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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Die Schlacht bei pavta

Alencon, von Salms Reisigen angegriffen, in wilder Flucht das Schlachtfeld
verließ -- eine schmähliche Episode inmitten so vieler Proben von Heldenmut --,
waren alle Teile des französischen Heeres bis auf die noch nicht ins Gefecht
gekommnen 8000 Schweizer kampfunfähig gemacht. Aber gerade diese berühmte
Truppe, auf die König Franz seine stärkste Hoffnung gesetzt hatte, versagte bei
Pavia vollständig. Von 12000 Landsknechten in der Front angegriffen (auch hier
wieder Deutsche gegen Deutsche!), von dem inzwischen aus Pavia ausgefallnen
und nach Besiegung der Italiener Medicis vordringenden Leyva im Rücken
angefallen, schienen sie ihren alten Ruf zu vergessen und flohen in Masse.
Ihr Anführer Johann von Dieszbach und andre Hauptleute fanden den Tod.
Viele Tausende von Eidgenossen ertranken im Tessin, viele wurden von den
Landsknechten gerettet.

So war jeder Widerstand des prächtigen französischen Heeres gebrochen.
Überall wilde Flucht oder vereinzeltes Morden. Um dem Gemetzel Einhalt zu
tun, ließ Pescara den "guten Krieg" verkünden. Es war aber schon zu spät.

Die interessanteste Episode der Schlacht von Pavia ist unstreitig die
Gefangennahme des Königs. R. Thom streift sie in seinem Buche, das haupt¬
sächlich einer Darstellung der militärischen Bewegungen gewidmet ist, nur kurz.
Die verläßlichste Quelle für diese echt ritterlich-romantische Szene dürfte Meißner
sein. Es kann nicht zweifelhaft erscheinen, daß sich der Valois noch mit
äußerstem persönlichem Mute wehrte, als schou sein Heer geflohen, die meisten
Edeln um ihn gefallen oder gefangen waren. Da stach Niklas Salm des
Königs Hengst nieder und verwundete Franz -- der schon vorher einige un¬
bedeutende Verletzungen erlitten hatte -- an der Hand. Der König aber stach
Salm durch den Schenkel und wehrte sich tapfer. Da kam Mokka Anarrius,
der Hofmeister des Herzogs von Bourbon, hinzu und forderte den König auf, sich
dem Herzog, der nicht weit sei, zu ergeben. Reißners Schilderung ist so kräftig,
daß wir am besten ihm selber das Wort geben. "Der König war ob diesem
Namen unwirß vnd sprach: Ich kenne keinen Hertzogen von Bourbon, denn
mich selbß vnd wil mich niemandt gefangen geben, denn dem Römischen
Keyser. ehe will ich sterben. Da ist ein Hispanier hinzugeruckt, hat jn beym
Helmlin erwüscht, vnd vom Pferd wollen reissen, den hat der König von jm
gestochen, daß dem Hispanier eins theils von des Königs Ermel vnd Feder
vom Haupthelm in der Hand blieben. Der König befahl, man solte den
Vice-Roi heißen kommen, Oarl as I.g, Der Vice-Noi kam bald, hat die
reysigen, die on den König stunden, abweichen heißen, vnd den König mit der
rechten Hand vom Pferd gezogen vnd auffgericht, dem hat der König an statt
des Römischen Keysers Gefängknuß gelobt und hat den rechten Harnisch-
händschuch zum zeichen der Gefängknuß geben." Nach andern Berichten
empfing Lcmoy kniend den Degen des Königs.

Es ist begreiflich, daß später mehrere Personen den Ruhm für sich in
Anspruch nahmen, den gefeierten König der Franzosen gefangen genommen zu


Grenzboten II 1908 78
Die Schlacht bei pavta

Alencon, von Salms Reisigen angegriffen, in wilder Flucht das Schlachtfeld
verließ — eine schmähliche Episode inmitten so vieler Proben von Heldenmut —,
waren alle Teile des französischen Heeres bis auf die noch nicht ins Gefecht
gekommnen 8000 Schweizer kampfunfähig gemacht. Aber gerade diese berühmte
Truppe, auf die König Franz seine stärkste Hoffnung gesetzt hatte, versagte bei
Pavia vollständig. Von 12000 Landsknechten in der Front angegriffen (auch hier
wieder Deutsche gegen Deutsche!), von dem inzwischen aus Pavia ausgefallnen
und nach Besiegung der Italiener Medicis vordringenden Leyva im Rücken
angefallen, schienen sie ihren alten Ruf zu vergessen und flohen in Masse.
Ihr Anführer Johann von Dieszbach und andre Hauptleute fanden den Tod.
Viele Tausende von Eidgenossen ertranken im Tessin, viele wurden von den
Landsknechten gerettet.

So war jeder Widerstand des prächtigen französischen Heeres gebrochen.
Überall wilde Flucht oder vereinzeltes Morden. Um dem Gemetzel Einhalt zu
tun, ließ Pescara den „guten Krieg" verkünden. Es war aber schon zu spät.

Die interessanteste Episode der Schlacht von Pavia ist unstreitig die
Gefangennahme des Königs. R. Thom streift sie in seinem Buche, das haupt¬
sächlich einer Darstellung der militärischen Bewegungen gewidmet ist, nur kurz.
Die verläßlichste Quelle für diese echt ritterlich-romantische Szene dürfte Meißner
sein. Es kann nicht zweifelhaft erscheinen, daß sich der Valois noch mit
äußerstem persönlichem Mute wehrte, als schou sein Heer geflohen, die meisten
Edeln um ihn gefallen oder gefangen waren. Da stach Niklas Salm des
Königs Hengst nieder und verwundete Franz — der schon vorher einige un¬
bedeutende Verletzungen erlitten hatte — an der Hand. Der König aber stach
Salm durch den Schenkel und wehrte sich tapfer. Da kam Mokka Anarrius,
der Hofmeister des Herzogs von Bourbon, hinzu und forderte den König auf, sich
dem Herzog, der nicht weit sei, zu ergeben. Reißners Schilderung ist so kräftig,
daß wir am besten ihm selber das Wort geben. „Der König war ob diesem
Namen unwirß vnd sprach: Ich kenne keinen Hertzogen von Bourbon, denn
mich selbß vnd wil mich niemandt gefangen geben, denn dem Römischen
Keyser. ehe will ich sterben. Da ist ein Hispanier hinzugeruckt, hat jn beym
Helmlin erwüscht, vnd vom Pferd wollen reissen, den hat der König von jm
gestochen, daß dem Hispanier eins theils von des Königs Ermel vnd Feder
vom Haupthelm in der Hand blieben. Der König befahl, man solte den
Vice-Roi heißen kommen, Oarl as I.g, Der Vice-Noi kam bald, hat die
reysigen, die on den König stunden, abweichen heißen, vnd den König mit der
rechten Hand vom Pferd gezogen vnd auffgericht, dem hat der König an statt
des Römischen Keysers Gefängknuß gelobt und hat den rechten Harnisch-
händschuch zum zeichen der Gefängknuß geben." Nach andern Berichten
empfing Lcmoy kniend den Degen des Königs.

Es ist begreiflich, daß später mehrere Personen den Ruhm für sich in
Anspruch nahmen, den gefeierten König der Franzosen gefangen genommen zu


Grenzboten II 1908 78
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[0617] Die Schlacht bei pavta Alencon, von Salms Reisigen angegriffen, in wilder Flucht das Schlachtfeld verließ — eine schmähliche Episode inmitten so vieler Proben von Heldenmut —, waren alle Teile des französischen Heeres bis auf die noch nicht ins Gefecht gekommnen 8000 Schweizer kampfunfähig gemacht. Aber gerade diese berühmte Truppe, auf die König Franz seine stärkste Hoffnung gesetzt hatte, versagte bei Pavia vollständig. Von 12000 Landsknechten in der Front angegriffen (auch hier wieder Deutsche gegen Deutsche!), von dem inzwischen aus Pavia ausgefallnen und nach Besiegung der Italiener Medicis vordringenden Leyva im Rücken angefallen, schienen sie ihren alten Ruf zu vergessen und flohen in Masse. Ihr Anführer Johann von Dieszbach und andre Hauptleute fanden den Tod. Viele Tausende von Eidgenossen ertranken im Tessin, viele wurden von den Landsknechten gerettet. So war jeder Widerstand des prächtigen französischen Heeres gebrochen. Überall wilde Flucht oder vereinzeltes Morden. Um dem Gemetzel Einhalt zu tun, ließ Pescara den „guten Krieg" verkünden. Es war aber schon zu spät. Die interessanteste Episode der Schlacht von Pavia ist unstreitig die Gefangennahme des Königs. R. Thom streift sie in seinem Buche, das haupt¬ sächlich einer Darstellung der militärischen Bewegungen gewidmet ist, nur kurz. Die verläßlichste Quelle für diese echt ritterlich-romantische Szene dürfte Meißner sein. Es kann nicht zweifelhaft erscheinen, daß sich der Valois noch mit äußerstem persönlichem Mute wehrte, als schou sein Heer geflohen, die meisten Edeln um ihn gefallen oder gefangen waren. Da stach Niklas Salm des Königs Hengst nieder und verwundete Franz — der schon vorher einige un¬ bedeutende Verletzungen erlitten hatte — an der Hand. Der König aber stach Salm durch den Schenkel und wehrte sich tapfer. Da kam Mokka Anarrius, der Hofmeister des Herzogs von Bourbon, hinzu und forderte den König auf, sich dem Herzog, der nicht weit sei, zu ergeben. Reißners Schilderung ist so kräftig, daß wir am besten ihm selber das Wort geben. „Der König war ob diesem Namen unwirß vnd sprach: Ich kenne keinen Hertzogen von Bourbon, denn mich selbß vnd wil mich niemandt gefangen geben, denn dem Römischen Keyser. ehe will ich sterben. Da ist ein Hispanier hinzugeruckt, hat jn beym Helmlin erwüscht, vnd vom Pferd wollen reissen, den hat der König von jm gestochen, daß dem Hispanier eins theils von des Königs Ermel vnd Feder vom Haupthelm in der Hand blieben. Der König befahl, man solte den Vice-Roi heißen kommen, Oarl as I.g, Der Vice-Noi kam bald, hat die reysigen, die on den König stunden, abweichen heißen, vnd den König mit der rechten Hand vom Pferd gezogen vnd auffgericht, dem hat der König an statt des Römischen Keysers Gefängknuß gelobt und hat den rechten Harnisch- händschuch zum zeichen der Gefängknuß geben." Nach andern Berichten empfing Lcmoy kniend den Degen des Königs. Es ist begreiflich, daß später mehrere Personen den Ruhm für sich in Anspruch nahmen, den gefeierten König der Franzosen gefangen genommen zu Grenzboten II 1908 78

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/617>, abgerufen am 21.06.2024.