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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Die Schlacht bei pavia

voneinander ab. So schon in den Zahlenangaben über die Streitkräfte. Sieger
wie Besiegte hatten nach dem Kampfe ein Interesse, sich selbst numerisch
schwacher und den Gegner stärker zu machen: Zahlen wie 60000 oder gar
100000, die auch genannt werden, kommen (wie Thom bemerkt) für diese Zeit
überhaupt nicht in Betracht. So dürfte man, unter Erwägung aller Umstände,
das kaiserliche Heer zwischen 20 und 24000 Mann, das französische zwischen
26 und 30000 Mann stark annehmen. Unter Karls Fahnen dienten, wie eine
Quelle sagt, tutti, vstsraiü al KpaMg, s all <Ä"zrinAnia, erlesne Truppen unter
erlesncn Führern. Pescara hatte die Leitung des Ganzen, und Pavia wurde
der große Tag seines kurzen, aber glanzvollen Feldherrnlebcns; Frundsberg
und Marx Sittich führten ihre Landsknechtregimenter; die Reisigen des Erz¬
herzogs Ferdinand standen unter Salm, dem sich auch der Connetable von
Vourbon, ohne ein spezielles Kommando zu führen, anschloß.

Den Kern von Franzens Heer bildeten etwa 2000 Koininss ä'g,riQ68 oder
Gendarms, schwere, gepanzerte Reiter, die Blüte des französischen Adels, geführt
von den Trägern der glänzendsten Namen des Reiches, eine Neitertruppe
alten Stils, deren tragisches Geschick bei Pavia wie ein Symbol der unter¬
gehenden alten Feudalmacht erscheint. Dann 8000 schweizerische Söldlinge
unter Dießbach; endlich die tamas noirs, eine einzig merkwürdige Truppe,
6000 Deutsche unter französischen Fahnen! Im Jahre l512 kommt diese
Schar zuerst vor. Nun war ihr Führer Richard von Suffolk aus dem Hause
Aork, meist nur "der Herr von der weißen Rose" genannt. Unter ihm fochten
bei Pavia ein Herzog von Württemberg, ein Graf von Nassau, ein Franz von
Lothringen, der Bruder des regierenden Herzogs, und viele andre deutsche Edel¬
leute, jüngere Söhne, Vertriebne Prätendenten öder auch verzweifelte Abenteurer,
denen der heimatliche Boden zu arm, zu eng oder -- zu heiß geworden war.
Da war aber auch ein Georg Langenmantel, Sohn des von Kaiser Max hoch¬
geehrten und von den Augsburgeru vierzehnmal zum Bürgermeister gewühlten
Herrn Johann Langenmantel, und mancher andre verunglückte Patrizierssohn;
endlich geradezu katilinarische Existenzen. Auf der größten Zahl der genannten
Fürsten und Edeln, überhaupt auf den adlichen Herren, die in der da,nao noirs
standen, ruhte des Reiches Acht. Nur auf ihren Spießen sahen sie Ehre und
Güter, hinter sich Tod und Schmach. König Franz der Erste hätte in der
weiten Welt nicht todesentschlossenere Männer gefunden. Unter ihren schwarzen
Fahnen, vom Kopf bis zum Fuß schwarz geharnischt oder schwarz gekleidet,
sahen die riesigen Gesellen mit Verachtung jedem Feinde entgegen. Sie waren
bis zum Tage von Pavia das gefürchtetste Kriegsvolk ihrer Zeit."°)

Franzens Heer war nicht nur an Zahl, sondern auch in der Qualität
seiner Reiterei und Artillerie dem kaiserlichen überlegen. Und doch lag auf
dieser Seite das moralische Mehrgewicht, schon ob der Siegeszuversicht und



Vgl. Johann Newald, Niklas Graf zu Salm, eine historische Studie.
Die Schlacht bei pavia

voneinander ab. So schon in den Zahlenangaben über die Streitkräfte. Sieger
wie Besiegte hatten nach dem Kampfe ein Interesse, sich selbst numerisch
schwacher und den Gegner stärker zu machen: Zahlen wie 60000 oder gar
100000, die auch genannt werden, kommen (wie Thom bemerkt) für diese Zeit
überhaupt nicht in Betracht. So dürfte man, unter Erwägung aller Umstände,
das kaiserliche Heer zwischen 20 und 24000 Mann, das französische zwischen
26 und 30000 Mann stark annehmen. Unter Karls Fahnen dienten, wie eine
Quelle sagt, tutti, vstsraiü al KpaMg, s all <Ä«zrinAnia, erlesne Truppen unter
erlesncn Führern. Pescara hatte die Leitung des Ganzen, und Pavia wurde
der große Tag seines kurzen, aber glanzvollen Feldherrnlebcns; Frundsberg
und Marx Sittich führten ihre Landsknechtregimenter; die Reisigen des Erz¬
herzogs Ferdinand standen unter Salm, dem sich auch der Connetable von
Vourbon, ohne ein spezielles Kommando zu führen, anschloß.

Den Kern von Franzens Heer bildeten etwa 2000 Koininss ä'g,riQ68 oder
Gendarms, schwere, gepanzerte Reiter, die Blüte des französischen Adels, geführt
von den Trägern der glänzendsten Namen des Reiches, eine Neitertruppe
alten Stils, deren tragisches Geschick bei Pavia wie ein Symbol der unter¬
gehenden alten Feudalmacht erscheint. Dann 8000 schweizerische Söldlinge
unter Dießbach; endlich die tamas noirs, eine einzig merkwürdige Truppe,
6000 Deutsche unter französischen Fahnen! Im Jahre l512 kommt diese
Schar zuerst vor. Nun war ihr Führer Richard von Suffolk aus dem Hause
Aork, meist nur „der Herr von der weißen Rose" genannt. Unter ihm fochten
bei Pavia ein Herzog von Württemberg, ein Graf von Nassau, ein Franz von
Lothringen, der Bruder des regierenden Herzogs, und viele andre deutsche Edel¬
leute, jüngere Söhne, Vertriebne Prätendenten öder auch verzweifelte Abenteurer,
denen der heimatliche Boden zu arm, zu eng oder — zu heiß geworden war.
Da war aber auch ein Georg Langenmantel, Sohn des von Kaiser Max hoch¬
geehrten und von den Augsburgeru vierzehnmal zum Bürgermeister gewühlten
Herrn Johann Langenmantel, und mancher andre verunglückte Patrizierssohn;
endlich geradezu katilinarische Existenzen. Auf der größten Zahl der genannten
Fürsten und Edeln, überhaupt auf den adlichen Herren, die in der da,nao noirs
standen, ruhte des Reiches Acht. Nur auf ihren Spießen sahen sie Ehre und
Güter, hinter sich Tod und Schmach. König Franz der Erste hätte in der
weiten Welt nicht todesentschlossenere Männer gefunden. Unter ihren schwarzen
Fahnen, vom Kopf bis zum Fuß schwarz geharnischt oder schwarz gekleidet,
sahen die riesigen Gesellen mit Verachtung jedem Feinde entgegen. Sie waren
bis zum Tage von Pavia das gefürchtetste Kriegsvolk ihrer Zeit."°)

Franzens Heer war nicht nur an Zahl, sondern auch in der Qualität
seiner Reiterei und Artillerie dem kaiserlichen überlegen. Und doch lag auf
dieser Seite das moralische Mehrgewicht, schon ob der Siegeszuversicht und



Vgl. Johann Newald, Niklas Graf zu Salm, eine historische Studie.
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[0614] Die Schlacht bei pavia voneinander ab. So schon in den Zahlenangaben über die Streitkräfte. Sieger wie Besiegte hatten nach dem Kampfe ein Interesse, sich selbst numerisch schwacher und den Gegner stärker zu machen: Zahlen wie 60000 oder gar 100000, die auch genannt werden, kommen (wie Thom bemerkt) für diese Zeit überhaupt nicht in Betracht. So dürfte man, unter Erwägung aller Umstände, das kaiserliche Heer zwischen 20 und 24000 Mann, das französische zwischen 26 und 30000 Mann stark annehmen. Unter Karls Fahnen dienten, wie eine Quelle sagt, tutti, vstsraiü al KpaMg, s all <Ä«zrinAnia, erlesne Truppen unter erlesncn Führern. Pescara hatte die Leitung des Ganzen, und Pavia wurde der große Tag seines kurzen, aber glanzvollen Feldherrnlebcns; Frundsberg und Marx Sittich führten ihre Landsknechtregimenter; die Reisigen des Erz¬ herzogs Ferdinand standen unter Salm, dem sich auch der Connetable von Vourbon, ohne ein spezielles Kommando zu führen, anschloß. Den Kern von Franzens Heer bildeten etwa 2000 Koininss ä'g,riQ68 oder Gendarms, schwere, gepanzerte Reiter, die Blüte des französischen Adels, geführt von den Trägern der glänzendsten Namen des Reiches, eine Neitertruppe alten Stils, deren tragisches Geschick bei Pavia wie ein Symbol der unter¬ gehenden alten Feudalmacht erscheint. Dann 8000 schweizerische Söldlinge unter Dießbach; endlich die tamas noirs, eine einzig merkwürdige Truppe, 6000 Deutsche unter französischen Fahnen! Im Jahre l512 kommt diese Schar zuerst vor. Nun war ihr Führer Richard von Suffolk aus dem Hause Aork, meist nur „der Herr von der weißen Rose" genannt. Unter ihm fochten bei Pavia ein Herzog von Württemberg, ein Graf von Nassau, ein Franz von Lothringen, der Bruder des regierenden Herzogs, und viele andre deutsche Edel¬ leute, jüngere Söhne, Vertriebne Prätendenten öder auch verzweifelte Abenteurer, denen der heimatliche Boden zu arm, zu eng oder — zu heiß geworden war. Da war aber auch ein Georg Langenmantel, Sohn des von Kaiser Max hoch¬ geehrten und von den Augsburgeru vierzehnmal zum Bürgermeister gewühlten Herrn Johann Langenmantel, und mancher andre verunglückte Patrizierssohn; endlich geradezu katilinarische Existenzen. Auf der größten Zahl der genannten Fürsten und Edeln, überhaupt auf den adlichen Herren, die in der da,nao noirs standen, ruhte des Reiches Acht. Nur auf ihren Spießen sahen sie Ehre und Güter, hinter sich Tod und Schmach. König Franz der Erste hätte in der weiten Welt nicht todesentschlossenere Männer gefunden. Unter ihren schwarzen Fahnen, vom Kopf bis zum Fuß schwarz geharnischt oder schwarz gekleidet, sahen die riesigen Gesellen mit Verachtung jedem Feinde entgegen. Sie waren bis zum Tage von Pavia das gefürchtetste Kriegsvolk ihrer Zeit."°) Franzens Heer war nicht nur an Zahl, sondern auch in der Qualität seiner Reiterei und Artillerie dem kaiserlichen überlegen. Und doch lag auf dieser Seite das moralische Mehrgewicht, schon ob der Siegeszuversicht und Vgl. Johann Newald, Niklas Graf zu Salm, eine historische Studie.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/614>, abgerufen am 21.06.2024.