußten die französischen Sparkassen
an allen politischen Bewegungen des Staates unmittelbar teilnehmen. Er¬
fahrungen der traurigsten Art machte im Jahre 1848 besonders die große
Pariser Sparkasse, deren Einlageguthaben binnen Jahresfrist von 80 auf
10 Millionen Franken zusammenschmolz. Die Sparkasse mußte für 80 Millionen
Franken Wertpapiere mit einem Verlust von 2,65 Millionen Franken veräußern
und schließlich doch die Barzahlungen einstellen. Die Einleger wurden genötigt,
statt baren Geldes Staatspapiere, die 64 wert waren, zum Zwangskurse von
80 anzunehmen. Ähnliche Vorgänge haben um die Mitte des vorigen Jahr¬
hunderts das bayrische Sparkassenwesen wegen dessen damaliger enger Ver¬
bindung mit der Staatsschuldentilgungskasse erschüttert.

Wenn nun auch durch eine Verbindung von Gemeinde- und Sparkassen¬
finanzen nicht gerade Gefahren in dem vollen Umfange, wie die erwähnten,


Der. Sparer und die Reichsfinanzreform

englischen Verhältnisse halte ich für Deutschland nicht für wünschenswert. Die
Spargelder der französischen Sparkassen müssen an die Baisse <Zos Depots et
L!on8iAnatioll3 abgeliefert werden, die nach dem Gesetz vom 9. April 1881 ge¬
halten ist, diese Gelder in vglsurs ac trg.n9g.i8 anzulegen. Ebenso
besteht für die englischen Postsparkassen, die unsern kommunalen Sparkassen
entsprechen, das Gesetz, alle Einlagen in solchen Werten anzulegen, die als
gesetzliche Vormundschaftssekuritäten zulässig sind. Der bei weitem größere
Teil wird in englischen Konsols investiert. Im Jahre 1901 betrugen die
anzulegenden Gelder rund 30 Millionen, 1902 16 Millionen Mark. In
Italien darf höchstens ein Sechstel der Sparkasseneinlagen in Hypotheken an¬
gelegt werden.

Immerhin verbleibt aber selbst unter diesem Vorbehalt noch ein Betrag
von mehreren Milliarden, den die deutschen Sparkassen im Interesse der
Liquidität neben andern liquiden Werten, zu denen in erster Linie gute
Wechsel und bei größern Kassen Primadiskonten gehören, in Effekten im Be¬
sitze halten müssen.

Meines Erachtens sollten von solchen Effekten aber nnr Reichs- und
Staatsanleihen in Betracht kommen, da sich die meisten andern mündelsichern
Anleihen, namentlich aber die Stadt- und Kreisobligationen, wegen ihrer schweren
Verkäuflichkeit zur Anlage für die Sparkassen nicht eignen. Besonders ist aber
die übermäßige Anlage der Kapitalien der Sparkassen in den Anleihen des
eignen Garantieverbandes wegen der hierdurch entstehenden Verquickung des
Gemeindekredits mit dem Sparkassenkredit bedenklich. Durch diese Verbindung
werden für die garantierende Gemeinde ähnliche Gefahren heraufbeschworen, wie
sie bei der ausschließlichen oder vorwiegenden Anlage der Sparkassenkapitalien
in Staatspapieren bei den Staats- und Postsparkassen für den Nationalwohl¬
stand entstehn können. Das Beispiel bietet hierfür unter anderm Frankreich,
wo, wie schon erwähnt worden ist, die Einlagen der Sparkassen an den Staat
abgeliefert werden müssen. Infolge dieser engen Verbindung der Sparkassen¬
gelder mit den französischen Staatsfinanzen mußten die französischen Sparkassen
an allen politischen Bewegungen des Staates unmittelbar teilnehmen. Er¬
fahrungen der traurigsten Art machte im Jahre 1848 besonders die große
Pariser Sparkasse, deren Einlageguthaben binnen Jahresfrist von 80 auf
10 Millionen Franken zusammenschmolz. Die Sparkasse mußte für 80 Millionen
Franken Wertpapiere mit einem Verlust von 2,65 Millionen Franken veräußern
und schließlich doch die Barzahlungen einstellen. Die Einleger wurden genötigt,
statt baren Geldes Staatspapiere, die 64 wert waren, zum Zwangskurse von
80 anzunehmen. Ähnliche Vorgänge haben um die Mitte des vorigen Jahr¬
hunderts das bayrische Sparkassenwesen wegen dessen damaliger enger Ver¬
bindung mit der Staatsschuldentilgungskasse erschüttert.

Wenn nun auch durch eine Verbindung von Gemeinde- und Sparkassen¬
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[0184] Der. Sparer und die Reichsfinanzreform englischen Verhältnisse halte ich für Deutschland nicht für wünschenswert. Die Spargelder der französischen Sparkassen müssen an die Baisse <Zos Depots et L!on8iAnatioll3 abgeliefert werden, die nach dem Gesetz vom 9. April 1881 ge¬ halten ist, diese Gelder in vglsurs ac trg.n9g.i8 anzulegen. Ebenso besteht für die englischen Postsparkassen, die unsern kommunalen Sparkassen entsprechen, das Gesetz, alle Einlagen in solchen Werten anzulegen, die als gesetzliche Vormundschaftssekuritäten zulässig sind. Der bei weitem größere Teil wird in englischen Konsols investiert. Im Jahre 1901 betrugen die anzulegenden Gelder rund 30 Millionen, 1902 16 Millionen Mark. In Italien darf höchstens ein Sechstel der Sparkasseneinlagen in Hypotheken an¬ gelegt werden. Immerhin verbleibt aber selbst unter diesem Vorbehalt noch ein Betrag von mehreren Milliarden, den die deutschen Sparkassen im Interesse der Liquidität neben andern liquiden Werten, zu denen in erster Linie gute Wechsel und bei größern Kassen Primadiskonten gehören, in Effekten im Be¬ sitze halten müssen. Meines Erachtens sollten von solchen Effekten aber nnr Reichs- und Staatsanleihen in Betracht kommen, da sich die meisten andern mündelsichern Anleihen, namentlich aber die Stadt- und Kreisobligationen, wegen ihrer schweren Verkäuflichkeit zur Anlage für die Sparkassen nicht eignen. Besonders ist aber die übermäßige Anlage der Kapitalien der Sparkassen in den Anleihen des eignen Garantieverbandes wegen der hierdurch entstehenden Verquickung des Gemeindekredits mit dem Sparkassenkredit bedenklich. Durch diese Verbindung werden für die garantierende Gemeinde ähnliche Gefahren heraufbeschworen, wie sie bei der ausschließlichen oder vorwiegenden Anlage der Sparkassenkapitalien in Staatspapieren bei den Staats- und Postsparkassen für den Nationalwohl¬ stand entstehn können. Das Beispiel bietet hierfür unter anderm Frankreich, wo, wie schon erwähnt worden ist, die Einlagen der Sparkassen an den Staat abgeliefert werden müssen. Infolge dieser engen Verbindung der Sparkassen¬ gelder mit den französischen Staatsfinanzen mußten die französischen Sparkassen an allen politischen Bewegungen des Staates unmittelbar teilnehmen. Er¬ fahrungen der traurigsten Art machte im Jahre 1848 besonders die große Pariser Sparkasse, deren Einlageguthaben binnen Jahresfrist von 80 auf 10 Millionen Franken zusammenschmolz. Die Sparkasse mußte für 80 Millionen Franken Wertpapiere mit einem Verlust von 2,65 Millionen Franken veräußern und schließlich doch die Barzahlungen einstellen. Die Einleger wurden genötigt, statt baren Geldes Staatspapiere, die 64 wert waren, zum Zwangskurse von 80 anzunehmen. Ähnliche Vorgänge haben um die Mitte des vorigen Jahr¬ hunderts das bayrische Sparkassenwesen wegen dessen damaliger enger Ver¬ bindung mit der Staatsschuldentilgungskasse erschüttert. Wenn nun auch durch eine Verbindung von Gemeinde- und Sparkassen¬ finanzen nicht gerade Gefahren in dem vollen Umfange, wie die erwähnten,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/184>, abgerufen am 23.07.2024.