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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Johann vom Kreuz

Lektüre hauptsächlich ist es zu danken, daß die katholische Bevölkerung im
Glauben an das Übersinnliche feststeht und für neumodische materialistische
Evangelien unzugänglich ist.

Personen und Völker, denen eine providentielle Aufgabe zufällt, pflegen
in irgendeiner Weise deren Opfer zu werden. Die mystischen Heiligen des
sechzehnten Jahrhunderts haben den Hang der Spanier zur Phantastik und
ihre Abneigung gegen geordnete, stramme, planmäßige Arbeit verstärkt, zum
Klosterleben angelockt, die Zahl der Klosterleute unmäßig gesteigert und dadurch
zum Niedergange Spaniens beigetragen, während die calvinische Askese Virtuosen
der gewerblichen Arbeit züchtete. Zwar hat Teresa die Gefahren des Kloster¬
lebens gekannt und ihnen vorzubeugen gesucht. Sie fand dieses Leben als
Mode vor und wollte die verderbliche, liederliche Möncherei und nommerai
durch eine heilsame ersetzen, ohne zu Übertreibungen nach der entgegengesetzten
Seite zu verleiten. Sie schrieb in den Abtötungen Maß vor, wurde unwirsch,
wenn Übereifrige und Skrupulanten alles mögliche verbieten und aus jedem
Genuß eine Sünde machen wollten, mahnte zu einer vernünftigen Gesundheits¬
pflege und zur Reinlichkeit in Leib-, Bett- und Tischwüsche. Aus vielen ihrer
Äußerungen ist zu schließen, daß sie selbst ziemlich stark, auch Fleisch, gegessen
hat, was ja bei ihrer anstrengenden Tätigkeit auch notwendig war. Dem
Müßiggang soll in ihren Klöstern nicht gefrönt werden. Wer nicht arbeiten
wolle, solle auch nicht essen, heißt es in ihrer Regel; auch sei die körperliche
Arbeit notwendig, um Versuchungen fernzuhalten. Neben Almosen, die nicht
zu erbetteln, sondern als spontane Gaben zu erhoffen seien, soll der Ertrag
verkaufter Arbeitprodukte ihren Nonnen den Lebensunterhalt liefern. Ihren
Erwerb sollen sie jedoch "nicht aus zierlichen Arbeiten gewinnen, sondern vom
Spinnen oder von jandern dergleichen) Arbeiten, die den Geist nicht so an¬
strengen, daß sie das Denken ganz in Beschlag nehmen und den Aufblick zu
Gott hindern. Es sollen auch nicht Arbeiten von Gold oder Silber sein, und
keine verlange eigensinnig, was man ihr für Arbeit zuleiten soll. Alle sollen
gutwillig die Arbeit übernehmen, die man ihnen übergibt, und wohl bedenken,
daß sie sich auf ihre Arbeit nichts einbilden dürfen." Alles ganz schön, obwohl
das zuletzt angeführte nicht als Sporn sondern nur als Dämpfer der Arbeits¬
lust wirken konnte. Teresa vergaß oder beachtete jedoch nicht, daß ihre eigne
Persönlichkeit wenig geeignet war, die Norm für eine zahlreiche Gemeinschaft ab¬
zugeben. Daß viele Visionen reine Phantasien sind oder "vom Teufel" stammen
(das heißt ins Rationelle übertragen aus Hochmut und Eitelkeit, manchmal
auch aus Lüsternheit), hat sie gewußt. Aber sie hat sich nicht vergegenwärtigt,
daß auf eine Person, der Visionen als Antriebe zu einer nützlichen Tätigkeit
zuteil werden, tausend Personen kommen, bei denen das ganze sogenannte innere
Leben, der vermeintliche Weg zur Vollkommenheit, ein nichtiges Spiel der
Phantasie, ein gefährliches und verderbliches Brüten bleibt, und daß es darum
heißt, die Menschen massenhaft ins Verderben stürzen, wenn man mit der


Johann vom Kreuz

Lektüre hauptsächlich ist es zu danken, daß die katholische Bevölkerung im
Glauben an das Übersinnliche feststeht und für neumodische materialistische
Evangelien unzugänglich ist.

Personen und Völker, denen eine providentielle Aufgabe zufällt, pflegen
in irgendeiner Weise deren Opfer zu werden. Die mystischen Heiligen des
sechzehnten Jahrhunderts haben den Hang der Spanier zur Phantastik und
ihre Abneigung gegen geordnete, stramme, planmäßige Arbeit verstärkt, zum
Klosterleben angelockt, die Zahl der Klosterleute unmäßig gesteigert und dadurch
zum Niedergange Spaniens beigetragen, während die calvinische Askese Virtuosen
der gewerblichen Arbeit züchtete. Zwar hat Teresa die Gefahren des Kloster¬
lebens gekannt und ihnen vorzubeugen gesucht. Sie fand dieses Leben als
Mode vor und wollte die verderbliche, liederliche Möncherei und nommerai
durch eine heilsame ersetzen, ohne zu Übertreibungen nach der entgegengesetzten
Seite zu verleiten. Sie schrieb in den Abtötungen Maß vor, wurde unwirsch,
wenn Übereifrige und Skrupulanten alles mögliche verbieten und aus jedem
Genuß eine Sünde machen wollten, mahnte zu einer vernünftigen Gesundheits¬
pflege und zur Reinlichkeit in Leib-, Bett- und Tischwüsche. Aus vielen ihrer
Äußerungen ist zu schließen, daß sie selbst ziemlich stark, auch Fleisch, gegessen
hat, was ja bei ihrer anstrengenden Tätigkeit auch notwendig war. Dem
Müßiggang soll in ihren Klöstern nicht gefrönt werden. Wer nicht arbeiten
wolle, solle auch nicht essen, heißt es in ihrer Regel; auch sei die körperliche
Arbeit notwendig, um Versuchungen fernzuhalten. Neben Almosen, die nicht
zu erbetteln, sondern als spontane Gaben zu erhoffen seien, soll der Ertrag
verkaufter Arbeitprodukte ihren Nonnen den Lebensunterhalt liefern. Ihren
Erwerb sollen sie jedoch „nicht aus zierlichen Arbeiten gewinnen, sondern vom
Spinnen oder von jandern dergleichen) Arbeiten, die den Geist nicht so an¬
strengen, daß sie das Denken ganz in Beschlag nehmen und den Aufblick zu
Gott hindern. Es sollen auch nicht Arbeiten von Gold oder Silber sein, und
keine verlange eigensinnig, was man ihr für Arbeit zuleiten soll. Alle sollen
gutwillig die Arbeit übernehmen, die man ihnen übergibt, und wohl bedenken,
daß sie sich auf ihre Arbeit nichts einbilden dürfen." Alles ganz schön, obwohl
das zuletzt angeführte nicht als Sporn sondern nur als Dämpfer der Arbeits¬
lust wirken konnte. Teresa vergaß oder beachtete jedoch nicht, daß ihre eigne
Persönlichkeit wenig geeignet war, die Norm für eine zahlreiche Gemeinschaft ab¬
zugeben. Daß viele Visionen reine Phantasien sind oder „vom Teufel" stammen
(das heißt ins Rationelle übertragen aus Hochmut und Eitelkeit, manchmal
auch aus Lüsternheit), hat sie gewußt. Aber sie hat sich nicht vergegenwärtigt,
daß auf eine Person, der Visionen als Antriebe zu einer nützlichen Tätigkeit
zuteil werden, tausend Personen kommen, bei denen das ganze sogenannte innere
Leben, der vermeintliche Weg zur Vollkommenheit, ein nichtiges Spiel der
Phantasie, ein gefährliches und verderbliches Brüten bleibt, und daß es darum
heißt, die Menschen massenhaft ins Verderben stürzen, wenn man mit der


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[0486] Johann vom Kreuz Lektüre hauptsächlich ist es zu danken, daß die katholische Bevölkerung im Glauben an das Übersinnliche feststeht und für neumodische materialistische Evangelien unzugänglich ist. Personen und Völker, denen eine providentielle Aufgabe zufällt, pflegen in irgendeiner Weise deren Opfer zu werden. Die mystischen Heiligen des sechzehnten Jahrhunderts haben den Hang der Spanier zur Phantastik und ihre Abneigung gegen geordnete, stramme, planmäßige Arbeit verstärkt, zum Klosterleben angelockt, die Zahl der Klosterleute unmäßig gesteigert und dadurch zum Niedergange Spaniens beigetragen, während die calvinische Askese Virtuosen der gewerblichen Arbeit züchtete. Zwar hat Teresa die Gefahren des Kloster¬ lebens gekannt und ihnen vorzubeugen gesucht. Sie fand dieses Leben als Mode vor und wollte die verderbliche, liederliche Möncherei und nommerai durch eine heilsame ersetzen, ohne zu Übertreibungen nach der entgegengesetzten Seite zu verleiten. Sie schrieb in den Abtötungen Maß vor, wurde unwirsch, wenn Übereifrige und Skrupulanten alles mögliche verbieten und aus jedem Genuß eine Sünde machen wollten, mahnte zu einer vernünftigen Gesundheits¬ pflege und zur Reinlichkeit in Leib-, Bett- und Tischwüsche. Aus vielen ihrer Äußerungen ist zu schließen, daß sie selbst ziemlich stark, auch Fleisch, gegessen hat, was ja bei ihrer anstrengenden Tätigkeit auch notwendig war. Dem Müßiggang soll in ihren Klöstern nicht gefrönt werden. Wer nicht arbeiten wolle, solle auch nicht essen, heißt es in ihrer Regel; auch sei die körperliche Arbeit notwendig, um Versuchungen fernzuhalten. Neben Almosen, die nicht zu erbetteln, sondern als spontane Gaben zu erhoffen seien, soll der Ertrag verkaufter Arbeitprodukte ihren Nonnen den Lebensunterhalt liefern. Ihren Erwerb sollen sie jedoch „nicht aus zierlichen Arbeiten gewinnen, sondern vom Spinnen oder von jandern dergleichen) Arbeiten, die den Geist nicht so an¬ strengen, daß sie das Denken ganz in Beschlag nehmen und den Aufblick zu Gott hindern. Es sollen auch nicht Arbeiten von Gold oder Silber sein, und keine verlange eigensinnig, was man ihr für Arbeit zuleiten soll. Alle sollen gutwillig die Arbeit übernehmen, die man ihnen übergibt, und wohl bedenken, daß sie sich auf ihre Arbeit nichts einbilden dürfen." Alles ganz schön, obwohl das zuletzt angeführte nicht als Sporn sondern nur als Dämpfer der Arbeits¬ lust wirken konnte. Teresa vergaß oder beachtete jedoch nicht, daß ihre eigne Persönlichkeit wenig geeignet war, die Norm für eine zahlreiche Gemeinschaft ab¬ zugeben. Daß viele Visionen reine Phantasien sind oder „vom Teufel" stammen (das heißt ins Rationelle übertragen aus Hochmut und Eitelkeit, manchmal auch aus Lüsternheit), hat sie gewußt. Aber sie hat sich nicht vergegenwärtigt, daß auf eine Person, der Visionen als Antriebe zu einer nützlichen Tätigkeit zuteil werden, tausend Personen kommen, bei denen das ganze sogenannte innere Leben, der vermeintliche Weg zur Vollkommenheit, ein nichtiges Spiel der Phantasie, ein gefährliches und verderbliches Brüten bleibt, und daß es darum heißt, die Menschen massenhaft ins Verderben stürzen, wenn man mit der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/486>, abgerufen am 20.06.2024.