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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Probleme der Runstindustrie

Will, was leider bei den Fabrikanten noch allzu selten der Fall ist. Ebenso
sind das Buchgewerbe und der Bucheinband vollkommen Industrie geworden,
was sich durch das Lese- und Bildungsbedürfnis der Masse vollkommen er¬
klärt. Die wenigsten wissen, wie ein persönliches Buch aussieht, was ein
guter, kunsthandwerklicher Einband oder eine echte Handvergoldung bedeutet.
Aber auf den neuen Grundlagen hat sich unter dem Einfluß Englands ein
guter industrieller Geschmack geltend gemacht, der von den Künstlern durch¬
gesetzt werden konnte. Hochstrebcnde Schriftgießereien wie jene von Klingspor,
Druckereien wie Poeschel und Trepte, neuerdings in Verbindung mit dem
Schriftkünstler Ticmann haben typographisch außerordentlich geschmackveredelnd
gewirkt. Aus den individuellen Künstlerschriften haben sich nach und nach
sehr geschmackvolle und gut leserliche Gebrauchsschriften für die Vuchindustrie
entwickelt. Endlich haben sich die Buchverleger wie Eugen Diederichs in Jena,
Schuster und Löffler in Berlin, Julius Zeidler in Leipzig u. a. um die deutsche
Buchausstattung große Verdienste erworben. Der klischeemäßige Ausdruck der
Buchdeckelverzierung gewährt der Graphik einen großem Spielraum, wenn
auch hier der gute Geschmack einer undisziplinierten Überkunst aus dem Wege
geht. Ju der Lederindustrie- und Kofferfabrikation sind keine andern Grund¬
sätze im Interesse der schönen Form maßgebend als anständiges Material,
sachliche und sinnreiche Formgebung, Forderungen, die im Interesse des guten
Geschmacks in der Wagen-, Automobil-, Waggon- und sonstigen Verkehrs¬
industrie durchaus selbstverständlich und überliefert sind.

In den industriell bestimmten Kunstgewerben, wie in der Holz-, Leder-,
Glas-, Metallbearbeitung, in der Textilbranche und der technischen Installation,
in allen diesen einst handwerklichen und heute industriellen Produktionsgebieten,
die im Umkreise der Architektur liegen und von ihr bestimmt sind, betrifft das
künstlerische Problem nicht die Schaffung von individuellen, interessanten und
in der Massenherstellung niemals auf die Dauer erträglichen Künstlervisionen,
sondern die Verbreitung der typischen Formen des guten Geschmacks, von
Typen, die nicht stören, die als sachlich und anständig empfunden werden können
und in dieser Kultivierung nur von einem überlegnen, baukünstlerisch diszi¬
plinierten Geist geleitet werden können. Der Künstler verbindet sich nicht mit
der Industrie, um Kunst hervorzubringen, sondern um die Kultur des guten
Geschmacks zu verbreiten. Nochmals sei es gesagt, daß die Kunst mit der
Industrie nichts zu tun hat.

Das sogenannte künstlerische Problem der Industrie ist zugleich das Problem
der Qualität. Dieses Wort hat gerade in diesen Tagen eine hypnotisierende
Gewalt erlangt. Es scheint das Programm der Zukunft zu enthalten. Aber
gerade hier liegt die Sache viel problematischer, als viele denken, die sich dieses
Worts als Reklametitel bedienen. Ohne Zweifel bedeutet der Qualitätsbegriff
einen Höhepunkt in der künstlerisch geleiteten modernen Bewegung, einen Ab¬
schluß und zugleich einen Anfang. Aber hier wirken soziale, wirtschaftliche und
sogar ethisch gerichtete Lebensmächte bestimmend mit, die der Künstler nicht in


Probleme der Runstindustrie

Will, was leider bei den Fabrikanten noch allzu selten der Fall ist. Ebenso
sind das Buchgewerbe und der Bucheinband vollkommen Industrie geworden,
was sich durch das Lese- und Bildungsbedürfnis der Masse vollkommen er¬
klärt. Die wenigsten wissen, wie ein persönliches Buch aussieht, was ein
guter, kunsthandwerklicher Einband oder eine echte Handvergoldung bedeutet.
Aber auf den neuen Grundlagen hat sich unter dem Einfluß Englands ein
guter industrieller Geschmack geltend gemacht, der von den Künstlern durch¬
gesetzt werden konnte. Hochstrebcnde Schriftgießereien wie jene von Klingspor,
Druckereien wie Poeschel und Trepte, neuerdings in Verbindung mit dem
Schriftkünstler Ticmann haben typographisch außerordentlich geschmackveredelnd
gewirkt. Aus den individuellen Künstlerschriften haben sich nach und nach
sehr geschmackvolle und gut leserliche Gebrauchsschriften für die Vuchindustrie
entwickelt. Endlich haben sich die Buchverleger wie Eugen Diederichs in Jena,
Schuster und Löffler in Berlin, Julius Zeidler in Leipzig u. a. um die deutsche
Buchausstattung große Verdienste erworben. Der klischeemäßige Ausdruck der
Buchdeckelverzierung gewährt der Graphik einen großem Spielraum, wenn
auch hier der gute Geschmack einer undisziplinierten Überkunst aus dem Wege
geht. Ju der Lederindustrie- und Kofferfabrikation sind keine andern Grund¬
sätze im Interesse der schönen Form maßgebend als anständiges Material,
sachliche und sinnreiche Formgebung, Forderungen, die im Interesse des guten
Geschmacks in der Wagen-, Automobil-, Waggon- und sonstigen Verkehrs¬
industrie durchaus selbstverständlich und überliefert sind.

In den industriell bestimmten Kunstgewerben, wie in der Holz-, Leder-,
Glas-, Metallbearbeitung, in der Textilbranche und der technischen Installation,
in allen diesen einst handwerklichen und heute industriellen Produktionsgebieten,
die im Umkreise der Architektur liegen und von ihr bestimmt sind, betrifft das
künstlerische Problem nicht die Schaffung von individuellen, interessanten und
in der Massenherstellung niemals auf die Dauer erträglichen Künstlervisionen,
sondern die Verbreitung der typischen Formen des guten Geschmacks, von
Typen, die nicht stören, die als sachlich und anständig empfunden werden können
und in dieser Kultivierung nur von einem überlegnen, baukünstlerisch diszi¬
plinierten Geist geleitet werden können. Der Künstler verbindet sich nicht mit
der Industrie, um Kunst hervorzubringen, sondern um die Kultur des guten
Geschmacks zu verbreiten. Nochmals sei es gesagt, daß die Kunst mit der
Industrie nichts zu tun hat.

Das sogenannte künstlerische Problem der Industrie ist zugleich das Problem
der Qualität. Dieses Wort hat gerade in diesen Tagen eine hypnotisierende
Gewalt erlangt. Es scheint das Programm der Zukunft zu enthalten. Aber
gerade hier liegt die Sache viel problematischer, als viele denken, die sich dieses
Worts als Reklametitel bedienen. Ohne Zweifel bedeutet der Qualitätsbegriff
einen Höhepunkt in der künstlerisch geleiteten modernen Bewegung, einen Ab¬
schluß und zugleich einen Anfang. Aber hier wirken soziale, wirtschaftliche und
sogar ethisch gerichtete Lebensmächte bestimmend mit, die der Künstler nicht in


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[0574] Probleme der Runstindustrie Will, was leider bei den Fabrikanten noch allzu selten der Fall ist. Ebenso sind das Buchgewerbe und der Bucheinband vollkommen Industrie geworden, was sich durch das Lese- und Bildungsbedürfnis der Masse vollkommen er¬ klärt. Die wenigsten wissen, wie ein persönliches Buch aussieht, was ein guter, kunsthandwerklicher Einband oder eine echte Handvergoldung bedeutet. Aber auf den neuen Grundlagen hat sich unter dem Einfluß Englands ein guter industrieller Geschmack geltend gemacht, der von den Künstlern durch¬ gesetzt werden konnte. Hochstrebcnde Schriftgießereien wie jene von Klingspor, Druckereien wie Poeschel und Trepte, neuerdings in Verbindung mit dem Schriftkünstler Ticmann haben typographisch außerordentlich geschmackveredelnd gewirkt. Aus den individuellen Künstlerschriften haben sich nach und nach sehr geschmackvolle und gut leserliche Gebrauchsschriften für die Vuchindustrie entwickelt. Endlich haben sich die Buchverleger wie Eugen Diederichs in Jena, Schuster und Löffler in Berlin, Julius Zeidler in Leipzig u. a. um die deutsche Buchausstattung große Verdienste erworben. Der klischeemäßige Ausdruck der Buchdeckelverzierung gewährt der Graphik einen großem Spielraum, wenn auch hier der gute Geschmack einer undisziplinierten Überkunst aus dem Wege geht. Ju der Lederindustrie- und Kofferfabrikation sind keine andern Grund¬ sätze im Interesse der schönen Form maßgebend als anständiges Material, sachliche und sinnreiche Formgebung, Forderungen, die im Interesse des guten Geschmacks in der Wagen-, Automobil-, Waggon- und sonstigen Verkehrs¬ industrie durchaus selbstverständlich und überliefert sind. In den industriell bestimmten Kunstgewerben, wie in der Holz-, Leder-, Glas-, Metallbearbeitung, in der Textilbranche und der technischen Installation, in allen diesen einst handwerklichen und heute industriellen Produktionsgebieten, die im Umkreise der Architektur liegen und von ihr bestimmt sind, betrifft das künstlerische Problem nicht die Schaffung von individuellen, interessanten und in der Massenherstellung niemals auf die Dauer erträglichen Künstlervisionen, sondern die Verbreitung der typischen Formen des guten Geschmacks, von Typen, die nicht stören, die als sachlich und anständig empfunden werden können und in dieser Kultivierung nur von einem überlegnen, baukünstlerisch diszi¬ plinierten Geist geleitet werden können. Der Künstler verbindet sich nicht mit der Industrie, um Kunst hervorzubringen, sondern um die Kultur des guten Geschmacks zu verbreiten. Nochmals sei es gesagt, daß die Kunst mit der Industrie nichts zu tun hat. Das sogenannte künstlerische Problem der Industrie ist zugleich das Problem der Qualität. Dieses Wort hat gerade in diesen Tagen eine hypnotisierende Gewalt erlangt. Es scheint das Programm der Zukunft zu enthalten. Aber gerade hier liegt die Sache viel problematischer, als viele denken, die sich dieses Worts als Reklametitel bedienen. Ohne Zweifel bedeutet der Qualitätsbegriff einen Höhepunkt in der künstlerisch geleiteten modernen Bewegung, einen Ab¬ schluß und zugleich einen Anfang. Aber hier wirken soziale, wirtschaftliche und sogar ethisch gerichtete Lebensmächte bestimmend mit, die der Künstler nicht in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/574>, abgerufen am 22.06.2024.