Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
sozialpsychologische Lindrücke aus deutschen Großstädten

Wesen. So ist es auch zu verstehn. wenn Riehl sagt. Bayern habe das acht¬
zehnte Jahrhundert verschlafen. Es fehlte ihm eben damals das starke und
freie Bürgertum, das die Verbindung mit dem übrigen Deutschland hätte
herstellen können. So ist es fast dahin gekommen, daß sich die Bayern als
eine eigne Nation fühlen, und der Mann aus dem Volke noch heute von
Deutschland mit seiner preußischen Spitze wenig wissen will. Manche be¬
zeichnenden Proben dieses Kulturpartikularismus kann man noch in der
bayrischen Hauptstadt finden. Sie sind durchaus nicht auf die Briefmarken
allein beschränkt. Da ist als vornehmster Ausdruck dieser Auffassung das
bayrische Nationalmuseum und das Königliche Hof- und Nationaltheater.
Man muß sich doch also wohl als eigne Nation fühlen und nicht als ein
deutscher Stamm neben andern, wenn man mit dem Worte national so um
sich wirft, wie man es selbst in der Reichshauptstadt nicht tut (dort gibt es
nur eine Nationalgalerie). Da ist ferner der eigentümliche Nationalfarben-
kultus. der mit dem bayrischen Blau getrieben wird: nicht nur tue Uniformen
der Militärs Post- und Bahnbeamten zeigen diese übrigens sehr wohltuende
Farbe, sondern auch die Wagen der elektrischen Straßenbahnen und die Fähren
in der Nähe der Stadt, die den Verkehr über die Jsar vermitteln, sind blau
und weiß gestrichen, sogar der Streusand in den Postämtern hat blaue Farbe.
Nicht zu vergessen ist hier das berühmte oder berüchtigte "Bayrische Vater¬
land", die echte Ausgeburt des oberbayrischen Bauern- und Münchner Klein¬
bürgertums, das freilich nach dem Tode seines Begründers Slgl viel von
seiner derben Originalität eingebüßt hat. Immerhin ist es und seiner gut
bayrischen Grobheit noch sympathischer als der Simplicissimus mit seiner ver¬
steckten hämischen Bosheit. Sigl blieb wenigstens immer im heimatlichen Blau,
während es im Simplicissimus stark mit krassen Rot wechselt, wenn nicht gar
mit giftigem Grün.

Auch in offiziellen Einrichtungen zeigt sich eine partckularistische Tendenz,
wie in gewissen eigenständigen Bezeichnungen des höhern Schulwesens (in
Bayern spricht man vielmehr von Mittelschulwesen) und seiner Organisation.
Was man sonst als Gymnasium bezeichnet, zerfällt in Bayern in Lateinschule
und Gymnasium; jene umfaßt die drei untersten, dieses die sechs obern Klassen,
die man bezeichnet als 1. bis 6. Gymnasialklasse. Die lateinischen Be¬
zeichnungen Sexta bis Prima kennt man also in Bayern nicht. Abweichend
ist auch die Rangstufenbezeichnung der Lehrer: dem preußischen Hilfslehrer
entspricht der Gymnasialassistent, dem (frühern) ordentlichen Lehrer der Studien¬
lehrer, dem Oberlehrer der Professor. Manches ist auch für den Nichtbayern
geradezu unverständlich. So erhielt ich einmal auf der Staatsbibliothek einen
Bestellzettel zurück mit der Bemerkung, das Buch sei beim -- Staatskonkurs.
Als ich verwundert einen Bekannten fragte, was das zu bedeuten habe, und
ab Bayern bankerott sei, gab er mir die bezeichnende Erklärung, daß das Wort
soviel bedeute wie Staatsexamen!


sozialpsychologische Lindrücke aus deutschen Großstädten

Wesen. So ist es auch zu verstehn. wenn Riehl sagt. Bayern habe das acht¬
zehnte Jahrhundert verschlafen. Es fehlte ihm eben damals das starke und
freie Bürgertum, das die Verbindung mit dem übrigen Deutschland hätte
herstellen können. So ist es fast dahin gekommen, daß sich die Bayern als
eine eigne Nation fühlen, und der Mann aus dem Volke noch heute von
Deutschland mit seiner preußischen Spitze wenig wissen will. Manche be¬
zeichnenden Proben dieses Kulturpartikularismus kann man noch in der
bayrischen Hauptstadt finden. Sie sind durchaus nicht auf die Briefmarken
allein beschränkt. Da ist als vornehmster Ausdruck dieser Auffassung das
bayrische Nationalmuseum und das Königliche Hof- und Nationaltheater.
Man muß sich doch also wohl als eigne Nation fühlen und nicht als ein
deutscher Stamm neben andern, wenn man mit dem Worte national so um
sich wirft, wie man es selbst in der Reichshauptstadt nicht tut (dort gibt es
nur eine Nationalgalerie). Da ist ferner der eigentümliche Nationalfarben-
kultus. der mit dem bayrischen Blau getrieben wird: nicht nur tue Uniformen
der Militärs Post- und Bahnbeamten zeigen diese übrigens sehr wohltuende
Farbe, sondern auch die Wagen der elektrischen Straßenbahnen und die Fähren
in der Nähe der Stadt, die den Verkehr über die Jsar vermitteln, sind blau
und weiß gestrichen, sogar der Streusand in den Postämtern hat blaue Farbe.
Nicht zu vergessen ist hier das berühmte oder berüchtigte „Bayrische Vater¬
land", die echte Ausgeburt des oberbayrischen Bauern- und Münchner Klein¬
bürgertums, das freilich nach dem Tode seines Begründers Slgl viel von
seiner derben Originalität eingebüßt hat. Immerhin ist es und seiner gut
bayrischen Grobheit noch sympathischer als der Simplicissimus mit seiner ver¬
steckten hämischen Bosheit. Sigl blieb wenigstens immer im heimatlichen Blau,
während es im Simplicissimus stark mit krassen Rot wechselt, wenn nicht gar
mit giftigem Grün.

Auch in offiziellen Einrichtungen zeigt sich eine partckularistische Tendenz,
wie in gewissen eigenständigen Bezeichnungen des höhern Schulwesens (in
Bayern spricht man vielmehr von Mittelschulwesen) und seiner Organisation.
Was man sonst als Gymnasium bezeichnet, zerfällt in Bayern in Lateinschule
und Gymnasium; jene umfaßt die drei untersten, dieses die sechs obern Klassen,
die man bezeichnet als 1. bis 6. Gymnasialklasse. Die lateinischen Be¬
zeichnungen Sexta bis Prima kennt man also in Bayern nicht. Abweichend
ist auch die Rangstufenbezeichnung der Lehrer: dem preußischen Hilfslehrer
entspricht der Gymnasialassistent, dem (frühern) ordentlichen Lehrer der Studien¬
lehrer, dem Oberlehrer der Professor. Manches ist auch für den Nichtbayern
geradezu unverständlich. So erhielt ich einmal auf der Staatsbibliothek einen
Bestellzettel zurück mit der Bemerkung, das Buch sei beim — Staatskonkurs.
Als ich verwundert einen Bekannten fragte, was das zu bedeuten habe, und
ab Bayern bankerott sei, gab er mir die bezeichnende Erklärung, daß das Wort
soviel bedeute wie Staatsexamen!


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0583" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/312268"/>
          <fw type="header" place="top"> sozialpsychologische Lindrücke aus deutschen Großstädten</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2246" prev="#ID_2245"> Wesen. So ist es auch zu verstehn. wenn Riehl sagt. Bayern habe das acht¬<lb/>
zehnte Jahrhundert verschlafen. Es fehlte ihm eben damals das starke und<lb/>
freie Bürgertum, das die Verbindung mit dem übrigen Deutschland hätte<lb/>
herstellen können. So ist es fast dahin gekommen, daß sich die Bayern als<lb/>
eine eigne Nation fühlen, und der Mann aus dem Volke noch heute von<lb/>
Deutschland mit seiner preußischen Spitze wenig wissen will. Manche be¬<lb/>
zeichnenden Proben dieses Kulturpartikularismus kann man noch in der<lb/>
bayrischen Hauptstadt finden. Sie sind durchaus nicht auf die Briefmarken<lb/>
allein beschränkt. Da ist als vornehmster Ausdruck dieser Auffassung das<lb/>
bayrische Nationalmuseum und das Königliche Hof- und Nationaltheater.<lb/>
Man muß sich doch also wohl als eigne Nation fühlen und nicht als ein<lb/>
deutscher Stamm neben andern, wenn man mit dem Worte national so um<lb/>
sich wirft, wie man es selbst in der Reichshauptstadt nicht tut (dort gibt es<lb/>
nur eine Nationalgalerie). Da ist ferner der eigentümliche Nationalfarben-<lb/>
kultus. der mit dem bayrischen Blau getrieben wird: nicht nur tue Uniformen<lb/>
der Militärs Post- und Bahnbeamten zeigen diese übrigens sehr wohltuende<lb/>
Farbe, sondern auch die Wagen der elektrischen Straßenbahnen und die Fähren<lb/>
in der Nähe der Stadt, die den Verkehr über die Jsar vermitteln, sind blau<lb/>
und weiß gestrichen, sogar der Streusand in den Postämtern hat blaue Farbe.<lb/>
Nicht zu vergessen ist hier das berühmte oder berüchtigte &#x201E;Bayrische Vater¬<lb/>
land", die echte Ausgeburt des oberbayrischen Bauern- und Münchner Klein¬<lb/>
bürgertums, das freilich nach dem Tode seines Begründers Slgl viel von<lb/>
seiner derben Originalität eingebüßt hat. Immerhin ist es und seiner gut<lb/>
bayrischen Grobheit noch sympathischer als der Simplicissimus mit seiner ver¬<lb/>
steckten hämischen Bosheit. Sigl blieb wenigstens immer im heimatlichen Blau,<lb/>
während es im Simplicissimus stark mit krassen Rot wechselt, wenn nicht gar<lb/>
mit giftigem Grün.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2247"> Auch in offiziellen Einrichtungen zeigt sich eine partckularistische Tendenz,<lb/>
wie in gewissen eigenständigen Bezeichnungen des höhern Schulwesens (in<lb/>
Bayern spricht man vielmehr von Mittelschulwesen) und seiner Organisation.<lb/>
Was man sonst als Gymnasium bezeichnet, zerfällt in Bayern in Lateinschule<lb/>
und Gymnasium; jene umfaßt die drei untersten, dieses die sechs obern Klassen,<lb/>
die man bezeichnet als 1. bis 6. Gymnasialklasse. Die lateinischen Be¬<lb/>
zeichnungen Sexta bis Prima kennt man also in Bayern nicht. Abweichend<lb/>
ist auch die Rangstufenbezeichnung der Lehrer: dem preußischen Hilfslehrer<lb/>
entspricht der Gymnasialassistent, dem (frühern) ordentlichen Lehrer der Studien¬<lb/>
lehrer, dem Oberlehrer der Professor. Manches ist auch für den Nichtbayern<lb/>
geradezu unverständlich. So erhielt ich einmal auf der Staatsbibliothek einen<lb/>
Bestellzettel zurück mit der Bemerkung, das Buch sei beim &#x2014; Staatskonkurs.<lb/>
Als ich verwundert einen Bekannten fragte, was das zu bedeuten habe, und<lb/>
ab Bayern bankerott sei, gab er mir die bezeichnende Erklärung, daß das Wort<lb/>
soviel bedeute wie Staatsexamen!</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0583] sozialpsychologische Lindrücke aus deutschen Großstädten Wesen. So ist es auch zu verstehn. wenn Riehl sagt. Bayern habe das acht¬ zehnte Jahrhundert verschlafen. Es fehlte ihm eben damals das starke und freie Bürgertum, das die Verbindung mit dem übrigen Deutschland hätte herstellen können. So ist es fast dahin gekommen, daß sich die Bayern als eine eigne Nation fühlen, und der Mann aus dem Volke noch heute von Deutschland mit seiner preußischen Spitze wenig wissen will. Manche be¬ zeichnenden Proben dieses Kulturpartikularismus kann man noch in der bayrischen Hauptstadt finden. Sie sind durchaus nicht auf die Briefmarken allein beschränkt. Da ist als vornehmster Ausdruck dieser Auffassung das bayrische Nationalmuseum und das Königliche Hof- und Nationaltheater. Man muß sich doch also wohl als eigne Nation fühlen und nicht als ein deutscher Stamm neben andern, wenn man mit dem Worte national so um sich wirft, wie man es selbst in der Reichshauptstadt nicht tut (dort gibt es nur eine Nationalgalerie). Da ist ferner der eigentümliche Nationalfarben- kultus. der mit dem bayrischen Blau getrieben wird: nicht nur tue Uniformen der Militärs Post- und Bahnbeamten zeigen diese übrigens sehr wohltuende Farbe, sondern auch die Wagen der elektrischen Straßenbahnen und die Fähren in der Nähe der Stadt, die den Verkehr über die Jsar vermitteln, sind blau und weiß gestrichen, sogar der Streusand in den Postämtern hat blaue Farbe. Nicht zu vergessen ist hier das berühmte oder berüchtigte „Bayrische Vater¬ land", die echte Ausgeburt des oberbayrischen Bauern- und Münchner Klein¬ bürgertums, das freilich nach dem Tode seines Begründers Slgl viel von seiner derben Originalität eingebüßt hat. Immerhin ist es und seiner gut bayrischen Grobheit noch sympathischer als der Simplicissimus mit seiner ver¬ steckten hämischen Bosheit. Sigl blieb wenigstens immer im heimatlichen Blau, während es im Simplicissimus stark mit krassen Rot wechselt, wenn nicht gar mit giftigem Grün. Auch in offiziellen Einrichtungen zeigt sich eine partckularistische Tendenz, wie in gewissen eigenständigen Bezeichnungen des höhern Schulwesens (in Bayern spricht man vielmehr von Mittelschulwesen) und seiner Organisation. Was man sonst als Gymnasium bezeichnet, zerfällt in Bayern in Lateinschule und Gymnasium; jene umfaßt die drei untersten, dieses die sechs obern Klassen, die man bezeichnet als 1. bis 6. Gymnasialklasse. Die lateinischen Be¬ zeichnungen Sexta bis Prima kennt man also in Bayern nicht. Abweichend ist auch die Rangstufenbezeichnung der Lehrer: dem preußischen Hilfslehrer entspricht der Gymnasialassistent, dem (frühern) ordentlichen Lehrer der Studien¬ lehrer, dem Oberlehrer der Professor. Manches ist auch für den Nichtbayern geradezu unverständlich. So erhielt ich einmal auf der Staatsbibliothek einen Bestellzettel zurück mit der Bemerkung, das Buch sei beim — Staatskonkurs. Als ich verwundert einen Bekannten fragte, was das zu bedeuten habe, und ab Bayern bankerott sei, gab er mir die bezeichnende Erklärung, daß das Wort soviel bedeute wie Staatsexamen!

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/583
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/583>, abgerufen am 24.07.2024.