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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Bertha von Suttner

schreiben: "Also Titel braucht Ihr, Ihr Demokraten? Halte es nicht für
nötig. Der in Bethlehem Geborne hatte auch keine Titel, und sein Verein
blüht noch." Im Sommer 1893 wurde die bedrohlich aussehende Spannung
zwischen Frankreich und Italien durch eine Arbeiterschlägerei in Aigues-Mortes
verschärft, die von einem italienischen Arbeiter verschuldet worden war, der
seine schmutzige Hose im Brunnen gewaschen hatte. Die Baronin trügt in ihr
Tagebuch ein: "8. September. Der internationale Verkehr von Europa beruht
fruhtlj auf so gesunden und vernünftigen Grundlagen, daß ein solcher Anlaß
genügt, die sogenannte hohe Politik in Tätigkeit zu bringen und die Geschichts¬
schreiber darauf gefaßt zu machen, daß sie neben dem Kriege der Weißen und
der Noten Rose auch noch den Krieg der schmutzigen Hose in ihre Annalen
werden eintragen müssen." Dem russischen Maler Wereschtschagin soll Kaiser
Wilhelm der Zweite in der Ausstellung seiner gräßlichen Bilder gesagt haben:
"Damit, lieber Meister, kämpfen Sie gegen den Krieg wirksamer an als
irgendwelche Friedenskongresse." Die Suttner meint, das sei wahrscheinlich
gar nicht die Absicht des Künstlers gewesen, der nichts gewollt habe als voll¬
kommen wahr sein; er habe den Krieg nicht gehaßt, ihr einmal gesagt: "Ich habe
mehrmals in Schlachten Menschen getötet und kann aus Erfahrung sagen, daß
die Aufregung wie auch das Gefühl der Genugtuung und der Befriedigung,
nachdem man einen Menschen getötet hat. vollkommen dem gleichkommt, das
man empfindet, wenn man ein größeres Wild zur Strecke gebracht hat." Viel
verkehrte sie mit dem Herzog Elimar von Oldenburg. Dieser äußerte einmal:
"Ich bin nicht aus der Art geschlagen, indem ich mich für Ihre Sache
interessiere. Ein Bruder meines Vaters, der Prinz Peter von Oldenburg, hat
sich seinerzeit für die Abschaffung des Krieges eingesetzt. Obwohl er mütter¬
licherseits der Enkel des Kaisers Paul war, obwohl er den Rang eines rus¬
sischen Generals der Infanterie einnahm und Chef des Dragonerregiments
Stavodub war, war er ein mitnander Friedensfreund. Denn nicht nur als
Ideal, als einen in spätern Jahrhunderten zu verwirklichenden Traum hat er
die Sache angesehen, sondern er machte sich tütig ans Werk, sie durchzuführen;
er reiste von Hof zu Hof, unterbreitete seine Ideen der Königin von England,
dem Könige von Preußen; doch zu jener Zeit, vor dreißig Jahren, blieben
seine Versuche noch fruchtlos. Mein Onkel setzte seine Bemühungen standhaft
fort; ich besitze den Aufsatz eines Briefes, den er im Jahre 1373 an Bismarck
richtete und worin er seine Ideen entwickelte, gleichfalls ohne Erfolg." Er
gibt der Baronin eine Abschrift, und sie nimmt den Brief in ihr Buch aus.
Es heißt darin, Wilhelm der Siegreiche sei vom Herrn der Heerscharen er¬
koren, als Friedensstifter den unsterblichen Namen des Gesegneten zu führen.
Er habe ihm beigestanden, den Herd der Revolutionen unschädlich zu machen,
jetzt sei es seine Aufgabe, die Wurzel des Bösen, die höchste Potenz der Sünde
(der Briefschreiber^ ist wie seine ganze Familie streng gläubiger Christ) en
prwoixe abzuschaffen. Nie werde auf Erden dauernde Wohlfahrt begründet


Bertha von Suttner

schreiben: „Also Titel braucht Ihr, Ihr Demokraten? Halte es nicht für
nötig. Der in Bethlehem Geborne hatte auch keine Titel, und sein Verein
blüht noch." Im Sommer 1893 wurde die bedrohlich aussehende Spannung
zwischen Frankreich und Italien durch eine Arbeiterschlägerei in Aigues-Mortes
verschärft, die von einem italienischen Arbeiter verschuldet worden war, der
seine schmutzige Hose im Brunnen gewaschen hatte. Die Baronin trügt in ihr
Tagebuch ein: „8. September. Der internationale Verkehr von Europa beruht
fruhtlj auf so gesunden und vernünftigen Grundlagen, daß ein solcher Anlaß
genügt, die sogenannte hohe Politik in Tätigkeit zu bringen und die Geschichts¬
schreiber darauf gefaßt zu machen, daß sie neben dem Kriege der Weißen und
der Noten Rose auch noch den Krieg der schmutzigen Hose in ihre Annalen
werden eintragen müssen." Dem russischen Maler Wereschtschagin soll Kaiser
Wilhelm der Zweite in der Ausstellung seiner gräßlichen Bilder gesagt haben:
„Damit, lieber Meister, kämpfen Sie gegen den Krieg wirksamer an als
irgendwelche Friedenskongresse." Die Suttner meint, das sei wahrscheinlich
gar nicht die Absicht des Künstlers gewesen, der nichts gewollt habe als voll¬
kommen wahr sein; er habe den Krieg nicht gehaßt, ihr einmal gesagt: „Ich habe
mehrmals in Schlachten Menschen getötet und kann aus Erfahrung sagen, daß
die Aufregung wie auch das Gefühl der Genugtuung und der Befriedigung,
nachdem man einen Menschen getötet hat. vollkommen dem gleichkommt, das
man empfindet, wenn man ein größeres Wild zur Strecke gebracht hat." Viel
verkehrte sie mit dem Herzog Elimar von Oldenburg. Dieser äußerte einmal:
„Ich bin nicht aus der Art geschlagen, indem ich mich für Ihre Sache
interessiere. Ein Bruder meines Vaters, der Prinz Peter von Oldenburg, hat
sich seinerzeit für die Abschaffung des Krieges eingesetzt. Obwohl er mütter¬
licherseits der Enkel des Kaisers Paul war, obwohl er den Rang eines rus¬
sischen Generals der Infanterie einnahm und Chef des Dragonerregiments
Stavodub war, war er ein mitnander Friedensfreund. Denn nicht nur als
Ideal, als einen in spätern Jahrhunderten zu verwirklichenden Traum hat er
die Sache angesehen, sondern er machte sich tütig ans Werk, sie durchzuführen;
er reiste von Hof zu Hof, unterbreitete seine Ideen der Königin von England,
dem Könige von Preußen; doch zu jener Zeit, vor dreißig Jahren, blieben
seine Versuche noch fruchtlos. Mein Onkel setzte seine Bemühungen standhaft
fort; ich besitze den Aufsatz eines Briefes, den er im Jahre 1373 an Bismarck
richtete und worin er seine Ideen entwickelte, gleichfalls ohne Erfolg." Er
gibt der Baronin eine Abschrift, und sie nimmt den Brief in ihr Buch aus.
Es heißt darin, Wilhelm der Siegreiche sei vom Herrn der Heerscharen er¬
koren, als Friedensstifter den unsterblichen Namen des Gesegneten zu führen.
Er habe ihm beigestanden, den Herd der Revolutionen unschädlich zu machen,
jetzt sei es seine Aufgabe, die Wurzel des Bösen, die höchste Potenz der Sünde
(der Briefschreiber^ ist wie seine ganze Familie streng gläubiger Christ) en
prwoixe abzuschaffen. Nie werde auf Erden dauernde Wohlfahrt begründet


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/150>, abgerufen am 12.12.2024.