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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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einmal den streng korrekten Beamten spielen, so fällt er leicht aus der Rolle.
Als ich einmal zwei Minuten zu spät bei der Bücherausleihstelle der Staats¬
bibliothek angekommen war, wies mich der Beamte darauf hin und erklärte,
es gäbe keine Bücher mehr. Auf einige Entschuldigungsworte von mir sagte
er plötzlich in ganz verändertem Tone: "Nu, ich wollt Ihnen ja nur einen
Schreck einjagen!" Ein preußischer Beamter würde das mit seiner Würde nicht
vereinbar finden. Aber an diese denkt der bayrische Beamte wohl gar nicht so
sehr als an seine menschliche Gemütlichkeit. Ein Bekannter von mir ließ sich in
München naturalisieren. Nachdem die üblichen Formalitäten erledigt waren,
überreichte ihm der Beamte den neuen Heimatschein mit den Worten: "Sooo,
nu seins Bayer - und zwanzig Pfenning loses!"

Dieselbe bequeme Behaglichkeit findet man auch im Geschäftsverkehr:
..Guten Tag, was wünscht der Herr?" "Das und das." "Das ist nun
grad nit da. Aber gehens nur da hinüber, dort drüben am Eck, dort be-
kommens ganz gewiß, was Sie wünschen." Solche Gespräche kann man oft
hören, zum Beweis, daß auch in Geschäftssachen die Gemütlichkeit beim
Münchner noch lange nicht aufhört. Manche deuten dieses Verfahren als
Gutmütigkeit dem Konkurrenten gegenüber, doch ist wohl eher Bequemlichkeit
im Spiele, vielleicht auch Höflichkeit gegen den Käufer. Aber kaufmännisch
ist es darum doch nicht. Das ist es auch nicht, wenn der kleinere Laden¬
besitzer an warmen Sommertagen um 12 Uhr mittags ein Schild an seine
Ladentür hängt mit der Aufschrift: "Von 12--2 Uhr geschlossen." Das
schmeckt schon etwas nach dem Süden, wo das e^rxe älen nicht mehr seine
volle Giltigkeit hat.

Ich möchte hier eine Frage zu beantworten suchen, die ich einmal in
einem Münchner Sommerlokal von einer norddeutschen Gesellschaft erörtern
hörte, die Frage nämlich, wie es denn komme, daß der Münchner weniger
rührig sei als andre Großstädter, da doch der "Kampf ums Dasein" überall
seine Rechte fordere. Die guten Leute übersahen aber dabei eins, daß nämlich
München die einzige deutsche Großstadt ist, die weder einen bedeutenden Handel
noch eine bedeutende Industrie entwickelt hat; denn soweit sie beides hat, liegt
es in den Händen von Nichtbayern. Der echte Münchner ist in die moderne
Industriekultur noch viel zu wenig hineingewachsen, und das bemerkt mau
auch gleich in seinem außergcschäftlichen Verhalten. Wer hätte je die Münchner
Trambahnwagen in den Morgenstunden in Lesekabinette oder Münchner Bier¬
gärten des Abends in Strickschulen verwandelt gesehen wie in unsern mittel-
und norddeutschen Großstädten? Dazu ist der Münchner und die Münchnerin
nicht nur viel zu gesellig, sondern auch viel zu beschaulich veranlagt, sie haben
viel zu viel Interesse für das, was um sie her vorgeht.

Die Kehrseite dieser geringen Geschäftigkeit ist freilich auch eine geringere
geistige Regsamkeit, ein Mangel an rein intellektuellen Interessen. München
hat schöne und gute Volksschule", große und prächtige Volksbäder, aber keine


einmal den streng korrekten Beamten spielen, so fällt er leicht aus der Rolle.
Als ich einmal zwei Minuten zu spät bei der Bücherausleihstelle der Staats¬
bibliothek angekommen war, wies mich der Beamte darauf hin und erklärte,
es gäbe keine Bücher mehr. Auf einige Entschuldigungsworte von mir sagte
er plötzlich in ganz verändertem Tone: „Nu, ich wollt Ihnen ja nur einen
Schreck einjagen!" Ein preußischer Beamter würde das mit seiner Würde nicht
vereinbar finden. Aber an diese denkt der bayrische Beamte wohl gar nicht so
sehr als an seine menschliche Gemütlichkeit. Ein Bekannter von mir ließ sich in
München naturalisieren. Nachdem die üblichen Formalitäten erledigt waren,
überreichte ihm der Beamte den neuen Heimatschein mit den Worten: „Sooo,
nu seins Bayer - und zwanzig Pfenning loses!"

Dieselbe bequeme Behaglichkeit findet man auch im Geschäftsverkehr:
..Guten Tag, was wünscht der Herr?" „Das und das." „Das ist nun
grad nit da. Aber gehens nur da hinüber, dort drüben am Eck, dort be-
kommens ganz gewiß, was Sie wünschen." Solche Gespräche kann man oft
hören, zum Beweis, daß auch in Geschäftssachen die Gemütlichkeit beim
Münchner noch lange nicht aufhört. Manche deuten dieses Verfahren als
Gutmütigkeit dem Konkurrenten gegenüber, doch ist wohl eher Bequemlichkeit
im Spiele, vielleicht auch Höflichkeit gegen den Käufer. Aber kaufmännisch
ist es darum doch nicht. Das ist es auch nicht, wenn der kleinere Laden¬
besitzer an warmen Sommertagen um 12 Uhr mittags ein Schild an seine
Ladentür hängt mit der Aufschrift: „Von 12—2 Uhr geschlossen." Das
schmeckt schon etwas nach dem Süden, wo das e^rxe älen nicht mehr seine
volle Giltigkeit hat.

Ich möchte hier eine Frage zu beantworten suchen, die ich einmal in
einem Münchner Sommerlokal von einer norddeutschen Gesellschaft erörtern
hörte, die Frage nämlich, wie es denn komme, daß der Münchner weniger
rührig sei als andre Großstädter, da doch der „Kampf ums Dasein" überall
seine Rechte fordere. Die guten Leute übersahen aber dabei eins, daß nämlich
München die einzige deutsche Großstadt ist, die weder einen bedeutenden Handel
noch eine bedeutende Industrie entwickelt hat; denn soweit sie beides hat, liegt
es in den Händen von Nichtbayern. Der echte Münchner ist in die moderne
Industriekultur noch viel zu wenig hineingewachsen, und das bemerkt mau
auch gleich in seinem außergcschäftlichen Verhalten. Wer hätte je die Münchner
Trambahnwagen in den Morgenstunden in Lesekabinette oder Münchner Bier¬
gärten des Abends in Strickschulen verwandelt gesehen wie in unsern mittel-
und norddeutschen Großstädten? Dazu ist der Münchner und die Münchnerin
nicht nur viel zu gesellig, sondern auch viel zu beschaulich veranlagt, sie haben
viel zu viel Interesse für das, was um sie her vorgeht.

Die Kehrseite dieser geringen Geschäftigkeit ist freilich auch eine geringere
geistige Regsamkeit, ein Mangel an rein intellektuellen Interessen. München
hat schöne und gute Volksschule«, große und prächtige Volksbäder, aber keine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/581>, abgerufen am 22.06.2024.