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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Llücher und Gneisenau

Ruhmesblätter der Schlesischen Armee und des Korps Jorcks im besondern.
Am 26. September 1813 schrieb Gneisenau an Clausewitz: "Wir wollen die
Szene eröffnen und die Hauptrolle übernehmen, da die andern es nicht
wollen. - . - Bei der Großen Armee entwirft man stets neue Pläne und kommt
nie zur Ausführung; und nach zwei Siegen treibt sich der Kronprinz von
Schweden zwischen Nuthe und Elbe herum." Die Initiative, die die Schlesische
Armee mit dem Rechtsabmarsch nach Wartenburg an sich riß, hat sie fortan
behalten. Die Schwierigkeiten und Gefahren, die das Unternehmen in sich
barg, waren Blücher nicht verborgen, aber in seiner Geistesfrische ging er sofort
auf Gneisenaus Vorschlag ein. "Die Tat von Wartenburg zeigte alsdann
in besonders ausgesprochner Weise das Zusammenwirken der drei besten Männer
der Schlesischen Armee: der Gedanke gehört Gneisenau, der Entschluß Blücher,
die Tat aber hauptsächlich Aorck. Man weiß nicht, ob man die Kühnheit des
Entschlusses oder die Tatkraft bei der Ausführung mehr bewundern soll."

Auf Blücher und Gneisenau passen in gleichem Maße die Worte von
Clausewitz*): "Die Kühnheit ist vom Troßknecht und Tambour bis zum Feld¬
herrn hinauf die edelste Tugend, der rechte Stahl, welcher der Waffe ihre
Schärfe und ihren Glanz gibt." Daß sie vom rechten Stahl waren, haben
sie auch im Unglück bewährt, wie einst schon auf dem Zuge nach Lübeck und
bei Kolberg. Ihre Zuversicht teilte sich nach unten mit, und so haben sie das
Schwerste vollbracht, das im Kriege der Führung beschieden sein kann: die
Truppen nach Niederlagen zu neuen Siegen zu führen. So war es nach den
Februartagen von 1814, so in der entscheidenden Stunde von Belle-Alliance.

Der neueste Blücher-Biograph hat es in sehr geschickter Weise verstanden,
die Rolle seines Helden und alles auf ihn bezügliche in die großen welt¬
geschichtlichen Ereignisse einzupassen. Diese selbst werden klar und gut skizziert,
und es ist glücklich vermieden, Bekanntes zu wiederholen oder, wozu der Stoff
leicht verführen konnte, von dem eigentlichen Gegenstande abzuschweifen. Nicht
nur der Soldat findet in dem Buche, was ihm frommt, es ist vielmehr bei
der Frische und Lebendigkeit seiner Darstellung echt volkstümlich. Ju solchem
Sinne ist es ein nicht zu unterschätzendes Verdienst des Generallentnants
von Unger, diesen vaterländischen Helden dem heutigen Geschlecht wieder näher
gebracht zu haben. Wie packend wirkt nicht die Schilderung von Blüchers
Zusammentreffen mit Wellington am 16. Juni 1815 an der Windmühle von
Brye: "Wohl mochte man streiten, ob Blüchers Hünengestalt die achtung-
gebietende Hoheit seines britischen Mitfeldherrn erreiche; aber welches Herz
wäre nicht durch einen Blick aus dem offnen Antlitz des Deutschen ge¬
wonnen gewesen! Wohl wiesen die gealterten Züge um Augen und Mund¬
winkel Spuren von listiger Verschlagenheit, von leicht aufflammenden Ingrimm
und tiefer Verachtung für das Schlechte auf, aber alles überstrahlte der Aus-



Vom Kriege, Buch, 6, Kapitel.
Llücher und Gneisenau

Ruhmesblätter der Schlesischen Armee und des Korps Jorcks im besondern.
Am 26. September 1813 schrieb Gneisenau an Clausewitz: „Wir wollen die
Szene eröffnen und die Hauptrolle übernehmen, da die andern es nicht
wollen. - . - Bei der Großen Armee entwirft man stets neue Pläne und kommt
nie zur Ausführung; und nach zwei Siegen treibt sich der Kronprinz von
Schweden zwischen Nuthe und Elbe herum." Die Initiative, die die Schlesische
Armee mit dem Rechtsabmarsch nach Wartenburg an sich riß, hat sie fortan
behalten. Die Schwierigkeiten und Gefahren, die das Unternehmen in sich
barg, waren Blücher nicht verborgen, aber in seiner Geistesfrische ging er sofort
auf Gneisenaus Vorschlag ein. „Die Tat von Wartenburg zeigte alsdann
in besonders ausgesprochner Weise das Zusammenwirken der drei besten Männer
der Schlesischen Armee: der Gedanke gehört Gneisenau, der Entschluß Blücher,
die Tat aber hauptsächlich Aorck. Man weiß nicht, ob man die Kühnheit des
Entschlusses oder die Tatkraft bei der Ausführung mehr bewundern soll."

Auf Blücher und Gneisenau passen in gleichem Maße die Worte von
Clausewitz*): „Die Kühnheit ist vom Troßknecht und Tambour bis zum Feld¬
herrn hinauf die edelste Tugend, der rechte Stahl, welcher der Waffe ihre
Schärfe und ihren Glanz gibt." Daß sie vom rechten Stahl waren, haben
sie auch im Unglück bewährt, wie einst schon auf dem Zuge nach Lübeck und
bei Kolberg. Ihre Zuversicht teilte sich nach unten mit, und so haben sie das
Schwerste vollbracht, das im Kriege der Führung beschieden sein kann: die
Truppen nach Niederlagen zu neuen Siegen zu führen. So war es nach den
Februartagen von 1814, so in der entscheidenden Stunde von Belle-Alliance.

Der neueste Blücher-Biograph hat es in sehr geschickter Weise verstanden,
die Rolle seines Helden und alles auf ihn bezügliche in die großen welt¬
geschichtlichen Ereignisse einzupassen. Diese selbst werden klar und gut skizziert,
und es ist glücklich vermieden, Bekanntes zu wiederholen oder, wozu der Stoff
leicht verführen konnte, von dem eigentlichen Gegenstande abzuschweifen. Nicht
nur der Soldat findet in dem Buche, was ihm frommt, es ist vielmehr bei
der Frische und Lebendigkeit seiner Darstellung echt volkstümlich. Ju solchem
Sinne ist es ein nicht zu unterschätzendes Verdienst des Generallentnants
von Unger, diesen vaterländischen Helden dem heutigen Geschlecht wieder näher
gebracht zu haben. Wie packend wirkt nicht die Schilderung von Blüchers
Zusammentreffen mit Wellington am 16. Juni 1815 an der Windmühle von
Brye: „Wohl mochte man streiten, ob Blüchers Hünengestalt die achtung-
gebietende Hoheit seines britischen Mitfeldherrn erreiche; aber welches Herz
wäre nicht durch einen Blick aus dem offnen Antlitz des Deutschen ge¬
wonnen gewesen! Wohl wiesen die gealterten Züge um Augen und Mund¬
winkel Spuren von listiger Verschlagenheit, von leicht aufflammenden Ingrimm
und tiefer Verachtung für das Schlechte auf, aber alles überstrahlte der Aus-



Vom Kriege, Buch, 6, Kapitel.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/522>, abgerufen am 27.06.2024.