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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Die Grenzvölker im Nordwesten Indiens und die Expedition gegen die Zakka Adels

verwischt sind, hat sich im Nordwesten ans ihnen ein eignes Volk, mit dein
Kollektivnamen Parther bezeichnet, herausgebildet, das ein Gemisch ans
Afghanen, Tataren, Persern, Arabern und Jndiern darstellt. Splitter dieses
Volks sind die verschiednen Stämme, die das Grenzgebirge bewohnen. Ihre
Namen sind allen, die die indische Geschichte im letzten Jahrhundert verfolgt
haben, aus einer Reihe von Kämpfen mit den Engländern bekannt; es sind
die Afridis mit den Zakka Khels und Kombu Khels, die Mohmands, Waziris,
Swatis usw.

Der Volkscharakter dieser Völkerschaften läßt sich schon aus der Art ihrer
Niederlassungen erkennen. Die Wohnungen der einzelnen Familien, die mit
ihrem Anhang den alten schottischen Claus vergleichbar sind, sind kleine
Festungen mit hohem Wall, in dessen Mittelpunkt ein Turm als letzte Zu¬
flucht und Verteidigungsstätte dient. Krieg zwischen den einzelnen Stämmen,
zwischen den Familien nach dem Gesetz der Blutrache, die hier viel mehr
als je in Korsika oder in Albanien wie ein Bann auf dem Volke liegt, ist
die Regel.

Eine vorzügliche Charakteristik des Volks gab vor kurzem einer der besten
Kenner Indiens, Lord Curzon, in seiner Rede im Oberhaus über den Zakka-
Khel-Feldzug. Er sagte dort: "An der Nordwestgrenze haben wir es mit Volks¬
stämmen zu tun, die nach Rasse und persönlichen Charaktereigenschaften sehr
verschieden sind, ebenso in bezug auf den Grad der erreichten Zivilisation oder
vielmehr Nichtzivilisation; einige Charakterzüge haben sie aber alle gemein.
Jeder ist tief durchdrungen von gewissen Gebräuchen wie Blutrache, Raub,
Mord und Gesetzlosigkeit. Raubzüge sind gewöhnliche Unternehmen und sind
bei der unfruchtbaren Beschaffenheit ihres Bodens häufig eine ökonomische
Notwendigkeit. Kaum einer der Stämme ist fähig, einer entstehenden leiden¬
schaftlichen Aufwallung oder dem Einfluß des religiösen Fanatismus zu wider-
stehn, die für uns vorauszusehn oder zu kontrollieren völlig unmöglich sind. Sie
bewohnen nicht nur ein Land, das eigentümlich schwierig und beinahe unzu¬
gänglich ist, sondern sie sind anch in der eigenartigen Lage, sowohl innerhalb
wie außerhalb der Grenze des Reiches zu leben; außerhalb, weil sie frei und
unbehelligt durch unsre Verwaltung leben, innerhalb, weil sie noch innerhalb
unsrer politischen Grenzen wohnen."

Dieser letzte Satz illustriert das Verhältnis der indischen Regierung zu
den Bergbewohnern vorzüglich. Es ist dem nur noch hinzuzufügen, daß die
Regierung nicht nur davon absteht, sie mit den geringsten Regiernngsmaß-
nahmen, die nach Oberhoheit schmecken, zu belästige", sondern daß sie den
einzelnen Stämmen auch noch Subsidien zahlt, nach englischer Auffassung zum
Lebensunterhalt und zur Belohnung für gutes Verhalten, nach Auffassung der
Stämme wahrscheinlich als eine Art Tributzählung.

Berücksichtigt man, daß trotz der Subsidien die angrenzenden Gebiete keinen
Augenblick vor Räubereien sicher sind, und es schon ganz besonders frecher


Die Grenzvölker im Nordwesten Indiens und die Expedition gegen die Zakka Adels

verwischt sind, hat sich im Nordwesten ans ihnen ein eignes Volk, mit dein
Kollektivnamen Parther bezeichnet, herausgebildet, das ein Gemisch ans
Afghanen, Tataren, Persern, Arabern und Jndiern darstellt. Splitter dieses
Volks sind die verschiednen Stämme, die das Grenzgebirge bewohnen. Ihre
Namen sind allen, die die indische Geschichte im letzten Jahrhundert verfolgt
haben, aus einer Reihe von Kämpfen mit den Engländern bekannt; es sind
die Afridis mit den Zakka Khels und Kombu Khels, die Mohmands, Waziris,
Swatis usw.

Der Volkscharakter dieser Völkerschaften läßt sich schon aus der Art ihrer
Niederlassungen erkennen. Die Wohnungen der einzelnen Familien, die mit
ihrem Anhang den alten schottischen Claus vergleichbar sind, sind kleine
Festungen mit hohem Wall, in dessen Mittelpunkt ein Turm als letzte Zu¬
flucht und Verteidigungsstätte dient. Krieg zwischen den einzelnen Stämmen,
zwischen den Familien nach dem Gesetz der Blutrache, die hier viel mehr
als je in Korsika oder in Albanien wie ein Bann auf dem Volke liegt, ist
die Regel.

Eine vorzügliche Charakteristik des Volks gab vor kurzem einer der besten
Kenner Indiens, Lord Curzon, in seiner Rede im Oberhaus über den Zakka-
Khel-Feldzug. Er sagte dort: „An der Nordwestgrenze haben wir es mit Volks¬
stämmen zu tun, die nach Rasse und persönlichen Charaktereigenschaften sehr
verschieden sind, ebenso in bezug auf den Grad der erreichten Zivilisation oder
vielmehr Nichtzivilisation; einige Charakterzüge haben sie aber alle gemein.
Jeder ist tief durchdrungen von gewissen Gebräuchen wie Blutrache, Raub,
Mord und Gesetzlosigkeit. Raubzüge sind gewöhnliche Unternehmen und sind
bei der unfruchtbaren Beschaffenheit ihres Bodens häufig eine ökonomische
Notwendigkeit. Kaum einer der Stämme ist fähig, einer entstehenden leiden¬
schaftlichen Aufwallung oder dem Einfluß des religiösen Fanatismus zu wider-
stehn, die für uns vorauszusehn oder zu kontrollieren völlig unmöglich sind. Sie
bewohnen nicht nur ein Land, das eigentümlich schwierig und beinahe unzu¬
gänglich ist, sondern sie sind anch in der eigenartigen Lage, sowohl innerhalb
wie außerhalb der Grenze des Reiches zu leben; außerhalb, weil sie frei und
unbehelligt durch unsre Verwaltung leben, innerhalb, weil sie noch innerhalb
unsrer politischen Grenzen wohnen."

Dieser letzte Satz illustriert das Verhältnis der indischen Regierung zu
den Bergbewohnern vorzüglich. Es ist dem nur noch hinzuzufügen, daß die
Regierung nicht nur davon absteht, sie mit den geringsten Regiernngsmaß-
nahmen, die nach Oberhoheit schmecken, zu belästige», sondern daß sie den
einzelnen Stämmen auch noch Subsidien zahlt, nach englischer Auffassung zum
Lebensunterhalt und zur Belohnung für gutes Verhalten, nach Auffassung der
Stämme wahrscheinlich als eine Art Tributzählung.

Berücksichtigt man, daß trotz der Subsidien die angrenzenden Gebiete keinen
Augenblick vor Räubereien sicher sind, und es schon ganz besonders frecher


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[0602] Die Grenzvölker im Nordwesten Indiens und die Expedition gegen die Zakka Adels verwischt sind, hat sich im Nordwesten ans ihnen ein eignes Volk, mit dein Kollektivnamen Parther bezeichnet, herausgebildet, das ein Gemisch ans Afghanen, Tataren, Persern, Arabern und Jndiern darstellt. Splitter dieses Volks sind die verschiednen Stämme, die das Grenzgebirge bewohnen. Ihre Namen sind allen, die die indische Geschichte im letzten Jahrhundert verfolgt haben, aus einer Reihe von Kämpfen mit den Engländern bekannt; es sind die Afridis mit den Zakka Khels und Kombu Khels, die Mohmands, Waziris, Swatis usw. Der Volkscharakter dieser Völkerschaften läßt sich schon aus der Art ihrer Niederlassungen erkennen. Die Wohnungen der einzelnen Familien, die mit ihrem Anhang den alten schottischen Claus vergleichbar sind, sind kleine Festungen mit hohem Wall, in dessen Mittelpunkt ein Turm als letzte Zu¬ flucht und Verteidigungsstätte dient. Krieg zwischen den einzelnen Stämmen, zwischen den Familien nach dem Gesetz der Blutrache, die hier viel mehr als je in Korsika oder in Albanien wie ein Bann auf dem Volke liegt, ist die Regel. Eine vorzügliche Charakteristik des Volks gab vor kurzem einer der besten Kenner Indiens, Lord Curzon, in seiner Rede im Oberhaus über den Zakka- Khel-Feldzug. Er sagte dort: „An der Nordwestgrenze haben wir es mit Volks¬ stämmen zu tun, die nach Rasse und persönlichen Charaktereigenschaften sehr verschieden sind, ebenso in bezug auf den Grad der erreichten Zivilisation oder vielmehr Nichtzivilisation; einige Charakterzüge haben sie aber alle gemein. Jeder ist tief durchdrungen von gewissen Gebräuchen wie Blutrache, Raub, Mord und Gesetzlosigkeit. Raubzüge sind gewöhnliche Unternehmen und sind bei der unfruchtbaren Beschaffenheit ihres Bodens häufig eine ökonomische Notwendigkeit. Kaum einer der Stämme ist fähig, einer entstehenden leiden¬ schaftlichen Aufwallung oder dem Einfluß des religiösen Fanatismus zu wider- stehn, die für uns vorauszusehn oder zu kontrollieren völlig unmöglich sind. Sie bewohnen nicht nur ein Land, das eigentümlich schwierig und beinahe unzu¬ gänglich ist, sondern sie sind anch in der eigenartigen Lage, sowohl innerhalb wie außerhalb der Grenze des Reiches zu leben; außerhalb, weil sie frei und unbehelligt durch unsre Verwaltung leben, innerhalb, weil sie noch innerhalb unsrer politischen Grenzen wohnen." Dieser letzte Satz illustriert das Verhältnis der indischen Regierung zu den Bergbewohnern vorzüglich. Es ist dem nur noch hinzuzufügen, daß die Regierung nicht nur davon absteht, sie mit den geringsten Regiernngsmaß- nahmen, die nach Oberhoheit schmecken, zu belästige», sondern daß sie den einzelnen Stämmen auch noch Subsidien zahlt, nach englischer Auffassung zum Lebensunterhalt und zur Belohnung für gutes Verhalten, nach Auffassung der Stämme wahrscheinlich als eine Art Tributzählung. Berücksichtigt man, daß trotz der Subsidien die angrenzenden Gebiete keinen Augenblick vor Räubereien sicher sind, und es schon ganz besonders frecher

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/602>, abgerufen am 21.06.2024.