Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Studien über die Romantik

des Debats, in dessen philosophischen Artikeln es sehr oft vorkomme, xour
<ZAi'Ä<ze6ri8er l'utilitMLirw, oouroimö et xorksotionns par til xröptu'gelon als ig,
xuissÄiKze. Wenn man diese Phrase übersetzen darf: auf politische Macht-
erwciterung gerichtete nationale Selbstsucht, so kommt sie dem richtigen Begriff
von Imperialismus wenigstens nahe, zu dem allerdings noch gehört, daß die
Machterweiterung nicht in der Einfügung neuer Gebiete in den Staatsverband,
sondern in der Unterjochung mehrerer Nationen durch eine herrschende Nation
bestehe. In den Betrachtungen SeiMres aber ist von Politik überhaupt keine
Rede mehr; er nennt höchst überflüssigerweise demokratischen, individualistischen,
romantischen Imperialismus, was wir gewöhnliche Menschen Demokratie, In¬
dividualismus und Romantik nennen und so zu nennen fortfahren werden.
Herr Seilliere schreibt, er hoffe, der vierte Band seiner "Philosophie des Im¬
perialismus" werde mir hoffentlich besser gefallen als der dritte. Gefallen hat
mir ja auch der dritte, denn Seilliere schreibt immer gefällig, und wenn mir
die letzten beiden weniger gefallen als die ersten beiden, die von Gobineau
und Nietzsche handelten, so liegt das an dem weniger interessanten Stoff.
Aber das Gefallen an der Darstellung darf den Rezensenten nicht abhalten,
dagegen zu protestieren, wenn mit einer falschen Terminologie Verwirrung
angerichtet und einem konstruierten Schema zuliebe den Tatsachen Gewalt an¬
getan wird.

Vom vierten Bande ist voriges Jahr die deutsche Übersetzung von
Fr. von Oppeln-Bronikowski bei H. Barsdorf in Berlin unter dem Titel er¬
schienen: Die romantische Krankheit. Fourier -- Beyle-Stendhal. Das
Buch besteht im wesentlichen aus zwei Monographien über die beiden genannten
Männer; die zweite ist vorher in der Revue des Deux Mondes veröffentlicht
worden. Sie sollen als Typen die beiden "Imperialismen" -- jetzt nennt er
sie Nomcmtismen -- illustrieren, die er im dritten Bande behandelt hat: den
Nomcmtismus der Armen, der sich ans den "sozialen Mystizismus" -- soll
heißen auf die Theorie von -- der natürlichen Güte des Menschen stützt, wie
sie Rousseau gepredigt hat, und den Romantismus der Reichen. Dieser stütze
sich auf einen (soll heißen: bestehe in einem) ästhetischen Mystizismus (ich finde
schlechterdings nichts Mystisches darin), "auf den Dilettantismus in seinen ver-
schiednen Äußerungen, die geniale Ironie der deutschen Romantiker, das Dcmdy-
tum, das 1'art xour I'art-Prinzip, den Persönlichkeitskultus, das Nietzschische
Übermenschentum in seiner dionysischen Form." Daß Fourier von dem Glauben
an die natürliche Güte der Menschen ausgeht, ist richtig; ob er es jedoch ver¬
dient hat, uoch einmal ausführlich dargestellt zu werden, das ist eine andre
Frage. Amüsant ist ja die Darstellung; denn Fourier ist ein kompletter Narr,
und seine Narrheit hat nicht allein Methode, sondern auch einen solchen Mut
der Folgerichtigkeit, daß sie die tollste aller Utopien geschaffen hat, die ebenso¬
gut das Werk eines Dichters wie das eines Weltverbesserers sein könnte. Und
eben darum irrt Seilliere, wenn er diesen Narren den "gemeinsamen Vater des


Studien über die Romantik

des Debats, in dessen philosophischen Artikeln es sehr oft vorkomme, xour
<ZAi'Ä<ze6ri8er l'utilitMLirw, oouroimö et xorksotionns par til xröptu'gelon als ig,
xuissÄiKze. Wenn man diese Phrase übersetzen darf: auf politische Macht-
erwciterung gerichtete nationale Selbstsucht, so kommt sie dem richtigen Begriff
von Imperialismus wenigstens nahe, zu dem allerdings noch gehört, daß die
Machterweiterung nicht in der Einfügung neuer Gebiete in den Staatsverband,
sondern in der Unterjochung mehrerer Nationen durch eine herrschende Nation
bestehe. In den Betrachtungen SeiMres aber ist von Politik überhaupt keine
Rede mehr; er nennt höchst überflüssigerweise demokratischen, individualistischen,
romantischen Imperialismus, was wir gewöhnliche Menschen Demokratie, In¬
dividualismus und Romantik nennen und so zu nennen fortfahren werden.
Herr Seilliere schreibt, er hoffe, der vierte Band seiner „Philosophie des Im¬
perialismus" werde mir hoffentlich besser gefallen als der dritte. Gefallen hat
mir ja auch der dritte, denn Seilliere schreibt immer gefällig, und wenn mir
die letzten beiden weniger gefallen als die ersten beiden, die von Gobineau
und Nietzsche handelten, so liegt das an dem weniger interessanten Stoff.
Aber das Gefallen an der Darstellung darf den Rezensenten nicht abhalten,
dagegen zu protestieren, wenn mit einer falschen Terminologie Verwirrung
angerichtet und einem konstruierten Schema zuliebe den Tatsachen Gewalt an¬
getan wird.

Vom vierten Bande ist voriges Jahr die deutsche Übersetzung von
Fr. von Oppeln-Bronikowski bei H. Barsdorf in Berlin unter dem Titel er¬
schienen: Die romantische Krankheit. Fourier — Beyle-Stendhal. Das
Buch besteht im wesentlichen aus zwei Monographien über die beiden genannten
Männer; die zweite ist vorher in der Revue des Deux Mondes veröffentlicht
worden. Sie sollen als Typen die beiden „Imperialismen" — jetzt nennt er
sie Nomcmtismen — illustrieren, die er im dritten Bande behandelt hat: den
Nomcmtismus der Armen, der sich ans den „sozialen Mystizismus" — soll
heißen auf die Theorie von — der natürlichen Güte des Menschen stützt, wie
sie Rousseau gepredigt hat, und den Romantismus der Reichen. Dieser stütze
sich auf einen (soll heißen: bestehe in einem) ästhetischen Mystizismus (ich finde
schlechterdings nichts Mystisches darin), „auf den Dilettantismus in seinen ver-
schiednen Äußerungen, die geniale Ironie der deutschen Romantiker, das Dcmdy-
tum, das 1'art xour I'art-Prinzip, den Persönlichkeitskultus, das Nietzschische
Übermenschentum in seiner dionysischen Form." Daß Fourier von dem Glauben
an die natürliche Güte der Menschen ausgeht, ist richtig; ob er es jedoch ver¬
dient hat, uoch einmal ausführlich dargestellt zu werden, das ist eine andre
Frage. Amüsant ist ja die Darstellung; denn Fourier ist ein kompletter Narr,
und seine Narrheit hat nicht allein Methode, sondern auch einen solchen Mut
der Folgerichtigkeit, daß sie die tollste aller Utopien geschaffen hat, die ebenso¬
gut das Werk eines Dichters wie das eines Weltverbesserers sein könnte. Und
eben darum irrt Seilliere, wenn er diesen Narren den „gemeinsamen Vater des


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0524" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/312209"/>
          <fw type="header" place="top"> Studien über die Romantik</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2064" prev="#ID_2063"> des Debats, in dessen philosophischen Artikeln es sehr oft vorkomme, xour<lb/>
&lt;ZAi'Ä&lt;ze6ri8er l'utilitMLirw, oouroimö et xorksotionns par til xröptu'gelon als ig,<lb/>
xuissÄiKze. Wenn man diese Phrase übersetzen darf: auf politische Macht-<lb/>
erwciterung gerichtete nationale Selbstsucht, so kommt sie dem richtigen Begriff<lb/>
von Imperialismus wenigstens nahe, zu dem allerdings noch gehört, daß die<lb/>
Machterweiterung nicht in der Einfügung neuer Gebiete in den Staatsverband,<lb/>
sondern in der Unterjochung mehrerer Nationen durch eine herrschende Nation<lb/>
bestehe. In den Betrachtungen SeiMres aber ist von Politik überhaupt keine<lb/>
Rede mehr; er nennt höchst überflüssigerweise demokratischen, individualistischen,<lb/>
romantischen Imperialismus, was wir gewöhnliche Menschen Demokratie, In¬<lb/>
dividualismus und Romantik nennen und so zu nennen fortfahren werden.<lb/>
Herr Seilliere schreibt, er hoffe, der vierte Band seiner &#x201E;Philosophie des Im¬<lb/>
perialismus" werde mir hoffentlich besser gefallen als der dritte. Gefallen hat<lb/>
mir ja auch der dritte, denn Seilliere schreibt immer gefällig, und wenn mir<lb/>
die letzten beiden weniger gefallen als die ersten beiden, die von Gobineau<lb/>
und Nietzsche handelten, so liegt das an dem weniger interessanten Stoff.<lb/>
Aber das Gefallen an der Darstellung darf den Rezensenten nicht abhalten,<lb/>
dagegen zu protestieren, wenn mit einer falschen Terminologie Verwirrung<lb/>
angerichtet und einem konstruierten Schema zuliebe den Tatsachen Gewalt an¬<lb/>
getan wird.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2065" next="#ID_2066"> Vom vierten Bande ist voriges Jahr die deutsche Übersetzung von<lb/>
Fr. von Oppeln-Bronikowski bei H. Barsdorf in Berlin unter dem Titel er¬<lb/>
schienen: Die romantische Krankheit. Fourier &#x2014; Beyle-Stendhal. Das<lb/>
Buch besteht im wesentlichen aus zwei Monographien über die beiden genannten<lb/>
Männer; die zweite ist vorher in der Revue des Deux Mondes veröffentlicht<lb/>
worden. Sie sollen als Typen die beiden &#x201E;Imperialismen" &#x2014; jetzt nennt er<lb/>
sie Nomcmtismen &#x2014; illustrieren, die er im dritten Bande behandelt hat: den<lb/>
Nomcmtismus der Armen, der sich ans den &#x201E;sozialen Mystizismus" &#x2014; soll<lb/>
heißen auf die Theorie von &#x2014; der natürlichen Güte des Menschen stützt, wie<lb/>
sie Rousseau gepredigt hat, und den Romantismus der Reichen. Dieser stütze<lb/>
sich auf einen (soll heißen: bestehe in einem) ästhetischen Mystizismus (ich finde<lb/>
schlechterdings nichts Mystisches darin), &#x201E;auf den Dilettantismus in seinen ver-<lb/>
schiednen Äußerungen, die geniale Ironie der deutschen Romantiker, das Dcmdy-<lb/>
tum, das 1'art xour I'art-Prinzip, den Persönlichkeitskultus, das Nietzschische<lb/>
Übermenschentum in seiner dionysischen Form." Daß Fourier von dem Glauben<lb/>
an die natürliche Güte der Menschen ausgeht, ist richtig; ob er es jedoch ver¬<lb/>
dient hat, uoch einmal ausführlich dargestellt zu werden, das ist eine andre<lb/>
Frage. Amüsant ist ja die Darstellung; denn Fourier ist ein kompletter Narr,<lb/>
und seine Narrheit hat nicht allein Methode, sondern auch einen solchen Mut<lb/>
der Folgerichtigkeit, daß sie die tollste aller Utopien geschaffen hat, die ebenso¬<lb/>
gut das Werk eines Dichters wie das eines Weltverbesserers sein könnte. Und<lb/>
eben darum irrt Seilliere, wenn er diesen Narren den &#x201E;gemeinsamen Vater des</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0524] Studien über die Romantik des Debats, in dessen philosophischen Artikeln es sehr oft vorkomme, xour <ZAi'Ä<ze6ri8er l'utilitMLirw, oouroimö et xorksotionns par til xröptu'gelon als ig, xuissÄiKze. Wenn man diese Phrase übersetzen darf: auf politische Macht- erwciterung gerichtete nationale Selbstsucht, so kommt sie dem richtigen Begriff von Imperialismus wenigstens nahe, zu dem allerdings noch gehört, daß die Machterweiterung nicht in der Einfügung neuer Gebiete in den Staatsverband, sondern in der Unterjochung mehrerer Nationen durch eine herrschende Nation bestehe. In den Betrachtungen SeiMres aber ist von Politik überhaupt keine Rede mehr; er nennt höchst überflüssigerweise demokratischen, individualistischen, romantischen Imperialismus, was wir gewöhnliche Menschen Demokratie, In¬ dividualismus und Romantik nennen und so zu nennen fortfahren werden. Herr Seilliere schreibt, er hoffe, der vierte Band seiner „Philosophie des Im¬ perialismus" werde mir hoffentlich besser gefallen als der dritte. Gefallen hat mir ja auch der dritte, denn Seilliere schreibt immer gefällig, und wenn mir die letzten beiden weniger gefallen als die ersten beiden, die von Gobineau und Nietzsche handelten, so liegt das an dem weniger interessanten Stoff. Aber das Gefallen an der Darstellung darf den Rezensenten nicht abhalten, dagegen zu protestieren, wenn mit einer falschen Terminologie Verwirrung angerichtet und einem konstruierten Schema zuliebe den Tatsachen Gewalt an¬ getan wird. Vom vierten Bande ist voriges Jahr die deutsche Übersetzung von Fr. von Oppeln-Bronikowski bei H. Barsdorf in Berlin unter dem Titel er¬ schienen: Die romantische Krankheit. Fourier — Beyle-Stendhal. Das Buch besteht im wesentlichen aus zwei Monographien über die beiden genannten Männer; die zweite ist vorher in der Revue des Deux Mondes veröffentlicht worden. Sie sollen als Typen die beiden „Imperialismen" — jetzt nennt er sie Nomcmtismen — illustrieren, die er im dritten Bande behandelt hat: den Nomcmtismus der Armen, der sich ans den „sozialen Mystizismus" — soll heißen auf die Theorie von — der natürlichen Güte des Menschen stützt, wie sie Rousseau gepredigt hat, und den Romantismus der Reichen. Dieser stütze sich auf einen (soll heißen: bestehe in einem) ästhetischen Mystizismus (ich finde schlechterdings nichts Mystisches darin), „auf den Dilettantismus in seinen ver- schiednen Äußerungen, die geniale Ironie der deutschen Romantiker, das Dcmdy- tum, das 1'art xour I'art-Prinzip, den Persönlichkeitskultus, das Nietzschische Übermenschentum in seiner dionysischen Form." Daß Fourier von dem Glauben an die natürliche Güte der Menschen ausgeht, ist richtig; ob er es jedoch ver¬ dient hat, uoch einmal ausführlich dargestellt zu werden, das ist eine andre Frage. Amüsant ist ja die Darstellung; denn Fourier ist ein kompletter Narr, und seine Narrheit hat nicht allein Methode, sondern auch einen solchen Mut der Folgerichtigkeit, daß sie die tollste aller Utopien geschaffen hat, die ebenso¬ gut das Werk eines Dichters wie das eines Weltverbesserers sein könnte. Und eben darum irrt Seilliere, wenn er diesen Narren den „gemeinsamen Vater des

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/524
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/524>, abgerufen am 27.06.2024.