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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Die Tätigkeit der ungarischen Koalition

Zügel der Regierung etwas straffer anzuziehen. Zunächst wurden die wider¬
spenstigsten Obergespane beseitigt und durch Vertrauensmänner der Krone er¬
setzt, was einige Ausschreitungen, Demonstrationen und Lärm in den Zeitungen
zur Folge hatte und verschiedne Vermittlungsversuche und Verhandlungen mit
sich brachte, die jedoch zu nichts führten, da Kaiser Franz Joseph von seiner
Hauptforderung: Fallenlassen aller militärischen Begehren, nicht abging. Am
13. Februar empfing Fejervary bei der Audienz in Wien zwei königliche Ver¬
ordnungen, nach denen am 19. Februar der ungarische Reichstag aufgelöst
und am 1. März die Handelsverträge mit Deutschland und Italien in Kraft
gesetzt werden sollten. Als königlicher Kommissar für die Reichstagsauslösung
wurde der frühere Honvedminister General Nyiry bestimmt. Man stöhnte in
Ungarn über den "Absolutismus", beschloß aber, unter Protest der Gewalt
zu weichen. So ging die Reichstagsauflösung ganz ruhig hin, und die
trotzigen Militärforderer mußten erleben, daß dies unter dem Schutze von
Honveds, die auf die ungarische Verfassung beeidet sind und magyarisch
kommandiert werden -- es waren allerdings der Vorsicht halber Rumänen --,
geschah. Die Börse begleitete das Ereignis mit einer ausgesprochnen Hauffe,
was übrigens für das Verständnis des nun folgenden von Wichtigkeit ist.

Die Negierung rechtfertigte sich in einer Veröffentlichung an die Be¬
völkerung mit der Notwendigkeit der Beseitigung eines Zustandes, der in der
Weigerung der parlamentarischen Mehrheit, die Regierung zu übernehmen,
seinen Ursprung habe. Protestversammlungen und der Straßenverkauf der
Zeitungen in Budapest wurden verboten, einige kecke Blätter konfisziert, die
letzten oppositionellen Obergespane entfernt. Die Koalition gab am 27. Februar
zu ihrer Rechtfertigung noch ein zahmes "Manifest an die Nation" heraus,
in dem sie versicherte, sie sei bis an die äußerste Grenze der Nachgiebigkeit
gegangen. Einige Änderungen im Ministerium schienen aber anzudeuten, daß
sich Baron Fejervary auf eine längere Dauer seines Kabinetts einrichte, auch
vereinbarte er mit einigen hauptstädtischen Banken einen Kontokorrenttredit
von 100 Millionen, um den bedeutenden Ausfall an direkten Steuern zu
decken. Die Koalition verdammte das unpatriotische Verhalten der Banken
und setzte nun alle Hoffnung noch auf den 11. April, an welchem Tage nach
den Bestimmungen der Verfassung für regelmäßige Zustünde die Neuwahlen
ausgeschrieben werden mußten. Das Ministerium erließ aber am 15. März,
dem Gedenktag der Verfassung von 1848, eine Bekanntmachung des Inhalts,
die Negierung werde erst dann zu Neuwahlen schreiten, wenn sie sicher sei,
daß der neue Reichstag nicht einen völligen Umsturz der öffentlichen Ordnung
und des staatlichen Ansehens bedeuten würde. Der dagegen protestierende
Ausschuß der Koalition wurde aufgelöst. Die Presse warf die Frage der
Verletzung des Krönungseids auf und suchte die Mär zu verbreiten, der
Papst habe den König vom Verfassungseid entbunden. Als aber alles nichts
half, und am 3. April in einem Kronrate in Wien, an dem auch die gemein¬
samen Minister teilnahmen, beschlossen worden war, die Neuwahlen in Ungarn


Die Tätigkeit der ungarischen Koalition

Zügel der Regierung etwas straffer anzuziehen. Zunächst wurden die wider¬
spenstigsten Obergespane beseitigt und durch Vertrauensmänner der Krone er¬
setzt, was einige Ausschreitungen, Demonstrationen und Lärm in den Zeitungen
zur Folge hatte und verschiedne Vermittlungsversuche und Verhandlungen mit
sich brachte, die jedoch zu nichts führten, da Kaiser Franz Joseph von seiner
Hauptforderung: Fallenlassen aller militärischen Begehren, nicht abging. Am
13. Februar empfing Fejervary bei der Audienz in Wien zwei königliche Ver¬
ordnungen, nach denen am 19. Februar der ungarische Reichstag aufgelöst
und am 1. März die Handelsverträge mit Deutschland und Italien in Kraft
gesetzt werden sollten. Als königlicher Kommissar für die Reichstagsauslösung
wurde der frühere Honvedminister General Nyiry bestimmt. Man stöhnte in
Ungarn über den „Absolutismus", beschloß aber, unter Protest der Gewalt
zu weichen. So ging die Reichstagsauflösung ganz ruhig hin, und die
trotzigen Militärforderer mußten erleben, daß dies unter dem Schutze von
Honveds, die auf die ungarische Verfassung beeidet sind und magyarisch
kommandiert werden — es waren allerdings der Vorsicht halber Rumänen —,
geschah. Die Börse begleitete das Ereignis mit einer ausgesprochnen Hauffe,
was übrigens für das Verständnis des nun folgenden von Wichtigkeit ist.

Die Negierung rechtfertigte sich in einer Veröffentlichung an die Be¬
völkerung mit der Notwendigkeit der Beseitigung eines Zustandes, der in der
Weigerung der parlamentarischen Mehrheit, die Regierung zu übernehmen,
seinen Ursprung habe. Protestversammlungen und der Straßenverkauf der
Zeitungen in Budapest wurden verboten, einige kecke Blätter konfisziert, die
letzten oppositionellen Obergespane entfernt. Die Koalition gab am 27. Februar
zu ihrer Rechtfertigung noch ein zahmes „Manifest an die Nation" heraus,
in dem sie versicherte, sie sei bis an die äußerste Grenze der Nachgiebigkeit
gegangen. Einige Änderungen im Ministerium schienen aber anzudeuten, daß
sich Baron Fejervary auf eine längere Dauer seines Kabinetts einrichte, auch
vereinbarte er mit einigen hauptstädtischen Banken einen Kontokorrenttredit
von 100 Millionen, um den bedeutenden Ausfall an direkten Steuern zu
decken. Die Koalition verdammte das unpatriotische Verhalten der Banken
und setzte nun alle Hoffnung noch auf den 11. April, an welchem Tage nach
den Bestimmungen der Verfassung für regelmäßige Zustünde die Neuwahlen
ausgeschrieben werden mußten. Das Ministerium erließ aber am 15. März,
dem Gedenktag der Verfassung von 1848, eine Bekanntmachung des Inhalts,
die Negierung werde erst dann zu Neuwahlen schreiten, wenn sie sicher sei,
daß der neue Reichstag nicht einen völligen Umsturz der öffentlichen Ordnung
und des staatlichen Ansehens bedeuten würde. Der dagegen protestierende
Ausschuß der Koalition wurde aufgelöst. Die Presse warf die Frage der
Verletzung des Krönungseids auf und suchte die Mär zu verbreiten, der
Papst habe den König vom Verfassungseid entbunden. Als aber alles nichts
half, und am 3. April in einem Kronrate in Wien, an dem auch die gemein¬
samen Minister teilnahmen, beschlossen worden war, die Neuwahlen in Ungarn


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[0069] Die Tätigkeit der ungarischen Koalition Zügel der Regierung etwas straffer anzuziehen. Zunächst wurden die wider¬ spenstigsten Obergespane beseitigt und durch Vertrauensmänner der Krone er¬ setzt, was einige Ausschreitungen, Demonstrationen und Lärm in den Zeitungen zur Folge hatte und verschiedne Vermittlungsversuche und Verhandlungen mit sich brachte, die jedoch zu nichts führten, da Kaiser Franz Joseph von seiner Hauptforderung: Fallenlassen aller militärischen Begehren, nicht abging. Am 13. Februar empfing Fejervary bei der Audienz in Wien zwei königliche Ver¬ ordnungen, nach denen am 19. Februar der ungarische Reichstag aufgelöst und am 1. März die Handelsverträge mit Deutschland und Italien in Kraft gesetzt werden sollten. Als königlicher Kommissar für die Reichstagsauslösung wurde der frühere Honvedminister General Nyiry bestimmt. Man stöhnte in Ungarn über den „Absolutismus", beschloß aber, unter Protest der Gewalt zu weichen. So ging die Reichstagsauflösung ganz ruhig hin, und die trotzigen Militärforderer mußten erleben, daß dies unter dem Schutze von Honveds, die auf die ungarische Verfassung beeidet sind und magyarisch kommandiert werden — es waren allerdings der Vorsicht halber Rumänen —, geschah. Die Börse begleitete das Ereignis mit einer ausgesprochnen Hauffe, was übrigens für das Verständnis des nun folgenden von Wichtigkeit ist. Die Negierung rechtfertigte sich in einer Veröffentlichung an die Be¬ völkerung mit der Notwendigkeit der Beseitigung eines Zustandes, der in der Weigerung der parlamentarischen Mehrheit, die Regierung zu übernehmen, seinen Ursprung habe. Protestversammlungen und der Straßenverkauf der Zeitungen in Budapest wurden verboten, einige kecke Blätter konfisziert, die letzten oppositionellen Obergespane entfernt. Die Koalition gab am 27. Februar zu ihrer Rechtfertigung noch ein zahmes „Manifest an die Nation" heraus, in dem sie versicherte, sie sei bis an die äußerste Grenze der Nachgiebigkeit gegangen. Einige Änderungen im Ministerium schienen aber anzudeuten, daß sich Baron Fejervary auf eine längere Dauer seines Kabinetts einrichte, auch vereinbarte er mit einigen hauptstädtischen Banken einen Kontokorrenttredit von 100 Millionen, um den bedeutenden Ausfall an direkten Steuern zu decken. Die Koalition verdammte das unpatriotische Verhalten der Banken und setzte nun alle Hoffnung noch auf den 11. April, an welchem Tage nach den Bestimmungen der Verfassung für regelmäßige Zustünde die Neuwahlen ausgeschrieben werden mußten. Das Ministerium erließ aber am 15. März, dem Gedenktag der Verfassung von 1848, eine Bekanntmachung des Inhalts, die Negierung werde erst dann zu Neuwahlen schreiten, wenn sie sicher sei, daß der neue Reichstag nicht einen völligen Umsturz der öffentlichen Ordnung und des staatlichen Ansehens bedeuten würde. Der dagegen protestierende Ausschuß der Koalition wurde aufgelöst. Die Presse warf die Frage der Verletzung des Krönungseids auf und suchte die Mär zu verbreiten, der Papst habe den König vom Verfassungseid entbunden. Als aber alles nichts half, und am 3. April in einem Kronrate in Wien, an dem auch die gemein¬ samen Minister teilnahmen, beschlossen worden war, die Neuwahlen in Ungarn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/69>, abgerufen am 25.07.2024.