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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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sozialpsychologische Lindrücke ans deutschen Großstädten

ein "Hausbrot" und eine Maß Bier "gekauft" hat. Das Papier fliegt dann
unter den Tisch, und man kann an der Menge der umherliegenden Papier¬
stücke ziemlich genau berechnen, wieviel Personen an dem betreffenden Tische
"gespeist" haben.

Aber nicht nur wie er ißt, sondern auch was er ißt, kennzeichnet sofort
den bäuerlichen Ursprung des Münchners und seiner Küche. Wie der ober¬
bayrische Bauer ist auch der echte Münchner Bürger ein Anhänger derber,
kunstlos zubereiteter Fleischkost. Eine Kalbshaxe oder ein Schlegel ist ihm am
liebsten, aber auch die edlern Eingeweide findet man auf den Speisekarten in zahl¬
losen Variationen: Herz gedünstet, Milzwurst, saure Nieren und Tiroler Leber.
Von Gemüse und Mehlspeise mag er aber nicht viel wissen, wenn man etwa
absieht von dem unvermeidlichen Sauerkraut und den traditionellen Dampf¬
nudeln und dem wohl von Österreich herübergekommnen Kaiserschmarren. Und
Suppe ißt der Münchner wohl nur, wenn sein Nationalgericht, die Leberknödl,
darin schwimmen. So ist hier alles auf derben Bauerngeschmack zugeschnitten,
und der an feine Küche gewöhnte Österreicher hat nicht so unrecht, wenn er
von bayrischen "Gfroaß" spricht. Alle Süßigkeiten hat das Bier verdrängt,
weil es für den Münchner der Inbegriff alles Süßen ist. Deshalb hat er
nicht nur eine Abneigung gegen süße und schwere Kuchen -- die wenigen
Konditoreien in München werden fast nur von Damen besucht --, sondern
auch gegen süßlich schmeckende Fleischspeisen wie Geflügelleber, besonders Gänse¬
leber, die man darum für einen unerhört billigen Preis kaufen kann. Andrer¬
seits ist aber der Münchner allzu pikanten Gewürzen abgeneigt, und so findet
man in volkstümlicher" Lokalen statt unsers scharfen Senff einen süß
schmeckenden, statt des Kümmels tut er Anis ans Brot, und die Butter ißt
er nur ungesalzen. Auch der Paprika hat sich von Österreich her nicht ein¬
bürgern können.

So verleugnet der Münchner auch in seiner Küche den echten Oberbayern
nicht, und kräftig, einfach, ohne Süße, aber auch ohne Schärfe ist seine Sprache.
Wie man dem Berliner beim Sprechen anmerkt, daß er gern scharfe Speisen,
dem Leipziger, daß er gern Süßigkeiten ißt, so klingt des echten Münchners
Rede angenehm und doch kernig, sie hat etwas von dem Brot- und Bier¬
geschmack seiner Heimat; die Laute tönen voll und energisch und doch behaglich
und behäbig, mit bäuerlich starkem Selbstbewußtsein hält er an seinem Dialekt
fest, und auch in der Ferne schleift er ihn ebensowenig ab wie im Salon.
Müncherisch ist eben ein Stück Oberbayrisch, nur in die Stadt verpflanzt, wie
der Lodenrock und der Jügerhut mit der Spielhahnfeder, und von einem
eigentlichen Münchner Dialekt kann man deshalb nicht reden; dazu hat
München eine zu geringe bürgerliche Kultur aus sich selbst heraus entwickelt,
dazu hat auch der Münchner zu wenig Schliff und Politur, zu wenig Fühlung
mit den Zentren deutscher Geistesbildung. Darum ist Münchnerisch ebenso¬
wenig ein veredeltes wie ein verblaßtes Oberbayrisch, es ist mehr ein ländlicher


sozialpsychologische Lindrücke ans deutschen Großstädten

ein „Hausbrot" und eine Maß Bier „gekauft" hat. Das Papier fliegt dann
unter den Tisch, und man kann an der Menge der umherliegenden Papier¬
stücke ziemlich genau berechnen, wieviel Personen an dem betreffenden Tische
„gespeist" haben.

Aber nicht nur wie er ißt, sondern auch was er ißt, kennzeichnet sofort
den bäuerlichen Ursprung des Münchners und seiner Küche. Wie der ober¬
bayrische Bauer ist auch der echte Münchner Bürger ein Anhänger derber,
kunstlos zubereiteter Fleischkost. Eine Kalbshaxe oder ein Schlegel ist ihm am
liebsten, aber auch die edlern Eingeweide findet man auf den Speisekarten in zahl¬
losen Variationen: Herz gedünstet, Milzwurst, saure Nieren und Tiroler Leber.
Von Gemüse und Mehlspeise mag er aber nicht viel wissen, wenn man etwa
absieht von dem unvermeidlichen Sauerkraut und den traditionellen Dampf¬
nudeln und dem wohl von Österreich herübergekommnen Kaiserschmarren. Und
Suppe ißt der Münchner wohl nur, wenn sein Nationalgericht, die Leberknödl,
darin schwimmen. So ist hier alles auf derben Bauerngeschmack zugeschnitten,
und der an feine Küche gewöhnte Österreicher hat nicht so unrecht, wenn er
von bayrischen „Gfroaß" spricht. Alle Süßigkeiten hat das Bier verdrängt,
weil es für den Münchner der Inbegriff alles Süßen ist. Deshalb hat er
nicht nur eine Abneigung gegen süße und schwere Kuchen — die wenigen
Konditoreien in München werden fast nur von Damen besucht —, sondern
auch gegen süßlich schmeckende Fleischspeisen wie Geflügelleber, besonders Gänse¬
leber, die man darum für einen unerhört billigen Preis kaufen kann. Andrer¬
seits ist aber der Münchner allzu pikanten Gewürzen abgeneigt, und so findet
man in volkstümlicher« Lokalen statt unsers scharfen Senff einen süß
schmeckenden, statt des Kümmels tut er Anis ans Brot, und die Butter ißt
er nur ungesalzen. Auch der Paprika hat sich von Österreich her nicht ein¬
bürgern können.

So verleugnet der Münchner auch in seiner Küche den echten Oberbayern
nicht, und kräftig, einfach, ohne Süße, aber auch ohne Schärfe ist seine Sprache.
Wie man dem Berliner beim Sprechen anmerkt, daß er gern scharfe Speisen,
dem Leipziger, daß er gern Süßigkeiten ißt, so klingt des echten Münchners
Rede angenehm und doch kernig, sie hat etwas von dem Brot- und Bier¬
geschmack seiner Heimat; die Laute tönen voll und energisch und doch behaglich
und behäbig, mit bäuerlich starkem Selbstbewußtsein hält er an seinem Dialekt
fest, und auch in der Ferne schleift er ihn ebensowenig ab wie im Salon.
Müncherisch ist eben ein Stück Oberbayrisch, nur in die Stadt verpflanzt, wie
der Lodenrock und der Jügerhut mit der Spielhahnfeder, und von einem
eigentlichen Münchner Dialekt kann man deshalb nicht reden; dazu hat
München eine zu geringe bürgerliche Kultur aus sich selbst heraus entwickelt,
dazu hat auch der Münchner zu wenig Schliff und Politur, zu wenig Fühlung
mit den Zentren deutscher Geistesbildung. Darum ist Münchnerisch ebenso¬
wenig ein veredeltes wie ein verblaßtes Oberbayrisch, es ist mehr ein ländlicher


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[0579] sozialpsychologische Lindrücke ans deutschen Großstädten ein „Hausbrot" und eine Maß Bier „gekauft" hat. Das Papier fliegt dann unter den Tisch, und man kann an der Menge der umherliegenden Papier¬ stücke ziemlich genau berechnen, wieviel Personen an dem betreffenden Tische „gespeist" haben. Aber nicht nur wie er ißt, sondern auch was er ißt, kennzeichnet sofort den bäuerlichen Ursprung des Münchners und seiner Küche. Wie der ober¬ bayrische Bauer ist auch der echte Münchner Bürger ein Anhänger derber, kunstlos zubereiteter Fleischkost. Eine Kalbshaxe oder ein Schlegel ist ihm am liebsten, aber auch die edlern Eingeweide findet man auf den Speisekarten in zahl¬ losen Variationen: Herz gedünstet, Milzwurst, saure Nieren und Tiroler Leber. Von Gemüse und Mehlspeise mag er aber nicht viel wissen, wenn man etwa absieht von dem unvermeidlichen Sauerkraut und den traditionellen Dampf¬ nudeln und dem wohl von Österreich herübergekommnen Kaiserschmarren. Und Suppe ißt der Münchner wohl nur, wenn sein Nationalgericht, die Leberknödl, darin schwimmen. So ist hier alles auf derben Bauerngeschmack zugeschnitten, und der an feine Küche gewöhnte Österreicher hat nicht so unrecht, wenn er von bayrischen „Gfroaß" spricht. Alle Süßigkeiten hat das Bier verdrängt, weil es für den Münchner der Inbegriff alles Süßen ist. Deshalb hat er nicht nur eine Abneigung gegen süße und schwere Kuchen — die wenigen Konditoreien in München werden fast nur von Damen besucht —, sondern auch gegen süßlich schmeckende Fleischspeisen wie Geflügelleber, besonders Gänse¬ leber, die man darum für einen unerhört billigen Preis kaufen kann. Andrer¬ seits ist aber der Münchner allzu pikanten Gewürzen abgeneigt, und so findet man in volkstümlicher« Lokalen statt unsers scharfen Senff einen süß schmeckenden, statt des Kümmels tut er Anis ans Brot, und die Butter ißt er nur ungesalzen. Auch der Paprika hat sich von Österreich her nicht ein¬ bürgern können. So verleugnet der Münchner auch in seiner Küche den echten Oberbayern nicht, und kräftig, einfach, ohne Süße, aber auch ohne Schärfe ist seine Sprache. Wie man dem Berliner beim Sprechen anmerkt, daß er gern scharfe Speisen, dem Leipziger, daß er gern Süßigkeiten ißt, so klingt des echten Münchners Rede angenehm und doch kernig, sie hat etwas von dem Brot- und Bier¬ geschmack seiner Heimat; die Laute tönen voll und energisch und doch behaglich und behäbig, mit bäuerlich starkem Selbstbewußtsein hält er an seinem Dialekt fest, und auch in der Ferne schleift er ihn ebensowenig ab wie im Salon. Müncherisch ist eben ein Stück Oberbayrisch, nur in die Stadt verpflanzt, wie der Lodenrock und der Jügerhut mit der Spielhahnfeder, und von einem eigentlichen Münchner Dialekt kann man deshalb nicht reden; dazu hat München eine zu geringe bürgerliche Kultur aus sich selbst heraus entwickelt, dazu hat auch der Münchner zu wenig Schliff und Politur, zu wenig Fühlung mit den Zentren deutscher Geistesbildung. Darum ist Münchnerisch ebenso¬ wenig ein veredeltes wie ein verblaßtes Oberbayrisch, es ist mehr ein ländlicher

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/579>, abgerufen am 22.06.2024.