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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Probleme der Kunstindustrie

Formen gibt, die industriell herzustellen sind, und die bei den niedrigen
Marktpreisen den Leuten wenigstens durch eine schnellere Produktionsart die
Existenz ermöglichen. Van de Velde war von einem ganz richtigen wirt¬
schaftlichen Instinkt geleitet. So sehr das Schwinden der alten Töpferkunst
zu bedauern ist (sie wird wieder erstehn!), so ist der Vorgang doch ganz
gerecht. Die Leute wollen leben und lassen von selber die Drehscheibe im
Stich. Sie sind nicht dabei zu erhalten. Ganz abgesehen davon, daß von
diesen Handwerkern für die Kunst nichts zu erwarten ist, weil sie nicht zu
heben sind. Das Kunsthandwerk wird von Persönlichkeiten ergriffen werden,
die die Bildung ihrer-Zeit mit der Sache verbinden. Dem gewöhnlichen
Handwerker ist nicht zu helfen, er drängt zur Industrie, wenn auch im kleinen
Umfang, um überhaupt zu existieren. Und die Industrie kann mit den an
die Handwerkstechniken gebundnen Kunstformen nichts anfangen. Wenn also
die Töpfer schon die Drehscheibe verlassen und gepreßte Formen machen,
dann sollen sie wenigstens von dem überlegnen Geschmack eines Künstlers be¬
stimmt werden, damit überhaupt etwas ordentliches daraus werden kann. Für
die Töpferindustrie kann zum Alltagsgebrauch nur die zweckmäßige, praktische
Form, die schöne farbige oder leuchtende Glasur oder die schöne Proportionen
betonende einfache Linie in Betracht kommen. Alle andern persönlichen Reize,
die Unwillkürlichkeiten und Vibrationen der gestaltenden Hand, die jedes
Einzelstück mit einem individuellen Leben begabt, sind dahin. Die Masse
braucht diese Feinheiten nicht und versteht sie auch gar nicht. Es ist alles
ganz in Ordnung. Was sich hier vollzieht, ist in der Holz- und Metall¬
bearbeitung längst Tatsache geworden. Das Tischlergewerbe ist vollkommen
industrialisiert, und für den Möbelbau sind ganz neue Grundsätze maßgebend.
Möbelstücke, die den Rang eines Kunstwerkes einnehmen und alle Vorzüge
der alten handwerklichen Herstellung haben, selbst bis auf die handgehobelten
Flächen, die deshalb eine unnachahmliche Weichheit und ein bestimmtes Leben
aufweisen, gehören zu den Ausnahmen. Gewöhnlich aber ist auch das prunk¬
hafte Stück von heute Jndustrieerzeugnis und kein Kunstwerk. Für den
guten Geschmack ist auch bei dem modernen Möbel nicht der Prunk ent¬
scheidend, sondern die schlichte Form und die gute Proportion. Intarsien und
gelegentliches Schnitzwerk geben hier noch einen kleinen Spielraum für die
Persönliche Arbeit. Nur die Qualität der Form hängt vom Künstler ab.
Die Arbeits- und Materialqualität wird von andern Dingen bestimmt, die
nicht in seiner Gewalt sind.

Die Goldschmiedekunst ist vollends in der Industrie untergegangen.
Es gibt rühmliche aber seltne Ausnahmen, wie die englischen ^re8 -ma
Vratts-Unternehmungen und die Wiener Werkstütte. Die Originalität des
Entwurfs muß uns über die maschinenmäßige Härte und uninteressante Aus¬
führung hinweghelfen. Die Qualität des Entwurfs, die ebenfalls nur von
einem hohen Kulturgeschmack bestimmt werden kann, ist das einzige, was die
Goldschmiedeindustrie zurzeit anzustreben vermag, wenn sie wirklich hoch hinaus


Probleme der Kunstindustrie

Formen gibt, die industriell herzustellen sind, und die bei den niedrigen
Marktpreisen den Leuten wenigstens durch eine schnellere Produktionsart die
Existenz ermöglichen. Van de Velde war von einem ganz richtigen wirt¬
schaftlichen Instinkt geleitet. So sehr das Schwinden der alten Töpferkunst
zu bedauern ist (sie wird wieder erstehn!), so ist der Vorgang doch ganz
gerecht. Die Leute wollen leben und lassen von selber die Drehscheibe im
Stich. Sie sind nicht dabei zu erhalten. Ganz abgesehen davon, daß von
diesen Handwerkern für die Kunst nichts zu erwarten ist, weil sie nicht zu
heben sind. Das Kunsthandwerk wird von Persönlichkeiten ergriffen werden,
die die Bildung ihrer-Zeit mit der Sache verbinden. Dem gewöhnlichen
Handwerker ist nicht zu helfen, er drängt zur Industrie, wenn auch im kleinen
Umfang, um überhaupt zu existieren. Und die Industrie kann mit den an
die Handwerkstechniken gebundnen Kunstformen nichts anfangen. Wenn also
die Töpfer schon die Drehscheibe verlassen und gepreßte Formen machen,
dann sollen sie wenigstens von dem überlegnen Geschmack eines Künstlers be¬
stimmt werden, damit überhaupt etwas ordentliches daraus werden kann. Für
die Töpferindustrie kann zum Alltagsgebrauch nur die zweckmäßige, praktische
Form, die schöne farbige oder leuchtende Glasur oder die schöne Proportionen
betonende einfache Linie in Betracht kommen. Alle andern persönlichen Reize,
die Unwillkürlichkeiten und Vibrationen der gestaltenden Hand, die jedes
Einzelstück mit einem individuellen Leben begabt, sind dahin. Die Masse
braucht diese Feinheiten nicht und versteht sie auch gar nicht. Es ist alles
ganz in Ordnung. Was sich hier vollzieht, ist in der Holz- und Metall¬
bearbeitung längst Tatsache geworden. Das Tischlergewerbe ist vollkommen
industrialisiert, und für den Möbelbau sind ganz neue Grundsätze maßgebend.
Möbelstücke, die den Rang eines Kunstwerkes einnehmen und alle Vorzüge
der alten handwerklichen Herstellung haben, selbst bis auf die handgehobelten
Flächen, die deshalb eine unnachahmliche Weichheit und ein bestimmtes Leben
aufweisen, gehören zu den Ausnahmen. Gewöhnlich aber ist auch das prunk¬
hafte Stück von heute Jndustrieerzeugnis und kein Kunstwerk. Für den
guten Geschmack ist auch bei dem modernen Möbel nicht der Prunk ent¬
scheidend, sondern die schlichte Form und die gute Proportion. Intarsien und
gelegentliches Schnitzwerk geben hier noch einen kleinen Spielraum für die
Persönliche Arbeit. Nur die Qualität der Form hängt vom Künstler ab.
Die Arbeits- und Materialqualität wird von andern Dingen bestimmt, die
nicht in seiner Gewalt sind.

Die Goldschmiedekunst ist vollends in der Industrie untergegangen.
Es gibt rühmliche aber seltne Ausnahmen, wie die englischen ^re8 -ma
Vratts-Unternehmungen und die Wiener Werkstütte. Die Originalität des
Entwurfs muß uns über die maschinenmäßige Härte und uninteressante Aus¬
führung hinweghelfen. Die Qualität des Entwurfs, die ebenfalls nur von
einem hohen Kulturgeschmack bestimmt werden kann, ist das einzige, was die
Goldschmiedeindustrie zurzeit anzustreben vermag, wenn sie wirklich hoch hinaus


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[0573] Probleme der Kunstindustrie Formen gibt, die industriell herzustellen sind, und die bei den niedrigen Marktpreisen den Leuten wenigstens durch eine schnellere Produktionsart die Existenz ermöglichen. Van de Velde war von einem ganz richtigen wirt¬ schaftlichen Instinkt geleitet. So sehr das Schwinden der alten Töpferkunst zu bedauern ist (sie wird wieder erstehn!), so ist der Vorgang doch ganz gerecht. Die Leute wollen leben und lassen von selber die Drehscheibe im Stich. Sie sind nicht dabei zu erhalten. Ganz abgesehen davon, daß von diesen Handwerkern für die Kunst nichts zu erwarten ist, weil sie nicht zu heben sind. Das Kunsthandwerk wird von Persönlichkeiten ergriffen werden, die die Bildung ihrer-Zeit mit der Sache verbinden. Dem gewöhnlichen Handwerker ist nicht zu helfen, er drängt zur Industrie, wenn auch im kleinen Umfang, um überhaupt zu existieren. Und die Industrie kann mit den an die Handwerkstechniken gebundnen Kunstformen nichts anfangen. Wenn also die Töpfer schon die Drehscheibe verlassen und gepreßte Formen machen, dann sollen sie wenigstens von dem überlegnen Geschmack eines Künstlers be¬ stimmt werden, damit überhaupt etwas ordentliches daraus werden kann. Für die Töpferindustrie kann zum Alltagsgebrauch nur die zweckmäßige, praktische Form, die schöne farbige oder leuchtende Glasur oder die schöne Proportionen betonende einfache Linie in Betracht kommen. Alle andern persönlichen Reize, die Unwillkürlichkeiten und Vibrationen der gestaltenden Hand, die jedes Einzelstück mit einem individuellen Leben begabt, sind dahin. Die Masse braucht diese Feinheiten nicht und versteht sie auch gar nicht. Es ist alles ganz in Ordnung. Was sich hier vollzieht, ist in der Holz- und Metall¬ bearbeitung längst Tatsache geworden. Das Tischlergewerbe ist vollkommen industrialisiert, und für den Möbelbau sind ganz neue Grundsätze maßgebend. Möbelstücke, die den Rang eines Kunstwerkes einnehmen und alle Vorzüge der alten handwerklichen Herstellung haben, selbst bis auf die handgehobelten Flächen, die deshalb eine unnachahmliche Weichheit und ein bestimmtes Leben aufweisen, gehören zu den Ausnahmen. Gewöhnlich aber ist auch das prunk¬ hafte Stück von heute Jndustrieerzeugnis und kein Kunstwerk. Für den guten Geschmack ist auch bei dem modernen Möbel nicht der Prunk ent¬ scheidend, sondern die schlichte Form und die gute Proportion. Intarsien und gelegentliches Schnitzwerk geben hier noch einen kleinen Spielraum für die Persönliche Arbeit. Nur die Qualität der Form hängt vom Künstler ab. Die Arbeits- und Materialqualität wird von andern Dingen bestimmt, die nicht in seiner Gewalt sind. Die Goldschmiedekunst ist vollends in der Industrie untergegangen. Es gibt rühmliche aber seltne Ausnahmen, wie die englischen ^re8 -ma Vratts-Unternehmungen und die Wiener Werkstütte. Die Originalität des Entwurfs muß uns über die maschinenmäßige Härte und uninteressante Aus¬ führung hinweghelfen. Die Qualität des Entwurfs, die ebenfalls nur von einem hohen Kulturgeschmack bestimmt werden kann, ist das einzige, was die Goldschmiedeindustrie zurzeit anzustreben vermag, wenn sie wirklich hoch hinaus

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/573>, abgerufen am 24.07.2024.