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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Die Grenzvölker im Nordwesten Indiens und die Expedition gegen die Zakka Adels

verlassen hatten, ging man daran, mit ebenso eigenartigen wie bis vor kurzem
erfolgreichen Mitteln der Wiederholung von Aufständen entgegenzuarbeiten.

Das ganze Grenzgebiet wurde zu einer besondern Provinz, der Nordwest¬
provinz, gemacht und einem erfahrnen Gouverneur unterstellt, die Truppen
wurden aus dem Gebiete der Grenzstämme, das sie an einzelnen wenigen
Stellen besetzt gehalten hatten, ganz zurückgezogen und die Stämme noch mehr
als zuvor sich selbst überlassen; dazu erhalten sie Subsidien, Die regulären
indischen Truppen, die bisher den Paß und die Grenze gegen die Stämme besetzt
hatten, wurden nach und nach durch eine Art Miliz, die aus den Stämmen
selbst entnommen wird, ersetzt, ein anscheinend sehr gefährliches Mittel; selbst
von Kennern der dortigen Völkerschaften wurde es für unmöglich gehalten, daß
sich junge Leute, die in der unbändigsten Freiheit mit den wildesten Instinkten
aufgewachsen sind, jemals in den Kasernenzwang würden hineinfinden können.
Die Probe hat das Gegenteil bewiesen.

Die Leute dienen zwar des Geldes wegen, sie fügen sich aber schnell in
die geordneten Verhältnisse ein. Ihr Subordinationsgefühl ist nur rein per¬
sönlicher Natur; sie gehorchen dem ihnen sympathischen Offizier bis in den
Tod, dem unbeliebten sind sie eine furchtbare Gefahr, und deshalb sind Er¬
mordungen von Offizieren durch ihre Untergebnen nicht selten. Da für eine
solche Truppe nur Offiziere mit vorzüglichen Charaktereigenschaften, starkem
Willen und großer Menschenkenntnis verwendbar sind, gilt es als eine große
Auszeichnung, zu deu betreffenden Regimentern, den Khaibar-Nifles, komman¬
diert zu werden. Lord Curzon sagte kürzlich im Parlament, daß nur die besten
jungen Offiziere dazu genommen würden, und daß auch deren Leben vor der
Kugel irgendeines Fanatikers nicht sicher wäre. Die Truppe zählt schon über
10000 Mann und ist auch in der Zakka-Khel-Expedition zur Verwendung
gelaugt. Ob sich die Hoffnung, daß die alten ausgedienter Soldaten auch in
ihrem spätern Leben englandfreundlich sein werden, erfüllen wird, wird vielfach
bezweifelt. Es heißt von den Leuten, daß sie mit dem Moment, wo sie ihre
Uniform ausgezogen und in ihrer altgewohnten Kleidung von dannen ziehn,
auch wieder Halbwilde seien und schou deshalb nicht an Frieden denken, weil
sie den Krieg einfach des Krieges wegen lieben.

Ein weiteres Mittel, die Grenzstämme im Zaum zu halten, hat man in
dem Ausbau guter Anmarschstraßen und dem Bereithalten von Kommunikations¬
mitteln gefunden. Bis Peshawar, das nur einige Meilen von dem Gebiete der
Stämme abliegt, geht die Eisenbahn, von da führt der 34 englische Meilen
lange Khaibarpaß durch das Gebiet gerade der gefährlichsten Stämme. Der
Paß ist, abgesehn von den großen Forts gegen Afghanistan, Jamrud am
Eingang, Ali Masjid in der Mitte und Lundi Kodak am Ausgang, an vielen
Stellen durch kleine Forts und Blockhäuser befestigt und gilt seit Jahren als
vollkommen sicher, sodaß von ihm überall in das Eingebornengebiet ein¬
gedrungen werden kann. Der Paß wird auch von den Eingebogen bei ihren


Die Grenzvölker im Nordwesten Indiens und die Expedition gegen die Zakka Adels

verlassen hatten, ging man daran, mit ebenso eigenartigen wie bis vor kurzem
erfolgreichen Mitteln der Wiederholung von Aufständen entgegenzuarbeiten.

Das ganze Grenzgebiet wurde zu einer besondern Provinz, der Nordwest¬
provinz, gemacht und einem erfahrnen Gouverneur unterstellt, die Truppen
wurden aus dem Gebiete der Grenzstämme, das sie an einzelnen wenigen
Stellen besetzt gehalten hatten, ganz zurückgezogen und die Stämme noch mehr
als zuvor sich selbst überlassen; dazu erhalten sie Subsidien, Die regulären
indischen Truppen, die bisher den Paß und die Grenze gegen die Stämme besetzt
hatten, wurden nach und nach durch eine Art Miliz, die aus den Stämmen
selbst entnommen wird, ersetzt, ein anscheinend sehr gefährliches Mittel; selbst
von Kennern der dortigen Völkerschaften wurde es für unmöglich gehalten, daß
sich junge Leute, die in der unbändigsten Freiheit mit den wildesten Instinkten
aufgewachsen sind, jemals in den Kasernenzwang würden hineinfinden können.
Die Probe hat das Gegenteil bewiesen.

Die Leute dienen zwar des Geldes wegen, sie fügen sich aber schnell in
die geordneten Verhältnisse ein. Ihr Subordinationsgefühl ist nur rein per¬
sönlicher Natur; sie gehorchen dem ihnen sympathischen Offizier bis in den
Tod, dem unbeliebten sind sie eine furchtbare Gefahr, und deshalb sind Er¬
mordungen von Offizieren durch ihre Untergebnen nicht selten. Da für eine
solche Truppe nur Offiziere mit vorzüglichen Charaktereigenschaften, starkem
Willen und großer Menschenkenntnis verwendbar sind, gilt es als eine große
Auszeichnung, zu deu betreffenden Regimentern, den Khaibar-Nifles, komman¬
diert zu werden. Lord Curzon sagte kürzlich im Parlament, daß nur die besten
jungen Offiziere dazu genommen würden, und daß auch deren Leben vor der
Kugel irgendeines Fanatikers nicht sicher wäre. Die Truppe zählt schon über
10000 Mann und ist auch in der Zakka-Khel-Expedition zur Verwendung
gelaugt. Ob sich die Hoffnung, daß die alten ausgedienter Soldaten auch in
ihrem spätern Leben englandfreundlich sein werden, erfüllen wird, wird vielfach
bezweifelt. Es heißt von den Leuten, daß sie mit dem Moment, wo sie ihre
Uniform ausgezogen und in ihrer altgewohnten Kleidung von dannen ziehn,
auch wieder Halbwilde seien und schou deshalb nicht an Frieden denken, weil
sie den Krieg einfach des Krieges wegen lieben.

Ein weiteres Mittel, die Grenzstämme im Zaum zu halten, hat man in
dem Ausbau guter Anmarschstraßen und dem Bereithalten von Kommunikations¬
mitteln gefunden. Bis Peshawar, das nur einige Meilen von dem Gebiete der
Stämme abliegt, geht die Eisenbahn, von da führt der 34 englische Meilen
lange Khaibarpaß durch das Gebiet gerade der gefährlichsten Stämme. Der
Paß ist, abgesehn von den großen Forts gegen Afghanistan, Jamrud am
Eingang, Ali Masjid in der Mitte und Lundi Kodak am Ausgang, an vielen
Stellen durch kleine Forts und Blockhäuser befestigt und gilt seit Jahren als
vollkommen sicher, sodaß von ihm überall in das Eingebornengebiet ein¬
gedrungen werden kann. Der Paß wird auch von den Eingebogen bei ihren


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[0604] Die Grenzvölker im Nordwesten Indiens und die Expedition gegen die Zakka Adels verlassen hatten, ging man daran, mit ebenso eigenartigen wie bis vor kurzem erfolgreichen Mitteln der Wiederholung von Aufständen entgegenzuarbeiten. Das ganze Grenzgebiet wurde zu einer besondern Provinz, der Nordwest¬ provinz, gemacht und einem erfahrnen Gouverneur unterstellt, die Truppen wurden aus dem Gebiete der Grenzstämme, das sie an einzelnen wenigen Stellen besetzt gehalten hatten, ganz zurückgezogen und die Stämme noch mehr als zuvor sich selbst überlassen; dazu erhalten sie Subsidien, Die regulären indischen Truppen, die bisher den Paß und die Grenze gegen die Stämme besetzt hatten, wurden nach und nach durch eine Art Miliz, die aus den Stämmen selbst entnommen wird, ersetzt, ein anscheinend sehr gefährliches Mittel; selbst von Kennern der dortigen Völkerschaften wurde es für unmöglich gehalten, daß sich junge Leute, die in der unbändigsten Freiheit mit den wildesten Instinkten aufgewachsen sind, jemals in den Kasernenzwang würden hineinfinden können. Die Probe hat das Gegenteil bewiesen. Die Leute dienen zwar des Geldes wegen, sie fügen sich aber schnell in die geordneten Verhältnisse ein. Ihr Subordinationsgefühl ist nur rein per¬ sönlicher Natur; sie gehorchen dem ihnen sympathischen Offizier bis in den Tod, dem unbeliebten sind sie eine furchtbare Gefahr, und deshalb sind Er¬ mordungen von Offizieren durch ihre Untergebnen nicht selten. Da für eine solche Truppe nur Offiziere mit vorzüglichen Charaktereigenschaften, starkem Willen und großer Menschenkenntnis verwendbar sind, gilt es als eine große Auszeichnung, zu deu betreffenden Regimentern, den Khaibar-Nifles, komman¬ diert zu werden. Lord Curzon sagte kürzlich im Parlament, daß nur die besten jungen Offiziere dazu genommen würden, und daß auch deren Leben vor der Kugel irgendeines Fanatikers nicht sicher wäre. Die Truppe zählt schon über 10000 Mann und ist auch in der Zakka-Khel-Expedition zur Verwendung gelaugt. Ob sich die Hoffnung, daß die alten ausgedienter Soldaten auch in ihrem spätern Leben englandfreundlich sein werden, erfüllen wird, wird vielfach bezweifelt. Es heißt von den Leuten, daß sie mit dem Moment, wo sie ihre Uniform ausgezogen und in ihrer altgewohnten Kleidung von dannen ziehn, auch wieder Halbwilde seien und schou deshalb nicht an Frieden denken, weil sie den Krieg einfach des Krieges wegen lieben. Ein weiteres Mittel, die Grenzstämme im Zaum zu halten, hat man in dem Ausbau guter Anmarschstraßen und dem Bereithalten von Kommunikations¬ mitteln gefunden. Bis Peshawar, das nur einige Meilen von dem Gebiete der Stämme abliegt, geht die Eisenbahn, von da führt der 34 englische Meilen lange Khaibarpaß durch das Gebiet gerade der gefährlichsten Stämme. Der Paß ist, abgesehn von den großen Forts gegen Afghanistan, Jamrud am Eingang, Ali Masjid in der Mitte und Lundi Kodak am Ausgang, an vielen Stellen durch kleine Forts und Blockhäuser befestigt und gilt seit Jahren als vollkommen sicher, sodaß von ihm überall in das Eingebornengebiet ein¬ gedrungen werden kann. Der Paß wird auch von den Eingebogen bei ihren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/604>, abgerufen am 21.06.2024.