Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die preußische Artillerie im Dienste des Uüstenrettungswesens

in den Werken der am Meere gebornen und groß gewordnen Dichter, Gelehrten
und Staatsmänner jener Zeit findet. Die Waffe der Nothelferin Barbara, am
Meere im Dienste der Nächstenliebe geführt -- dieses Bild hätte wenigstens
Dichteraugen fesseln müssen. Liegt doch schon in der rein militärischen Tätigkeit
der Küstenartillerie viel Poesie. Ich wundre mich, daß dieses Gold erst in der
jüngsten Zeit von dem Lauenburger Ernst Johann Groth entdeckt und in
seinem Buche: "Die drei Kanoniere und andre Geschichten" dichterisch verwertet
worden ist.

Ballastinspektor Müller konnte die Aufgabe nicht lösen, die er sich gestellt
hatte, obwohl ihn seine zähe, grübelnde und doch nicht unfrei an Einzelheiten
haftende Tüchtigkeit dazu außerordentlich befähigte. Auch im Bezirk Königs¬
berg legte sich um diese Zeit ein tiefer Schlummer auf das Rettungswesen.
Aber nicht Teilnahmlosigkeit, nicht "träge Ruh" hemmte das Gedeihen der
Blume der Menschlichkeit, die dort am Strande Wurzel gefaßt hatte, sondern
die Sorge um etwas Wichtigeres, die Schärfung der Wehr zur Erfüllung
künftiger großer Aufgaben. Der Mörser am Strande von Memel versank wie
der Manbysche Apparat im Artilleriedepot zu Stralsund in tiefen Schlaf, als
von den Gewappneten im Kyffhäuser der Schlummer allmählich wich.

Zehn Jahre gingen ins Land, bis die Rakete wieder in ihrem Werte für
das Rettungswesen gewürdigt wurde. Wieder sah man in ihr zunächst ein
Mittel zum Aufsuchen des Wracks und zur Erleichterung und Verbesserung des
Zielens. Auch hier brach Trost, der Artillerieoffizier vom Strand, den Bann
des Schlummers und der Vergessenheit, der die Idee des artilleristischen Nettungs-
verfahrens gefesselt hielt. In der Instruktion für den Gebrauch des Manbyschen
Rettungsapparats bei Strandungen, die er im Jahre 1842 als Premierlentnant
und Adjutant der 1. Artillerie-Inspektion ausarbeitete, brachte er die Rakete
wieder zu Ehren, indem er schrieb: "Da Strandungen am häufigsten bei finsterer
Nacht geschehen und man daher nicht im Stande sein wird, das Wrack zu sehen
und dem Mörser die Richtung dorthin zu geben, so sind zur Erleuchtung des
Horizonts 1 pfundige Signal-Raketen mit Fallschirm angewendet. Dieselben
haben einen solchen Erleuchtungskreis, daß man über 300 Schritt weit in See
große Gegenstände ziemlich deutlich sehen konnte. Das Aufsteigen einer
^Pfündigen Rakete gleich nach der Ankunft an dem Orte, wo man den Rettungs¬
versuch machen will, wird bei finsterer Nacht und heulender See den edeln
Zweck erfüllen, der in großen Nöten schwebenden Schiffsbesatzung ein Zeichen
zu geben, daß man ihre Not wahrgenommen und ihre Rettung versuchen wird.
Diese Hoffnung wird die Unglücklichen mit neuem Lebensmut erfüllen und sie
selbst werden zu ihrer Rettung um so mehr in Vereitschaft sein .. . wenn sie
durch die steigende Rakete von der Nähe ihrer Retter benachrichtigt sind." So
beschrieb dem Romantiker in Uniform seine Phantasie beredt die Lage und die
Gefühle der Schiffbrüchigen, und sein Geist sann auf Mittel zu helfen und sah
nach Hilfsmitteln aus. Dennetts Raketenapparat war ihm nicht unbekannt


Die preußische Artillerie im Dienste des Uüstenrettungswesens

in den Werken der am Meere gebornen und groß gewordnen Dichter, Gelehrten
und Staatsmänner jener Zeit findet. Die Waffe der Nothelferin Barbara, am
Meere im Dienste der Nächstenliebe geführt — dieses Bild hätte wenigstens
Dichteraugen fesseln müssen. Liegt doch schon in der rein militärischen Tätigkeit
der Küstenartillerie viel Poesie. Ich wundre mich, daß dieses Gold erst in der
jüngsten Zeit von dem Lauenburger Ernst Johann Groth entdeckt und in
seinem Buche: „Die drei Kanoniere und andre Geschichten" dichterisch verwertet
worden ist.

Ballastinspektor Müller konnte die Aufgabe nicht lösen, die er sich gestellt
hatte, obwohl ihn seine zähe, grübelnde und doch nicht unfrei an Einzelheiten
haftende Tüchtigkeit dazu außerordentlich befähigte. Auch im Bezirk Königs¬
berg legte sich um diese Zeit ein tiefer Schlummer auf das Rettungswesen.
Aber nicht Teilnahmlosigkeit, nicht „träge Ruh" hemmte das Gedeihen der
Blume der Menschlichkeit, die dort am Strande Wurzel gefaßt hatte, sondern
die Sorge um etwas Wichtigeres, die Schärfung der Wehr zur Erfüllung
künftiger großer Aufgaben. Der Mörser am Strande von Memel versank wie
der Manbysche Apparat im Artilleriedepot zu Stralsund in tiefen Schlaf, als
von den Gewappneten im Kyffhäuser der Schlummer allmählich wich.

Zehn Jahre gingen ins Land, bis die Rakete wieder in ihrem Werte für
das Rettungswesen gewürdigt wurde. Wieder sah man in ihr zunächst ein
Mittel zum Aufsuchen des Wracks und zur Erleichterung und Verbesserung des
Zielens. Auch hier brach Trost, der Artillerieoffizier vom Strand, den Bann
des Schlummers und der Vergessenheit, der die Idee des artilleristischen Nettungs-
verfahrens gefesselt hielt. In der Instruktion für den Gebrauch des Manbyschen
Rettungsapparats bei Strandungen, die er im Jahre 1842 als Premierlentnant
und Adjutant der 1. Artillerie-Inspektion ausarbeitete, brachte er die Rakete
wieder zu Ehren, indem er schrieb: „Da Strandungen am häufigsten bei finsterer
Nacht geschehen und man daher nicht im Stande sein wird, das Wrack zu sehen
und dem Mörser die Richtung dorthin zu geben, so sind zur Erleuchtung des
Horizonts 1 pfundige Signal-Raketen mit Fallschirm angewendet. Dieselben
haben einen solchen Erleuchtungskreis, daß man über 300 Schritt weit in See
große Gegenstände ziemlich deutlich sehen konnte. Das Aufsteigen einer
^Pfündigen Rakete gleich nach der Ankunft an dem Orte, wo man den Rettungs¬
versuch machen will, wird bei finsterer Nacht und heulender See den edeln
Zweck erfüllen, der in großen Nöten schwebenden Schiffsbesatzung ein Zeichen
zu geben, daß man ihre Not wahrgenommen und ihre Rettung versuchen wird.
Diese Hoffnung wird die Unglücklichen mit neuem Lebensmut erfüllen und sie
selbst werden zu ihrer Rettung um so mehr in Vereitschaft sein .. . wenn sie
durch die steigende Rakete von der Nähe ihrer Retter benachrichtigt sind." So
beschrieb dem Romantiker in Uniform seine Phantasie beredt die Lage und die
Gefühle der Schiffbrüchigen, und sein Geist sann auf Mittel zu helfen und sah
nach Hilfsmitteln aus. Dennetts Raketenapparat war ihm nicht unbekannt


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0567" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/312252"/>
          <fw type="header" place="top"> Die preußische Artillerie im Dienste des Uüstenrettungswesens</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2198" prev="#ID_2197"> in den Werken der am Meere gebornen und groß gewordnen Dichter, Gelehrten<lb/>
und Staatsmänner jener Zeit findet. Die Waffe der Nothelferin Barbara, am<lb/>
Meere im Dienste der Nächstenliebe geführt &#x2014; dieses Bild hätte wenigstens<lb/>
Dichteraugen fesseln müssen. Liegt doch schon in der rein militärischen Tätigkeit<lb/>
der Küstenartillerie viel Poesie. Ich wundre mich, daß dieses Gold erst in der<lb/>
jüngsten Zeit von dem Lauenburger Ernst Johann Groth entdeckt und in<lb/>
seinem Buche: &#x201E;Die drei Kanoniere und andre Geschichten" dichterisch verwertet<lb/>
worden ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2199"> Ballastinspektor Müller konnte die Aufgabe nicht lösen, die er sich gestellt<lb/>
hatte, obwohl ihn seine zähe, grübelnde und doch nicht unfrei an Einzelheiten<lb/>
haftende Tüchtigkeit dazu außerordentlich befähigte. Auch im Bezirk Königs¬<lb/>
berg legte sich um diese Zeit ein tiefer Schlummer auf das Rettungswesen.<lb/>
Aber nicht Teilnahmlosigkeit, nicht &#x201E;träge Ruh" hemmte das Gedeihen der<lb/>
Blume der Menschlichkeit, die dort am Strande Wurzel gefaßt hatte, sondern<lb/>
die Sorge um etwas Wichtigeres, die Schärfung der Wehr zur Erfüllung<lb/>
künftiger großer Aufgaben. Der Mörser am Strande von Memel versank wie<lb/>
der Manbysche Apparat im Artilleriedepot zu Stralsund in tiefen Schlaf, als<lb/>
von den Gewappneten im Kyffhäuser der Schlummer allmählich wich.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2200" next="#ID_2201"> Zehn Jahre gingen ins Land, bis die Rakete wieder in ihrem Werte für<lb/>
das Rettungswesen gewürdigt wurde. Wieder sah man in ihr zunächst ein<lb/>
Mittel zum Aufsuchen des Wracks und zur Erleichterung und Verbesserung des<lb/>
Zielens. Auch hier brach Trost, der Artillerieoffizier vom Strand, den Bann<lb/>
des Schlummers und der Vergessenheit, der die Idee des artilleristischen Nettungs-<lb/>
verfahrens gefesselt hielt. In der Instruktion für den Gebrauch des Manbyschen<lb/>
Rettungsapparats bei Strandungen, die er im Jahre 1842 als Premierlentnant<lb/>
und Adjutant der 1. Artillerie-Inspektion ausarbeitete, brachte er die Rakete<lb/>
wieder zu Ehren, indem er schrieb: &#x201E;Da Strandungen am häufigsten bei finsterer<lb/>
Nacht geschehen und man daher nicht im Stande sein wird, das Wrack zu sehen<lb/>
und dem Mörser die Richtung dorthin zu geben, so sind zur Erleuchtung des<lb/>
Horizonts 1 pfundige Signal-Raketen mit Fallschirm angewendet. Dieselben<lb/>
haben einen solchen Erleuchtungskreis, daß man über 300 Schritt weit in See<lb/>
große Gegenstände ziemlich deutlich sehen konnte. Das Aufsteigen einer<lb/>
^Pfündigen Rakete gleich nach der Ankunft an dem Orte, wo man den Rettungs¬<lb/>
versuch machen will, wird bei finsterer Nacht und heulender See den edeln<lb/>
Zweck erfüllen, der in großen Nöten schwebenden Schiffsbesatzung ein Zeichen<lb/>
zu geben, daß man ihre Not wahrgenommen und ihre Rettung versuchen wird.<lb/>
Diese Hoffnung wird die Unglücklichen mit neuem Lebensmut erfüllen und sie<lb/>
selbst werden zu ihrer Rettung um so mehr in Vereitschaft sein .. . wenn sie<lb/>
durch die steigende Rakete von der Nähe ihrer Retter benachrichtigt sind." So<lb/>
beschrieb dem Romantiker in Uniform seine Phantasie beredt die Lage und die<lb/>
Gefühle der Schiffbrüchigen, und sein Geist sann auf Mittel zu helfen und sah<lb/>
nach Hilfsmitteln aus.  Dennetts Raketenapparat war ihm nicht unbekannt</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0567] Die preußische Artillerie im Dienste des Uüstenrettungswesens in den Werken der am Meere gebornen und groß gewordnen Dichter, Gelehrten und Staatsmänner jener Zeit findet. Die Waffe der Nothelferin Barbara, am Meere im Dienste der Nächstenliebe geführt — dieses Bild hätte wenigstens Dichteraugen fesseln müssen. Liegt doch schon in der rein militärischen Tätigkeit der Küstenartillerie viel Poesie. Ich wundre mich, daß dieses Gold erst in der jüngsten Zeit von dem Lauenburger Ernst Johann Groth entdeckt und in seinem Buche: „Die drei Kanoniere und andre Geschichten" dichterisch verwertet worden ist. Ballastinspektor Müller konnte die Aufgabe nicht lösen, die er sich gestellt hatte, obwohl ihn seine zähe, grübelnde und doch nicht unfrei an Einzelheiten haftende Tüchtigkeit dazu außerordentlich befähigte. Auch im Bezirk Königs¬ berg legte sich um diese Zeit ein tiefer Schlummer auf das Rettungswesen. Aber nicht Teilnahmlosigkeit, nicht „träge Ruh" hemmte das Gedeihen der Blume der Menschlichkeit, die dort am Strande Wurzel gefaßt hatte, sondern die Sorge um etwas Wichtigeres, die Schärfung der Wehr zur Erfüllung künftiger großer Aufgaben. Der Mörser am Strande von Memel versank wie der Manbysche Apparat im Artilleriedepot zu Stralsund in tiefen Schlaf, als von den Gewappneten im Kyffhäuser der Schlummer allmählich wich. Zehn Jahre gingen ins Land, bis die Rakete wieder in ihrem Werte für das Rettungswesen gewürdigt wurde. Wieder sah man in ihr zunächst ein Mittel zum Aufsuchen des Wracks und zur Erleichterung und Verbesserung des Zielens. Auch hier brach Trost, der Artillerieoffizier vom Strand, den Bann des Schlummers und der Vergessenheit, der die Idee des artilleristischen Nettungs- verfahrens gefesselt hielt. In der Instruktion für den Gebrauch des Manbyschen Rettungsapparats bei Strandungen, die er im Jahre 1842 als Premierlentnant und Adjutant der 1. Artillerie-Inspektion ausarbeitete, brachte er die Rakete wieder zu Ehren, indem er schrieb: „Da Strandungen am häufigsten bei finsterer Nacht geschehen und man daher nicht im Stande sein wird, das Wrack zu sehen und dem Mörser die Richtung dorthin zu geben, so sind zur Erleuchtung des Horizonts 1 pfundige Signal-Raketen mit Fallschirm angewendet. Dieselben haben einen solchen Erleuchtungskreis, daß man über 300 Schritt weit in See große Gegenstände ziemlich deutlich sehen konnte. Das Aufsteigen einer ^Pfündigen Rakete gleich nach der Ankunft an dem Orte, wo man den Rettungs¬ versuch machen will, wird bei finsterer Nacht und heulender See den edeln Zweck erfüllen, der in großen Nöten schwebenden Schiffsbesatzung ein Zeichen zu geben, daß man ihre Not wahrgenommen und ihre Rettung versuchen wird. Diese Hoffnung wird die Unglücklichen mit neuem Lebensmut erfüllen und sie selbst werden zu ihrer Rettung um so mehr in Vereitschaft sein .. . wenn sie durch die steigende Rakete von der Nähe ihrer Retter benachrichtigt sind." So beschrieb dem Romantiker in Uniform seine Phantasie beredt die Lage und die Gefühle der Schiffbrüchigen, und sein Geist sann auf Mittel zu helfen und sah nach Hilfsmitteln aus. Dennetts Raketenapparat war ihm nicht unbekannt

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/567
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/567>, abgerufen am 22.06.2024.