Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Grenzvölker im Nordwesten Indiens und die Expedition gegen die Fakta Rhels

Raubzüge bedarf, die eine Vergeltung unbedingt erheischen, bevor die Regierung
wie jetzt bei den Zatta Khels einschreitet, so müssen sicherlich sehr gewichtige
Gründe vorliegen, die sie zu einer solchen schwächlichen Politik veranlassen.

Der Hauptgrund ist in der unmittelbaren Nähe des unheimlichen Nachbarn
Afghanistan zu suchen, von dem bisher alle Invasionen Indiens, im ganzen 21
ausgegangen sind. Über die mögliche 22. Invasion aber erklärte Lord Roberts
vor einiger Zeit, daß sie ein viel weniger schwieriges Unternehmen sein würde
als irgendeine der frühern, wenn nicht entsprechende Vorsichtsmaßregeln getroffen
würden. An diesen Vorsichtsmaßregeln arbeitet aber England schon seit mehr
als einem halben Jahrhundert. Zu ihnen gehört zum Teil auch der englisch-
russische Vertrag sowie die eigenartige Politik gegen die Grenzstämme.

In dem Vertrage verpflichtet sich Rußland. Afghanistan als außerhalb
seines Einflusses liegend anzusehn. seine Beziehungen zu ihm nur durch die
englische Negierung gehn zu lassen sowie keine Agenten nach dort zu senden.
Trotzdem bleibt Afghanistan für England eine achtunggebietende Macht. Es
verfügt über eine gute Armee, und sein jetziger Emir hat sich bisher als ein
ebenso tüchtiger Herrscher wie geschickter Diplomat gezeigt.

Die Grenzstämme des englischen Gebiets fühlen sich seit alter Zeit durch
Religion. Sitten und staatliche Beziehungen mit Afghanistan verbunden. Die
Grenze, die sie von Afghanistan trennt, ist seinerzeit willkürlich gezogen und
geht durch ihre zerklüfteten Berge mitten hindurch; sie ist deshalb auch nur vou
geringer Bedeutung, denn während sich Afghanistan gegen England hermetisch
abschließt und kein Engländer das Land betreten darf, können die Angehörigen
der Grenzstämme sie jederzeit überschreiten und haben hiervon bei ihren
Kämpfen gegen die Engländer immer, so auch bei der ZMa-Khel-Expedition.
den ausgiebigsten Gebrauch gemacht. Es ist klar, daß bei derartigen Verhält¬
nissen jede Unternehmung gegen die Greuzstämme die guten Beziehungen zu
Afghanistan auf eine harte Probe stellen, in dessen Interesse es liegt, sich die
Anhänglichkeit der Grenzstämme als Schutz- und Trutzmittel gegen England
zu erhalten. Daß in dieser Beziehung geheime Abmachungen mit ihnen besteh",
wird als sicher angenommen.

Der letzte große, unter dem Namen Tirah-Feldzug bekannte Aufstand fand
bor zehn Jahren statt. Er begann mit dem Überfall und der Vernichtung einer
kleinen britischen Truppe und verbreitete sich mit Niesengeschwindigkeit über alle
Grenzstümme. Der Khaibarpaß wurde von den Aufständischen okkupiert, und es
bedürfte des Aufgebots großer Truppenmassen, um ihn zurückzuerobern und
den Aufstand niederzuwerfen. Zu den letzten und hartnäckigsten Gegnern ge¬
hörten damals die Zakka Khels, die überhaupt als der kriegerischste und
räuberischste Stamm bekannt sind. Als der Feldzug schließlich beendet war, das
heißt als der Paß zurückerobert, ein Teil des Gebiets der Aufständischen
durchwandert, ihre Ortschaften niedergebrannt waren, und die Truppen unter
den steten Angriffen des geschlagner Gegners das feindliche Gebiet wieder


Die Grenzvölker im Nordwesten Indiens und die Expedition gegen die Fakta Rhels

Raubzüge bedarf, die eine Vergeltung unbedingt erheischen, bevor die Regierung
wie jetzt bei den Zatta Khels einschreitet, so müssen sicherlich sehr gewichtige
Gründe vorliegen, die sie zu einer solchen schwächlichen Politik veranlassen.

Der Hauptgrund ist in der unmittelbaren Nähe des unheimlichen Nachbarn
Afghanistan zu suchen, von dem bisher alle Invasionen Indiens, im ganzen 21
ausgegangen sind. Über die mögliche 22. Invasion aber erklärte Lord Roberts
vor einiger Zeit, daß sie ein viel weniger schwieriges Unternehmen sein würde
als irgendeine der frühern, wenn nicht entsprechende Vorsichtsmaßregeln getroffen
würden. An diesen Vorsichtsmaßregeln arbeitet aber England schon seit mehr
als einem halben Jahrhundert. Zu ihnen gehört zum Teil auch der englisch-
russische Vertrag sowie die eigenartige Politik gegen die Grenzstämme.

In dem Vertrage verpflichtet sich Rußland. Afghanistan als außerhalb
seines Einflusses liegend anzusehn. seine Beziehungen zu ihm nur durch die
englische Negierung gehn zu lassen sowie keine Agenten nach dort zu senden.
Trotzdem bleibt Afghanistan für England eine achtunggebietende Macht. Es
verfügt über eine gute Armee, und sein jetziger Emir hat sich bisher als ein
ebenso tüchtiger Herrscher wie geschickter Diplomat gezeigt.

Die Grenzstämme des englischen Gebiets fühlen sich seit alter Zeit durch
Religion. Sitten und staatliche Beziehungen mit Afghanistan verbunden. Die
Grenze, die sie von Afghanistan trennt, ist seinerzeit willkürlich gezogen und
geht durch ihre zerklüfteten Berge mitten hindurch; sie ist deshalb auch nur vou
geringer Bedeutung, denn während sich Afghanistan gegen England hermetisch
abschließt und kein Engländer das Land betreten darf, können die Angehörigen
der Grenzstämme sie jederzeit überschreiten und haben hiervon bei ihren
Kämpfen gegen die Engländer immer, so auch bei der ZMa-Khel-Expedition.
den ausgiebigsten Gebrauch gemacht. Es ist klar, daß bei derartigen Verhält¬
nissen jede Unternehmung gegen die Greuzstämme die guten Beziehungen zu
Afghanistan auf eine harte Probe stellen, in dessen Interesse es liegt, sich die
Anhänglichkeit der Grenzstämme als Schutz- und Trutzmittel gegen England
zu erhalten. Daß in dieser Beziehung geheime Abmachungen mit ihnen besteh»,
wird als sicher angenommen.

Der letzte große, unter dem Namen Tirah-Feldzug bekannte Aufstand fand
bor zehn Jahren statt. Er begann mit dem Überfall und der Vernichtung einer
kleinen britischen Truppe und verbreitete sich mit Niesengeschwindigkeit über alle
Grenzstümme. Der Khaibarpaß wurde von den Aufständischen okkupiert, und es
bedürfte des Aufgebots großer Truppenmassen, um ihn zurückzuerobern und
den Aufstand niederzuwerfen. Zu den letzten und hartnäckigsten Gegnern ge¬
hörten damals die Zakka Khels, die überhaupt als der kriegerischste und
räuberischste Stamm bekannt sind. Als der Feldzug schließlich beendet war, das
heißt als der Paß zurückerobert, ein Teil des Gebiets der Aufständischen
durchwandert, ihre Ortschaften niedergebrannt waren, und die Truppen unter
den steten Angriffen des geschlagner Gegners das feindliche Gebiet wieder


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0603" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/312288"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Grenzvölker im Nordwesten Indiens und die Expedition gegen die Fakta Rhels</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2369" prev="#ID_2368"> Raubzüge bedarf, die eine Vergeltung unbedingt erheischen, bevor die Regierung<lb/>
wie jetzt bei den Zatta Khels einschreitet, so müssen sicherlich sehr gewichtige<lb/>
Gründe vorliegen, die sie zu einer solchen schwächlichen Politik veranlassen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2370"> Der Hauptgrund ist in der unmittelbaren Nähe des unheimlichen Nachbarn<lb/>
Afghanistan zu suchen, von dem bisher alle Invasionen Indiens, im ganzen 21<lb/>
ausgegangen sind. Über die mögliche 22. Invasion aber erklärte Lord Roberts<lb/>
vor einiger Zeit, daß sie ein viel weniger schwieriges Unternehmen sein würde<lb/>
als irgendeine der frühern, wenn nicht entsprechende Vorsichtsmaßregeln getroffen<lb/>
würden. An diesen Vorsichtsmaßregeln arbeitet aber England schon seit mehr<lb/>
als einem halben Jahrhundert. Zu ihnen gehört zum Teil auch der englisch-<lb/>
russische Vertrag sowie die eigenartige Politik gegen die Grenzstämme.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2371"> In dem Vertrage verpflichtet sich Rußland. Afghanistan als außerhalb<lb/>
seines Einflusses liegend anzusehn. seine Beziehungen zu ihm nur durch die<lb/>
englische Negierung gehn zu lassen sowie keine Agenten nach dort zu senden.<lb/>
Trotzdem bleibt Afghanistan für England eine achtunggebietende Macht. Es<lb/>
verfügt über eine gute Armee, und sein jetziger Emir hat sich bisher als ein<lb/>
ebenso tüchtiger Herrscher wie geschickter Diplomat gezeigt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2372"> Die Grenzstämme des englischen Gebiets fühlen sich seit alter Zeit durch<lb/>
Religion. Sitten und staatliche Beziehungen mit Afghanistan verbunden. Die<lb/>
Grenze, die sie von Afghanistan trennt, ist seinerzeit willkürlich gezogen und<lb/>
geht durch ihre zerklüfteten Berge mitten hindurch; sie ist deshalb auch nur vou<lb/>
geringer Bedeutung, denn während sich Afghanistan gegen England hermetisch<lb/>
abschließt und kein Engländer das Land betreten darf, können die Angehörigen<lb/>
der Grenzstämme sie jederzeit überschreiten und haben hiervon bei ihren<lb/>
Kämpfen gegen die Engländer immer, so auch bei der ZMa-Khel-Expedition.<lb/>
den ausgiebigsten Gebrauch gemacht. Es ist klar, daß bei derartigen Verhält¬<lb/>
nissen jede Unternehmung gegen die Greuzstämme die guten Beziehungen zu<lb/>
Afghanistan auf eine harte Probe stellen, in dessen Interesse es liegt, sich die<lb/>
Anhänglichkeit der Grenzstämme als Schutz- und Trutzmittel gegen England<lb/>
zu erhalten. Daß in dieser Beziehung geheime Abmachungen mit ihnen besteh»,<lb/>
wird als sicher angenommen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2373" next="#ID_2374"> Der letzte große, unter dem Namen Tirah-Feldzug bekannte Aufstand fand<lb/>
bor zehn Jahren statt. Er begann mit dem Überfall und der Vernichtung einer<lb/>
kleinen britischen Truppe und verbreitete sich mit Niesengeschwindigkeit über alle<lb/>
Grenzstümme. Der Khaibarpaß wurde von den Aufständischen okkupiert, und es<lb/>
bedürfte des Aufgebots großer Truppenmassen, um ihn zurückzuerobern und<lb/>
den Aufstand niederzuwerfen. Zu den letzten und hartnäckigsten Gegnern ge¬<lb/>
hörten damals die Zakka Khels, die überhaupt als der kriegerischste und<lb/>
räuberischste Stamm bekannt sind. Als der Feldzug schließlich beendet war, das<lb/>
heißt als der Paß zurückerobert, ein Teil des Gebiets der Aufständischen<lb/>
durchwandert, ihre Ortschaften niedergebrannt waren, und die Truppen unter<lb/>
den steten Angriffen des geschlagner Gegners das feindliche Gebiet wieder</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0603] Die Grenzvölker im Nordwesten Indiens und die Expedition gegen die Fakta Rhels Raubzüge bedarf, die eine Vergeltung unbedingt erheischen, bevor die Regierung wie jetzt bei den Zatta Khels einschreitet, so müssen sicherlich sehr gewichtige Gründe vorliegen, die sie zu einer solchen schwächlichen Politik veranlassen. Der Hauptgrund ist in der unmittelbaren Nähe des unheimlichen Nachbarn Afghanistan zu suchen, von dem bisher alle Invasionen Indiens, im ganzen 21 ausgegangen sind. Über die mögliche 22. Invasion aber erklärte Lord Roberts vor einiger Zeit, daß sie ein viel weniger schwieriges Unternehmen sein würde als irgendeine der frühern, wenn nicht entsprechende Vorsichtsmaßregeln getroffen würden. An diesen Vorsichtsmaßregeln arbeitet aber England schon seit mehr als einem halben Jahrhundert. Zu ihnen gehört zum Teil auch der englisch- russische Vertrag sowie die eigenartige Politik gegen die Grenzstämme. In dem Vertrage verpflichtet sich Rußland. Afghanistan als außerhalb seines Einflusses liegend anzusehn. seine Beziehungen zu ihm nur durch die englische Negierung gehn zu lassen sowie keine Agenten nach dort zu senden. Trotzdem bleibt Afghanistan für England eine achtunggebietende Macht. Es verfügt über eine gute Armee, und sein jetziger Emir hat sich bisher als ein ebenso tüchtiger Herrscher wie geschickter Diplomat gezeigt. Die Grenzstämme des englischen Gebiets fühlen sich seit alter Zeit durch Religion. Sitten und staatliche Beziehungen mit Afghanistan verbunden. Die Grenze, die sie von Afghanistan trennt, ist seinerzeit willkürlich gezogen und geht durch ihre zerklüfteten Berge mitten hindurch; sie ist deshalb auch nur vou geringer Bedeutung, denn während sich Afghanistan gegen England hermetisch abschließt und kein Engländer das Land betreten darf, können die Angehörigen der Grenzstämme sie jederzeit überschreiten und haben hiervon bei ihren Kämpfen gegen die Engländer immer, so auch bei der ZMa-Khel-Expedition. den ausgiebigsten Gebrauch gemacht. Es ist klar, daß bei derartigen Verhält¬ nissen jede Unternehmung gegen die Greuzstämme die guten Beziehungen zu Afghanistan auf eine harte Probe stellen, in dessen Interesse es liegt, sich die Anhänglichkeit der Grenzstämme als Schutz- und Trutzmittel gegen England zu erhalten. Daß in dieser Beziehung geheime Abmachungen mit ihnen besteh», wird als sicher angenommen. Der letzte große, unter dem Namen Tirah-Feldzug bekannte Aufstand fand bor zehn Jahren statt. Er begann mit dem Überfall und der Vernichtung einer kleinen britischen Truppe und verbreitete sich mit Niesengeschwindigkeit über alle Grenzstümme. Der Khaibarpaß wurde von den Aufständischen okkupiert, und es bedürfte des Aufgebots großer Truppenmassen, um ihn zurückzuerobern und den Aufstand niederzuwerfen. Zu den letzten und hartnäckigsten Gegnern ge¬ hörten damals die Zakka Khels, die überhaupt als der kriegerischste und räuberischste Stamm bekannt sind. Als der Feldzug schließlich beendet war, das heißt als der Paß zurückerobert, ein Teil des Gebiets der Aufständischen durchwandert, ihre Ortschaften niedergebrannt waren, und die Truppen unter den steten Angriffen des geschlagner Gegners das feindliche Gebiet wieder

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/603
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/603>, abgerufen am 21.06.2024.