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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Blücher und Gneisenau

eine Fülle von Kriegslehren, und aus der Art, wie er sie entwickelt, erkennt man,
dasz er seinen Marschällen, auch den bedeutendern unter ihnen, doch für sie
bisher neues sagt. Es ist das unvergängliche Verdienst der leitenden Männer
des Schlesischen Hauptquartiers, daß sie die Grundzüge napoleonischer Krieg¬
führung klar erkannten und in die Wirklichkeit übertrugen. Damit fand der
gesunde, jeder Künstelei und strategischen Überfeinerung abgeneigte Naturalis¬
mus in der preußischen Armee Eingang. In den spätern langen Friedens¬
jahren ist nicht immer an ihm festgehalten worden, aber die Verarbeitung der
Erfahrungen der Napoleonischen Kriegszeit durch Clausewitz hat diese schließlich
zu einem Gemeingut unsrer Armee werden lassen. Moltke hat an Clausewitz
angeknüpft und dahin gewirkt, daß bei uns 1870 napoleonische Grundsätze in
der Heerführung zutage traten, während sie den Franzosen völlig entschwunden
waren.

Es konnte nicht ausbleiben, daß die rücksichtslose Kriegführung, wie sie
Blücher und Gneisenau übten, den Widerspruch der Korpsführer weckte. Be¬
kanntlich hat Yorck. dem. so sehr er es verstand, beim Angriff alle Kräfte an
den Sieg zu setzen, die Schonung seines Armeekorps am Herzen lag, der
Armeeführung heftig widerstrebt, und von den beiden russischen Korpsführern
hat Langeron der Armeeführung häufig wenigstens passiven Widerstand ent¬
gegengesetzt, wenn auch, wie Generalleutnant von Unger zutreffend betont,
ausgesprochner böser Wille, wie öfter behauptet worden ist. bei ihm nicht nach¬
zuweisen ist. Unter diesen Umständen waren Blüchers fortreißende Person-
. lichkeit und Gneisenaus frische Tatkraft von höchstem Wert und allein imstande,
die zahlreichen Reibungen, die sich innerhalb der Armee ergaben zu über¬
winden. Hielten beide Männer unbeirrt an ihren großen Zielen fest, kannten
sie keine Schonung der Truppe, wo ihnen der Kriegszweck solche nicht zuzu¬
lassen schien so waren sie doch immer bereit, ihrer persönlichen Empfindlichkeit
ein Opfer zu bringen, wo das Interesse des Vaterlandes es forderte. Blücher
kannte den hohen soldatischen Wert Yorcks und hat die Ausbrüche von dessen
galliger Natur immer wieder gelassen hingenommen. Als sich Yorck im
Mürz 1814 krank meldete und die Armee zu verlassen gedachte, waren es
einige herzliche Zeilen Blüchers, die ihn zur Rückkehr bewogen. Trotz heftiger
Augenschmerzen fügte der Feldmarschall einem begütigenden Dienstschreiben
eigenhändig die Worte hinzu: "Alter Waffengeführte, verlassen Sie die Armee
nicht, da wir am Ziel sind; ich bin sehr krank und gehe selbst, sobald der
Kampf beendet" Yorck antwortete hierauf: ..Euer Exzellenz eigenhändiges
Schreiben ist der Abdruck Ihres biederen Herzens, welches ich immer schätzte
und schätzen werde." . ^ ^ . ^- ,

Die Mißstimmung Yorcks war seit den Niederlagen, die Napoleon im
Februar 1814 den getrennten Korps der Schlesischen Armee zwischen Seine
und Marne bereitet hatte, nicht geringer als einst in den Tagen der Katzbach¬
schlacht. Dazwischen aber lagen Wartenburg und Möckern. die schönsten
^


Grenzboten II 1908
Blücher und Gneisenau

eine Fülle von Kriegslehren, und aus der Art, wie er sie entwickelt, erkennt man,
dasz er seinen Marschällen, auch den bedeutendern unter ihnen, doch für sie
bisher neues sagt. Es ist das unvergängliche Verdienst der leitenden Männer
des Schlesischen Hauptquartiers, daß sie die Grundzüge napoleonischer Krieg¬
führung klar erkannten und in die Wirklichkeit übertrugen. Damit fand der
gesunde, jeder Künstelei und strategischen Überfeinerung abgeneigte Naturalis¬
mus in der preußischen Armee Eingang. In den spätern langen Friedens¬
jahren ist nicht immer an ihm festgehalten worden, aber die Verarbeitung der
Erfahrungen der Napoleonischen Kriegszeit durch Clausewitz hat diese schließlich
zu einem Gemeingut unsrer Armee werden lassen. Moltke hat an Clausewitz
angeknüpft und dahin gewirkt, daß bei uns 1870 napoleonische Grundsätze in
der Heerführung zutage traten, während sie den Franzosen völlig entschwunden
waren.

Es konnte nicht ausbleiben, daß die rücksichtslose Kriegführung, wie sie
Blücher und Gneisenau übten, den Widerspruch der Korpsführer weckte. Be¬
kanntlich hat Yorck. dem. so sehr er es verstand, beim Angriff alle Kräfte an
den Sieg zu setzen, die Schonung seines Armeekorps am Herzen lag, der
Armeeführung heftig widerstrebt, und von den beiden russischen Korpsführern
hat Langeron der Armeeführung häufig wenigstens passiven Widerstand ent¬
gegengesetzt, wenn auch, wie Generalleutnant von Unger zutreffend betont,
ausgesprochner böser Wille, wie öfter behauptet worden ist. bei ihm nicht nach¬
zuweisen ist. Unter diesen Umständen waren Blüchers fortreißende Person-
. lichkeit und Gneisenaus frische Tatkraft von höchstem Wert und allein imstande,
die zahlreichen Reibungen, die sich innerhalb der Armee ergaben zu über¬
winden. Hielten beide Männer unbeirrt an ihren großen Zielen fest, kannten
sie keine Schonung der Truppe, wo ihnen der Kriegszweck solche nicht zuzu¬
lassen schien so waren sie doch immer bereit, ihrer persönlichen Empfindlichkeit
ein Opfer zu bringen, wo das Interesse des Vaterlandes es forderte. Blücher
kannte den hohen soldatischen Wert Yorcks und hat die Ausbrüche von dessen
galliger Natur immer wieder gelassen hingenommen. Als sich Yorck im
Mürz 1814 krank meldete und die Armee zu verlassen gedachte, waren es
einige herzliche Zeilen Blüchers, die ihn zur Rückkehr bewogen. Trotz heftiger
Augenschmerzen fügte der Feldmarschall einem begütigenden Dienstschreiben
eigenhändig die Worte hinzu: „Alter Waffengeführte, verlassen Sie die Armee
nicht, da wir am Ziel sind; ich bin sehr krank und gehe selbst, sobald der
Kampf beendet" Yorck antwortete hierauf: ..Euer Exzellenz eigenhändiges
Schreiben ist der Abdruck Ihres biederen Herzens, welches ich immer schätzte
und schätzen werde." . ^ ^ . ^- ,

Die Mißstimmung Yorcks war seit den Niederlagen, die Napoleon im
Februar 1814 den getrennten Korps der Schlesischen Armee zwischen Seine
und Marne bereitet hatte, nicht geringer als einst in den Tagen der Katzbach¬
schlacht. Dazwischen aber lagen Wartenburg und Möckern. die schönsten
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Grenzboten II 1908
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[0521] Blücher und Gneisenau eine Fülle von Kriegslehren, und aus der Art, wie er sie entwickelt, erkennt man, dasz er seinen Marschällen, auch den bedeutendern unter ihnen, doch für sie bisher neues sagt. Es ist das unvergängliche Verdienst der leitenden Männer des Schlesischen Hauptquartiers, daß sie die Grundzüge napoleonischer Krieg¬ führung klar erkannten und in die Wirklichkeit übertrugen. Damit fand der gesunde, jeder Künstelei und strategischen Überfeinerung abgeneigte Naturalis¬ mus in der preußischen Armee Eingang. In den spätern langen Friedens¬ jahren ist nicht immer an ihm festgehalten worden, aber die Verarbeitung der Erfahrungen der Napoleonischen Kriegszeit durch Clausewitz hat diese schließlich zu einem Gemeingut unsrer Armee werden lassen. Moltke hat an Clausewitz angeknüpft und dahin gewirkt, daß bei uns 1870 napoleonische Grundsätze in der Heerführung zutage traten, während sie den Franzosen völlig entschwunden waren. Es konnte nicht ausbleiben, daß die rücksichtslose Kriegführung, wie sie Blücher und Gneisenau übten, den Widerspruch der Korpsführer weckte. Be¬ kanntlich hat Yorck. dem. so sehr er es verstand, beim Angriff alle Kräfte an den Sieg zu setzen, die Schonung seines Armeekorps am Herzen lag, der Armeeführung heftig widerstrebt, und von den beiden russischen Korpsführern hat Langeron der Armeeführung häufig wenigstens passiven Widerstand ent¬ gegengesetzt, wenn auch, wie Generalleutnant von Unger zutreffend betont, ausgesprochner böser Wille, wie öfter behauptet worden ist. bei ihm nicht nach¬ zuweisen ist. Unter diesen Umständen waren Blüchers fortreißende Person- . lichkeit und Gneisenaus frische Tatkraft von höchstem Wert und allein imstande, die zahlreichen Reibungen, die sich innerhalb der Armee ergaben zu über¬ winden. Hielten beide Männer unbeirrt an ihren großen Zielen fest, kannten sie keine Schonung der Truppe, wo ihnen der Kriegszweck solche nicht zuzu¬ lassen schien so waren sie doch immer bereit, ihrer persönlichen Empfindlichkeit ein Opfer zu bringen, wo das Interesse des Vaterlandes es forderte. Blücher kannte den hohen soldatischen Wert Yorcks und hat die Ausbrüche von dessen galliger Natur immer wieder gelassen hingenommen. Als sich Yorck im Mürz 1814 krank meldete und die Armee zu verlassen gedachte, waren es einige herzliche Zeilen Blüchers, die ihn zur Rückkehr bewogen. Trotz heftiger Augenschmerzen fügte der Feldmarschall einem begütigenden Dienstschreiben eigenhändig die Worte hinzu: „Alter Waffengeführte, verlassen Sie die Armee nicht, da wir am Ziel sind; ich bin sehr krank und gehe selbst, sobald der Kampf beendet" Yorck antwortete hierauf: ..Euer Exzellenz eigenhändiges Schreiben ist der Abdruck Ihres biederen Herzens, welches ich immer schätzte und schätzen werde." . ^ ^ . ^- , Die Mißstimmung Yorcks war seit den Niederlagen, die Napoleon im Februar 1814 den getrennten Korps der Schlesischen Armee zwischen Seine und Marne bereitet hatte, nicht geringer als einst in den Tagen der Katzbach¬ schlacht. Dazwischen aber lagen Wartenburg und Möckern. die schönsten ^ Grenzboten II 1908

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/521>, abgerufen am 24.07.2024.