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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Neue Lyrik

katholischen Lehre von der Verdienstlichkeit der Klostergelübde Tausende von
Unberufnen zum Eintritt verlockt. Und in Beziehung auf die beschaulichen
Orden, deren Leben durchaus unnatürlich ist, gibt es überhaupt keine Berufnen.
Teresa konnte seelisch gesund bleiben, weil sie in der Zeit ihrer Beschaulichkeit
mit eifrigem Studium, mit der Verarbeitung ihrer außerordentlichen innern
Erfahrungen und deren Niederschrift beschäftigt war (nebenbei hat sie auch
fleißig gesponnen), in der zweiten Periode ihrer Klosterzeit aber, wo sie die
Gründungen in Anspruch nahmen, gar nicht klösterlich gelebt hat; aber der
großen Masse der Karmelitinnen (die männlichen Mitglieder des Ordens können
wenigstens in der Seelsorge aushelfen) ist keine andre Beschäftigung übrig
geblieben als beten, das heißt brüten (denn kein Mensch kann täglich stunden¬
lang beten) und ein bißchen Tändelei wie das Bekleiden und Schmücken von
wächsernen Jesuskindlein und ähnlichen Puppen. Die durch die Ordensregel
vorgeschriebne Handarbeit, die die Seelen noch einigermaßen gesund erhalten
könnte, ist eingegangen, mußte schon aus dem Grunde eingehn, weil das
Spinnen und die Handweberei überhaupt aufgehört haben. Schon Teresa
klagte einmal, daß die im Kloster gefertigte Leinwand keinen Absatz finde. Der
Karmeliterorden hat weder Lebensfähigkeit noch Existenzberechtigung mehr; der
ganz anders geartete Jesuitenorden wird sich noch eine Zeit lang behaupten
Carl Jentsch können. _




Mozart
Neue Lyrik
Heinrich Spiero von

einrieb Hart hat einmal in seiner frischen Weise festgestellt, wie
immer wieder durch alle literarischen Zustünde im Wechsel der
Zeit und des Geschmacks zwei Typen hindurchgehn: der Enthusiast
und der Pessimist; jener immer das alte Wort auf den Lippen,
daß es eine Lust sei zu leben -- dieser immer bereit, die noch
ältere Mahnung an die Konsuln auszusprechen, sie mögen das Gemeinwohl
vor drohendem Schaden bewahren. In Übergangszeiten voll jäher Ereignisse,
auffälliger Erscheinungen pflegen diese beiden Beherrscher und Verkünder
öffentlicher Meinungen das Feld fast für sich allein zu haben; in ruhigern
Zeitläufen teilen sie es immerhin mit Betrachtern, die sich, von jeder Partei¬
eingenommenheit befreit, bemühen, das Vorhcmdne und Werdende in der
ruhigen Erwartung zu prüfen, daß nach dem Abschwellen der großen Gegen¬
sätze Tüchtiges und Erfreuliches geleistet werden könne. Dabei gebe ich ohne
weiteres zu, daß jene nun einmal hinter uns liegenden Tage stürmischer Er¬
wartung auf der einen, heftiger Verdammung auf der andern Seite auch ihren
großen Reiz haben; und wenn wir heute zum Beispiel in des nun auch schon


Neue Lyrik

katholischen Lehre von der Verdienstlichkeit der Klostergelübde Tausende von
Unberufnen zum Eintritt verlockt. Und in Beziehung auf die beschaulichen
Orden, deren Leben durchaus unnatürlich ist, gibt es überhaupt keine Berufnen.
Teresa konnte seelisch gesund bleiben, weil sie in der Zeit ihrer Beschaulichkeit
mit eifrigem Studium, mit der Verarbeitung ihrer außerordentlichen innern
Erfahrungen und deren Niederschrift beschäftigt war (nebenbei hat sie auch
fleißig gesponnen), in der zweiten Periode ihrer Klosterzeit aber, wo sie die
Gründungen in Anspruch nahmen, gar nicht klösterlich gelebt hat; aber der
großen Masse der Karmelitinnen (die männlichen Mitglieder des Ordens können
wenigstens in der Seelsorge aushelfen) ist keine andre Beschäftigung übrig
geblieben als beten, das heißt brüten (denn kein Mensch kann täglich stunden¬
lang beten) und ein bißchen Tändelei wie das Bekleiden und Schmücken von
wächsernen Jesuskindlein und ähnlichen Puppen. Die durch die Ordensregel
vorgeschriebne Handarbeit, die die Seelen noch einigermaßen gesund erhalten
könnte, ist eingegangen, mußte schon aus dem Grunde eingehn, weil das
Spinnen und die Handweberei überhaupt aufgehört haben. Schon Teresa
klagte einmal, daß die im Kloster gefertigte Leinwand keinen Absatz finde. Der
Karmeliterorden hat weder Lebensfähigkeit noch Existenzberechtigung mehr; der
ganz anders geartete Jesuitenorden wird sich noch eine Zeit lang behaupten
Carl Jentsch können. _




Mozart
Neue Lyrik
Heinrich Spiero von

einrieb Hart hat einmal in seiner frischen Weise festgestellt, wie
immer wieder durch alle literarischen Zustünde im Wechsel der
Zeit und des Geschmacks zwei Typen hindurchgehn: der Enthusiast
und der Pessimist; jener immer das alte Wort auf den Lippen,
daß es eine Lust sei zu leben — dieser immer bereit, die noch
ältere Mahnung an die Konsuln auszusprechen, sie mögen das Gemeinwohl
vor drohendem Schaden bewahren. In Übergangszeiten voll jäher Ereignisse,
auffälliger Erscheinungen pflegen diese beiden Beherrscher und Verkünder
öffentlicher Meinungen das Feld fast für sich allein zu haben; in ruhigern
Zeitläufen teilen sie es immerhin mit Betrachtern, die sich, von jeder Partei¬
eingenommenheit befreit, bemühen, das Vorhcmdne und Werdende in der
ruhigen Erwartung zu prüfen, daß nach dem Abschwellen der großen Gegen¬
sätze Tüchtiges und Erfreuliches geleistet werden könne. Dabei gebe ich ohne
weiteres zu, daß jene nun einmal hinter uns liegenden Tage stürmischer Er¬
wartung auf der einen, heftiger Verdammung auf der andern Seite auch ihren
großen Reiz haben; und wenn wir heute zum Beispiel in des nun auch schon


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[0487] Neue Lyrik katholischen Lehre von der Verdienstlichkeit der Klostergelübde Tausende von Unberufnen zum Eintritt verlockt. Und in Beziehung auf die beschaulichen Orden, deren Leben durchaus unnatürlich ist, gibt es überhaupt keine Berufnen. Teresa konnte seelisch gesund bleiben, weil sie in der Zeit ihrer Beschaulichkeit mit eifrigem Studium, mit der Verarbeitung ihrer außerordentlichen innern Erfahrungen und deren Niederschrift beschäftigt war (nebenbei hat sie auch fleißig gesponnen), in der zweiten Periode ihrer Klosterzeit aber, wo sie die Gründungen in Anspruch nahmen, gar nicht klösterlich gelebt hat; aber der großen Masse der Karmelitinnen (die männlichen Mitglieder des Ordens können wenigstens in der Seelsorge aushelfen) ist keine andre Beschäftigung übrig geblieben als beten, das heißt brüten (denn kein Mensch kann täglich stunden¬ lang beten) und ein bißchen Tändelei wie das Bekleiden und Schmücken von wächsernen Jesuskindlein und ähnlichen Puppen. Die durch die Ordensregel vorgeschriebne Handarbeit, die die Seelen noch einigermaßen gesund erhalten könnte, ist eingegangen, mußte schon aus dem Grunde eingehn, weil das Spinnen und die Handweberei überhaupt aufgehört haben. Schon Teresa klagte einmal, daß die im Kloster gefertigte Leinwand keinen Absatz finde. Der Karmeliterorden hat weder Lebensfähigkeit noch Existenzberechtigung mehr; der ganz anders geartete Jesuitenorden wird sich noch eine Zeit lang behaupten Carl Jentsch können. _ Mozart Neue Lyrik Heinrich Spiero von einrieb Hart hat einmal in seiner frischen Weise festgestellt, wie immer wieder durch alle literarischen Zustünde im Wechsel der Zeit und des Geschmacks zwei Typen hindurchgehn: der Enthusiast und der Pessimist; jener immer das alte Wort auf den Lippen, daß es eine Lust sei zu leben — dieser immer bereit, die noch ältere Mahnung an die Konsuln auszusprechen, sie mögen das Gemeinwohl vor drohendem Schaden bewahren. In Übergangszeiten voll jäher Ereignisse, auffälliger Erscheinungen pflegen diese beiden Beherrscher und Verkünder öffentlicher Meinungen das Feld fast für sich allein zu haben; in ruhigern Zeitläufen teilen sie es immerhin mit Betrachtern, die sich, von jeder Partei¬ eingenommenheit befreit, bemühen, das Vorhcmdne und Werdende in der ruhigen Erwartung zu prüfen, daß nach dem Abschwellen der großen Gegen¬ sätze Tüchtiges und Erfreuliches geleistet werden könne. Dabei gebe ich ohne weiteres zu, daß jene nun einmal hinter uns liegenden Tage stürmischer Er¬ wartung auf der einen, heftiger Verdammung auf der andern Seite auch ihren großen Reiz haben; und wenn wir heute zum Beispiel in des nun auch schon

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/487>, abgerufen am 20.06.2024.