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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Probleme der Kunstindustrie

verstanden hat und niemals versteh" wird. Die Folge ist, daß sie ein wert¬
loses Surrogat hinnimmt, und daß die Industrie diese Art von Kunst für die
Masse hervorbringt. Kunstindustrie. In Wahrheit aber kann die Industrie
niemals Kunst hervorbringen. Kunstindustrie ist ein Unding. Der hohe
menschliche Begriff der bildenden und handwerklichen Künste ist lediglich be¬
stimmt von der persönlich geadelten Handarbeit, durch die sich die seelische
Inspiration stofflich ausdrückt. In der Reproduktion eines Meisterwerkes
der Malerei oder in der Galvanoplastik, und wiederholte sie auch ein Werk
Michelangelos, haben wir nicht das Kunstwerk, nicht einmal ein Bruchstück
davon, sondern nur eine schwache Andeutung einiger Linien und Flächen.
Ebensowenig haben wir in der industriellen Nachbildung der kunstgewerblichen
Handarbeit einen Ersatz für das, was wir an jener Handarbeit künstlerisch
schätzen und empfinden. Alle Geschmacklosigkeiten, ein großer Teil der
Qualitätsmängel und der Übel, die im Gefolge der modernen Zivilisation auf¬
getreten sind, kommen aus dem Glauben, daß die Industrie Kunst machen
und das wichtigste künstlerische Moment der Seelenfreude und der persönlich
differenzierten Handarbeit durch die Arbeitsteilung und durch die Maschine
ersetzen könne.

Das künstlerische Problem der Industrie kann nur gelöst werden, wenn
die Industrie entschlossen ist, nicht mehr einer falschen Kunst sondern dem
guten Geschmack zu dienen. Die Kunst ist eine persönliche Angelegenheit, zu
der man nicht verpflichtet werden kann; verpflichtet kann man nur zum guten
Geschmack werden. Diese Verbindlichkeit nötigt die Industrie nun erst recht,
sich der besten künstlerischen Kraft zu bedienen, die den Zusammenhang der
Erscheinungen beherrscht und imstande ist, den Jndustrieprodukten den Stempel
des guten Geschmacks zu geben, durch den sie sich dem Lebensbild harmonisch
einfügen. Ein Beispiel von großer Tragweite in dieser Beziehung bietet die
Berufung Behrens zum künstlerischen Beirat an die Berliner Allgemeine
Elektrizitäts-Gesellschaft. Nicht die elektrotechnischen Installationen zu Kunst¬
werken zu machen, die sie niemals sein können, sondern ihnen die logische
Form zu geben, ist die von diesem Künstler erkannte Aufgabe. Streng ge¬
nommen kann auch ein Maschinenmöbel niemals Kunst sein. Es ist so wenig
ein Kunstwerk wie ein anständiger Lederkoffer, ein Fahrrad, ein Automobil.
Ebensowenig sind die vorzüglich durchdachten modernen Landhäuser, die nach
den Entwürfen unsrer besten Architekten entstehen, Kunstwerke. Sie haben
gar nicht die Aufgabe, es zu sein, sie haben nur die Aufgabe, in menschlicher
Angemessenheit zweckvoll, sachlich und schön zu sein. Der Geist des Schönen
soll auch über der Alltagsproduktion und der Massenherstellung herrschen. Nur
der Künstler kann ihn bestimmen, der die Zusammenhänge überschaut, eine
ganze Welt, und Einheit an Stelle des Chaos stellt. Aber die Kunst beginnt
ganz wo anders.

Wer für die Masse arbeitet, muß billig sein. Die Industrie muß billig
sein. Ich begreife, daß van de Velde den Thüringer Töpfern gepreßte


Probleme der Kunstindustrie

verstanden hat und niemals versteh» wird. Die Folge ist, daß sie ein wert¬
loses Surrogat hinnimmt, und daß die Industrie diese Art von Kunst für die
Masse hervorbringt. Kunstindustrie. In Wahrheit aber kann die Industrie
niemals Kunst hervorbringen. Kunstindustrie ist ein Unding. Der hohe
menschliche Begriff der bildenden und handwerklichen Künste ist lediglich be¬
stimmt von der persönlich geadelten Handarbeit, durch die sich die seelische
Inspiration stofflich ausdrückt. In der Reproduktion eines Meisterwerkes
der Malerei oder in der Galvanoplastik, und wiederholte sie auch ein Werk
Michelangelos, haben wir nicht das Kunstwerk, nicht einmal ein Bruchstück
davon, sondern nur eine schwache Andeutung einiger Linien und Flächen.
Ebensowenig haben wir in der industriellen Nachbildung der kunstgewerblichen
Handarbeit einen Ersatz für das, was wir an jener Handarbeit künstlerisch
schätzen und empfinden. Alle Geschmacklosigkeiten, ein großer Teil der
Qualitätsmängel und der Übel, die im Gefolge der modernen Zivilisation auf¬
getreten sind, kommen aus dem Glauben, daß die Industrie Kunst machen
und das wichtigste künstlerische Moment der Seelenfreude und der persönlich
differenzierten Handarbeit durch die Arbeitsteilung und durch die Maschine
ersetzen könne.

Das künstlerische Problem der Industrie kann nur gelöst werden, wenn
die Industrie entschlossen ist, nicht mehr einer falschen Kunst sondern dem
guten Geschmack zu dienen. Die Kunst ist eine persönliche Angelegenheit, zu
der man nicht verpflichtet werden kann; verpflichtet kann man nur zum guten
Geschmack werden. Diese Verbindlichkeit nötigt die Industrie nun erst recht,
sich der besten künstlerischen Kraft zu bedienen, die den Zusammenhang der
Erscheinungen beherrscht und imstande ist, den Jndustrieprodukten den Stempel
des guten Geschmacks zu geben, durch den sie sich dem Lebensbild harmonisch
einfügen. Ein Beispiel von großer Tragweite in dieser Beziehung bietet die
Berufung Behrens zum künstlerischen Beirat an die Berliner Allgemeine
Elektrizitäts-Gesellschaft. Nicht die elektrotechnischen Installationen zu Kunst¬
werken zu machen, die sie niemals sein können, sondern ihnen die logische
Form zu geben, ist die von diesem Künstler erkannte Aufgabe. Streng ge¬
nommen kann auch ein Maschinenmöbel niemals Kunst sein. Es ist so wenig
ein Kunstwerk wie ein anständiger Lederkoffer, ein Fahrrad, ein Automobil.
Ebensowenig sind die vorzüglich durchdachten modernen Landhäuser, die nach
den Entwürfen unsrer besten Architekten entstehen, Kunstwerke. Sie haben
gar nicht die Aufgabe, es zu sein, sie haben nur die Aufgabe, in menschlicher
Angemessenheit zweckvoll, sachlich und schön zu sein. Der Geist des Schönen
soll auch über der Alltagsproduktion und der Massenherstellung herrschen. Nur
der Künstler kann ihn bestimmen, der die Zusammenhänge überschaut, eine
ganze Welt, und Einheit an Stelle des Chaos stellt. Aber die Kunst beginnt
ganz wo anders.

Wer für die Masse arbeitet, muß billig sein. Die Industrie muß billig
sein. Ich begreife, daß van de Velde den Thüringer Töpfern gepreßte


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[0572] Probleme der Kunstindustrie verstanden hat und niemals versteh» wird. Die Folge ist, daß sie ein wert¬ loses Surrogat hinnimmt, und daß die Industrie diese Art von Kunst für die Masse hervorbringt. Kunstindustrie. In Wahrheit aber kann die Industrie niemals Kunst hervorbringen. Kunstindustrie ist ein Unding. Der hohe menschliche Begriff der bildenden und handwerklichen Künste ist lediglich be¬ stimmt von der persönlich geadelten Handarbeit, durch die sich die seelische Inspiration stofflich ausdrückt. In der Reproduktion eines Meisterwerkes der Malerei oder in der Galvanoplastik, und wiederholte sie auch ein Werk Michelangelos, haben wir nicht das Kunstwerk, nicht einmal ein Bruchstück davon, sondern nur eine schwache Andeutung einiger Linien und Flächen. Ebensowenig haben wir in der industriellen Nachbildung der kunstgewerblichen Handarbeit einen Ersatz für das, was wir an jener Handarbeit künstlerisch schätzen und empfinden. Alle Geschmacklosigkeiten, ein großer Teil der Qualitätsmängel und der Übel, die im Gefolge der modernen Zivilisation auf¬ getreten sind, kommen aus dem Glauben, daß die Industrie Kunst machen und das wichtigste künstlerische Moment der Seelenfreude und der persönlich differenzierten Handarbeit durch die Arbeitsteilung und durch die Maschine ersetzen könne. Das künstlerische Problem der Industrie kann nur gelöst werden, wenn die Industrie entschlossen ist, nicht mehr einer falschen Kunst sondern dem guten Geschmack zu dienen. Die Kunst ist eine persönliche Angelegenheit, zu der man nicht verpflichtet werden kann; verpflichtet kann man nur zum guten Geschmack werden. Diese Verbindlichkeit nötigt die Industrie nun erst recht, sich der besten künstlerischen Kraft zu bedienen, die den Zusammenhang der Erscheinungen beherrscht und imstande ist, den Jndustrieprodukten den Stempel des guten Geschmacks zu geben, durch den sie sich dem Lebensbild harmonisch einfügen. Ein Beispiel von großer Tragweite in dieser Beziehung bietet die Berufung Behrens zum künstlerischen Beirat an die Berliner Allgemeine Elektrizitäts-Gesellschaft. Nicht die elektrotechnischen Installationen zu Kunst¬ werken zu machen, die sie niemals sein können, sondern ihnen die logische Form zu geben, ist die von diesem Künstler erkannte Aufgabe. Streng ge¬ nommen kann auch ein Maschinenmöbel niemals Kunst sein. Es ist so wenig ein Kunstwerk wie ein anständiger Lederkoffer, ein Fahrrad, ein Automobil. Ebensowenig sind die vorzüglich durchdachten modernen Landhäuser, die nach den Entwürfen unsrer besten Architekten entstehen, Kunstwerke. Sie haben gar nicht die Aufgabe, es zu sein, sie haben nur die Aufgabe, in menschlicher Angemessenheit zweckvoll, sachlich und schön zu sein. Der Geist des Schönen soll auch über der Alltagsproduktion und der Massenherstellung herrschen. Nur der Künstler kann ihn bestimmen, der die Zusammenhänge überschaut, eine ganze Welt, und Einheit an Stelle des Chaos stellt. Aber die Kunst beginnt ganz wo anders. Wer für die Masse arbeitet, muß billig sein. Die Industrie muß billig sein. Ich begreife, daß van de Velde den Thüringer Töpfern gepreßte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/572>, abgerufen am 22.06.2024.