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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Chinesische Parteien und Zeitungen

Die von dieser Partei, denen der Boden in China zu heiß geworden ist,
sind nach Japan übergesiedelt und agitieren von dort gegen den Despotismus
und die Trägheit ihres Vaterlandes. Durch eine in Japan erscheinende Volks¬
zeitung, die Hin-ming-tung-pau (tung heißt "Osten", d. i. Japan), verbreiten sie
ihre Ideen, mit denen sie hauptsächlich für moderne Einrichtungen wie Volks¬
erziehung, Reorganisation der Strafgesetze, Wehrpflicht u. a. in. eintreten, ja
sogar eine hervorragende zur Redaktion gehörende Chinesin beginnt den Samen
der Frauenbewegung zu säen. Vergegenwärtigt man sich die schreckliche dienende
Stellung des chinesischen Weibes, so kann man sich dieser Frauenrechtlerin
nur freuen.

In China selbst finden wir außer den erwähnten Parteien eine An¬
zahl von Vereinen, darunter zunächst den "Verein der Soliden", die sich des
Opiums, Tabaks und Weins enthalten. Ferner ist erwähnenswert der Verein
der Leute, die sich für fähig halten, durch Weihrauch und allen möglichen
Hokuspokus die Leidenden gesund oder unverwundbar zu machen. Dieser
Verein hatte 1900 in den Boxern die größten Anhänger. Die Boxer, von
deren verschiednen bekannten Geheimbünden hier nicht die Rede sein soll, glaubten
sich tatsächlich unverwundbar, wie gehörnte Siegfriede. Viele behaupteten
auch, daß sie, wenn sie getötet würden, nach drei Tagen wieder aufleben
würden. Der kluge Unan-fehl-kai stellte sie einst auf die Probe und ließ eine
Anzahl hinrichten mit dem Bemerken, wenn ihr Glaube der richtige wäre,
würden sie ja wieder lebendig werden, es käme also nicht darauf an. Die
Köpfe, an einem Pfahl aufgehängt, belehrten dann die überlebenden Fanatiker,
daß das Recht doch nicht auf ihrer Seite wäre.

Das Organ des großen Unan-fehl-kai ist ein in Tientsin erscheinendes
amtliches Blatt, Pei-yang-koan-pau. Es klärt die Beamten auf und nimmt
sie in Schutz, verurteilt die fortschrittlichen Attacken, ist aber leider "anti¬
christlich" und hält sich in strenger Reserve gegen das Überhandnehmen der
europäischen Wünsche. Bei alledem vertritt es einen gesunden Fortschritt, der
mit Maß geht, es erkennt zum Beispiel immer die Notwendigkeit der An¬
schaffung von Kanonen, Schiffen usw. an. Mit ihr arbeitet parallel die
Tsinanfn-Zeitung in Schenkung, also in Deutschlands Interessensphäre.

Ein andres amtliches Blatt ist der "Pekinger Reichsanzeiger", King-pau.
In ihm finden wir Edikte, Bestimmungen von Allerhöchster Stelle, Thron¬
berichte usw.

Leider hat eine andre Pekinger, nicht amtliche Zeitung, die in hervor¬
ragender und patriotischer Weise das gewöhnliche Volk aufklärte und von
jedem gewöhnlichen Manne verstanden wurde, seit etwa vier Jahren ihr Er¬
scheinen einstellen müssen.

Als besonders interessantes Pekinger Organ ist noch eine illustrierte chinesische
Zeitung für "Wissenschaft und alte und neue Geschichte" hervorzuheben. Sie
ist hauptsächlich ein Fortbildungsblatt für die reifere gebildete Jugend. Ähnlich


Chinesische Parteien und Zeitungen

Die von dieser Partei, denen der Boden in China zu heiß geworden ist,
sind nach Japan übergesiedelt und agitieren von dort gegen den Despotismus
und die Trägheit ihres Vaterlandes. Durch eine in Japan erscheinende Volks¬
zeitung, die Hin-ming-tung-pau (tung heißt „Osten", d. i. Japan), verbreiten sie
ihre Ideen, mit denen sie hauptsächlich für moderne Einrichtungen wie Volks¬
erziehung, Reorganisation der Strafgesetze, Wehrpflicht u. a. in. eintreten, ja
sogar eine hervorragende zur Redaktion gehörende Chinesin beginnt den Samen
der Frauenbewegung zu säen. Vergegenwärtigt man sich die schreckliche dienende
Stellung des chinesischen Weibes, so kann man sich dieser Frauenrechtlerin
nur freuen.

In China selbst finden wir außer den erwähnten Parteien eine An¬
zahl von Vereinen, darunter zunächst den „Verein der Soliden", die sich des
Opiums, Tabaks und Weins enthalten. Ferner ist erwähnenswert der Verein
der Leute, die sich für fähig halten, durch Weihrauch und allen möglichen
Hokuspokus die Leidenden gesund oder unverwundbar zu machen. Dieser
Verein hatte 1900 in den Boxern die größten Anhänger. Die Boxer, von
deren verschiednen bekannten Geheimbünden hier nicht die Rede sein soll, glaubten
sich tatsächlich unverwundbar, wie gehörnte Siegfriede. Viele behaupteten
auch, daß sie, wenn sie getötet würden, nach drei Tagen wieder aufleben
würden. Der kluge Unan-fehl-kai stellte sie einst auf die Probe und ließ eine
Anzahl hinrichten mit dem Bemerken, wenn ihr Glaube der richtige wäre,
würden sie ja wieder lebendig werden, es käme also nicht darauf an. Die
Köpfe, an einem Pfahl aufgehängt, belehrten dann die überlebenden Fanatiker,
daß das Recht doch nicht auf ihrer Seite wäre.

Das Organ des großen Unan-fehl-kai ist ein in Tientsin erscheinendes
amtliches Blatt, Pei-yang-koan-pau. Es klärt die Beamten auf und nimmt
sie in Schutz, verurteilt die fortschrittlichen Attacken, ist aber leider „anti¬
christlich" und hält sich in strenger Reserve gegen das Überhandnehmen der
europäischen Wünsche. Bei alledem vertritt es einen gesunden Fortschritt, der
mit Maß geht, es erkennt zum Beispiel immer die Notwendigkeit der An¬
schaffung von Kanonen, Schiffen usw. an. Mit ihr arbeitet parallel die
Tsinanfn-Zeitung in Schenkung, also in Deutschlands Interessensphäre.

Ein andres amtliches Blatt ist der „Pekinger Reichsanzeiger", King-pau.
In ihm finden wir Edikte, Bestimmungen von Allerhöchster Stelle, Thron¬
berichte usw.

Leider hat eine andre Pekinger, nicht amtliche Zeitung, die in hervor¬
ragender und patriotischer Weise das gewöhnliche Volk aufklärte und von
jedem gewöhnlichen Manne verstanden wurde, seit etwa vier Jahren ihr Er¬
scheinen einstellen müssen.

Als besonders interessantes Pekinger Organ ist noch eine illustrierte chinesische
Zeitung für „Wissenschaft und alte und neue Geschichte" hervorzuheben. Sie
ist hauptsächlich ein Fortbildungsblatt für die reifere gebildete Jugend. Ähnlich


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[0555] Chinesische Parteien und Zeitungen Die von dieser Partei, denen der Boden in China zu heiß geworden ist, sind nach Japan übergesiedelt und agitieren von dort gegen den Despotismus und die Trägheit ihres Vaterlandes. Durch eine in Japan erscheinende Volks¬ zeitung, die Hin-ming-tung-pau (tung heißt „Osten", d. i. Japan), verbreiten sie ihre Ideen, mit denen sie hauptsächlich für moderne Einrichtungen wie Volks¬ erziehung, Reorganisation der Strafgesetze, Wehrpflicht u. a. in. eintreten, ja sogar eine hervorragende zur Redaktion gehörende Chinesin beginnt den Samen der Frauenbewegung zu säen. Vergegenwärtigt man sich die schreckliche dienende Stellung des chinesischen Weibes, so kann man sich dieser Frauenrechtlerin nur freuen. In China selbst finden wir außer den erwähnten Parteien eine An¬ zahl von Vereinen, darunter zunächst den „Verein der Soliden", die sich des Opiums, Tabaks und Weins enthalten. Ferner ist erwähnenswert der Verein der Leute, die sich für fähig halten, durch Weihrauch und allen möglichen Hokuspokus die Leidenden gesund oder unverwundbar zu machen. Dieser Verein hatte 1900 in den Boxern die größten Anhänger. Die Boxer, von deren verschiednen bekannten Geheimbünden hier nicht die Rede sein soll, glaubten sich tatsächlich unverwundbar, wie gehörnte Siegfriede. Viele behaupteten auch, daß sie, wenn sie getötet würden, nach drei Tagen wieder aufleben würden. Der kluge Unan-fehl-kai stellte sie einst auf die Probe und ließ eine Anzahl hinrichten mit dem Bemerken, wenn ihr Glaube der richtige wäre, würden sie ja wieder lebendig werden, es käme also nicht darauf an. Die Köpfe, an einem Pfahl aufgehängt, belehrten dann die überlebenden Fanatiker, daß das Recht doch nicht auf ihrer Seite wäre. Das Organ des großen Unan-fehl-kai ist ein in Tientsin erscheinendes amtliches Blatt, Pei-yang-koan-pau. Es klärt die Beamten auf und nimmt sie in Schutz, verurteilt die fortschrittlichen Attacken, ist aber leider „anti¬ christlich" und hält sich in strenger Reserve gegen das Überhandnehmen der europäischen Wünsche. Bei alledem vertritt es einen gesunden Fortschritt, der mit Maß geht, es erkennt zum Beispiel immer die Notwendigkeit der An¬ schaffung von Kanonen, Schiffen usw. an. Mit ihr arbeitet parallel die Tsinanfn-Zeitung in Schenkung, also in Deutschlands Interessensphäre. Ein andres amtliches Blatt ist der „Pekinger Reichsanzeiger", King-pau. In ihm finden wir Edikte, Bestimmungen von Allerhöchster Stelle, Thron¬ berichte usw. Leider hat eine andre Pekinger, nicht amtliche Zeitung, die in hervor¬ ragender und patriotischer Weise das gewöhnliche Volk aufklärte und von jedem gewöhnlichen Manne verstanden wurde, seit etwa vier Jahren ihr Er¬ scheinen einstellen müssen. Als besonders interessantes Pekinger Organ ist noch eine illustrierte chinesische Zeitung für „Wissenschaft und alte und neue Geschichte" hervorzuheben. Sie ist hauptsächlich ein Fortbildungsblatt für die reifere gebildete Jugend. Ähnlich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/555>, abgerufen am 22.06.2024.