Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches Krieg in der Gegenwart", und man las weiter, daß den militärischen Betrach¬ Die weitere Wirkung dieser Preßstimmen konnte nur sein, daß das Ausland Durch eine amtliche Erklärung im Reichsanzeiger ist inzwischen richtiggestellt Maßgebliches und Unmaßgebliches Krieg in der Gegenwart", und man las weiter, daß den militärischen Betrach¬ Die weitere Wirkung dieser Preßstimmen konnte nur sein, daß das Ausland Durch eine amtliche Erklärung im Reichsanzeiger ist inzwischen richtiggestellt <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0166" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/312517"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_632" prev="#ID_631"> Krieg in der Gegenwart", und man las weiter, daß den militärischen Betrach¬<lb/> tungen auch eine umfangreiche Schilderung der politischen Weltlage beigesellt war.<lb/> Man übersah dabei, daß diese politische Schilderung nur dazu dienen sollte, ge¬<lb/> wisse Thesen über die Art militärischer Maßnahmen und über die Abwägung der<lb/> Chancen verschiedner Kriegsführungsmethoden im Fall eines etwa ausbrechenden Krieges<lb/> zu begründen. Also auch wenn der Kaiser diese Ausführungen mit verlesen und<lb/> und sich auch damit einverstanden erklärt hätte — was eben durchaus nicht der<lb/> Fall war —, so folgte daraus keineswegs, daß der Kaiser den Generalen seine<lb/> politische Auffassung der Weltlage mitteilen und politische Folgerungen für die Ge¬<lb/> staltung der wirklichen Ereignisse in der nächsten Zeit ziehen wollte. Aber der<lb/> Irrtum war einmal erregt, und nun ließen es sich besonders unsre braven Ultra¬<lb/> montanen nicht nehmen, mit großem Geschrei von einer politischen Ansprache des<lb/> Kaisers zu berichten. Dabei fehlte es nicht an offnen und versteckten Hinweisen,<lb/> daß die Zusage vom 17. November nicht innegehalten worden sei, denn der Kaiser sei ja<lb/> nun doch wieder mit eigenmächtigen politischen Kundgebungen hervorgetreten. Die<lb/> liberale Presse wahrte zum größern Teil die Besonnenheit, konnte sich aber doch<lb/> nicht ganz der alarmierenden Wirkung des Irrtums entziehen, daß der Kaiser den<lb/> Generalen gegenüber auf die bedrohliche politische Lage aufmerksam gemacht habe.</p><lb/> <p xml:id="ID_633"> Die weitere Wirkung dieser Preßstimmen konnte nur sein, daß das Ausland<lb/> die Sache aufgriff und natürlich so glossierte, wie es ihm bequem war. Wir<lb/> brauchen auf diese ausländische Kritik der Sache nicht näher einzugehn; sie be¬<lb/> wegt sich in bekannnten Geleisen. Feindselige Absichten gegen Deutschland werden<lb/> geleugnet und doch insofern indirekt zugegeben, als die Gegenbeschuldigung erhoben<lb/> wird, Deutschland fordre ein Übergewicht über andre Völker, wogegen diese ein<lb/> Recht hätten, sich zu gemeinsamer Abwehrpolitik zu vereinigen. Wenn Mißtrauen<lb/> gegen Deutschland bestehe, so sei das nicht die Schuld oder das Unrecht der andern<lb/> Mächte, sondern die Folge der Fehler der deutschen Diplomatie. Den Beweis für<lb/> diese Behauptung bleibt man freilich schuldig, aber das beschwert die Gemüter nicht<lb/> sonderlich. Kann man sich doch hierbei auf einen großen Teil der deutschen Presse<lb/> selbst stützen, der nicht müde wird zu behaupten, alles, was sich in der politischen<lb/> Lage nicht nach unserm Wunsch und zu unsrer Bequemlichkeit füge, sei durch die<lb/> Führung der deutschen Politik und die Unfähigkeit unsrer Diplomatie verschuldet<lb/> worden.</p><lb/> <p xml:id="ID_634" next="#ID_635"> Durch eine amtliche Erklärung im Reichsanzeiger ist inzwischen richtiggestellt<lb/> worden, wie es sich mit der Ansprache des Kaisers an die kommandierender<lb/> Generale verhalten hat. Damit sind die feindseligen Kritiken eigentlich gegen¬<lb/> standslos geworden. Als wert des Gedächtnisses erscheint nur die Feindseligkeit<lb/> selbst, die sich übrigens auch in einer oft recht kindischen Herabsetzung des mili¬<lb/> tärischen Werth des Revueartikels kundgab. In dem Artikel war natürlich vieles<lb/> erwähnt, was dem militärischen Fachmann nichts neues bieten konnte. Das ver¬<lb/> stand sich von selbst, denn der Aufsatz wandte sich an ein Publikum von militärischen<lb/> Laien. Das ist in der französischen und englischen Presse benutzt worden, um den<lb/> Artikel als unbedeutend zu kennzeichnen; eine militärische Autorität Frankreichs<lb/> findet ihn „banal". Das ist nun freilich ein Vorwurf, der den erfahrnen Kritiker<lb/> in militärischen Fragen wenig berührt. Er weiß, daß die Schwierigkeit der Kriegs¬<lb/> kunst nicht zum wenigsten darin besteht, daß es nur wenigen Menschen gegeben<lb/> ist, unter verwirrenden Umständen das scheinbar Banate, in Wahrheit den Wirk¬<lb/> lichkeitskern der Dinge zu erkennen. Die Weisen des Wiener Hofkriegsrath und<lb/> die österreichischen Führer in der Lombardei während der Feldzüge in den letzten<lb/> Jahren des achtzehnten Jahrhunderts fanden auch die Kriegskunst des jungen<lb/> Bonaparte regelwidrig und geistlos, und die Franzosen begreifen zum Teil noch</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0166]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Krieg in der Gegenwart", und man las weiter, daß den militärischen Betrach¬
tungen auch eine umfangreiche Schilderung der politischen Weltlage beigesellt war.
Man übersah dabei, daß diese politische Schilderung nur dazu dienen sollte, ge¬
wisse Thesen über die Art militärischer Maßnahmen und über die Abwägung der
Chancen verschiedner Kriegsführungsmethoden im Fall eines etwa ausbrechenden Krieges
zu begründen. Also auch wenn der Kaiser diese Ausführungen mit verlesen und
und sich auch damit einverstanden erklärt hätte — was eben durchaus nicht der
Fall war —, so folgte daraus keineswegs, daß der Kaiser den Generalen seine
politische Auffassung der Weltlage mitteilen und politische Folgerungen für die Ge¬
staltung der wirklichen Ereignisse in der nächsten Zeit ziehen wollte. Aber der
Irrtum war einmal erregt, und nun ließen es sich besonders unsre braven Ultra¬
montanen nicht nehmen, mit großem Geschrei von einer politischen Ansprache des
Kaisers zu berichten. Dabei fehlte es nicht an offnen und versteckten Hinweisen,
daß die Zusage vom 17. November nicht innegehalten worden sei, denn der Kaiser sei ja
nun doch wieder mit eigenmächtigen politischen Kundgebungen hervorgetreten. Die
liberale Presse wahrte zum größern Teil die Besonnenheit, konnte sich aber doch
nicht ganz der alarmierenden Wirkung des Irrtums entziehen, daß der Kaiser den
Generalen gegenüber auf die bedrohliche politische Lage aufmerksam gemacht habe.
Die weitere Wirkung dieser Preßstimmen konnte nur sein, daß das Ausland
die Sache aufgriff und natürlich so glossierte, wie es ihm bequem war. Wir
brauchen auf diese ausländische Kritik der Sache nicht näher einzugehn; sie be¬
wegt sich in bekannnten Geleisen. Feindselige Absichten gegen Deutschland werden
geleugnet und doch insofern indirekt zugegeben, als die Gegenbeschuldigung erhoben
wird, Deutschland fordre ein Übergewicht über andre Völker, wogegen diese ein
Recht hätten, sich zu gemeinsamer Abwehrpolitik zu vereinigen. Wenn Mißtrauen
gegen Deutschland bestehe, so sei das nicht die Schuld oder das Unrecht der andern
Mächte, sondern die Folge der Fehler der deutschen Diplomatie. Den Beweis für
diese Behauptung bleibt man freilich schuldig, aber das beschwert die Gemüter nicht
sonderlich. Kann man sich doch hierbei auf einen großen Teil der deutschen Presse
selbst stützen, der nicht müde wird zu behaupten, alles, was sich in der politischen
Lage nicht nach unserm Wunsch und zu unsrer Bequemlichkeit füge, sei durch die
Führung der deutschen Politik und die Unfähigkeit unsrer Diplomatie verschuldet
worden.
Durch eine amtliche Erklärung im Reichsanzeiger ist inzwischen richtiggestellt
worden, wie es sich mit der Ansprache des Kaisers an die kommandierender
Generale verhalten hat. Damit sind die feindseligen Kritiken eigentlich gegen¬
standslos geworden. Als wert des Gedächtnisses erscheint nur die Feindseligkeit
selbst, die sich übrigens auch in einer oft recht kindischen Herabsetzung des mili¬
tärischen Werth des Revueartikels kundgab. In dem Artikel war natürlich vieles
erwähnt, was dem militärischen Fachmann nichts neues bieten konnte. Das ver¬
stand sich von selbst, denn der Aufsatz wandte sich an ein Publikum von militärischen
Laien. Das ist in der französischen und englischen Presse benutzt worden, um den
Artikel als unbedeutend zu kennzeichnen; eine militärische Autorität Frankreichs
findet ihn „banal". Das ist nun freilich ein Vorwurf, der den erfahrnen Kritiker
in militärischen Fragen wenig berührt. Er weiß, daß die Schwierigkeit der Kriegs¬
kunst nicht zum wenigsten darin besteht, daß es nur wenigen Menschen gegeben
ist, unter verwirrenden Umständen das scheinbar Banate, in Wahrheit den Wirk¬
lichkeitskern der Dinge zu erkennen. Die Weisen des Wiener Hofkriegsrath und
die österreichischen Führer in der Lombardei während der Feldzüge in den letzten
Jahren des achtzehnten Jahrhunderts fanden auch die Kriegskunst des jungen
Bonaparte regelwidrig und geistlos, und die Franzosen begreifen zum Teil noch
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