Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Tätigkeit der ungarischen Uoalition

nicht auszuschreiben, entschieden sich die Führer der Koalition, in erster Linie
Kossuth, dazu, in Verhandlungen mit der Krone einzutreten. Alle Kenner
Ungarns waren längst darüber einig gewesen, daß der große Konflikt einen
sehr theatralischen Abschluß nehmen werde, es handelt sich bloß noch darum,
ihn geschickt in Szene zu setzen; an Regisseuren und an ausreichender parla¬
mentarischer Staffage war kein Mangel. In Ungarn ist jene Sorte von
Politikern, die das öffentliche Leben als Geschäft betreiben und darum für
jede neue Mehrheit zu haben sind, zahlreicher als anderswo. Auf diese kann
jede neue Richtung, die zur Herrschaft gelangt, zählen.

In der ersten Aprilwoche wurden Kossuth und Graf Andrassy zu Ver¬
handlungen nach Wien berufen, die nun einen überraschend schnellen Verlauf
nahmen und auf Grund der Indemnität für alle Verfügungen des Ministeriums
Fejervary, der Bewilligung der Rekruten und der Durchführung der Wahl¬
reform unter selbstverständlicher Ausscheidung der Kommandosprache geführt
wurden. Um das Zustandekommen der Einigung soll sich besonders Polonyi
bemüht haben. Wekerle wurde als künftiger Ministerpräsident bezeichnet, und
Schwierigkeiten ergaben sich eigentlich nur bei der Zusammensetzung des
Kabinetts. Es liefen dabei sehr verschiedne Strömungen nebeneinander her.
Neben ehrlichen Bestrebungen, den Frieden zu suchen, waren verschleierte Ge¬
lüste, recht bald wieder zu den parlamentarischen Fleischtöpfen zurückkehren
zu können, und Intrigen, die agrarische katholische Volkspartei auszuschließen,
tätig. Was darüber an die Öffentlichkeit kam, entspricht sicher nicht der voll¬
ständigen Wahrheit. Die Presse in Wien und in Budapest war einmütig in
der Versicherung, daß die Koalition große Opfer gebracht habe, um den
drohenden Absolutismus vom Lande fernzuhalten, im übrigen sei ihr Sieg
vollständig. Die Krone habe in allen Punkten nachgegeben; anerkannt wurde
höchstens, daß sie sich gescheut habe, durch Wahrung des Termins vom
11. April die Verfassung zu verletzen, was doch kaum entscheidend gewesen
sein dürfte. Diese Anschauungen wurden so einstimmig in den Blättern ver¬
treten, daß sie allgemein geglaubt wurden. Und sie waren doch ebenso irrig
wie alle frühern Mitteilungen der Presse über die jeweilige Lage des Ver-
fassungskonslikts zwischen der Krone und dem ungarischen Reichstage. Eine
geradezu lächerliche Ausstreuung war offenbar die, daß die Zurückstellung der
Kommandofrage einen Sieg der Koalition bedeute. Bei unbefangner Be¬
urteilung der Entwicklung dieser ganzen Angelegenheit kann man doch nur
zu dem Schlüsse kommen, daß die Formel der Zurückstellung nichts andres
als eine von der Krone zugestandne goldne Brücke war, über die die Führer der
Koalition zu den Ministersesseln schreiten konnten, ohne vor dem ungarischen
Volke zugestehn zu müssen, wie weit sie nachgegeben hatten. Es stellte sich
auch schon nach wenigen Monaten heraus, daß sie einen Teil der militärischen
Abmachungen einfach verschwiegen hatten, gerade wie zu Tiszas Zeiten.

- ^ In Ungarn war der Jnbel groß. Als am 9. April die schon in Wien ver¬
eidigten Minister nach Budapest zurückkehrten, war die Stadt festlich beflaggt,


Die Tätigkeit der ungarischen Uoalition

nicht auszuschreiben, entschieden sich die Führer der Koalition, in erster Linie
Kossuth, dazu, in Verhandlungen mit der Krone einzutreten. Alle Kenner
Ungarns waren längst darüber einig gewesen, daß der große Konflikt einen
sehr theatralischen Abschluß nehmen werde, es handelt sich bloß noch darum,
ihn geschickt in Szene zu setzen; an Regisseuren und an ausreichender parla¬
mentarischer Staffage war kein Mangel. In Ungarn ist jene Sorte von
Politikern, die das öffentliche Leben als Geschäft betreiben und darum für
jede neue Mehrheit zu haben sind, zahlreicher als anderswo. Auf diese kann
jede neue Richtung, die zur Herrschaft gelangt, zählen.

In der ersten Aprilwoche wurden Kossuth und Graf Andrassy zu Ver¬
handlungen nach Wien berufen, die nun einen überraschend schnellen Verlauf
nahmen und auf Grund der Indemnität für alle Verfügungen des Ministeriums
Fejervary, der Bewilligung der Rekruten und der Durchführung der Wahl¬
reform unter selbstverständlicher Ausscheidung der Kommandosprache geführt
wurden. Um das Zustandekommen der Einigung soll sich besonders Polonyi
bemüht haben. Wekerle wurde als künftiger Ministerpräsident bezeichnet, und
Schwierigkeiten ergaben sich eigentlich nur bei der Zusammensetzung des
Kabinetts. Es liefen dabei sehr verschiedne Strömungen nebeneinander her.
Neben ehrlichen Bestrebungen, den Frieden zu suchen, waren verschleierte Ge¬
lüste, recht bald wieder zu den parlamentarischen Fleischtöpfen zurückkehren
zu können, und Intrigen, die agrarische katholische Volkspartei auszuschließen,
tätig. Was darüber an die Öffentlichkeit kam, entspricht sicher nicht der voll¬
ständigen Wahrheit. Die Presse in Wien und in Budapest war einmütig in
der Versicherung, daß die Koalition große Opfer gebracht habe, um den
drohenden Absolutismus vom Lande fernzuhalten, im übrigen sei ihr Sieg
vollständig. Die Krone habe in allen Punkten nachgegeben; anerkannt wurde
höchstens, daß sie sich gescheut habe, durch Wahrung des Termins vom
11. April die Verfassung zu verletzen, was doch kaum entscheidend gewesen
sein dürfte. Diese Anschauungen wurden so einstimmig in den Blättern ver¬
treten, daß sie allgemein geglaubt wurden. Und sie waren doch ebenso irrig
wie alle frühern Mitteilungen der Presse über die jeweilige Lage des Ver-
fassungskonslikts zwischen der Krone und dem ungarischen Reichstage. Eine
geradezu lächerliche Ausstreuung war offenbar die, daß die Zurückstellung der
Kommandofrage einen Sieg der Koalition bedeute. Bei unbefangner Be¬
urteilung der Entwicklung dieser ganzen Angelegenheit kann man doch nur
zu dem Schlüsse kommen, daß die Formel der Zurückstellung nichts andres
als eine von der Krone zugestandne goldne Brücke war, über die die Führer der
Koalition zu den Ministersesseln schreiten konnten, ohne vor dem ungarischen
Volke zugestehn zu müssen, wie weit sie nachgegeben hatten. Es stellte sich
auch schon nach wenigen Monaten heraus, daß sie einen Teil der militärischen
Abmachungen einfach verschwiegen hatten, gerade wie zu Tiszas Zeiten.

- ^ In Ungarn war der Jnbel groß. Als am 9. April die schon in Wien ver¬
eidigten Minister nach Budapest zurückkehrten, war die Stadt festlich beflaggt,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0070" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/309681"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Tätigkeit der ungarischen Uoalition</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_229" prev="#ID_228"> nicht auszuschreiben, entschieden sich die Führer der Koalition, in erster Linie<lb/>
Kossuth, dazu, in Verhandlungen mit der Krone einzutreten. Alle Kenner<lb/>
Ungarns waren längst darüber einig gewesen, daß der große Konflikt einen<lb/>
sehr theatralischen Abschluß nehmen werde, es handelt sich bloß noch darum,<lb/>
ihn geschickt in Szene zu setzen; an Regisseuren und an ausreichender parla¬<lb/>
mentarischer Staffage war kein Mangel. In Ungarn ist jene Sorte von<lb/>
Politikern, die das öffentliche Leben als Geschäft betreiben und darum für<lb/>
jede neue Mehrheit zu haben sind, zahlreicher als anderswo. Auf diese kann<lb/>
jede neue Richtung, die zur Herrschaft gelangt, zählen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_230"> In der ersten Aprilwoche wurden Kossuth und Graf Andrassy zu Ver¬<lb/>
handlungen nach Wien berufen, die nun einen überraschend schnellen Verlauf<lb/>
nahmen und auf Grund der Indemnität für alle Verfügungen des Ministeriums<lb/>
Fejervary, der Bewilligung der Rekruten und der Durchführung der Wahl¬<lb/>
reform unter selbstverständlicher Ausscheidung der Kommandosprache geführt<lb/>
wurden. Um das Zustandekommen der Einigung soll sich besonders Polonyi<lb/>
bemüht haben. Wekerle wurde als künftiger Ministerpräsident bezeichnet, und<lb/>
Schwierigkeiten ergaben sich eigentlich nur bei der Zusammensetzung des<lb/>
Kabinetts. Es liefen dabei sehr verschiedne Strömungen nebeneinander her.<lb/>
Neben ehrlichen Bestrebungen, den Frieden zu suchen, waren verschleierte Ge¬<lb/>
lüste, recht bald wieder zu den parlamentarischen Fleischtöpfen zurückkehren<lb/>
zu können, und Intrigen, die agrarische katholische Volkspartei auszuschließen,<lb/>
tätig. Was darüber an die Öffentlichkeit kam, entspricht sicher nicht der voll¬<lb/>
ständigen Wahrheit. Die Presse in Wien und in Budapest war einmütig in<lb/>
der Versicherung, daß die Koalition große Opfer gebracht habe, um den<lb/>
drohenden Absolutismus vom Lande fernzuhalten, im übrigen sei ihr Sieg<lb/>
vollständig. Die Krone habe in allen Punkten nachgegeben; anerkannt wurde<lb/>
höchstens, daß sie sich gescheut habe, durch Wahrung des Termins vom<lb/>
11. April die Verfassung zu verletzen, was doch kaum entscheidend gewesen<lb/>
sein dürfte. Diese Anschauungen wurden so einstimmig in den Blättern ver¬<lb/>
treten, daß sie allgemein geglaubt wurden. Und sie waren doch ebenso irrig<lb/>
wie alle frühern Mitteilungen der Presse über die jeweilige Lage des Ver-<lb/>
fassungskonslikts zwischen der Krone und dem ungarischen Reichstage. Eine<lb/>
geradezu lächerliche Ausstreuung war offenbar die, daß die Zurückstellung der<lb/>
Kommandofrage einen Sieg der Koalition bedeute. Bei unbefangner Be¬<lb/>
urteilung der Entwicklung dieser ganzen Angelegenheit kann man doch nur<lb/>
zu dem Schlüsse kommen, daß die Formel der Zurückstellung nichts andres<lb/>
als eine von der Krone zugestandne goldne Brücke war, über die die Führer der<lb/>
Koalition zu den Ministersesseln schreiten konnten, ohne vor dem ungarischen<lb/>
Volke zugestehn zu müssen, wie weit sie nachgegeben hatten. Es stellte sich<lb/>
auch schon nach wenigen Monaten heraus, daß sie einen Teil der militärischen<lb/>
Abmachungen einfach verschwiegen hatten, gerade wie zu Tiszas Zeiten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_231" next="#ID_232"> - ^ In Ungarn war der Jnbel groß. Als am 9. April die schon in Wien ver¬<lb/>
eidigten Minister nach Budapest zurückkehrten, war die Stadt festlich beflaggt,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0070] Die Tätigkeit der ungarischen Uoalition nicht auszuschreiben, entschieden sich die Führer der Koalition, in erster Linie Kossuth, dazu, in Verhandlungen mit der Krone einzutreten. Alle Kenner Ungarns waren längst darüber einig gewesen, daß der große Konflikt einen sehr theatralischen Abschluß nehmen werde, es handelt sich bloß noch darum, ihn geschickt in Szene zu setzen; an Regisseuren und an ausreichender parla¬ mentarischer Staffage war kein Mangel. In Ungarn ist jene Sorte von Politikern, die das öffentliche Leben als Geschäft betreiben und darum für jede neue Mehrheit zu haben sind, zahlreicher als anderswo. Auf diese kann jede neue Richtung, die zur Herrschaft gelangt, zählen. In der ersten Aprilwoche wurden Kossuth und Graf Andrassy zu Ver¬ handlungen nach Wien berufen, die nun einen überraschend schnellen Verlauf nahmen und auf Grund der Indemnität für alle Verfügungen des Ministeriums Fejervary, der Bewilligung der Rekruten und der Durchführung der Wahl¬ reform unter selbstverständlicher Ausscheidung der Kommandosprache geführt wurden. Um das Zustandekommen der Einigung soll sich besonders Polonyi bemüht haben. Wekerle wurde als künftiger Ministerpräsident bezeichnet, und Schwierigkeiten ergaben sich eigentlich nur bei der Zusammensetzung des Kabinetts. Es liefen dabei sehr verschiedne Strömungen nebeneinander her. Neben ehrlichen Bestrebungen, den Frieden zu suchen, waren verschleierte Ge¬ lüste, recht bald wieder zu den parlamentarischen Fleischtöpfen zurückkehren zu können, und Intrigen, die agrarische katholische Volkspartei auszuschließen, tätig. Was darüber an die Öffentlichkeit kam, entspricht sicher nicht der voll¬ ständigen Wahrheit. Die Presse in Wien und in Budapest war einmütig in der Versicherung, daß die Koalition große Opfer gebracht habe, um den drohenden Absolutismus vom Lande fernzuhalten, im übrigen sei ihr Sieg vollständig. Die Krone habe in allen Punkten nachgegeben; anerkannt wurde höchstens, daß sie sich gescheut habe, durch Wahrung des Termins vom 11. April die Verfassung zu verletzen, was doch kaum entscheidend gewesen sein dürfte. Diese Anschauungen wurden so einstimmig in den Blättern ver¬ treten, daß sie allgemein geglaubt wurden. Und sie waren doch ebenso irrig wie alle frühern Mitteilungen der Presse über die jeweilige Lage des Ver- fassungskonslikts zwischen der Krone und dem ungarischen Reichstage. Eine geradezu lächerliche Ausstreuung war offenbar die, daß die Zurückstellung der Kommandofrage einen Sieg der Koalition bedeute. Bei unbefangner Be¬ urteilung der Entwicklung dieser ganzen Angelegenheit kann man doch nur zu dem Schlüsse kommen, daß die Formel der Zurückstellung nichts andres als eine von der Krone zugestandne goldne Brücke war, über die die Führer der Koalition zu den Ministersesseln schreiten konnten, ohne vor dem ungarischen Volke zugestehn zu müssen, wie weit sie nachgegeben hatten. Es stellte sich auch schon nach wenigen Monaten heraus, daß sie einen Teil der militärischen Abmachungen einfach verschwiegen hatten, gerade wie zu Tiszas Zeiten. - ^ In Ungarn war der Jnbel groß. Als am 9. April die schon in Wien ver¬ eidigten Minister nach Budapest zurückkehrten, war die Stadt festlich beflaggt,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/70
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/70>, abgerufen am 04.07.2024.