Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Ein neuer Gibbon

wir von Friedlünder vernommen, und auch Ferrero gibt das später gelegentlich
zu. Sehr heilsam hat nach ihm das Gesetz des Volkstribunen Spurius Thorius
vom Jahre 111 gewirkt, das "die letzten Spuren des alten Agrarkommunismus
beseitigte und fast den gesamten Boden Italiens zu Privateigentum machte".
Gleich nach Erlaß des Gesetzes "stiegen die Grundstücke im Preise; die ver¬
schuldeten Grundbesitzer konnten ihr Land verkaufen, von dem sie vorher nur
die Naturalnutzung hatten; wer Kapital in den Boden gesteckt hatte, fühlte
sich beruhigt, und der Handel mit Grundstücken nahm einen lebhaften Auf¬
schwung".

Freilich traten bei dieser Umwälzung, wie in der untern und mittlern
Schicht, so auch in der obern neue Geschlechter an die Stelle der alten, und
das war kein Unglück. "Es gibt keine Klasse, die vollständiger das Gefühl
für das, was gut und böse ist, verliert, als eine verschuldete, bedürftige Aristo¬
kratie, die, voll Neid gegen eine Plutokratie eben aufgeschossener Millionäre,
nur danach trachtet, den Vorrang, den Luxus und die Genüsse noch festzuhalten,
wenn die Armut schon anklopft. Rom hatte von seiner Aristokratie manches
schändliche zu sehen bekommen . . . Aber die Achtung vor einer uralten Aristo¬
kratie wie die Bewunderung für einen Staat, dessen Macht eine Reihe von
Jahrhunderten überdauert hat, haften im Volksgemüt noch lange nach dem
Beginne des Verfalls, und so machte sich Rom noch immer Illusionen über
seinen Adel, wie es heute ein Land tut, dessen Nobilität in ähnlicher Weise
dem Untergange entgegengeht, ich meine England." Kenner Englands mögen
entscheiden, ob der Verfasser Recht hat. Von der Manischen Restauration,
die Mommsen gepriesen hat, sagt Ferrero: in Wirklichkeit habe gar keine
aristokratische Restauration stattgefunden, "denn die römische Aristokratie existierte
nicht mehr; sondern in Asien wie in Italien und im ganzen Reiche handelte
es sich nur um den zügellosen und bluttriefenden Triumph einer kleinen Schar
von Meuchelmördern, Sklaven, adlichen Bettlern, gewissenlosen Abenteurern,
spitzbübischen Wucherern und feilen Söldnern über ein ungeheures Reich von
Millionen Unterdrückter, die in einem Wutanfall einen vergeblichen Befreiungs-
versuch unternommen hatten". Unter den Mitteln, mit denen sich die herunter-
gekommnen Adelssprößlinge über Wasser zu halten versuchten, zählt Ferrero
auch Heiraten mit Töchtern der neue" Nobilität auf, zu der die größern
Grundbesitzer gehörten. Diese neuen Landwirte waren intelligent und fleißig;
sie studierten die Schriften der griechischen Agronomen und das Lehrbuch der
Landwirtschaft des Karthagers Mago, von dem der Senat eine lateinische
Übersetzung veranstaltet hatte. Sie liehen, wenn sie unbemittelt waren, "ein
kleines Kapital, pflanzten Öl und Wein und strebten nach rationeller Boden¬
nutzung". Aber nur uuter vielen Mißerfolge" ging es vorwärts. "Mangel
an Erfahrung, die UnVollkommenheit des Straßennetzes, wucherische Zinsen,
der unorganisierte Zustand des Handels standen ihrem Erfolg im Wege und
ließen oft gerade die unternehmendsten Landwirte Schiffbruch leiden." Die


Ein neuer Gibbon

wir von Friedlünder vernommen, und auch Ferrero gibt das später gelegentlich
zu. Sehr heilsam hat nach ihm das Gesetz des Volkstribunen Spurius Thorius
vom Jahre 111 gewirkt, das „die letzten Spuren des alten Agrarkommunismus
beseitigte und fast den gesamten Boden Italiens zu Privateigentum machte".
Gleich nach Erlaß des Gesetzes „stiegen die Grundstücke im Preise; die ver¬
schuldeten Grundbesitzer konnten ihr Land verkaufen, von dem sie vorher nur
die Naturalnutzung hatten; wer Kapital in den Boden gesteckt hatte, fühlte
sich beruhigt, und der Handel mit Grundstücken nahm einen lebhaften Auf¬
schwung".

Freilich traten bei dieser Umwälzung, wie in der untern und mittlern
Schicht, so auch in der obern neue Geschlechter an die Stelle der alten, und
das war kein Unglück. „Es gibt keine Klasse, die vollständiger das Gefühl
für das, was gut und böse ist, verliert, als eine verschuldete, bedürftige Aristo¬
kratie, die, voll Neid gegen eine Plutokratie eben aufgeschossener Millionäre,
nur danach trachtet, den Vorrang, den Luxus und die Genüsse noch festzuhalten,
wenn die Armut schon anklopft. Rom hatte von seiner Aristokratie manches
schändliche zu sehen bekommen . . . Aber die Achtung vor einer uralten Aristo¬
kratie wie die Bewunderung für einen Staat, dessen Macht eine Reihe von
Jahrhunderten überdauert hat, haften im Volksgemüt noch lange nach dem
Beginne des Verfalls, und so machte sich Rom noch immer Illusionen über
seinen Adel, wie es heute ein Land tut, dessen Nobilität in ähnlicher Weise
dem Untergange entgegengeht, ich meine England." Kenner Englands mögen
entscheiden, ob der Verfasser Recht hat. Von der Manischen Restauration,
die Mommsen gepriesen hat, sagt Ferrero: in Wirklichkeit habe gar keine
aristokratische Restauration stattgefunden, „denn die römische Aristokratie existierte
nicht mehr; sondern in Asien wie in Italien und im ganzen Reiche handelte
es sich nur um den zügellosen und bluttriefenden Triumph einer kleinen Schar
von Meuchelmördern, Sklaven, adlichen Bettlern, gewissenlosen Abenteurern,
spitzbübischen Wucherern und feilen Söldnern über ein ungeheures Reich von
Millionen Unterdrückter, die in einem Wutanfall einen vergeblichen Befreiungs-
versuch unternommen hatten". Unter den Mitteln, mit denen sich die herunter-
gekommnen Adelssprößlinge über Wasser zu halten versuchten, zählt Ferrero
auch Heiraten mit Töchtern der neue» Nobilität auf, zu der die größern
Grundbesitzer gehörten. Diese neuen Landwirte waren intelligent und fleißig;
sie studierten die Schriften der griechischen Agronomen und das Lehrbuch der
Landwirtschaft des Karthagers Mago, von dem der Senat eine lateinische
Übersetzung veranstaltet hatte. Sie liehen, wenn sie unbemittelt waren, „ein
kleines Kapital, pflanzten Öl und Wein und strebten nach rationeller Boden¬
nutzung". Aber nur uuter vielen Mißerfolge» ging es vorwärts. „Mangel
an Erfahrung, die UnVollkommenheit des Straßennetzes, wucherische Zinsen,
der unorganisierte Zustand des Handels standen ihrem Erfolg im Wege und
ließen oft gerade die unternehmendsten Landwirte Schiffbruch leiden." Die


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0084" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/309695"/>
          <fw type="header" place="top"> Ein neuer Gibbon</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_265" prev="#ID_264"> wir von Friedlünder vernommen, und auch Ferrero gibt das später gelegentlich<lb/>
zu. Sehr heilsam hat nach ihm das Gesetz des Volkstribunen Spurius Thorius<lb/>
vom Jahre 111 gewirkt, das &#x201E;die letzten Spuren des alten Agrarkommunismus<lb/>
beseitigte und fast den gesamten Boden Italiens zu Privateigentum machte".<lb/>
Gleich nach Erlaß des Gesetzes &#x201E;stiegen die Grundstücke im Preise; die ver¬<lb/>
schuldeten Grundbesitzer konnten ihr Land verkaufen, von dem sie vorher nur<lb/>
die Naturalnutzung hatten; wer Kapital in den Boden gesteckt hatte, fühlte<lb/>
sich beruhigt, und der Handel mit Grundstücken nahm einen lebhaften Auf¬<lb/>
schwung".</p><lb/>
          <p xml:id="ID_266" next="#ID_267"> Freilich traten bei dieser Umwälzung, wie in der untern und mittlern<lb/>
Schicht, so auch in der obern neue Geschlechter an die Stelle der alten, und<lb/>
das war kein Unglück. &#x201E;Es gibt keine Klasse, die vollständiger das Gefühl<lb/>
für das, was gut und böse ist, verliert, als eine verschuldete, bedürftige Aristo¬<lb/>
kratie, die, voll Neid gegen eine Plutokratie eben aufgeschossener Millionäre,<lb/>
nur danach trachtet, den Vorrang, den Luxus und die Genüsse noch festzuhalten,<lb/>
wenn die Armut schon anklopft. Rom hatte von seiner Aristokratie manches<lb/>
schändliche zu sehen bekommen . . . Aber die Achtung vor einer uralten Aristo¬<lb/>
kratie wie die Bewunderung für einen Staat, dessen Macht eine Reihe von<lb/>
Jahrhunderten überdauert hat, haften im Volksgemüt noch lange nach dem<lb/>
Beginne des Verfalls, und so machte sich Rom noch immer Illusionen über<lb/>
seinen Adel, wie es heute ein Land tut, dessen Nobilität in ähnlicher Weise<lb/>
dem Untergange entgegengeht, ich meine England." Kenner Englands mögen<lb/>
entscheiden, ob der Verfasser Recht hat. Von der Manischen Restauration,<lb/>
die Mommsen gepriesen hat, sagt Ferrero: in Wirklichkeit habe gar keine<lb/>
aristokratische Restauration stattgefunden, &#x201E;denn die römische Aristokratie existierte<lb/>
nicht mehr; sondern in Asien wie in Italien und im ganzen Reiche handelte<lb/>
es sich nur um den zügellosen und bluttriefenden Triumph einer kleinen Schar<lb/>
von Meuchelmördern, Sklaven, adlichen Bettlern, gewissenlosen Abenteurern,<lb/>
spitzbübischen Wucherern und feilen Söldnern über ein ungeheures Reich von<lb/>
Millionen Unterdrückter, die in einem Wutanfall einen vergeblichen Befreiungs-<lb/>
versuch unternommen hatten". Unter den Mitteln, mit denen sich die herunter-<lb/>
gekommnen Adelssprößlinge über Wasser zu halten versuchten, zählt Ferrero<lb/>
auch Heiraten mit Töchtern der neue» Nobilität auf, zu der die größern<lb/>
Grundbesitzer gehörten. Diese neuen Landwirte waren intelligent und fleißig;<lb/>
sie studierten die Schriften der griechischen Agronomen und das Lehrbuch der<lb/>
Landwirtschaft des Karthagers Mago, von dem der Senat eine lateinische<lb/>
Übersetzung veranstaltet hatte. Sie liehen, wenn sie unbemittelt waren, &#x201E;ein<lb/>
kleines Kapital, pflanzten Öl und Wein und strebten nach rationeller Boden¬<lb/>
nutzung". Aber nur uuter vielen Mißerfolge» ging es vorwärts. &#x201E;Mangel<lb/>
an Erfahrung, die UnVollkommenheit des Straßennetzes, wucherische Zinsen,<lb/>
der unorganisierte Zustand des Handels standen ihrem Erfolg im Wege und<lb/>
ließen oft gerade die unternehmendsten Landwirte Schiffbruch leiden." Die</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0084] Ein neuer Gibbon wir von Friedlünder vernommen, und auch Ferrero gibt das später gelegentlich zu. Sehr heilsam hat nach ihm das Gesetz des Volkstribunen Spurius Thorius vom Jahre 111 gewirkt, das „die letzten Spuren des alten Agrarkommunismus beseitigte und fast den gesamten Boden Italiens zu Privateigentum machte". Gleich nach Erlaß des Gesetzes „stiegen die Grundstücke im Preise; die ver¬ schuldeten Grundbesitzer konnten ihr Land verkaufen, von dem sie vorher nur die Naturalnutzung hatten; wer Kapital in den Boden gesteckt hatte, fühlte sich beruhigt, und der Handel mit Grundstücken nahm einen lebhaften Auf¬ schwung". Freilich traten bei dieser Umwälzung, wie in der untern und mittlern Schicht, so auch in der obern neue Geschlechter an die Stelle der alten, und das war kein Unglück. „Es gibt keine Klasse, die vollständiger das Gefühl für das, was gut und böse ist, verliert, als eine verschuldete, bedürftige Aristo¬ kratie, die, voll Neid gegen eine Plutokratie eben aufgeschossener Millionäre, nur danach trachtet, den Vorrang, den Luxus und die Genüsse noch festzuhalten, wenn die Armut schon anklopft. Rom hatte von seiner Aristokratie manches schändliche zu sehen bekommen . . . Aber die Achtung vor einer uralten Aristo¬ kratie wie die Bewunderung für einen Staat, dessen Macht eine Reihe von Jahrhunderten überdauert hat, haften im Volksgemüt noch lange nach dem Beginne des Verfalls, und so machte sich Rom noch immer Illusionen über seinen Adel, wie es heute ein Land tut, dessen Nobilität in ähnlicher Weise dem Untergange entgegengeht, ich meine England." Kenner Englands mögen entscheiden, ob der Verfasser Recht hat. Von der Manischen Restauration, die Mommsen gepriesen hat, sagt Ferrero: in Wirklichkeit habe gar keine aristokratische Restauration stattgefunden, „denn die römische Aristokratie existierte nicht mehr; sondern in Asien wie in Italien und im ganzen Reiche handelte es sich nur um den zügellosen und bluttriefenden Triumph einer kleinen Schar von Meuchelmördern, Sklaven, adlichen Bettlern, gewissenlosen Abenteurern, spitzbübischen Wucherern und feilen Söldnern über ein ungeheures Reich von Millionen Unterdrückter, die in einem Wutanfall einen vergeblichen Befreiungs- versuch unternommen hatten". Unter den Mitteln, mit denen sich die herunter- gekommnen Adelssprößlinge über Wasser zu halten versuchten, zählt Ferrero auch Heiraten mit Töchtern der neue» Nobilität auf, zu der die größern Grundbesitzer gehörten. Diese neuen Landwirte waren intelligent und fleißig; sie studierten die Schriften der griechischen Agronomen und das Lehrbuch der Landwirtschaft des Karthagers Mago, von dem der Senat eine lateinische Übersetzung veranstaltet hatte. Sie liehen, wenn sie unbemittelt waren, „ein kleines Kapital, pflanzten Öl und Wein und strebten nach rationeller Boden¬ nutzung". Aber nur uuter vielen Mißerfolge» ging es vorwärts. „Mangel an Erfahrung, die UnVollkommenheit des Straßennetzes, wucherische Zinsen, der unorganisierte Zustand des Handels standen ihrem Erfolg im Wege und ließen oft gerade die unternehmendsten Landwirte Schiffbruch leiden." Die

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/84
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/84>, abgerufen am 24.07.2024.