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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Bertha von Suttner

Werden, solange die Regierungen dem Christentum zuwider handeln und wahre
Zivilisation nicht aufkommen lassen. Dieses Wort sei von vivis abgeleitet,
der vivis aber sei ein Befolger der Gesetze, der Krieg dagegen ein Zustand der
Gesetzlosigkeit. Nicht mit Gesetzlosigkeit, nicht mit Bajonetten vermöge man
die ungesetzlichen Bewegungen der Kommunisten, Revolutionäre und Demo¬
kraten zu bändigen. Demnach sollten die Kulturvölker einander den Besitz
ihrer Territorien garantieren, strittige Fülle durch Schiedsgerichte schlichten und
durch internationale Konvention die Stärke der bewaffneten Macht bestimmen.
Nicht etwa diese abschaffen; "einen Staat ohne bewaffnete Macht denken kann
nur ein Tor oder ein Schurke". Die juristische Seite der Sache beleuchtet
der österreichische Reichsratsabgeordnete Dr. Julins Ofner. "Kein Recht ohne
Richter; in eigner Sache kann ^darf.^ niemand urteilen, und die Geschichte
lehrt, daß, wenn Staaten auch das Ungerechteste wollen, sie immer Kron¬
juristen finden, die es verteidigen und für Recht erklären. Solange darum
kein Gericht für Völkerstreitigkeiten eingesetzt ist, gibt es Staatenhöflichkeit,
Staatensitte, aber kein Staatenrecht. Der Starke ist unfehlbar, die beleidigte
Gerechtigkeit wendet sich nur gegen den Schwachen. Die Berufung auf die
Souveränität, die nicht geschmälert werden dürfe, ist nichts als eine Verkleidung
des Anspruchs, nach Willkür Unrecht tun zu dürfen. Denn alles Recht be¬
schränkt den einzelnen um der andern willen, die Willkür zugunsten der all¬
gemeinen Freiheit. Recht und Gerechtigkeit ist aber die Grundlage aller Kultur,
und es gilt für die Staaten, was Kant für die Menschen überhaupt sagt:
Gäbe es kein Recht, es wäre nicht der Mühe wert, daß Menschen auf Erden
leben."

Den Grundgedanken Nobels, daß der Fortschritt der Wissenschaft und der
Technik den Krieg überwinden werde, hat mit etwas andrer Schattierung auch
Frithjof Raufen ausgesprochen. In einem Vortrage, den er in Wien hielt,
sagte er: "Man wird nach dem Resultat der Polarforschungen fragen. Ich
antworte darauf: die Wissenschaft will alles wissen. Es darf keinen Fleck der
Erde geben, den nicht ein Menschenauge gesehen und nicht ein Menschenfuß
betreten hat. Das Geschick des Menschen ist der Kampf des Lichtes gegen die
Finsternis. Noch gibt es viele Probleme zu lösen. Die Zeit der großen Er¬
oberungskriege ist vorbei, die Zeit der Eroberungen im Lande der Wissenschaft
wird andauern." Das Friedensmanifest des Zaren brachte der Agitatorin
eine Unmasse von Glückwünschen ein. Der Vizeadmiral Semsey schrieb ihr:
"Ein Sturm des Entzückens durchbraust die Welt angesichts des gewaltigen
Nordlichts, das von Petersburg leuchtet. Was der Erfolg auch sei, das ge¬
waltige Wort eines der Gewaltigsten kann nicht ungesprochen gemacht werden.
Der Herr segne Ihr Wirken!" Die Baronin druckt auch eine Anzahl gegne¬
rischer Äußerungen ab, darunter die der Grenzboten (Ur. 37 vom 15. Sep¬
tember 1898). Ungünstig kritisierende Briefe erhielt sie u. a. von Friedrich
Naumann, B. v. Werner, Reinhold Vegas, Felix Dahn, Eduard v. Hartmann.


Bertha von Suttner

Werden, solange die Regierungen dem Christentum zuwider handeln und wahre
Zivilisation nicht aufkommen lassen. Dieses Wort sei von vivis abgeleitet,
der vivis aber sei ein Befolger der Gesetze, der Krieg dagegen ein Zustand der
Gesetzlosigkeit. Nicht mit Gesetzlosigkeit, nicht mit Bajonetten vermöge man
die ungesetzlichen Bewegungen der Kommunisten, Revolutionäre und Demo¬
kraten zu bändigen. Demnach sollten die Kulturvölker einander den Besitz
ihrer Territorien garantieren, strittige Fülle durch Schiedsgerichte schlichten und
durch internationale Konvention die Stärke der bewaffneten Macht bestimmen.
Nicht etwa diese abschaffen; „einen Staat ohne bewaffnete Macht denken kann
nur ein Tor oder ein Schurke". Die juristische Seite der Sache beleuchtet
der österreichische Reichsratsabgeordnete Dr. Julins Ofner. „Kein Recht ohne
Richter; in eigner Sache kann ^darf.^ niemand urteilen, und die Geschichte
lehrt, daß, wenn Staaten auch das Ungerechteste wollen, sie immer Kron¬
juristen finden, die es verteidigen und für Recht erklären. Solange darum
kein Gericht für Völkerstreitigkeiten eingesetzt ist, gibt es Staatenhöflichkeit,
Staatensitte, aber kein Staatenrecht. Der Starke ist unfehlbar, die beleidigte
Gerechtigkeit wendet sich nur gegen den Schwachen. Die Berufung auf die
Souveränität, die nicht geschmälert werden dürfe, ist nichts als eine Verkleidung
des Anspruchs, nach Willkür Unrecht tun zu dürfen. Denn alles Recht be¬
schränkt den einzelnen um der andern willen, die Willkür zugunsten der all¬
gemeinen Freiheit. Recht und Gerechtigkeit ist aber die Grundlage aller Kultur,
und es gilt für die Staaten, was Kant für die Menschen überhaupt sagt:
Gäbe es kein Recht, es wäre nicht der Mühe wert, daß Menschen auf Erden
leben."

Den Grundgedanken Nobels, daß der Fortschritt der Wissenschaft und der
Technik den Krieg überwinden werde, hat mit etwas andrer Schattierung auch
Frithjof Raufen ausgesprochen. In einem Vortrage, den er in Wien hielt,
sagte er: „Man wird nach dem Resultat der Polarforschungen fragen. Ich
antworte darauf: die Wissenschaft will alles wissen. Es darf keinen Fleck der
Erde geben, den nicht ein Menschenauge gesehen und nicht ein Menschenfuß
betreten hat. Das Geschick des Menschen ist der Kampf des Lichtes gegen die
Finsternis. Noch gibt es viele Probleme zu lösen. Die Zeit der großen Er¬
oberungskriege ist vorbei, die Zeit der Eroberungen im Lande der Wissenschaft
wird andauern." Das Friedensmanifest des Zaren brachte der Agitatorin
eine Unmasse von Glückwünschen ein. Der Vizeadmiral Semsey schrieb ihr:
„Ein Sturm des Entzückens durchbraust die Welt angesichts des gewaltigen
Nordlichts, das von Petersburg leuchtet. Was der Erfolg auch sei, das ge¬
waltige Wort eines der Gewaltigsten kann nicht ungesprochen gemacht werden.
Der Herr segne Ihr Wirken!" Die Baronin druckt auch eine Anzahl gegne¬
rischer Äußerungen ab, darunter die der Grenzboten (Ur. 37 vom 15. Sep¬
tember 1898). Ungünstig kritisierende Briefe erhielt sie u. a. von Friedrich
Naumann, B. v. Werner, Reinhold Vegas, Felix Dahn, Eduard v. Hartmann.


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[0151] Bertha von Suttner Werden, solange die Regierungen dem Christentum zuwider handeln und wahre Zivilisation nicht aufkommen lassen. Dieses Wort sei von vivis abgeleitet, der vivis aber sei ein Befolger der Gesetze, der Krieg dagegen ein Zustand der Gesetzlosigkeit. Nicht mit Gesetzlosigkeit, nicht mit Bajonetten vermöge man die ungesetzlichen Bewegungen der Kommunisten, Revolutionäre und Demo¬ kraten zu bändigen. Demnach sollten die Kulturvölker einander den Besitz ihrer Territorien garantieren, strittige Fülle durch Schiedsgerichte schlichten und durch internationale Konvention die Stärke der bewaffneten Macht bestimmen. Nicht etwa diese abschaffen; „einen Staat ohne bewaffnete Macht denken kann nur ein Tor oder ein Schurke". Die juristische Seite der Sache beleuchtet der österreichische Reichsratsabgeordnete Dr. Julins Ofner. „Kein Recht ohne Richter; in eigner Sache kann ^darf.^ niemand urteilen, und die Geschichte lehrt, daß, wenn Staaten auch das Ungerechteste wollen, sie immer Kron¬ juristen finden, die es verteidigen und für Recht erklären. Solange darum kein Gericht für Völkerstreitigkeiten eingesetzt ist, gibt es Staatenhöflichkeit, Staatensitte, aber kein Staatenrecht. Der Starke ist unfehlbar, die beleidigte Gerechtigkeit wendet sich nur gegen den Schwachen. Die Berufung auf die Souveränität, die nicht geschmälert werden dürfe, ist nichts als eine Verkleidung des Anspruchs, nach Willkür Unrecht tun zu dürfen. Denn alles Recht be¬ schränkt den einzelnen um der andern willen, die Willkür zugunsten der all¬ gemeinen Freiheit. Recht und Gerechtigkeit ist aber die Grundlage aller Kultur, und es gilt für die Staaten, was Kant für die Menschen überhaupt sagt: Gäbe es kein Recht, es wäre nicht der Mühe wert, daß Menschen auf Erden leben." Den Grundgedanken Nobels, daß der Fortschritt der Wissenschaft und der Technik den Krieg überwinden werde, hat mit etwas andrer Schattierung auch Frithjof Raufen ausgesprochen. In einem Vortrage, den er in Wien hielt, sagte er: „Man wird nach dem Resultat der Polarforschungen fragen. Ich antworte darauf: die Wissenschaft will alles wissen. Es darf keinen Fleck der Erde geben, den nicht ein Menschenauge gesehen und nicht ein Menschenfuß betreten hat. Das Geschick des Menschen ist der Kampf des Lichtes gegen die Finsternis. Noch gibt es viele Probleme zu lösen. Die Zeit der großen Er¬ oberungskriege ist vorbei, die Zeit der Eroberungen im Lande der Wissenschaft wird andauern." Das Friedensmanifest des Zaren brachte der Agitatorin eine Unmasse von Glückwünschen ein. Der Vizeadmiral Semsey schrieb ihr: „Ein Sturm des Entzückens durchbraust die Welt angesichts des gewaltigen Nordlichts, das von Petersburg leuchtet. Was der Erfolg auch sei, das ge¬ waltige Wort eines der Gewaltigsten kann nicht ungesprochen gemacht werden. Der Herr segne Ihr Wirken!" Die Baronin druckt auch eine Anzahl gegne¬ rischer Äußerungen ab, darunter die der Grenzboten (Ur. 37 vom 15. Sep¬ tember 1898). Ungünstig kritisierende Briefe erhielt sie u. a. von Friedrich Naumann, B. v. Werner, Reinhold Vegas, Felix Dahn, Eduard v. Hartmann.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/151>, abgerufen am 12.12.2024.