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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Die preußische Artillerie im Dienste des Aüstenrettungsrvesens

an den Vorrichtungen zum Richten der Mörser und anderer Wurfgeschütze".
Er beschreibt hier drei Perknssionszünder für Sprengraketen und einen eisernen
Raketenstab mit einem zylinderförmigen, mit Sprengstoffen und Kugeln ge-
ladner Gegengewicht. Von dieser Konstruktion verspricht er sich viel: "Der¬
gleichen Raketen müssen, wenn sie unter Menschenhaufen oder Pferde geworfen
werden, offenbar großes Unheil und große Unordnung hervorbringen; denn
nachdem die Rakete geplatzt ist, wird auch noch aus dem anderen Ende der¬
selben ein ganzer Schwarm von Kugeln ausgetrieben werden." So bemühten
sich die englischen Geschoßkonstrukteure in Erinnerung an Kopenhagen, die Zer¬
störungskraft der Rakete zu steigern und aus dem launigen Geschoß eine ver¬
lässige Waffe für ihre Flotte und ihr Heer zu machen. Sie fanden keine Ge¬
legenheit, ihre Konstruktionen im Ernstfalle zu erproben, und schließlich wurden
diese von den Sprenggeschossen der Geschütze weit überholt. Dagegen gelang
es ihnen, der Strandungswehr ihrer Insel in Gestalt gezähmter Kriegsraketen
ein wirksames Rettungsmittel zu geben. Die von Carte verbesserten Dennettscheu
Nettungsraketen erreichten schließlich eine Schußweite von 950 Fuß. So weit
war man in England um die Mitte der fünfziger Jahre des vorigen Jahr¬
hunderts gekommen.

Fast ebenso rasch wie Manbys Idee wurde die Trengrouses an der
Preußischen Küste aufgenommen.

In Preußen ließen sich Angehörige des Heeres die Verbesserung der
Rettungsmittel angelegen sein, nicht Waffenkonstrukteure, die sich ihre Er¬
findungen durch Patente sicherten. Die preußischen Offiziere und Unteroffiziere,
die sich bemühten, den Mörser und die Rakete für den Rettungsdienst zu
zähmen, hatten nicht wie die Engländer die Hoffnung, durch eine Erfindung,
die an der belebten Küste eines Jnselreichs überall willkommen geheißen und
verwandt werden mußte, Gewinn und Ruhm zu ernten. Dazu waren die
Küsten des Binnenmeers, an dem ihre Heimat lag, zu wenig belebt und die
Seeinteressen ihres Volkes zu gering. Die Teilnahme der ganzen Nation,
das Bewußtsein, für die Seegeltung ihres Volkes zu arbeiten, an der Heer¬
straße des Meeres die Würde des ersten Seevolks aufrecht zu erhalten, diese
Quellen der Ermutigung und Begeisterung, aus denen die englischen Ingenieure
immer neue Energie zu ihren Konstruktionsversuchen gewannen, fehlte den
preußischen Artilleristen an ihrer abgelegnen, verkehrsarmen und doch wrack¬
reichen Küste gänzlich. Sie schöpften nur aus der Freude an ihrer Waffe und
an ihrem Dienst und aus einer keuschen, nur in ihren Bemühungen, nie in
ihren Worten sich äußernden Nächstenliebe vier Jahrzehnte lang die Begeisterung
zu dem unermüdlichen Streben, aus Waffen Werkzeuge zur Rettung Schiff¬
brüchiger zu machen. Weil dieses Streben ein besonders schöner Zug im Bilde des
Preußischen Heeres ist und weil in einem tief in die Zeit reichenden Frieden eine
Flut von Zerrbildern das wahre Bild dieses Heeres fast in Vergessenheit bringt,
verweile ich gern dabei und zeichne diesen Zug in allen Einzelheiten nach.


Die preußische Artillerie im Dienste des Aüstenrettungsrvesens

an den Vorrichtungen zum Richten der Mörser und anderer Wurfgeschütze".
Er beschreibt hier drei Perknssionszünder für Sprengraketen und einen eisernen
Raketenstab mit einem zylinderförmigen, mit Sprengstoffen und Kugeln ge-
ladner Gegengewicht. Von dieser Konstruktion verspricht er sich viel: „Der¬
gleichen Raketen müssen, wenn sie unter Menschenhaufen oder Pferde geworfen
werden, offenbar großes Unheil und große Unordnung hervorbringen; denn
nachdem die Rakete geplatzt ist, wird auch noch aus dem anderen Ende der¬
selben ein ganzer Schwarm von Kugeln ausgetrieben werden." So bemühten
sich die englischen Geschoßkonstrukteure in Erinnerung an Kopenhagen, die Zer¬
störungskraft der Rakete zu steigern und aus dem launigen Geschoß eine ver¬
lässige Waffe für ihre Flotte und ihr Heer zu machen. Sie fanden keine Ge¬
legenheit, ihre Konstruktionen im Ernstfalle zu erproben, und schließlich wurden
diese von den Sprenggeschossen der Geschütze weit überholt. Dagegen gelang
es ihnen, der Strandungswehr ihrer Insel in Gestalt gezähmter Kriegsraketen
ein wirksames Rettungsmittel zu geben. Die von Carte verbesserten Dennettscheu
Nettungsraketen erreichten schließlich eine Schußweite von 950 Fuß. So weit
war man in England um die Mitte der fünfziger Jahre des vorigen Jahr¬
hunderts gekommen.

Fast ebenso rasch wie Manbys Idee wurde die Trengrouses an der
Preußischen Küste aufgenommen.

In Preußen ließen sich Angehörige des Heeres die Verbesserung der
Rettungsmittel angelegen sein, nicht Waffenkonstrukteure, die sich ihre Er¬
findungen durch Patente sicherten. Die preußischen Offiziere und Unteroffiziere,
die sich bemühten, den Mörser und die Rakete für den Rettungsdienst zu
zähmen, hatten nicht wie die Engländer die Hoffnung, durch eine Erfindung,
die an der belebten Küste eines Jnselreichs überall willkommen geheißen und
verwandt werden mußte, Gewinn und Ruhm zu ernten. Dazu waren die
Küsten des Binnenmeers, an dem ihre Heimat lag, zu wenig belebt und die
Seeinteressen ihres Volkes zu gering. Die Teilnahme der ganzen Nation,
das Bewußtsein, für die Seegeltung ihres Volkes zu arbeiten, an der Heer¬
straße des Meeres die Würde des ersten Seevolks aufrecht zu erhalten, diese
Quellen der Ermutigung und Begeisterung, aus denen die englischen Ingenieure
immer neue Energie zu ihren Konstruktionsversuchen gewannen, fehlte den
preußischen Artilleristen an ihrer abgelegnen, verkehrsarmen und doch wrack¬
reichen Küste gänzlich. Sie schöpften nur aus der Freude an ihrer Waffe und
an ihrem Dienst und aus einer keuschen, nur in ihren Bemühungen, nie in
ihren Worten sich äußernden Nächstenliebe vier Jahrzehnte lang die Begeisterung
zu dem unermüdlichen Streben, aus Waffen Werkzeuge zur Rettung Schiff¬
brüchiger zu machen. Weil dieses Streben ein besonders schöner Zug im Bilde des
Preußischen Heeres ist und weil in einem tief in die Zeit reichenden Frieden eine
Flut von Zerrbildern das wahre Bild dieses Heeres fast in Vergessenheit bringt,
verweile ich gern dabei und zeichne diesen Zug in allen Einzelheiten nach.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/563>, abgerufen am 22.06.2024.