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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Probleme der Runstindustrie

gestellt hat, lieber soll der Arbeiter zehn Tage an einem Stück arbeiten, als
an einem Tag zehn Stücke auf Kosten der Qualität machen.

Ein weiterer Widersacher der Qualität ist die verlangte Billigkeit. Die
Forderung der Billigkeit ist durch die allgemeine wirtschaftliche Verfassung
bedingt und im Kapitalismus begründet. Für die Masse wenigstens. Es ist
aber ein Irrtum, anzunehmen, daß der kunstgewerbliche Großbetrieb unter allen
Umstünden billiger liefern könne als der möglicherweise höher qualifizierte klein¬
meisterliche Handwerksbetrieb. Der Großbetrieb kann mir rascher liefern und den
Markt versorgen. Das ist alles. Er hat zwar die Rohmaterialien billig in der
Hand, weil er als der größere Käufer auftritt, und er kann durch die Arbeits¬
teilung und Maschinen in derselben Zeit mehr liefern. Er hat aber andrerseits
mit enormen Reklame- und sonstigen Regiekosten zu rechnen, die ihn mit Rücksicht
auf die Konkurrenz zu weitern Qualitätsherabminderungen zwingen können.

Die Industrie hat es bewirkt, daß die zahlreichen Kunsthandwerke, die
früher das Lebensbild bestimmten und die hohe Qualität der überlieferten
kunsthandwerklichen Gegenstände erzeugten, nahezu gänzlich vom Schauplatz
verschwunden sind und bestenfalls im Winkel da und dort vegetieren. Aber die
Industrie hat es auch bewirkt, daß das Verlangen nach jener hohen Qualitäts¬
marke wieder lebendig geworden ist. und daß kunsthandwerkliche Betriebe nach
künstlerischen Grundsätzen auf Grund der alten Techniken wieder möglich sind.
Von den alten Handwerkern, die sich als Kleinmeister noch hinfristen, ist nichts
zu erwarten; es sind neue Menschen nötig, die das Erbe in die Hand nehmen
und pflegen werden. Aber der Hauptsache nach beruht die moderne Kultur¬
entwicklung doch auf der Industrie. Sie ist die Macht, die, was die Form
betrifft, den guten Geschmack mit entscheidenden Erfolg verbreiten und die
Physiognomie des Alltags mit einem Schlag verbessern kann, wenn sie bedeutende
und führende Künstler in die technische Leitung beruft. Die Masse künstlerisch
machen, ist ein aussichtsloses Geschüft. Von Mann zu Mann darüber zu
debattieren, was schön oder nicht schön ist, würde zu keinem Ende führen. Die
Masse kann nur erträglich gemacht werden, wenn ihr schlechte Produkte vor¬
enthalten und ausschließlich Gutes gereicht wird. Sie darf nicht befragt werden,
denn sie hat kein Urteil. Den Markt zu bestimmen und die Sachlage zugunsten
der Kultur zu ändern, diese Macht hat lediglich die große Industrie. In der
Qualität kann sie ein anständiges Durchschnittsniveau halten, was vielfach schon
erreicht ist. Wenn darüber Einigkeit herrscht, daß das Jndustrieprodukt niemals
mit dem Kunsthandwerk wetteifern kann, daß aber beide an ihrem Platze gut
sind, das eine der Nützlichkeit und das andre der Schönheit und des Kunst¬
bedürfnisses wegen, dann ist viel geschehn, um die Lage zu klären und den
rechten Weg zu finden.




Probleme der Runstindustrie

gestellt hat, lieber soll der Arbeiter zehn Tage an einem Stück arbeiten, als
an einem Tag zehn Stücke auf Kosten der Qualität machen.

Ein weiterer Widersacher der Qualität ist die verlangte Billigkeit. Die
Forderung der Billigkeit ist durch die allgemeine wirtschaftliche Verfassung
bedingt und im Kapitalismus begründet. Für die Masse wenigstens. Es ist
aber ein Irrtum, anzunehmen, daß der kunstgewerbliche Großbetrieb unter allen
Umstünden billiger liefern könne als der möglicherweise höher qualifizierte klein¬
meisterliche Handwerksbetrieb. Der Großbetrieb kann mir rascher liefern und den
Markt versorgen. Das ist alles. Er hat zwar die Rohmaterialien billig in der
Hand, weil er als der größere Käufer auftritt, und er kann durch die Arbeits¬
teilung und Maschinen in derselben Zeit mehr liefern. Er hat aber andrerseits
mit enormen Reklame- und sonstigen Regiekosten zu rechnen, die ihn mit Rücksicht
auf die Konkurrenz zu weitern Qualitätsherabminderungen zwingen können.

Die Industrie hat es bewirkt, daß die zahlreichen Kunsthandwerke, die
früher das Lebensbild bestimmten und die hohe Qualität der überlieferten
kunsthandwerklichen Gegenstände erzeugten, nahezu gänzlich vom Schauplatz
verschwunden sind und bestenfalls im Winkel da und dort vegetieren. Aber die
Industrie hat es auch bewirkt, daß das Verlangen nach jener hohen Qualitäts¬
marke wieder lebendig geworden ist. und daß kunsthandwerkliche Betriebe nach
künstlerischen Grundsätzen auf Grund der alten Techniken wieder möglich sind.
Von den alten Handwerkern, die sich als Kleinmeister noch hinfristen, ist nichts
zu erwarten; es sind neue Menschen nötig, die das Erbe in die Hand nehmen
und pflegen werden. Aber der Hauptsache nach beruht die moderne Kultur¬
entwicklung doch auf der Industrie. Sie ist die Macht, die, was die Form
betrifft, den guten Geschmack mit entscheidenden Erfolg verbreiten und die
Physiognomie des Alltags mit einem Schlag verbessern kann, wenn sie bedeutende
und führende Künstler in die technische Leitung beruft. Die Masse künstlerisch
machen, ist ein aussichtsloses Geschüft. Von Mann zu Mann darüber zu
debattieren, was schön oder nicht schön ist, würde zu keinem Ende führen. Die
Masse kann nur erträglich gemacht werden, wenn ihr schlechte Produkte vor¬
enthalten und ausschließlich Gutes gereicht wird. Sie darf nicht befragt werden,
denn sie hat kein Urteil. Den Markt zu bestimmen und die Sachlage zugunsten
der Kultur zu ändern, diese Macht hat lediglich die große Industrie. In der
Qualität kann sie ein anständiges Durchschnittsniveau halten, was vielfach schon
erreicht ist. Wenn darüber Einigkeit herrscht, daß das Jndustrieprodukt niemals
mit dem Kunsthandwerk wetteifern kann, daß aber beide an ihrem Platze gut
sind, das eine der Nützlichkeit und das andre der Schönheit und des Kunst¬
bedürfnisses wegen, dann ist viel geschehn, um die Lage zu klären und den
rechten Weg zu finden.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/576>, abgerufen am 22.06.2024.