Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Schlacht bei Pavia

mutige Hippolita Malaspina, Marchesa von Scaldasole, werden namentlich
erwähnt. Schon wenige Tage nach der Einschließung begann man in Pavia
Pferde- und Eselfleisch zu verkaufen; aus Mangel an Brennholz wurden die
Hausbücher abgetragen; aus Mangel an Geldzirkulationsmitteln Notmünzen
geprägt, die Kirchenschätze in Anspruch genommen usw. Vergeblich unternahmen
die Franzosen Sturm auf Sturm; vergeblich war auch der ungeheure Kosten
verschlingende Versuch, den Tessin in das Bett seines Nebenflusses Gravellone
abzuleiten.

König Franz sah ein. daß er Pavia aushungern müsse. Die politische
Lage gestaltete sich übrigens eben damals günstig für ihn. Der Papst, Venedig
und andre italienische Fürsten schlössen Frieden mit ihm, ja gingen teilweise
vom Kaiser zu ihm über. "Desto besser", schrieb der Abt von Najera damals
an Karl den Fünften, dem er eine lange Liste abgefallner Bundesgenossen
mitteilte. Wenigstens sah man jetzt klar. "Bald sollten Truppen einlangen,
kriegstüchtiger als die, welche die kleinen Fürsten Italiens aufstellen konnten."

Mit systematischem Eifer war nämlich inzwischen an der Ergänzung und
Verstärkung , des aus Frankreich zurückgezognen und um Lodi gesammelten
kaiserlichen Heeres gearbeitet worden. Ein so einträchtiges Zusammenwirken,
wie es in Habsburgs Lager nicht immer die Regel gewesen, hatte Erfolg.
Bourbon war nach Deutschland gegangen, um neue Truppen zu holen. Georg
von Frundsberg und Marx Sittich von Embs warben für den Kaiser zwei
Landsknechtregimenter mit dem Musterplatze Meran. Zumal Frundsberg, der
alte "Landsknechtvater", der berühmte "Leutcfresser", trat mit allem Eifer wieder
für seinen kaiserlichen Herrn ein. Der biedre Schwabe, der kein Kondottiere im
vulgären Sinne, sondern ein theoretisch und praktisch hochgebildeter Kriegsmann,
neben Pescara wohl der beste Stratege seiner Zeit war, ließ von neuem den oft
bewährten Zauber seines Namens wirken. Und die "frommen Landsknechte"
eilten herbei; auch mancher deutsche Junker, dem es daheim zu enge und zu
armselig geworden, war darunter. Am 26. Dezember brachen Frundsberg und
Marx Sittich von Meran auf, Mitte Januar trafen sie um Lodi ein, 12000 Mann
stark, "ausgezeichnete Soldaten", wie der Abt von Najera tröstlich an den
Kaiser schreibt "entschlossen, lieber zu sterben, als zurückzukehren, ohne Pavia
entsetzt zu haben". Auch des Kaisers Bruder, Erzherzog Ferdinand (der seit
den Brüsseler Verträgen von 1522 in der kleinern österreichischen Hälfte des
Habsburgischen Erbes gebot), hatte auf seine Kosten 2000 Landsknechte und
200 Reisige ausgerüstet und nach der Lombardei gesandt. Ein bewährter Krieger
befehligte sie: Niklas Graf zu Salm aus der Linie Obersalm des berühmten
Hauses, damals schon fünfundsechzig Jahre alt, ein Mann von goldner Treue
und unermüdlicher Tatkraft, viel erfahren schon in den Kriegen Maximilians,
ausgezeichnet als Feldhauptmann wider die Türken, nachmals zu weltgeschicht¬
lichen Ruhme gelangt durch die Verteidigung Wiens, 1529. Auch aus Schwaben,
Burgund und den österreichischen Erbländer strömten Reisige zu. Und allmählich


Die Schlacht bei Pavia

mutige Hippolita Malaspina, Marchesa von Scaldasole, werden namentlich
erwähnt. Schon wenige Tage nach der Einschließung begann man in Pavia
Pferde- und Eselfleisch zu verkaufen; aus Mangel an Brennholz wurden die
Hausbücher abgetragen; aus Mangel an Geldzirkulationsmitteln Notmünzen
geprägt, die Kirchenschätze in Anspruch genommen usw. Vergeblich unternahmen
die Franzosen Sturm auf Sturm; vergeblich war auch der ungeheure Kosten
verschlingende Versuch, den Tessin in das Bett seines Nebenflusses Gravellone
abzuleiten.

König Franz sah ein. daß er Pavia aushungern müsse. Die politische
Lage gestaltete sich übrigens eben damals günstig für ihn. Der Papst, Venedig
und andre italienische Fürsten schlössen Frieden mit ihm, ja gingen teilweise
vom Kaiser zu ihm über. „Desto besser", schrieb der Abt von Najera damals
an Karl den Fünften, dem er eine lange Liste abgefallner Bundesgenossen
mitteilte. Wenigstens sah man jetzt klar. „Bald sollten Truppen einlangen,
kriegstüchtiger als die, welche die kleinen Fürsten Italiens aufstellen konnten."

Mit systematischem Eifer war nämlich inzwischen an der Ergänzung und
Verstärkung , des aus Frankreich zurückgezognen und um Lodi gesammelten
kaiserlichen Heeres gearbeitet worden. Ein so einträchtiges Zusammenwirken,
wie es in Habsburgs Lager nicht immer die Regel gewesen, hatte Erfolg.
Bourbon war nach Deutschland gegangen, um neue Truppen zu holen. Georg
von Frundsberg und Marx Sittich von Embs warben für den Kaiser zwei
Landsknechtregimenter mit dem Musterplatze Meran. Zumal Frundsberg, der
alte „Landsknechtvater", der berühmte „Leutcfresser", trat mit allem Eifer wieder
für seinen kaiserlichen Herrn ein. Der biedre Schwabe, der kein Kondottiere im
vulgären Sinne, sondern ein theoretisch und praktisch hochgebildeter Kriegsmann,
neben Pescara wohl der beste Stratege seiner Zeit war, ließ von neuem den oft
bewährten Zauber seines Namens wirken. Und die „frommen Landsknechte"
eilten herbei; auch mancher deutsche Junker, dem es daheim zu enge und zu
armselig geworden, war darunter. Am 26. Dezember brachen Frundsberg und
Marx Sittich von Meran auf, Mitte Januar trafen sie um Lodi ein, 12000 Mann
stark, „ausgezeichnete Soldaten", wie der Abt von Najera tröstlich an den
Kaiser schreibt „entschlossen, lieber zu sterben, als zurückzukehren, ohne Pavia
entsetzt zu haben". Auch des Kaisers Bruder, Erzherzog Ferdinand (der seit
den Brüsseler Verträgen von 1522 in der kleinern österreichischen Hälfte des
Habsburgischen Erbes gebot), hatte auf seine Kosten 2000 Landsknechte und
200 Reisige ausgerüstet und nach der Lombardei gesandt. Ein bewährter Krieger
befehligte sie: Niklas Graf zu Salm aus der Linie Obersalm des berühmten
Hauses, damals schon fünfundsechzig Jahre alt, ein Mann von goldner Treue
und unermüdlicher Tatkraft, viel erfahren schon in den Kriegen Maximilians,
ausgezeichnet als Feldhauptmann wider die Türken, nachmals zu weltgeschicht¬
lichen Ruhme gelangt durch die Verteidigung Wiens, 1529. Auch aus Schwaben,
Burgund und den österreichischen Erbländer strömten Reisige zu. Und allmählich


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0611" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/312296"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Schlacht bei Pavia</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2400" prev="#ID_2399"> mutige Hippolita Malaspina, Marchesa von Scaldasole, werden namentlich<lb/>
erwähnt. Schon wenige Tage nach der Einschließung begann man in Pavia<lb/>
Pferde- und Eselfleisch zu verkaufen; aus Mangel an Brennholz wurden die<lb/>
Hausbücher abgetragen; aus Mangel an Geldzirkulationsmitteln Notmünzen<lb/>
geprägt, die Kirchenschätze in Anspruch genommen usw. Vergeblich unternahmen<lb/>
die Franzosen Sturm auf Sturm; vergeblich war auch der ungeheure Kosten<lb/>
verschlingende Versuch, den Tessin in das Bett seines Nebenflusses Gravellone<lb/>
abzuleiten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2401"> König Franz sah ein. daß er Pavia aushungern müsse. Die politische<lb/>
Lage gestaltete sich übrigens eben damals günstig für ihn. Der Papst, Venedig<lb/>
und andre italienische Fürsten schlössen Frieden mit ihm, ja gingen teilweise<lb/>
vom Kaiser zu ihm über. &#x201E;Desto besser", schrieb der Abt von Najera damals<lb/>
an Karl den Fünften, dem er eine lange Liste abgefallner Bundesgenossen<lb/>
mitteilte. Wenigstens sah man jetzt klar. &#x201E;Bald sollten Truppen einlangen,<lb/>
kriegstüchtiger als die, welche die kleinen Fürsten Italiens aufstellen konnten."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2402" next="#ID_2403"> Mit systematischem Eifer war nämlich inzwischen an der Ergänzung und<lb/>
Verstärkung , des aus Frankreich zurückgezognen und um Lodi gesammelten<lb/>
kaiserlichen Heeres gearbeitet worden. Ein so einträchtiges Zusammenwirken,<lb/>
wie es in Habsburgs Lager nicht immer die Regel gewesen, hatte Erfolg.<lb/>
Bourbon war nach Deutschland gegangen, um neue Truppen zu holen. Georg<lb/>
von Frundsberg und Marx Sittich von Embs warben für den Kaiser zwei<lb/>
Landsknechtregimenter mit dem Musterplatze Meran. Zumal Frundsberg, der<lb/>
alte &#x201E;Landsknechtvater", der berühmte &#x201E;Leutcfresser", trat mit allem Eifer wieder<lb/>
für seinen kaiserlichen Herrn ein. Der biedre Schwabe, der kein Kondottiere im<lb/>
vulgären Sinne, sondern ein theoretisch und praktisch hochgebildeter Kriegsmann,<lb/>
neben Pescara wohl der beste Stratege seiner Zeit war, ließ von neuem den oft<lb/>
bewährten Zauber seines Namens wirken. Und die &#x201E;frommen Landsknechte"<lb/>
eilten herbei; auch mancher deutsche Junker, dem es daheim zu enge und zu<lb/>
armselig geworden, war darunter. Am 26. Dezember brachen Frundsberg und<lb/>
Marx Sittich von Meran auf, Mitte Januar trafen sie um Lodi ein, 12000 Mann<lb/>
stark, &#x201E;ausgezeichnete Soldaten", wie der Abt von Najera tröstlich an den<lb/>
Kaiser schreibt &#x201E;entschlossen, lieber zu sterben, als zurückzukehren, ohne Pavia<lb/>
entsetzt zu haben". Auch des Kaisers Bruder, Erzherzog Ferdinand (der seit<lb/>
den Brüsseler Verträgen von 1522 in der kleinern österreichischen Hälfte des<lb/>
Habsburgischen Erbes gebot), hatte auf seine Kosten 2000 Landsknechte und<lb/>
200 Reisige ausgerüstet und nach der Lombardei gesandt. Ein bewährter Krieger<lb/>
befehligte sie: Niklas Graf zu Salm aus der Linie Obersalm des berühmten<lb/>
Hauses, damals schon fünfundsechzig Jahre alt, ein Mann von goldner Treue<lb/>
und unermüdlicher Tatkraft, viel erfahren schon in den Kriegen Maximilians,<lb/>
ausgezeichnet als Feldhauptmann wider die Türken, nachmals zu weltgeschicht¬<lb/>
lichen Ruhme gelangt durch die Verteidigung Wiens, 1529. Auch aus Schwaben,<lb/>
Burgund und den österreichischen Erbländer strömten Reisige zu. Und allmählich</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0611] Die Schlacht bei Pavia mutige Hippolita Malaspina, Marchesa von Scaldasole, werden namentlich erwähnt. Schon wenige Tage nach der Einschließung begann man in Pavia Pferde- und Eselfleisch zu verkaufen; aus Mangel an Brennholz wurden die Hausbücher abgetragen; aus Mangel an Geldzirkulationsmitteln Notmünzen geprägt, die Kirchenschätze in Anspruch genommen usw. Vergeblich unternahmen die Franzosen Sturm auf Sturm; vergeblich war auch der ungeheure Kosten verschlingende Versuch, den Tessin in das Bett seines Nebenflusses Gravellone abzuleiten. König Franz sah ein. daß er Pavia aushungern müsse. Die politische Lage gestaltete sich übrigens eben damals günstig für ihn. Der Papst, Venedig und andre italienische Fürsten schlössen Frieden mit ihm, ja gingen teilweise vom Kaiser zu ihm über. „Desto besser", schrieb der Abt von Najera damals an Karl den Fünften, dem er eine lange Liste abgefallner Bundesgenossen mitteilte. Wenigstens sah man jetzt klar. „Bald sollten Truppen einlangen, kriegstüchtiger als die, welche die kleinen Fürsten Italiens aufstellen konnten." Mit systematischem Eifer war nämlich inzwischen an der Ergänzung und Verstärkung , des aus Frankreich zurückgezognen und um Lodi gesammelten kaiserlichen Heeres gearbeitet worden. Ein so einträchtiges Zusammenwirken, wie es in Habsburgs Lager nicht immer die Regel gewesen, hatte Erfolg. Bourbon war nach Deutschland gegangen, um neue Truppen zu holen. Georg von Frundsberg und Marx Sittich von Embs warben für den Kaiser zwei Landsknechtregimenter mit dem Musterplatze Meran. Zumal Frundsberg, der alte „Landsknechtvater", der berühmte „Leutcfresser", trat mit allem Eifer wieder für seinen kaiserlichen Herrn ein. Der biedre Schwabe, der kein Kondottiere im vulgären Sinne, sondern ein theoretisch und praktisch hochgebildeter Kriegsmann, neben Pescara wohl der beste Stratege seiner Zeit war, ließ von neuem den oft bewährten Zauber seines Namens wirken. Und die „frommen Landsknechte" eilten herbei; auch mancher deutsche Junker, dem es daheim zu enge und zu armselig geworden, war darunter. Am 26. Dezember brachen Frundsberg und Marx Sittich von Meran auf, Mitte Januar trafen sie um Lodi ein, 12000 Mann stark, „ausgezeichnete Soldaten", wie der Abt von Najera tröstlich an den Kaiser schreibt „entschlossen, lieber zu sterben, als zurückzukehren, ohne Pavia entsetzt zu haben". Auch des Kaisers Bruder, Erzherzog Ferdinand (der seit den Brüsseler Verträgen von 1522 in der kleinern österreichischen Hälfte des Habsburgischen Erbes gebot), hatte auf seine Kosten 2000 Landsknechte und 200 Reisige ausgerüstet und nach der Lombardei gesandt. Ein bewährter Krieger befehligte sie: Niklas Graf zu Salm aus der Linie Obersalm des berühmten Hauses, damals schon fünfundsechzig Jahre alt, ein Mann von goldner Treue und unermüdlicher Tatkraft, viel erfahren schon in den Kriegen Maximilians, ausgezeichnet als Feldhauptmann wider die Türken, nachmals zu weltgeschicht¬ lichen Ruhme gelangt durch die Verteidigung Wiens, 1529. Auch aus Schwaben, Burgund und den österreichischen Erbländer strömten Reisige zu. Und allmählich

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/611
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/611>, abgerufen am 21.06.2024.