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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Ein neuer Gibbon

der Ölbaum nach der Rebe die einträglichste Frucht der neuen Kulturart war,
und da schon Cato vom Rückgang des Körncrbcmes und der Ausbreitung der
Oliveuzucht spricht, so ist mau berechtigt anzunehmen, daß sich der Anbau der
beiden Produkte gleichzeitig ausgedehnt hat."

Ferrero gehört also nicht zu den Lobrednern der Gracchen; ihr Heilmittel
sei in ein Gift umgeschlagen, habe die Zersetzung gefördert. Auch die pergamenischc
Erbschaft, die die Gracchen in bester Absicht fürs Volk nutzbar zu machen ver¬
suchten, habe geschadet. Zudem hatte Cajus "mit dem Gesetze über Asien sdas
den Senat in der Verteilung und Verwaltung der Provinzen beschränktes für
die römischen Kapitalisten ein neues und sehr gewinnreiches Geschäftsgebiet
geschaffen. In Rom bildeten sich zahlreiche Gesellschaften zur Pachtung der
dortigen Abgaben, und geschickte Geldleute legten darin ihr Kapital an. sodaß
nach der militärischen und merkantilen hier auch die finanzielle Ausdehnung des
Imperialismus erfolgte. In allen Familien der Mittelklasse -- diese muß noch
zahlreich gewesen sein, obwohl sich wahrscheinlich die Fruchtbarkeit von Geschlecht
zu Geschlecht minderte -- verließen viele Kinder, von der Dürftigkeit der länd¬
lichen Verhältnisse abgestoßen, das väterliche Haus; sie gingen in die benachbarte
Stadt oder nach Rom, um dort als Handwerker oder Händler ihren Unterhalt
zu erwerben; oder sie traten freiwillig ins Heer oder wurden ausgehoben und
suchten ihr Glück in fernen Ländern. Die Kolonien italischer Kaufleute um
das Mittelmeer herum wurden immer zahlreicher; etwa um diese Zeit entstand
auch eine in Alexandrien. Viele Italiener wanderten nach Asien; dort betrieben
sie im Auftrage der großen Püchtergesellschaften kleine Geldgeschäfte, daneben
auch Sklavenhandel und den Ein- und Verkauf von asiatischen Produkten,
denn die Nachfrage nach solchen stieg immer mehr in Rom. Oft schickten die
Väter, um ihren Kindern ein besseres Los zu bereiten, diese, auch wenn sie
sich das Geld dazu leihen mußten, zum Studium in die Stadt, damit sie dort
die Redekunst erlernten, sich als Anwälte einen Namen machten, die Aufmerk¬
samkeit reicher und mächtiger Leute auf sich ziehen und mit deren Hilfe zu
Ämtern und Würden gelangen könnten. So ging diese Klasse von mittlern
Grundbesitzern und Bauern, die einen so großen Teil der Halbinsel urbar
gemacht, die den Hannibal besiegt hatte, allmählich zugrunde. In ganz Italien
wurden die kleinen Güter in den Händen gieriger Unternehmer zu ausgedehnten
Besitzungen vereinigt; diese Herren setzten an die Stelle der freien, faul, ehr¬
geizig und aufsässig gewordnen Arbeiter Sklaven, sodaß die freie Bevölkerung
vom Lande abwanderte, um in den Städten Italiens oder in den Provinzen
ihr Glück zu suchen oder auch nach Rom zu gehn und dort politischen Einfluß
zu gewinnen" oder ein Schmarotzerleben zu führen. Ganz wie bei uns heute;
fehlen doch auch die Sklaven nicht, die slawischen und die italienischen Wander¬
arbeiter. Daß die Latifundien die kleinen freien Besitzer entweder nicht ganz
verdrängt haben, oder daß sich ein neuer Stand von solchen gebildet hat, und
daß der Großbesitz je länger desto weniger den Großbetrieb bedeutete, haben


Ein neuer Gibbon

der Ölbaum nach der Rebe die einträglichste Frucht der neuen Kulturart war,
und da schon Cato vom Rückgang des Körncrbcmes und der Ausbreitung der
Oliveuzucht spricht, so ist mau berechtigt anzunehmen, daß sich der Anbau der
beiden Produkte gleichzeitig ausgedehnt hat."

Ferrero gehört also nicht zu den Lobrednern der Gracchen; ihr Heilmittel
sei in ein Gift umgeschlagen, habe die Zersetzung gefördert. Auch die pergamenischc
Erbschaft, die die Gracchen in bester Absicht fürs Volk nutzbar zu machen ver¬
suchten, habe geschadet. Zudem hatte Cajus „mit dem Gesetze über Asien sdas
den Senat in der Verteilung und Verwaltung der Provinzen beschränktes für
die römischen Kapitalisten ein neues und sehr gewinnreiches Geschäftsgebiet
geschaffen. In Rom bildeten sich zahlreiche Gesellschaften zur Pachtung der
dortigen Abgaben, und geschickte Geldleute legten darin ihr Kapital an. sodaß
nach der militärischen und merkantilen hier auch die finanzielle Ausdehnung des
Imperialismus erfolgte. In allen Familien der Mittelklasse — diese muß noch
zahlreich gewesen sein, obwohl sich wahrscheinlich die Fruchtbarkeit von Geschlecht
zu Geschlecht minderte — verließen viele Kinder, von der Dürftigkeit der länd¬
lichen Verhältnisse abgestoßen, das väterliche Haus; sie gingen in die benachbarte
Stadt oder nach Rom, um dort als Handwerker oder Händler ihren Unterhalt
zu erwerben; oder sie traten freiwillig ins Heer oder wurden ausgehoben und
suchten ihr Glück in fernen Ländern. Die Kolonien italischer Kaufleute um
das Mittelmeer herum wurden immer zahlreicher; etwa um diese Zeit entstand
auch eine in Alexandrien. Viele Italiener wanderten nach Asien; dort betrieben
sie im Auftrage der großen Püchtergesellschaften kleine Geldgeschäfte, daneben
auch Sklavenhandel und den Ein- und Verkauf von asiatischen Produkten,
denn die Nachfrage nach solchen stieg immer mehr in Rom. Oft schickten die
Väter, um ihren Kindern ein besseres Los zu bereiten, diese, auch wenn sie
sich das Geld dazu leihen mußten, zum Studium in die Stadt, damit sie dort
die Redekunst erlernten, sich als Anwälte einen Namen machten, die Aufmerk¬
samkeit reicher und mächtiger Leute auf sich ziehen und mit deren Hilfe zu
Ämtern und Würden gelangen könnten. So ging diese Klasse von mittlern
Grundbesitzern und Bauern, die einen so großen Teil der Halbinsel urbar
gemacht, die den Hannibal besiegt hatte, allmählich zugrunde. In ganz Italien
wurden die kleinen Güter in den Händen gieriger Unternehmer zu ausgedehnten
Besitzungen vereinigt; diese Herren setzten an die Stelle der freien, faul, ehr¬
geizig und aufsässig gewordnen Arbeiter Sklaven, sodaß die freie Bevölkerung
vom Lande abwanderte, um in den Städten Italiens oder in den Provinzen
ihr Glück zu suchen oder auch nach Rom zu gehn und dort politischen Einfluß
zu gewinnen" oder ein Schmarotzerleben zu führen. Ganz wie bei uns heute;
fehlen doch auch die Sklaven nicht, die slawischen und die italienischen Wander¬
arbeiter. Daß die Latifundien die kleinen freien Besitzer entweder nicht ganz
verdrängt haben, oder daß sich ein neuer Stand von solchen gebildet hat, und
daß der Großbesitz je länger desto weniger den Großbetrieb bedeutete, haben


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/83>, abgerufen am 28.07.2024.