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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Blücher und Gneisenau

zu glauben, daß ich der Hilfe genialer Männer entbehren könne; guter Rat ist
mir stets willkommen."

Männern der Tat, die in sich den Beruf zum Truppenführer fühlen und
doch immer hinter dem Feldherrn zurückzutreten haben, werden gelegentliche
Enttäuschungen und Mißstimmungen niemals erspart bleiben. Aus diesem
Gefühl heraus schrieb Scharnhorst 1813: "Mein Leben gäbe ich für das
Kommando eines Tages." Da kann es nicht wundernehmen, wenn der
tapfere Verteidiger von Kolberg ebenso dachte. Bei ihm kam damals allerdings
noch hinzu, daß König Friedrich Wilhelm der Dritte, wenn er auch äußerlich
seine Verdienste ehrte, doch innere Sympathie zu ihm niemals hegte, wie über¬
haupt geistig überragende Persönlichkeiten auf dem Könige lasteten. Auch für
Blüchers Wesen hat der König wirkliches Verständnis kaum gehabt. Gneisenau
kennzeichnet es, daß er sich mit Beginn des Krieges 1815 alsbald wieder in
seine Rolle neben dem alten Feldherrn hineinfand, und wie hoch er dessen
Verdienste schätzte, beweist eine spätere Äußerung von ihm. Als des Feld¬
marschalls Sturz bei Ligny und die Gefahr seiner Gefangennahme vor Gneisenau
besprochen und von jemand zu ihm gesagt wurde: "Na, dann hätten wir Sie
ja gehabt", sagte Gneisenau entschieden: "Glauben Sie denn, daß einer von
uns den Alten im Heere hätten ersetzen können? Sein Vorwärts! blitzt in
seinen Augen und ist in die Herzen unsrer Soldaten eingegraben."

Wenn Generalleutnant von Unger bei Erwähnung der fehlenden General¬
stabsschulung Gneisenaus sagt: "Im Betrieb des Generalstabshandwerks beim
Oberkommando treten häufig bedenkliche Nachlässigkeiten zutage", so geben ihm
die Tatsachen an sich unzweifelhaft recht. Namentlich bei Eröffnung des
Herbstfeldzuges 1813 trat das hervor. Immerhin ist zu bedenken, daß eine
eigentliche Generalstabsschulung in unserm Sinne damals überhaupt kaum be¬
stand. Was man so nannte, fiel mehr in das Gebiet phantastischer Kriegs¬
pläne und unfruchtbarer Abstraktionen, nicht in das praktischer Truppenführung
wie heute. Mit welchen veralteten Begriffen nach dieser Richtung noch Moltke
zu kämpfen hatte, erkennt man ganz besonders beim Durcharbeiten der von
ihm vor dem Jahre 1870 geleiteten, vor kurzem veröffentlichten Generalstabs¬
reisen, auf denen er den Grund für jene Schulung der höhern Truppenführer
und ältern Generalstabsoffiziere legte, der ein wesentlicher Anteil an unsern
kriegerischen Erfolgen gebührt. Sodann darf nicht übersehen werden, daß die
Art der Kriegführung, wie sie das Schlesische Hauptquartier anwandte, damals
noch etwas neues war. Blücher und Gneisenau begegneten Napoleon mit
seinen eignen Mitteln, sie übten schon damals die Kunst des Getrenntmar-
schierens, um vereint zu schlagen; daß hierbei Mißgriffe und Reibungen nicht
ausbleiben konnten, wo man noch 1806 in den starren Fesseln der Lineartaktik
gesteckt hatte, kann nicht wundernehmen. Auch beim Gegner fehlten solche
Reibungen nicht. Trotz zwanzigjähriger Kriegspraxis ist Napoleon nur selten
von seinen Generalen ganz verstanden worden. Seine Korrespondenz enthält


Blücher und Gneisenau

zu glauben, daß ich der Hilfe genialer Männer entbehren könne; guter Rat ist
mir stets willkommen."

Männern der Tat, die in sich den Beruf zum Truppenführer fühlen und
doch immer hinter dem Feldherrn zurückzutreten haben, werden gelegentliche
Enttäuschungen und Mißstimmungen niemals erspart bleiben. Aus diesem
Gefühl heraus schrieb Scharnhorst 1813: „Mein Leben gäbe ich für das
Kommando eines Tages." Da kann es nicht wundernehmen, wenn der
tapfere Verteidiger von Kolberg ebenso dachte. Bei ihm kam damals allerdings
noch hinzu, daß König Friedrich Wilhelm der Dritte, wenn er auch äußerlich
seine Verdienste ehrte, doch innere Sympathie zu ihm niemals hegte, wie über¬
haupt geistig überragende Persönlichkeiten auf dem Könige lasteten. Auch für
Blüchers Wesen hat der König wirkliches Verständnis kaum gehabt. Gneisenau
kennzeichnet es, daß er sich mit Beginn des Krieges 1815 alsbald wieder in
seine Rolle neben dem alten Feldherrn hineinfand, und wie hoch er dessen
Verdienste schätzte, beweist eine spätere Äußerung von ihm. Als des Feld¬
marschalls Sturz bei Ligny und die Gefahr seiner Gefangennahme vor Gneisenau
besprochen und von jemand zu ihm gesagt wurde: „Na, dann hätten wir Sie
ja gehabt", sagte Gneisenau entschieden: „Glauben Sie denn, daß einer von
uns den Alten im Heere hätten ersetzen können? Sein Vorwärts! blitzt in
seinen Augen und ist in die Herzen unsrer Soldaten eingegraben."

Wenn Generalleutnant von Unger bei Erwähnung der fehlenden General¬
stabsschulung Gneisenaus sagt: „Im Betrieb des Generalstabshandwerks beim
Oberkommando treten häufig bedenkliche Nachlässigkeiten zutage", so geben ihm
die Tatsachen an sich unzweifelhaft recht. Namentlich bei Eröffnung des
Herbstfeldzuges 1813 trat das hervor. Immerhin ist zu bedenken, daß eine
eigentliche Generalstabsschulung in unserm Sinne damals überhaupt kaum be¬
stand. Was man so nannte, fiel mehr in das Gebiet phantastischer Kriegs¬
pläne und unfruchtbarer Abstraktionen, nicht in das praktischer Truppenführung
wie heute. Mit welchen veralteten Begriffen nach dieser Richtung noch Moltke
zu kämpfen hatte, erkennt man ganz besonders beim Durcharbeiten der von
ihm vor dem Jahre 1870 geleiteten, vor kurzem veröffentlichten Generalstabs¬
reisen, auf denen er den Grund für jene Schulung der höhern Truppenführer
und ältern Generalstabsoffiziere legte, der ein wesentlicher Anteil an unsern
kriegerischen Erfolgen gebührt. Sodann darf nicht übersehen werden, daß die
Art der Kriegführung, wie sie das Schlesische Hauptquartier anwandte, damals
noch etwas neues war. Blücher und Gneisenau begegneten Napoleon mit
seinen eignen Mitteln, sie übten schon damals die Kunst des Getrenntmar-
schierens, um vereint zu schlagen; daß hierbei Mißgriffe und Reibungen nicht
ausbleiben konnten, wo man noch 1806 in den starren Fesseln der Lineartaktik
gesteckt hatte, kann nicht wundernehmen. Auch beim Gegner fehlten solche
Reibungen nicht. Trotz zwanzigjähriger Kriegspraxis ist Napoleon nur selten
von seinen Generalen ganz verstanden worden. Seine Korrespondenz enthält


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/520>, abgerufen am 24.07.2024.